Landgericht Braunschweig
Urt. v. 28.04.1999, Az.: 37 Ns 703 Js 15338/98

Behinderung einer Betriebsratswahl durch den Austausch von Wahlunterlagen mit dem Ziel das Wahlergebnis zu beeinflussen; Strafbarkeit nach § 119 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
28.04.1999
Aktenzeichen
37 Ns 703 Js 15338/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 10654
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:1999:0428.37NS703JS15338.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Salzgitter-Salder - 04.02.1999

Fundstelle

  • NStZ-RR 2000, 93-94 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Wahlbehinderung und Sachbeschädigung

In der Strafsache
hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig
in der Sitzung vom 28. April 1999,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Landgericht als Vorsitzender, als
Schöffe wegen Wahlbehinderung und Sachbeschädigung
Staatsanwalt als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Salzgitter vom 4. Februar 1999 wird auf seine Kosten verworfen.

Entscheidungsgründe

1

(abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO)

2

Der Angeklagte arbeitet seit Jahren als Hausmeister bei der Firma .... Seit vielen Jahren ist er als Arbeitervertreter Mitglied des Betriebsrates. In der Wahlperiode von 1994-1998 war er zwei Jahre lang Betriebsratsvorsitzender. Aufgrund persönlicher Differenzen trat er zurück, da die übrigen Betriebsratsmitglieder, nämlich die Zeuginnen ... und ... in einem Fall nicht in seinem Sinne abstimmten. Der Angeklagte selbst ist gewerkschaftliches Mitglied bei der HBV. Die anderen Betriebsratsmitglieder sind Mitglieder der DAG. Die anderen vier Betriebsratsmitglieder beschlossen die im Jahre 1998 anstehende Wahl zu nutzen, um den Angeklagten "loszuwerden". Hintergrund waren persönliche Differenzen sowie Unzuträglichkeiten zwischen dem Angeklagten und anderen weiblichen Angehörigen der Firma .... Da der Angeklagte als Arbeitervertreter gute Chancen hatte, wiedergewählt werden (der Betriebsrat muß von fünf Mitgliedern jeweils ein Mitglied als Arbeitervertreter haben), traten die anderen Betriebsratsmitglieder in Überlegungen ein, wie die Wahl so gestaltet werden könnte, daß der Angeklagte nicht erneut gewählt werden würde. Sie verfuhren dann wie folgt:

3

Anstatt zunächst die Persönlichkeitswahl durchzuführen, wie sie bis dahin üblich war, beschlossen sie Listenwahl durchzuführen. Dafür stellten sie zwei Listen auf, nämlich die Liste 1 und die Liste 2. Die Liste 1 enthielt die ehemaligen vier Betriebsratsmitglieder, also die Zeuginnen ... und ... und weitere Kandidatinnen, die allesamt Mitglieder der DAG sind. Auf der Liste 2 befand sich als Listenführer der Angeklagte sowie weitere Kandidatinnen, davon auch drei mit der Mitgliedschaft bei der DAG. Die Zeugin ... kandidierte dann -obwohl sie Angestellte ist- als "Arbeiter" auf der Liste 1. Die Zeuginnen rechneten sich eine gute Chance aus, daß die Liste 1 gewählt werden würde. Denn da von rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma ... etwa 40 Mitglieder der DAG sind, konnten sie davon ausgehen, daß diese die Liste 1 wählen würden. Im übrigen versuchten sie, die Stimmung im Betrieb so zu beeinflussen, daß die Kolleginnen und Kollegen überwiegend die Liste 1 wählten. Wäre die Liste 1 gewählt worden, wäre automatisch die Zeugin ... als Arbeitervertreterin gewählt. Der Angeklagte hätte kein erneutes Betriebsratsmandat. Der Wahlvorstand für die am 03.03.1998 anstehende Betriebsratswahl bestand aus dem Angeklagten, sowie der Zeugin ... als Wahlvorsteherin und der Zeugin .... Die Zeuginnen ... und ... konfrontierten den Angeklagten erst im letztmöglichen Augenblick mit dem von ihnen beabsichtigten Wahlmodus (Listenwahl). Der Angeklagte, der sich in dem formalen Verfahren der Betriebsratswahl sehr gut auskennt, erkannte sofort die Bedeutung dieses Vorgehens. Da er wußte, wieviele der Mitarbeiterinnen bei der DAG und wieviele bei der HBV organisiert sind, konnte er sich auch leicht ausrechnen, daß er nach vielen Jahren Betriebsratszugehörigkeit nicht erneut gewählt werden würde. Mit Rücksicht auf gewisse materielle Vorteile und das soziale Ansehen und auch sein bisheriges -sicherlich erfolgreiches- Engagement für die Belegschaft wollte er alles daran setzen, um sein Mandat erneut zu erlangen. Daher beschloß er, mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Wahl zu beeinflussen.

4

Am 03.03.1998 wurde dann die Betriebsratswahl von dem Wahlvorstand durchgeführt. In der Zeit davor hatte der Vorstand bereits die Briefwahlunterlagen an die nicht anwesenden Kolleginnen und Kollegen verschickt. Der größte Teil war rechtzeitig zum 03.03.1998 zurückgekommen. Der Wahlvorgang wurde um 18.00 Uhr abgeschlossen. Die Stimmen wurden jedoch nicht sofort ausgezählt, sondern -wie vereinbart und angekündigt- erst am nächsten Tag, dem 04.03.1998 gegen 10.00 Uhr. Nach Abschluß der Wahl am 03.03.1998 wollte die Zeugin die Wahlurne, in die sie auch die Briefwahlunterlagen getan hatte, zunächst im Tresor der Firma ... unterbringen. Die Kassiererinnen und der Geschäftsleiter verweigerten das jedoch. Daraufhin verschloß der Wahlvorstand gemeinsam in Anwesenheit aller drei Mitglieder die Urne im Schrank des Betriebsratsraumes, zu dem der Betriebsrat die Schlüssel besaß. Die bei der Betriebsratswahl verwendete Urne war ein Pappkarton, der mit DC-Fix im Holzdekor beklebt war. Den Einwurfschlitz hatten die Mitglieder des Wahlvorstandes mit einem Klebestreifen verschlossen, bevor sie die Urne wegschlossen. In der Zeit zwischen dem Wegschluß der Urne und der Auszählung öffnete der Angeklagte heimlich die Urne und entnahm zwischen 15 und 20 Stimmzettel, auf denen die Liste 1 angekreuzt war. An ihrer Stelle tat er die gleiche Anzahl Stimmzettel hinein, die er selbst zuvor ausgefüllt hatte, und zwar mit Stimmen für die Liste 2, also seine Liste. Bei der Auszählung am 04.03.1998 ergab sich dann zur Überraschung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, daß die Liste 2 41 Stimmen erhalten hatte, die Liste 1 dagegen nur 21. Der Wahlvorstand akzeptierte zunächst das Ergebnis. Jedoch traten einige der neu gewählten Betriebsratsmitglieder zurück, da sie eine Zusammenarbeit mit dem Angeklagten ablehnten. Es machte sich sodann Unmut unter der Belegschaft breit. Die Mehrheit der Belegschaft bekannte sich dazu, die Liste 1 gewählt zu haben. 40 Mitglieder der Belegschaft gaben dann eine eidesstattliche Versicherung ab, die Liste 1 bei der Betriebsratswahl am 03.03.1998 gewählt zu haben. Aufgrund dieser Vorkommnisse verlangte die DAG in Handzetteln Neuwahl und beschuldigte direkt und indirekt den Angeklagten der Wahlfälschung. Der Angeklagte vernichtete diese Zettel, indem er sie teilweise zerriß und teilweise komplett in den Papierkorb warf, so daß die im Aufenthaltsraum ausliegenden Zettel nicht von allen Mitgliedern der Belegschaft zur Kenntnis genommen werden konnte.

5

Für den 12.05.1998 wurde dann erneut eine Betriebsratswahl angesetzt. Der Angeklagte war erneut im Wahlvorstand, diesmal als Vorsitzender. Aus nicht mehr nachzuvollziehende Gründen gelang es der Zeugin ... nicht, die Liste der DAG rechtzeitig dem Wahlvorstand vorzulegen, so daß diese Liste aus formalen Gründen zur Wahl nicht zugelassen wurde. Bei der dann durchgeführten Wahl entfielen von 68 möglichen Stimmen 21 auf die Liste des Angeklagten. 47 Mitglieder gaben keine Stimme ab. Damit war der Angeklagte erneut in den Betriebsrat gewählt.

6

Dieses Ergebnis steht nach der Beweisaufnahme fest. Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Aus den Aussagen der Zeuginnen und dem übrigen Beweisergebnis ergeben sich jedoch die obigen Feststellungen.

7

Durch sein Verhalten hat sich der Angeklagte der Behinderung einer Betriebsratswahl nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz sowie einer Sachbeschädigung nach § 303 StGB schuldig gemacht. Die Behinderung der Betriebsratswahl ist darin zu sehen, daß er durch seine Manipulation versucht hat, das korrekte Ergebnis zu verfälschen. Anders als in den §§ 107 ff StGB ist bei § 119 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetzt nicht zwischen dem Wahlvorgang an sich unter Feststellung des Ergebnisses zu unterscheiden. Vielmehr ist unter dem Begriff "Wahl" die Vorbereitung der Wahl, der Wahlvorgang selbst und die Auszählung zu verstehen (vgl. Fabrizius, Betriebsverfassungsgesetz, 6. Aufl. § 119, Rdn. 11).

8

Der Versuch, das Wahlergebnis durch den Austausch von Wahlunterlagen zu beeinflussen, stellt eine "Behinderung" im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz dar, auch wenn der Wahlvorgang an sich dadurch nicht betroffen wird. Denn da zur Wahl im Sinne der genannten Vorschrift auch die Feststellung des Ergebnisses gehört, bedeutet es natürlich eine Behinderung der Wahl, wenn durch Manipulation die Feststellung des korrekten Ergebnisses erschwert oder unmöglich gemacht werden soll (vgl. Deubler, Kittner, Klebe, Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl. § 119 Rdn. 5).

9

Bei der Strafzumessung war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, daß er bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist. Zu seinen Ungunsten muß allerdings berücksichtigt werden, daß er hier unter Ausnutzung seiner Vertrauensstellung im Betriebsrat und im Wahlvorstand versucht hat, das Wahlergebnis zu seinen Gunsten, also aus egoistischen Gründen, zu beeinflussen. Unter Abwägung dieser Umstände ist eine Geldstrafe von 55 Tagessätzen angemessen. Für die Sachbeschädigung (Vernichtung der Flugblätter) ist eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen angemessen. Bei seinen Einkommensverhältnissen hat ein Tagessatz 85,00 DM zu betragen.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.