Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.04.1975, Az.: 2 TaBV 60/74
Kündigung bei wiederholtem Nichtbestehen einer Gesellenprüfung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 08.04.1975
- Aktenzeichen
- 2 TaBV 60/74
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1975, 11516
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1975:0408.2TABV60.74.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hildesheim - 12.11.1974 - AZ: 1 BV 16/74
Fundstelle
- DB 1975, 1224-1225 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Beschlußverfahren
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. April 1975
durch
den Richter am Arbeitsgericht Stüfe und
die ehrenamtlichen Richter Battermann und Schneider
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 12. November 1974 - 1 BV 16/74 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Die am 20.11.1956 geborene Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2 war seit dem 1. April 1972 bei der Antragstellerin und Beteiligten zu 1 im Ausbildungsverhältnis zur Bürogehilfin beschäftigt. Die Ausbildung sollte zwei Jahre dauern. Die Antragsgegnerin ist Mitglied der Jugendvertretung der Antragstellerin.
Im Frühjahr 1974 nahm die Antragsgegnerin an der Abschlußprüfung vor der Industrie- und Handelskammer in teil. Im Kenntnisteil der Prüfung erhielt sie die Note "befriedigend". Demgegenüber bestand sie den Fertigkeitsteil nicht. Der Fertigkeitsteil besteht aus einer Prüfung im Maschinenschreiben und einer Prüfung in Stenografie. Während sie die Prüfung im Maschinenschreiben erfolgreich absolvierte, mißlang ihr die Prüfung in Stenografie. Damit wurde die Gesamtprüfung für "nicht bestanden" erklärt. Auf ihren Antrag wurde daraufhin das Berufsausbildungsverhältnis um ein halbes Jahr bis zum 30. September 1974 verlängert.
Am 29. August 1974 wiederholte die Antragsgegnerin die erforderliche Prüfung im Fertigkeitsteil. Wiederum versagte sie in Stenografie und bestand somit auch diese Prüfung nicht. Der Prüfungsausschuß räumte ihr jedoch ein, den schreibtechnischen Teil nochmals zu wiederholen. Unter dem 04.09.1974 erklärte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin schriftlich, keinen Wert darauf zu legen, die maschinenschriftliche Prüfung im Frühjahr 1975 zu wiederholen.
Die Antragstellerin trägt vor: Die Antragsgegnerin habe mit Schreiben vom 27.06.1974 Weiterbeschäftigung nach ihrer Berufsausbildung verlangt. Nach ihrer - der Antragstellerin - Meinung sei dieses Schreiben rechtsunwirksam, da es nicht von den gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerin mitunterzeichnet worden war. Im übrigen würden im Betrieb nur gelernte Bürokräfte beschäftigt werden. Für ungelernte Bürokräfte hätte der Betrieb keine Verwendungsmöglichkeiten. Zudem zeige die nichtbestandene Wiederholungsprüfung, daß die Antragsgegnerin leider den in sie gesetzten Erwartungen nicht gewachsen und für den vorgesehenen Einsatz unbrauchbar sei.
Nach alledem könne, insbesondere unter Berücksichtigung der Erklärung der Antragsgegnerin vom 04.09.1974, ihr eine Weiterbeschäftigung auf unbestimmte Zeit im Sinne des § 78 a BetrVG nicht zugemutet werden.
Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, daß ein Arbeitsverhältnis mit der Antragsgegnerin nicht begründet wird.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie behauptet, ihre Weiterbeschäftigung im September 1974 schriftlich verlangt zu haben. Sie besitze die für ihren Beruf notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten und wäre lediglich in beiden Prüfungen infolge ihrer Prüfungsangst nicht in der Lage gewesen, auch ihre Fertigkeiten in Stenografie unter Beweis zu stellen. Demgegenüber habe sie als Auszubildende stets ordentliche Arbeit in der beteiligten Firma verrichtet. Während sie in den Übungen zur Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung ohne Schwierigkeiten die erforderliche Silbenzahl geschafft hätte, habe sie infolge ihrer schweren Prüfungsangst die Wiederholungsprüfung in Stenografie vorzeitig abbrechen müssen, weil sie derart stark gezittert hätte. Sie wolle jetzt in der beruflichen Praxis so viel Sicherheit und Selbstbewußtsein erwerben und die Prüfungsangst überwinden, um sich dann zur gegebenen Zeit zur erneuten Prüfung zu melden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten zu 1 und 2 wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Der Vorsitzende der Beteiligten zu 3 hat in der mündlichen Verhandlung am 12.11.1974 eingestanden, daß bei der Antragstellerin Arbeitsplätze für ungelernte Bürokräfte nicht vorhanden seien, jedoch würden ungelernte gewerbliche Arbeitnehmer innen für die Schraubenfertigung gesucht.
Durch Beschluß vom 12.11.1974 hat das Arbeitsgericht Hildesheim dem Antrag der Antragstellerin entsprochen.
In den Gründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, daß aufgrund der vorliegenden Tatsachen unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden könne. Hierbei könne es dahingestellt bleiben, ob die Antragsgegnerin das Weiterbeschäftigungsverlangen wirksam im Sinne des Minderjährigenrechts und innerhalb der letzten drei Monate vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses geltend gemacht habe. Für die Antragsgegnerin als ungelernte Bürokraft sei ein Arbeitsplatz nicht vorhanden. Die Antragsgegnerin habe unstreitig die Prüfung nicht bestanden. Das Arbeitsgericht sei nicht in der Lage, die Antragsgegnerin wie eine erfolgreich Examinierte zu behandeln. Den vorhandenen freien Arbeitsplätzen in der Schraubenfertigung komme keine entscheidende Bedeutung zu. Das Ausbildungsverhältnis der Antragsgegnerin sei nicht auf eine derartige Tätigkeit abgestellt gewesen. Außerdem habe die Antragsgegnerin einen Antrag insoweit auch überhaupt nicht gestellt.
Im einzelnen wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Der Beschluß ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin am 13. Dezember 1974 zugestellt worden. Die Antragsgegnerin hat mit einem am 27. Dezember 1974 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde einlegen lassen und sie gleichzeitig begründet.
Zur Begründung ihrer Beschwerde wiederholt die Antragsgegnerin den Tatsachenvortrag erster Instanz und vertritt weiterhin die Auffassung, daß § 78 a Abs. 4 BetrVG tatbestandsmäßig nicht erfüllt sei. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht festgestellt, daß dringende betriebliche Gründe des Arbeitgebers den Antrag rechtfertigen würden. Insoweit verkenne das Arbeitsgericht, daß betriebliche Gründe lediglich in einem Ausnahmefall eine Rolle spielen könnten, den die Antragstellerin hier jedoch nicht schlüssig dargelegt habe. Ähnlich wie in § 103 BetrVG solle auch vorliegend ein Mitglied der Jugendvertretung nur dann den Betrieb verlassen müssen, wenn schwerwiegende Gründe, und zwar Gründe persönlicher Art, vorlägen.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin stellt den Antrag,
den Beschluß des Arbeitsgerichts Hildesheim aufzuheben und den Antrag der beteiligten Firma zurückzuweisen.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluß.
Darüber hinaus vertritt sie die Ansicht, daß der Antrag der Antragsgegnerin auf Weiterbeschäftigung nicht innerhalb der Drei-Monatsfrist erfolgt sei und daher keine Beachtung finden könne. Außerdem hätte sie als Minderjährige einen derartigen Antrag allein nicht stellen können.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Verfahrensbeteiligten zu 1 und 2 wird auf die im Beschwerderechtszug zu den Akten gereichten Schriftsätze verwiesen.
Die von der Antragsgegnerin eingelegte Beschwerde ist gemäß § 87 ArbGG zulässig. Sie ist auch in der vom Gesetz vorgeschriebenen Form und Frist (§ 89 ArbGG) eingelegt worden.
Der Beschwerde mußte jedoch der Erfolg versagt bleiben, denn das Arbeitsgericht hat mit Recht dem Antrag stattgegeben. Der angefochtene Beschluß hält einer Nachprüfung durch das Landesarbeitsgericht stand.
Zunächst ist festzustellen, daß die Antragstellerin für ihr Feststellungsbegehren die richtige Verfahrensart gewählt hat. Entgegen der Ansicht von Thiele (in Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese BetrVG Gemeinschaftskommentar § 78 a Rdn. 51) ist für die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung von Auszubildenden das Beschlußverfahren anzuwenden (§ 2 Ab s. 1 Nr. 4 ArbGG). Das Gesetz enthält zwar keine Vorschrift darüber, in welcher Verfahrensart derartige Fragen zu klären sind. § 78 a BetrVG bestimmt aber in seinem Absatz 4 Satz 2 ausdrücklich, daß in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht der Betriebsrat, die Bordvertretung, der Seebetriebsrat bei Mitgliedern der Jugendvertretung auch diese Beteiligte sind. Beteiligte kennen aber nur das Beschlußverfahren (§ 83 ArbGG), nicht dagegen das Urteilsverfahren (so auch Fitting-Auffarth-Kaiser BetrVG 11. Aufl. § 78 a Rdn. 11; Moritz in Der Betrieb 74, 1018). Beteiligte sind dem Urteilsverfahren fremd.
Dem Arbeitsgericht ist auch insoweit zu folgen, daß das Feststellungsbegehren der Antragstellerin rechtzeitig beim Arbeitsgericht eingegangen ist (§ 78 Abs. 4 Satz 1 BetrVG).
Dagegen hat das Arbeitsgericht die Frage, ob das Weiterbeschäftigungsverlangen der Antragsgegnerin wirksam geltend gemacht worden ist, zu Unrecht dahingestellt sein lassen. Nach § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG muß das Verlangen des Auszubildenden auf Weiterbeschäftigung innerhalb der letzten drei Monate vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses schriftlich vom Arbeitgeber verlangt werden. Zutreffend trägt die Antragstellerin vor, daß das Schreiben der Antragsgegnerin vom 27.06.1974 unverbindlich ist, weil es vor der Drei-Monatsfrist liegt (Fitting pp. BetrVG § 87 a Rdn. 6; Fabricius BetrVG § 78 a Rdn. 23; vgl. auch BAG in DB 1974 S. 927). Die verfrühte Erklärung der Antragsgegnerin müßte deshalb, um Wirksamkeit zu erlangen, innerhalb der letzten drei Monate schriftlich wiederholt bzw. bestätigt werden (so auch Schieckel Berufsbildungsgesetz 1973 § 5 Anm. 1). Dies aber hat die Antragsgegnerin unstreitig getan. Wie aus dem Tatbestand des angefochtenen Beschlusses ersichtlich ist, hat die Antragsgegnerin ihre Weiterbeschäftigung im September 1974 schriftlich verlangt. Diese Behauptung ist auch in der Beschwerdeinstanz von der Antragstellerin nicht bestritten worden. Damit ist die Drei-Monatsfrist eingehalten.
Die Tatsache, daß die Antragsgegnerin den Antrag nach § 78 a Abs. 2 BetrVG als Minderjährige allein ohne Eltern gestellt hat, führt nicht zur Unwirksamkeit der schriftlich abgegebenen Erklärung. Eine Genehmigung des gesetzlichen Vertreters zur Antragstellung ist regelmäßig wegen § 113 BGB nicht erforderlich (Fitting pp. § 78 a Anm. 6 BetrVG). Insoweit tritt die Kammer der Rechtsmeinung der Antragsgegnerin vollinhaltlich bei. Moritz (DB 1974 S. 1016) spricht sich für eine unbeschränkte Handlungsfähigkeit des Minderjährigen sogar in jedem Fall aus. Die Normen des BGBüber die Geschäftsfähigkeit seien nach seiner Meinung hier nicht einschlägig, da § 78 a BetrVG primär der Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Angelegenheiten dient.
Mit Recht ist das Arbeitsgericht Hildesheim bei seiner Entscheidung von § 78 a Abs. 4 BetrVG ausgegangen.
Danach kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, festzustellen, daß ein Arbeitsverhältnis nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses nicht begründet wird, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann.
Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist zu verhindern, daß der Arbeitgeber nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses, eines befristeten Vertrages, sich einfach von einem unliebsam gewordenen betriebsverfassungsrechtlichen Organ zu trennen. Nach dem Berufsbildungsgesetz ist das Ausbildungsverhältnis grundsätzlich auf die Dauer der Ausbildungszeit befristet. Deswegen steht es dem Arbeitgeber frei, mit dem Auszubildenden einen Arbeitsvertrag abzuschließen oder nicht. Damit hat es der Arbeitgeber grundsätzlich in der Hand, Mitglieder der Jugendvertretung aus ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktion auszuschließen. Die Mitglieder der Betriebsverfassungsorgane sollen jedoch ihr Amt unabhängig und ohne Furcht vor nachteilige Folgen gerade auch im Hinblick auf den Stand ihres Arbeitsverhältnisses und ihrer beruflichen Entwicklung ausüben können (Bundestagsdrucksache 7/1170). Die Fiktion der Begründung eines Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit in § 78 a Abs. 1 und 2 BetrVG legt dem Arbeitgeber praktisch einen Kontrahierungszwang auf (Wollenschläger in NJW 1974 S. 935).
Es ist nicht zu verkennen, daß die gesetzliche Neuregelung zu einer gewissen Bevorzugung der Auszubildenden, die eine betriebsverfassungsrechtliche Funktion ausüben, gegenüber den übrigen Auszubildenden führt. Dies ist aber nur die notwendige Konsequenz dafür, daß Arbeitnehmervertreter im Interesse einer freien Ausübung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben eines besonderen Schutzes bedürfen. Es geht nicht um die individuelle Besserstellung einzelner Auszubildender, sondern um den notwendigen Schutz des Amtes der Jugendvertretung (Schmedes im Bundesarbeitsblatt 1974 S. 9 ff). Das arbeitsgerichtliche Verfahren des § 78 a BetrVG soll verhindern, daß dem Auszubildenden wegen seiner Tätigkeit als Betriebsverfassungsorgan der Arbeitsvertrag verweigert wird, nicht aber bewirken, daß ein Arbeitsvertrag um jeden Preis begründet wird. Somit trägt § 87 a Abs. 4 BGB dem Begünstigungsverbot Rechnung. Schutzobjekt im eigentlichen Sinne dieser Bestimmung ist weniger das einzelne Betriebsratsmitglied der Jugendvertretung, sondern die Arbeitnehmervertretung als solche. Daher sind besonders hohe Ansprüche an den Grund der Zumutbarkeit durch den Arbeitgeber zustellen.
In Übereinstimmung mit der Antragsgegnerin ist die gesetzliche Regelung in Abs. 4 dem § 626 BGB nachgebildet (so auch Schmedes in Bundesarbeitsblatt 1974 S. 9 ff; Fitting a. a. O. Rdn. 9, Fabricius a. a. O. Rdn. 42, Wollenschläger in NJW 74 S. 935). Der Begriff der Zumutbarkeit ist derselbe wie in § 626 BGB. Insoweit gelten die in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten allgemeinen Regeln, wie sie im Rahmen des § 15 Abs. 1 KSchG anzuwenden sind. In Betracht kommen vor allem in der Person des Auszubildenden liegenden Gründe, wie mangelhafte Leistungen, Arbeitsverweigerung oder unbefugte Arbeitsversäumnis usw. (Fabricius a. a. O. Rdn. 42; Fitting a. a. O. Rdn. 9).
Zweifelhaft ist jedoch, ob auch betriebliche Gründe, die als wichtiger Grund zur Kündigung nur in begrenztem Umfang und ausnahmsweise anzuerkennen sind, bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit nach Abs. 4 berücksichtigt werden können. Auf diese betrieblichen Gründe kann der Arbeitgeber grundsätzlich nicht mit der fristlosen Kündigung reagieren, weil er auf diese Weise sein Betriebsrisiko teilweise unmittelbar auf die Arbeitnehmer abwälzen würde. Ihm bleibt jedoch die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG. Die §§ 15 Abs. 3 und 4 KSchG ermöglichen selbst die ordentliche Kündigung von Mitgliedern der Betriebsverfassungsorgane, wenn der Betrieb stillgelegt wird (Fabricius a. a. O. Rdn. 43).
Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Rechtsmeinung der Antragsgegnerin an, daß betriebliche Gründe nur ausnahmsweise und nur in ganz besonders dringenden Fällen ausschlaggebend sein können. In vielen Fällen werden aber auch dringende persönliche Gründe gleichzeitig auch wichtige betriebliche Gründe nach sich ziehen. So ist es nach Ansicht der erkennenden Kammer im vorliegenden Fall.
Unstreitig ist, daß die Antragsgegnerin zweimal durch die kaufmännische Gehilfenprüfung gefallen ist, ferner, daß sie nicht beabsichtigt, sich im nächsten Prüfungstermin einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen. Sie will vielmehr noch etwas Zeit verstreichen lassen. Weiterhin ist unstreitig, und das hat der Betriebsratsvorsitzende in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht bestätigt, daß die Antragstellerin im kaufmännischen Sektor nur ausgebildete Kräfte beschäftigt. Voraussetzung für die Beschäftigung der Antragsgegnerin bei der Antragstellerin wäre ein ordnungsgemäß abgeschlossenes Ausbildungsverhältnis mit einer Prüfung, das sie zu einer Bürogehilfin qualifiziert. Es mag sein, daß die Antragsgegnerin in der Praxis leistungsmäßig nicht schlechter steht als die examinierten Bürogehilfinnen. Das aber kann nicht ausschlaggebend sein. Die Fähigkeiten werden ausschließlich durch Vorlage eines Prüfungszeugnisses bestätigt. So ergibt sich aus § 35 in Verb. mit § 34 Berufsbildungsgesetz, daß durch die Abschlußprüfung festgestellt wird, ob der Prüfling die erforderlichen Fertigkeiten beherrscht, die notwendigen praktischen und theoretischen Kenntnisse besitzt und mit dem ihm im Berufsschulunterricht vermittelten, für die Berufsausbildung wesentlichen Lehrstoff vertraut ist. Mit Recht führt das Arbeitsgericht in seinem angefochtenen Beschluß auch aus, daß Prüfungen auch den Sinn haben festzustellen, ob die Kandidaten unter Belastung, hervorgerufen durch fremde Umgebung und Examensdruck in weitestem Sinne, gewisse Leistungen auch in der Zukunft zu erbringen imstande sind. Weder der Arbeitgeber noch das Arbeitsgericht sind in der Lage, bei der Antragsgegnerin helfend einzugreifen. Das allein ist nach der gesetzlichen Regelung Aufgabe des Prüfungsausschusses. Den Ausführungen des Arbeitsgerichts ist nichts hinzuzufügen, wenn es feststellt, daß eben eine examinierte nicht gleich ist mit einer unexaminierten Bürogehilfin.
Das Nichtbestehen auch der Wiederholungsprüfung ist eine wichtige Tatsache in der Person des Auszubildenden, die unter die Unzumutbarkeitsklausel des § 78 a BetrVG fällt (so auch Schmedes im Bundesarbeitsblatt 1974 S. 9 ff; vgl. auch Wollenschläger in NJW 1974 S. 935 ff).
Die unbestrittene Tatsache, daß die Antragstellerin in der kaufmännischen Abteilung nur vollausgebildete Kräfte beschäftigt, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Mann kann den Arbeitgeber nicht zwingen, neue andersgeartete Arbeitsplätze zu schaffen. Sowohl aus § 92 als auch aus §§ 111 ff BetrVG läßt sieh schließen, daß auch insoweit die unternehmerische Entscheidung grundsätzlich frei bleiben soll. Zum Schutz der Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen und im Interesse der Belegschaft an der Erhaltung ihrer gewählten Vertretungen wird man zwar besondere Anstrengungen des Arbeitgebers verlangen müssen, aber wo die Schaffung neuer Arbeitsplätze und deren Besetzung mit gerade eben Ausgebildeten sachlich nicht vertretbar ist, muß das Zumutbarkeitsprinzip Anwendung finden (Fabricius a. a. O. Rdn. 44).
Daß die Antragsgegnerin gewillt ist, die Prüfung nach abklingender Prüfungsangst zu einem Termin nach dem Frühjahr 1975 zu wiederholen, ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Einmal begehrt sie nicht eine Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses, zum anderen ist, wie oben dargelegt, für eine ungelernte Kraft im Betrieb der Antragstellerin kein Arbeitsplatz vorhanden.
Schließlich ist nicht festzustellen, daß die Antragstellerin eine Weiterbeschäftigung der Antragsgegnerin aus unsachlichen Motiven ablehnt. Die Antragsgegnerin trägt insoweit auch nichts vor. Daher kann die erkennende Kammer auch davon ausgehen, daß die Position der Antragsgegnerin als Mitglied der Jugendvertretung bei der Entscheidung der Antragstellerin keine Rolle gespielt hat.
Eine Kostenentscheidung entfällt, da Gebühren und Auslagen nicht erhoben werden (§ 12 Abs. 5 ArbGG).