Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.07.1987, Az.: 11 UF 54/87
Anspruch auf Zahlung von Trennungsunterhalt im Wege der einstweiligen Verfügung; Berechnung von Unterhaltsansprüchen unter Abzug ehelich eingeganger Verbindlichkeiten; Wegfall des einstweiligen Verfügungsgrundes bei Bezug von Sozialhilfe in der Vergangenheit mangels Unterhaltszahlungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.07.1987
- Aktenzeichen
- 11 UF 54/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 21321
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1987:0710.11UF54.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Cloppenburg - 06.03.1987 - AZ: 11 F 76/87
Rechtsgrundlagen
- § 935 BGB
- § 1361 Abs. 2 BGB
- § 929 Abs. 2 ZPO
- § 936 ZPO
- § 940 ZPO
Fundstellen
- NJW 1988, 149 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1987, 1480-1481 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 1987
unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht xxx und
der Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird, unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels, das Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 6. März 1987 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 1.3.1987 für die Dauer von sechs Monaten Unterhalt in Höhe von monatlich 630,-- DM zu zahlen. Im übrigen werden die Klage und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin 1/3 , der Beklagte 2/3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 3/10 , der Beklagte 7/10.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Trennungsunterhalt im Wege der einstweiligen Verfügung für die Zeit vom 1.3. - 31.8.1987.
Die Parteien haben am xxx geheiratet und leben seit dem xxx getrennt. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.
Die Klägerin, die während de Zusammenlebens bis etwa Mitte 1985 gearbeitet hat, ist seit dem 2.2.1987 arbeitslos gemeldet. Sie erhält monatlich 640,-- DM Sozialhilfe ab 1.3.1987.
Der Beklagte hat als Bäcker ein Nettoeinkommen von ca. 1.610,--DM monatlich (nach Abzug der Berufspauschale). Außerdem hat er monatliche Mieteinnahmen von 422,70 DM.
Das Amtsgericht hat den Beklagten - nach Ermäßigung der Klage von ursprünglich 985,71 DM auf 900,-- DM - antragsgemäß verurteilt , ab 1.3.1987 für die Dauer von 6 Monaten monatlich 900,-- DM Unterhalt an die Klägerin zu zahlen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
Er behauptet, auf ehebedingte Verbindlichkeiten einen Abtrag von monatlich 300,-- DM zu leisten. Im übrigen hält er u.a. im Hinblick auf die kurze Zeit des Zusammenlebens eine Unterhaltsleistung für unbillig.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Von der weiteren Darstellung wird gemäß § 543 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat teilweise Erfolg. Der Beklagte ist nach seinen Einkommensverhältnissen nur in der Lage, monatlich 630,-- DM Unterhalt zu zahlen. Diesen Betrag muß er an die Klägerin trotz des laufenden Bezugs von Sozialhilfe leisten.
1.
Die Klägerin hat Anspruch auf Unterhalt gemäß § 1361 BGB. Sie hat nach der Eheschließung nur wenige Monate gearbeitet. Seit etwa Mitte 1985 waren die ehelichen Lebensverhältnisse allein durch die Einkünfte des Beklagten geprägt. Allerdings wird man im Hinblick darauf, daß die Aufgabe der Arbeitsstelle nach dem Vortrag des Beklagten aus familiären Gründen (Notwendigkeit der Betreuung der kranken, später gestorbenen Mutter der Klägerin) erfolgte, sowie unter Berücksichtigung der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse von der Klägerin erwarten können, daß sie die sich anbietenden Arbeitsmöglichkeiten im engeren räumlichen Umkreis nutzt. Das hat sie jedoch nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung getan (insbesondere durch Bewerbung bei einer an ihrem Wohnort neu eröffneten Firma). Zu weitergehenden, intensiven Bemühungen war sie bisher, im unmittelbaren Anschluß an die Trennung, nicht verpflichtet (§ 1361 Abs. 2 BGB).
2.
Der Beklagte ist nur beschränkt leistungsfähig.
Nach den vorgelegten Verdienstbescheinigungen erhält er monatlich netto 1.687,20 DM. Nach Abzug der Berufspauschale und unter Berücksichtigung des Weihnachtsgeldes von 100,-- DM sowie der Mieteinkünfte von 422,70 DM monatlich errechnet sich ein Gesamtnettoeinkommen von ca. 2.030,-- DM im Monat. Es verringert sich um den nachgewiesenen Darlehensabtrag von monatlich 300,-- DM für ehebedingte Schulden. Die Tatsache, daß mit dem Kredit u.a. Hausrat angeschafft worden ist, der sich weitgehend im Besitz des Beklagten befinden soll, ändert nichts an der Abzugsfähigkeit der Verbindlichkeit. Die Klägerin mag, sofern sie einzelne Teile des Hausrats benötigt, ein Hausratsteilungsverfahren einleiten.
Das bereinigte Nettoeinkommen beläuft sich danach auf monatlich ca. 1.730,-- DM. Demgemäß ist der Beklagte verpfichtet, an die Klägerin den über dem großen Selbstbehalt vorhandenen Betrag von 630,-- DM als Unterhalt zu zahlen.
3.
Der Umstand, daß die Klägerin monatlich 640,-- DM Sozialhilfe erhält (d.h. mehr als sie vom Beklagten als Unterhalt beanspruchen kann), steht der Zubilligung von Unterhalt im Wege der einstweiligen Verfügung im vorliegenden Fall nicht entgegen.
Nach einer zunehmend vertretenen Meinung soll allerdings die Notlage und damit der Verfügungsgrund entfallen, soweit der Unterhaltsberechtigte Sozialhilfe erhält (OLG Celle, FamRZ 87, 395; OLG Saarbrücken, FamRZ 86, 185; OLG Schleswig, SchlHA 86, 61; Zöller, 15. Aufl., § 940, Rdn. 8, Stichwort Unterhaltsrecht c aa; Baumbach-Lauterbach, 45. Aufl., § 940, Anm. 3 B Stichwort Ehe, Familie; Thomas/Putzo, 14. Aufl., § 940 Anm. 4 a; vgl. auch noch OLG Hamm, FamRZ 86, 696).
Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen, soweit es um den Unterhalt für die Zeit nach Erlaß der abschließenden Entscheidung (bzw. der letzten mündlichen Verhandlung) geht. Denn damit würde der Unterhaltsberechtigte für die Zukunft darauf verwiesen, weiterhin Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Das Recht, gegen den Unterhaltsschuldner als den primär zur Bedarfsdeckung Verpflichteten im Wege der einstweiligen Verfügung vorzugehen, würde dem Unterhaltsberechtigten genommen, bevor aufgrund (zukünftigen) tatsächlichen Erhalts von Sozialhilfe feststeht, daß eine Notlage nicht (mehr) gegeben ist. Das hält der Senat nicht für zulässig. Der Unterhaltsberechtigte muß, jedenfalls solange der Bedarf (noch) nicht gedeckt ist, die Befugnis haben, anstelle des Sozialhilfeträgers den Unterhaltsschuldner selbst in Anspruch zu nehmen (ebenso Stein/Jonas, 20. Aufl., vor § 935, Rdn. 39; OLG Schleswig, a.a.O., 61, 62 m.w.N.). Danach kann die Klägerin zumindest für Juli und August 1987 Unterhalt vom Beklagten selbst beanspruchen.
Fraglich ist nur, ob der Bezug von Sozialhilfe in der Vergangenheit insoweit den Verfügungsgrund entfallen läßt (vgl. auch zu der damit zusammenhängenden allgemeinen Streitfrage, ob überhaupt rückständiger Unterhalt ab Antragstellung im Wege der einstweiligen Verfügung zuerkannt werden kann: bejahend u.a. OLG Düsseldorf, FamRZ 80, 363; OLG Köln, FamRZ 83, 410, 413; OLG Düsseldorf, FamRZ 86, 75, 76; Göppinger u.a., Unterhaltsrecht, 5. Aufl., Rdn. 3216; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 7. Aufl., Rdnr. 921; Luthin, in Unterhaltsrecht, Handbuch für die Praxis , Ziffer 25.7; a.A. OLG Celle, FamRZ 79, 802 sowie FamRZ 83, 622; OLG Zweibrücken, FamRZ 86, 76; OLG Köln, FamRZ 86, 919; Stein/Jonas, 20. Aufl., vor § 935, Rdn. 42; Baumbach/Lauterbach, a.a.O.). Diese Auffassung mag bei strikter Anwendung des Gedankens, die einstweilige Verfügung diene ausschließlich der Behebung einer gegenwärtigen Notlage, konsequent sein. Sie beruht aber auf einseitiger Betonung des mehr formalen Merkmals des Verfügungsgrundes und vernachlässigt den mit der Zulassung von Leistungsverfügungen angestrebten Zweck der raschen Durchsetzung von materiell-rechtlichen Ansprüchen. Berücksichtigt man auch im Verfahren nach § 940 ZPO die Grundsätze der Effektivität des Rechtsschutzes, insbesondere mit dem Ziel der Vermeidung einer nicht nur möglichen, sondern sich geradezu anbietenden mißbräuchlichen Einlegung von Rechtsbehelfen, sowie der Prozeßökonomie, dann führt die vorstehend genannte Auffassung zu sachlich unangemessenen Lösungen:
Der Unterhaltsschuldner könnte selbst dann, wenn er den Notunterhalt materiell zweifelsfrei schuldet, mit Widerspruch und Berufung praktisch das oben abgelehnte Ergebnis erreichen, nämlich die Verweisung des Berechtigten auf den Bezug von Sozialhilfe, und zwar - aus der Sicht im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsbehelfs - nicht nur für die Vergangenheit (was dem Gedanken entspräche, rückständiger Unterhalt nicht im Wege der einstweiligen Verfügung zuzusprechen), sondern auch und gerade für einen längeren zukünftigen Zeitraum. Das würde, wie das OLG Düsseldorf in anderem Zusammenhang zu Recht ausgeführt hat (FamRZ 80, 363, 365), das Instrument der Leistungsverfügung weitgehend entwerten. Der Gebrauch von Rechtsmitteln durch den Schuldner würde - in Anbetracht der üblichen, auch vom Senat praktizierten Begrenzung der Leistungsverfügung in Unterhaltssachen auf sechs Monate und bei voller Ausnutzung der Rechtsmittelfristen - zwangsläufig zumindest zu einem erheblichen Teilerfolg führen infolge des fortlaufende Wegfalls des Verfügungsgrundes durch bloßen Zeitablauf (vgl. OLG Köln, FamRZ 86, 919, 920). Mit der allgemeinen Überlegung, der Zeitablauf führe auch sonst zu einer Erledigung der Hauptsache (OLG Celle, FamRZ 83, 622, 623) oder könne für die Beteiligten schädliche Folgen haben (OLG Köln, a.a.O.), läßt es sich jedenfalls in Bezug auf das unmittelbar an enge zeitliche Grenzen geknüpfte Instrument der Leistungsverfügung nicht rechtfertigen, daß es der Schuldner selbst in der Hand hat, einen Titel weitgehend auszuhöhlen.
Das hätte überdies (jedenfalls bei konsequenter Anwendung des Gedankens der fortlaufenden Erledigung der Hauptsache, gegebenenfalls bis zur abschließenden Entscheidung des Berufungsgerichts, vgl. OLG Köln, a.a.O.) zur Folge, daß der Unterhaltsberechtigte einerseits gehalten wäre, zur Vermeidung einer Aufhebung wegen mangelnder Vollziehung (§§ 929 Abs. 2, 936 ZPO) aus einer vom Amtsgericht erlassenen einstweiligen Verfügung vorzugehen, andererseits nach Einlegung von Rechtsbehelfen durch den Schuldner aus einem Titel vollstrecken müßte, der in der abschließenden Entscheidung zum (möglicherweise überwiegenden) Teil zwangsläufig aufzuheben wäre. Das wiederum müßte folgerichtig dem Schuldner auch die fortlaufende Befugnis geben, die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung bezüglich der Rückstände allein unter Hinweis auf den Zeitablauf zu erwirken. Der Unterhaltsberechtigte könnte der fortlaufenden Erledigung des Verfahrens und Entwertung eines erlangten Titels wohl auch nicht dadurch begegnen, daß er bezüglich der Rückstände im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die Hauptsache für erledigt erklärt (vgl. dazu OLG Köln, a.a.O.) und den Antrag im übrigen umstellt auf Leistung für die zukünftigen sechs Monate. Denn dem würde entgegengehalten werden können, daß der Berechtigte es versäumt habe, für die nachfolgende Zeit einen Titel im normalen Verfahren zu erwirken (OLG Zweibrücken, FamRZ 86, 76; vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 80, 363, 365).
Nach alledem vermag der Senat der Auffassung, der Bezug von Sozialhilfe führe stets zu einem (teilweisen) Wegfall des Verfügungsgrundes bezüglich der Rückstände, nicht zu folgen. Der Unterhaltsberechtigte gibt mit dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zu erkennen, daß er ab sofort den primär verpflichteten Unterhaltsschuldner in Anspruch nehmen will. Er braucht sich von diesem Zeitpunkt an nicht mehr auf den (weiteren) Bezug von Sozialhilfe verweisen zu lassen.
Dieses Ergebnis entspricht der oben bereits zitierten wohl überwiegend vertretenen bejahenden Meinung hinsichtlich der Frage, ob überhaupt rückständiger Unterhalt im Wege der einstweiligen Verfügung ab Antragstellung zuerkannt werden kann. Nach dieser Auffassung (u.a. OLG Düsseldorf, FamRZ 80, 363) kann rückständiger Unterhalt auch dann verlangt werden, wenn der Zeitraum von sechs Monaten ab Antragstellung bereits in vollem Umfang abgelaufen ist. Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, ob das auch im speziellen Fall des Bezugs von Sozialhilfe gilt. Sofern während des gesamten Zeltraums Sozialhilfe in der vollen Höhe des als Notunterhalt geschuldeten Betrages tatsächlich geleistet worden ist, könnte es immerhin naheliegen, eine Erledigung der Hauptsache anzunehmen. Denn dann stünde im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung rückschauend fest, daß die zunächst (bei Antragstellung) mögliche Notlage als Folge der Sozialhilfeleistung tatsächlich nicht eingetreten ist. Eine zusprechende Entscheidung könnte dann in keiner Weise (weder zeitlich noch betragsmäßig) der Behebung einer Notlage dienen. Die Sachlage ist insofern anders als im Falle des bloßen Zeitablaufs ohne Bezug von Sozialhilfe. Dort ist das Fehlen einer Notlage (in der Vergangenheit) nicht evident (ohne weitere, nicht in das Verfügungsverfahren gehörende Feststellungen dazu, wie der Berechtigte die Notlage überstanden hat). Der ursprüngliche Zweck der einstweiligen Verfügung, einer im Zeltpunkt der Antragstellung möglichen Notlage entgegenzuwirken, ist deshalb - mangels zwingender gegenteiliger Anhaltspunkte - nicht nachträglich offenkundig entfallen.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92, 97 ZPO.