Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 07.03.1975, Az.: 6 U 170/74
Schadensersatzforderung nach vermeintlicher Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Veröffentlichung der falschen Behauptung einer geschlechtlichen Beziehung zwischen Verlobten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 07.03.1975
- Aktenzeichen
- 6 U 170/74
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1975, 15672
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1975:0307.6U170.74.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 14.06.1974 - AZ: 8 O 227/73
Rechtsgrundlagen
- § 253 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 847 BGB
Verfahrensgegenstand
Schmerzensgeldforderung
In dem Rechtsstreit
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 1975
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht xxx
des Richters am Oberlandesgericht xxx und
des Richters am Landgericht xxx
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Juni 1974 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Am 19. Oktober 1972 hatte die Hochzeit der Klägerin mit einem Algerier stattfinden sollen, den die Klägerin etwa ein halbes Jahr zuvor kennengelernt hatte. Der Bräutigam hatte sich der Klägerin gegenüber als XXX ausgegeben. Die mit großem Aufwand vorbereitete Hochzeitsfeier mußte ausfallen, weil der Bräutigam einen Tag vorher aus Deutschland verschwand. Wenige Tage nach diesem Ereignis, das weit über das Dorf Langwege - die Heimat der Klägerin - hinaus Aufsehen erregte, schloß die Klägerin mit dem Beklagten zu 3) einen "Exklusiv-Vertrag", in dem sie der Agentur XXX das Alleinrecht einräumte, ihre "Schicksalsreportage" unter dem Arbeitsthema "Geplatzte Hochzeit" zu veröffentlichen oder anderen Verlagen zur Veröffentlichung anzubieten. Die Klägerin sollte mit 40% am Nettogewinn dieser Reportage beteiligt sein. Sie hatte den Beklagten zu 3) und 4) in einem Interview einen mündlichen Bericht gegeben und sich von ihnen mehrmals, insbesondere im Hochzeitskleid, fotografieren lassen.
Die Beklagte zu 1) erwarb von der Agentur des Beklagten zu 3) eine maschinengeschriebene Niederschrift des Inhaltes des Interviews der Klägerin und mehrere Fotografien. In ihrer Illustrierten "xxx" Nr. 52 vom 14. Dezember 1972 berichtete sie darüber unter der Überschrift "Der große Schicksalsreport - Der Märchenprinz verschwand am Polterabend". Unter den zu diesem Bericht abgedruckten Fotografien steht u.a.:
"Traurig steht Waltraud neben dem angerichteten Büffet (oben links) und voller Sehnsucht schaut sie auf den festlich gedeckten Tisch (oben Mitte). Verzweifelt fragt sie: "Was soll jetzt aus mir und dem Kind werden?"" ... Wehmütig schaut sie ihrem Vater beim Pflügen des Feldes zu (oben)."
Die Klägerin verlangt von der Beklagten ein Schmerzensgeld wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Sie hat vorgetragen: Sie habe von ihrem damaligen Verlobten kein Kind erwartet. In dem Interview mit dem Beklagten zu 3) und 4) habe sie deren Frage nach intimen Beziehungen zu ihrem Verlobten ausdrücklich verneint. Nach dem Erscheinen des Berichtes in der "xxx" habe man sich in ihrem Elternhaus vor meist anonymen Anrufen, in denen nach dem Kind oder nach dem Befinden der sitzengebliebenen Mutter gefragt worden sei, nicht retten können. Nur mit Mühe habe verhindert werden können, daß im Karnevalszug in xxx ein Wagen mitfuhr, auf dem die Klägerin mit einem Kind im Arm dargestellt werden sollte. Es sei sogar ein Geistlicher ins Haus gekommen, um sich um Mutter und Kind zu kümmern. Das Bild über dem Text "Wehmütig schaut sie ihrem Vater beim Pflügen des Feldes zu" sei von den Beklagten zu 3) und 4) in der Nähe von Heidelberg mit einem den Beteiligten völlig unbekannten Landwirt aufgenommen worden. In dem modernen landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters der Klägerin befinde sich schon seit längerer Zeit überhaupt kein Pferd mehr.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht, zu der die Beklagten zu 2), 3) und 4) nicht geladen worden waren, hat die Klägerin nur gegen die Beklagte zu 1) einen Antrag gestellt. Sie hat beantragt,
die Beklagten zu 1), 3) und 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Beklagte zu 1) hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, bei der Behauptung, daß die Klägerin ein Kind erwartet habe, handele es sich um eine verhältnismäßig unbedeutende Arabeske in der Geschichte, keinesfalls aber um eine Kernaussage der Reportage. Eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes der Klägerin könne darin nicht gesehen werden. Ihr, der Beklagten, könne auch kein schweres Verschulden sondern allenfalls leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Außerdem habe die Klägerin einen ausreichenden Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigung durch einen Widerruf erreichen können.
Das Landgericht hat die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage abgewiesen. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des am 14. August 1974 zugestellten Teil-Urteils wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 13. September 1974 Berufung eingelegt und diese am 11. Oktober 1974 begründet.
Sie beantragt,
die Beklagte zu 1) unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, als Gesamtschuldner mit den Beklagten zu 3) und 4) an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
im Verurteilungsfalle jedoch Vollstreckungsnachlaß gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.
Zur Begründung ihrer Anträge haben die Parteien ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszuge wiederholt und nach Maßgabe ihrer in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze, auf deren Inhalt verwiesen wird, ergänzt.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin konnte keinen Erfolg haben.
Nach der auf einer weiten Auslegung der §§ 823 Abs. 1, 847 BGB beruhenden, in ihrem Ausgangspunkt vom Bundesverfassungsgericht (NJW 73, 1221) gebilligten Rechtsprechung des BGH (vgl. NJW 71, 698 m.w. Zitaten) kann eine Person, deren Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, vom Schädiger unter Umständen für ihren immateriellen Schaden einen Ausgleich in Geld verlangen. Aus dem Analogieverbot des § 253 BGB folgt jedoch eine Einschränkung der Anspruchsvoraussetzungen. Der Anspruch ist nur in denjenigen Fällen gegeben, in denen ein "unabweisbares Bedürfnis" (BGH a.a.O.) für die Zubilligung einer Geldentschädigung vorliegt, wenn nämlich die immaterielle Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles als schwer anzusehen ist und in anderer Weise nicht ausgeglichen werden kann. Im vorliegenden Fall hat das Landgericht diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Entschädigung in Geld mit Recht verneint.
Es kann unterstellt werden, daß die Klägerin im Oktober 1972 nicht schwanger war und daß darum die Beklagte zu 1) in der "xxx" mit dem Satz "Verzweifelt fragt sie: Was soll jetzt aus mir und dem Kind werden" eine unwahre Behauptung aufgestellt und veröffentlicht hat.
Der Klägerin ist darin zuzustimmen, daß die Veröffentlichung dieser falschen Behauptung einen Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht darstellt. Ihr kann jedoch nicht gefolgt werden in der Ansicht, daß es sich dabei um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht handelt.
Der Geschlechtsverkehr zwischen Verlobten konnte schon geraume Zeit vor dem Inkrafttreten des 4. Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 nach der herrschenden Meinung nicht mehr als unzüchtig im Sinne des 13. Abschnittes des besonderen Teils desStrafgesetzbuches bezeichnet werden (vgl. Lackner-Maaßen, StGB, 7. Aufl., § 180 Anm. 3). Nach den außerhalb des Strafrechts geltenden, gefestigten und beständigen sittlichen und moralischen Grundsätzen weiter Kreise der Bevölkerung wird er zwar nach wie vor als anstößig empfunden, ganz überwiegend jedoch nicht mehr als ein besonders schwerwiegender Verstoß gegen die Sittlichkeit und Moral angesehen.
Im übrigen kann der in der unwahren Behauptung über die Schwangerschaft der Klägerin liegende widerrechtliche Eingriff in die Intimsphäre der Klägerin vor allem deswegen nicht als schwerwiegend angesehen werden, weil sich die Klägerin selbst bereit gefunden hatte, ihr Erlebnis unter dem Arbeitstitel "Geplatzte Hochzeit" zur Veröffentlichung in allen möglichen Zeitschriften und Zeitungen preiszugeben. Nach dem insoweit nicht bestrittenen Inhalt der Reportage waren schon vor der Hochzeitsfeier weite Kreise der Bevölkerung auf dieses Ereignis neugierig geworden, und schon vor dem Interview, das die Klägerin den Beklagten zu 3) und 4) wenige Tage später gab, war die unwahre Behauptung oder unbegründete Vermutung verbreitet worden, daß die Klägerin von ihrem verschwundenen Verlobten ein Kind erwartete. Die Klägerin selbst hatte den Beklagten zu 3) und 4) gegenüber von einem solchen Gerede gesprochen. In der Niederschrift ihres Interviews, die sie insoweit nicht bestritten hat, ist darüber folgendermaßen berichtet: "In Langwege gab es schadenfrohe Gesichter. "Die mit ihrem Prinzen ..." oder: "Hahaha, der Prinz kommt nicht, dafür kommt im Mai ein Kleiner" ... Die Schaulustigen fahren nach Langwege. Waltrauds Mutter zieht die Gardinen zu.... Nach Einbruch der Dunkelheit: Flucht der Braut aus einer Hintertür ..."
Durch die nunmehr zu erwartenden Berichte über dieses Geschehen in Illustrierten und sonstigen Massenmedien wurde der Öffentlichkeit nicht nur das wirkliche Geschehen wieder in Erinnerung gebracht, sondern im Zusammenhang damit konnten auch Gerüchte oder unwahre Behauptungen über die Schwangerschaft der Klägerin wieder aufleben. Unter diesen nicht zu Lasten der Beklagten gehenden Umständen kann keine Rede davon sein, daß die Beklagte das Persönlichkeitsrecht der Klägerin in schwerwiegender Weise verletzt hat.
Durch den in der Veröffentlichung der Beklagten zu 1) enthaltenen Satz: "Ist es ein Wunder, daß Waltraud seinen Liebesschwüren nachgab?" ist die Klägerin nicht beschwert. Sie mußte damit rechnen, daß das Schicksal ihrer Verlobung in einer dem Leserkreis der "bunten Blätter" angepaßten, romantisierenden Weise unter Verwendung möglichst starker Worte dargestellt werden würde. Geschlechtliche Beziehungen zwischen ihr und ihrem damaligen Verlobten sind mit diesem Satz nicht behauptet.
Die Erläuterung der Fotografie, auf der die Klägerin am Rand eines Ackers sitzt, der von einem Bauern gepflügt wird, entspricht zwar nicht der Wahrheit. Sie stellt aber keine Ehrverletzung, geschweige denn einen Eingriff in die Intimsphäre der Klägerin dar.
Die Klägerin kann eine Entschädigung in Geld schließlich auch deswegen nicht verlangen, weil sie von der Beklagten zu 1) den Widerruf der in der "xxx" vom 14. Dezember 1972 verbreiteten unrichtigen Behauptungen verlangen konnte. Damit hätte sie einen befriedigenden Ausgleich ihres immateriellen Schadens erlangen können.
Abgesehen davon, daß ihrem Vortrag nicht zu entnehmen ist, daß sie einen Widerruf in einer den rechtlichen Erfordernissen genügenden Weise verlangt hat, hätte sie diesen Anspruch auch gegen den Willen der Beklagten gerichtlich durchsetzen können. Außerdem hatte sie nach § 11 des Landespressegesetzes das Recht auf eine Gegendarstellung, das sie im Wege einer einstweiligen Verfügung sofort hätte durchsetzen können. Demgegenüber kommt es auf den außergerichtlichen Schriftwechsel der Parteien vom 26. und 31. Januar und 15. Februar 1973 nicht entscheidend an. Es war allein Sache der Klägerin, die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einer Beseitigung ihres immateriellen Schadens auszuschöpfen und durchzusetzen.
Die Kosten der erfolglosen Berufung fallen gemäß § 97 ZPO der Klägerin zur Last. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf den§§ 708 Nr. 7 und 713a ZPO.