Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.05.2007, Az.: 1 Ws 169/07
Rechtmäßigkeit einer Neufestsetzung der zu erstattenden Gebühren in einem Strafverfahren durch den Urkundsbeamten; Umfang des schützenswerten Vertrauens eines Rechtsanwalts auf Beibehaltung der vorschussweise gezahlten Gebühren; Umfang der Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Verfahrensbeteiligten; Anrechenbarkeit einer Mittagspause von 1 bis 1,5 Stunden auf die Zeit der Teilnahme an der Hauptverhandlung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 03.05.2007
- Aktenzeichen
- 1 Ws 169/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 33117
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2007:0503.1WS169.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 20.02.2007
Rechtsgrundlage
- § 33 Abs. 3 S. 3 RVG
Fundstellen
- AGS 2008, 178-179 (Volltext mit red. LS)
- StRR 2007, 163 (amtl. Leitsatz)
- ZAP EN-Nr. 830/2007
Amtlicher Leitsatz
Während kürzere Verhandlungspausen bei der Ermittlung der für den Längenzuschlag des Pflichtverteidigers maßgeblichen Zeit von der Hauptverhandlungsdauer grundsätzlich nicht abgezogen werden, ist bei längeren Verhandlungspausen darauf abzustellen, ob der Beschwerdeführer sie anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll hätte nutzen können. Ob dies der Fall ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.
In dem Strafverfahren
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 03. Mai 2007
durch
den unterzeichnenden Richter
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwalts gegen den Beschluss der 3. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Osnabrück vom 20.02.2007 wird als unbegründet verworfen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).
Gründe
Das fristgerecht eingelegte (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und damit zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
Das Landgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass die Urkundsbeamtin auf die Erinnerung der Landeskasse hin berechtigt war, die zu erstattenden Gebühren neu festzusetzen (Beschluss vom 03.01.2007). Ein schützenswertes Vertrauen des Rechtsanwalts darauf, dass es bei den vorschussweise gezahlten Beträgen bleiben werde, ist angesichts des geführten Schriftwechsels zu verneinen.
Die geltend gemachten Zusatzgebühren für mehr als 5 bis 8 Stunden für den Hauptverhandlungstermin am 13.01.2005 (Nr. 4122 VV RVG) in Höhe von 178,00 EUR sowie die Zusatzgebühren für mehr als 8 Stunden für den Hauptverhandlungstermin am 22.02.2005 (Nr. 4123 VV RVG) stehen den Beschwerdeführern nicht zu.
Am 13.01.2005 war Hauptverhandlungstermin auf 11.00 Uhr anberaumt worden. Tatsächlich dauerte die Hauptverhandlung von 11.50 Uhr bis 16.12 Uhr. Sie war für eine Mittagspause von 13.10 Uhr bis 14.30 Uhr unterbrochen. Der Beschwerdeführer erschien erst um 14.38 Uhr.
Die Frage, ob eine Mittagspause von 1 bis 1 1/2 Stunden auf die Zeit der Teilnahme an der Hauptverhandlung anzurechnen oder in Abzug zu bringen ist, ist in der obergerichtlichen Rechtssprechung strittig. Es entspricht der Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Verfahrensbeteiligten, dass diesen zur Einnahme einer Mahlzeit und zur Erholung gegen Mittag eine Mittagspause zugebilligt wird. Davon gehen in der Regel auch alle Beteiligten bei einer über die Mittagszeit hinausgehende Hauptverhandlung aus. Insoweit sind also Mittagspausen anders als andere längere Unterbrechungen auch für die beteiligten Anwälte vorhersehbar und planbar. Zwar wird die Mittagspause vom Gericht festgelegt, aber es trifft nicht zu, dass sich der Rechtsanwalt während dieser Zeit zur Verfügung halten müsste und deswegen an einer anderweitigen Ausübung seines Berufs gehindert wäre. Während der Mittagszeit gibt das Gericht dem Rechtsanwalt gerade Gelegenheit zur freien und eigenverantwortlichen Gestaltung in dieser Zeit. Es ist deshalb gerechtfertigt, eine Mittagspause als eine "prozessneutrale" Unterbrechung zu bezeichnen, während der der Rechtsanwalt aus eigenem Interesse nicht an der Verhandlung teilnimmt und deshalb eine zeitliche Beanspruchung seiner Arbeitskraft nicht geltend machen kann (vgl. OLG Zweibrücken NStZ - RR 2006, 392; OLG Koblenz NJW 2006, 1149 [OLG Koblenz 06.02.2006 - 2 Ws 70/06]; OLG Bamberg AGS 2006, 124). Der Gesetzgeber hat die Regelungen über Längenzuschläge für bestellte Verteidiger in das RVG aufgenommen, um diesen den besonderen Zeitaufwand für anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren und sie nicht mehr auf die Möglichkeit der Bewilligung einer Pauschvergütung zu verweisen. Diesem gesetzgeberischen Willen lässt sich weder für noch gegen die Anrechnung der Mittagspause etwas entnehmen. Zwar hat der Gesetzgeber an die obergerichtliche Rechtssprechung zur Annahme eines besonders umfangreichen Verfahrens im Rahmen der Prüfung einer Pauschvergütung angeknüpft, als er die Zeitrahmen für die Längenzuschläge festsetzte. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Mittagspause bei der Bestimmung des Verfahrensumfangs bestand bereits seinerzeit keine einheitliche Rechtssprechung (vgl. OLG Thüringen StV 1997, 427; OLG Zweibrücken und OLG Bamberg a.a.O.). Der Wortlaut der Nr. 4122 und 4123 VV RVG spricht eher gegen die Einbeziehung einer Mittagspause in die Bestimmung der Hauptverhandlungsdauer, denn die Regelung erfordert für die Entstehung des Gebührenanspruchs, dass der Rechtsanwalt mehr als 5 bzw. 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt, was während der Mittagspause gerade nicht der Fall ist. Aus der Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 2 in Teil 4 VV RVG, die bestimmt, dass der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch erhält, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, lässt sich für die hier vorliegende Frage der Längenzuschläge und damit die Höhe der Gebühr nichts herleiten (a. A. OLG Stuttgart StV 2006, 200 [OLG Stuttgart 08.08.2005 - 4 Ws 118/05]; OLG Düsseldorf NStZ - RR 2006, 391; OLG Hamm StraFo 2006, 173 [OLG Hamm 28.02.2006 - 2 s Sbd IX 1 -/06]). Bezeichnenderweise ist auch bei der Entschädigung eines Sachverständigen die Zeit einer Mittagspause nicht zu berücksichtigen (vgl. Senat Nds. Rpfl. 1991,120).
Da nach Abzug der Mittagspause von 13.10 Uhr bis 14.30 Uhr der Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung weniger als 5 Stunden teilgenommen hat, liegen die Voraussetzungen für den Längenzuschlag nach Nr. 4122 VV RVG am 13.01.2005 nicht vor.
Die Zusatzgebühr für den Termin am 22.02.2005 ist lediglich in Höhe von 178,00 EUR für eine Terminsdauer von 5 bis 8 Stunden entstanden. Auch hier ist die Mittagspause von 13.29 Uhr bis 14.37 Uhr bei der Terminsdauer nicht zu berücksichtigen. Auch soweit die Hauptverhandlung von 16.12 Uhr bis 20.00 Uhr unterbrochen worden ist, kann diese Zeit nicht als Teilnahme am Hauptverhandlungstermin berücksichtigt werden. Zwar trifft es zu, dass kürzere Verhandlungspausen von der Hauptverhandlungsdauer grundsätzlich nicht abgezogen werden. Bei der hier vorliegenden längeren Verhandlungspause ist darauf abzustellen, ob der Beschwerdeführer sie anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll hätte nutzen können. Ob dies der Fall ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, wobei Vorhersehbarkeit und Länge der Sitzungspause sowie die Entfernung und Erreichbarkeit der Kanzlei zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Hamm AGS 2006, 337 [OLG Hamm 07.03.2006 - 3 Ws 583/05]; OLG Stuttgart StV 2006, 200 [OLG Stuttgart 08.08.2005 - 4 Ws 118/05]; OLG Koblenz NJW 2006, 1150 [OLG Koblenz 16.02.2006 - 1 Ws 61/06]). Auch wenn nicht festzustellen ist, dass die fast vierstündige Verhandlungspause für den Beschwerdeführer vorhersehbar war, ist hier entscheidend, dass sich die Kanzlei des Beschwerdeführers am Gerichtsort befindet und regelmäßig davon auszugehen ist, dass der ortsansässige Rechtsanwalt derartige lange Verhandlungspausen anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll nutzen kann. Da somit die Voraussetzungen der Nr. 4123 VV RVG nicht vorliegen, ist die Kürzung zu Recht erfolgt.
Der Erinnerung und Beschwerde des Nebenklägervertreters bleibt damit der Erfolg versagt.