Arbeitsgericht Lingen
Beschl. v. 09.07.1999, Az.: 2 BV 4/99

Beabsichtigte Betriebsstilllegung ohne Durchführung des Verfahrens gem. § 112 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); Betriebsänderung in der Insolvenz ohne vorheriges Einigungsstellenverfahren; Verhandlung eines Interessenausgleichs zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat; Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit; Primärzuständigkeit desörtlichen Betriebsrats; Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

Bibliographie

Gericht
ArbG Lingen
Datum
09.07.1999
Aktenzeichen
2 BV 4/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 18955
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGLIN:1999:0709.2BV4.99.0A

Fundstellen

  • EWiR 1999, 1131
  • KTS 2000, 276
  • ZIP 1999, 1892-1898 (Volltext mit red. LS)
  • ZInsO 1999, 656-658 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Beabsichtigte Betriebsstilllegung

Redaktioneller Leitsatz

Die Zustimmung nach § 122 Abs. 2 InsO wird erteilt, wenn die wirtschaftliche Lage eines Schuldners nach Abwägung und unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer es erfordert, dass die Betriebsstilllegung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 des BetrVG durchgeführt wird. Die sofortige Durchführung der Betriebsstilllegung ist erforderlich, wenn die Insolvenzmasse ansonsten erheblich geschmälert würde und dadurch Gläubigerinteressen beeinträchtigt würden.

In dem Beschlußverfahren
hat das Arbeitsgericht in Lingen (Ems)
auf die mündliche Anhörung vom 09.07.1999
durch den Direktor des Arbeitsgerichts Dr. Wenzeck als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter Deymann und Baldy als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

Dem Beteiligten zu 1 wird gestattet, die geplante Stilllegung des Betriebes S. der Schuldnerin zum 31.07.1999 durchzuführen, ohne dass das Verfahren nach § 112 II BetrVG vorangegangen sein muss.

Tatbestand

1

Ziel des Beteiligten zu 1 im Rahmen des vorliegenden Beschlussverfahrens ist es, dass die geplante Stilllegung des Betriebes S. der Schuldnerin zum 31.07.1999 durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen sein muss.

2

Der Beteiligte zu 1 ist der Insolvenzverwalter der K. Sitzmöbelwerke GmbH & Co. KG mit Sitz in H. (im Folgenden nur "Schuldnerin" genannt). Über deren Vermögen wurde durch Beschluss des Amtsgericht Meppen vom 01.05.1999, dem Beteiligten zu 1 am 04.05.1999 zugestellt, das Insolvenzverfahren unter gleichzeitiger Ernennung des Beteiligten zu 1 zum Verwalter eröffnet.

3

Die Schuldnerin unterhält zwei Produktionsbetriebe in H. und S. Zur Unternehmensgruppe K. gehören weitere Betriebe in Polen, Ungarn und in den neuen Bundesländern. Hierbei handelt sich um eigenständige juristische Personen.

4

Sowohl das Werk S. als auch das Werk H. hat jeweils einen Betriebsrat.

5

Der Beteiligte zu 2 ist der im Betrieb S. existierende Betriebsrat.

6

Zudem besteht ein Gesamtbetriebsrat. Je zwei Mitglieder der Betriebsräte S. und H. sind in diesen Gesamtbetriebsrat berufen worden. Nach der Neuwahl der Einzelbetriebsräte und Entsendung in den Gesamtbetriebsrat ist kein neuer Gesamtbetriebsratsvorsitzender gewählt worden.

7

Gegenstand des Betriebes der Schuldnerin ist die Herstellung und der Vertrieb von Holzmöbeln, insbesondere von Wohn- u. Speisezimmermöbeln.

8

Wirtschaftlich litt die Schuldnerin in den letzten Jahren unter einer dauerhaften Konsumschwäche, dem Importdruck aus Niedriglohnländern und einem Überangebot von Möbeln gegenüber der Nachfrage. So schloss die Beklagte das Jahr 1996 mit einem negativen Jahresergebnis i. H. v. 5,215 Mill. DM, im Jahre 1997 mit einem negativen Ergebnis i. H. v. 11,186 Mill. DM und 1998 mit einem negativen Jahresergebnis i. H. v. 26,707 Mill. DM ab. Diese Zahlen beziehen sich auf beide Betriebe der Schuldnerin.

9

Im Jahre 1997 verhandelte die Geschäftsleitung der Schuldnerin mit den Betriebsräten über die Zukunft des Standortes S. und hinsichtlich Maßnahmen der Personalkostenreduzierung. Hinsichtlich des Verhandlungsergebnisses vom 11.12.1997 wird auf die überreichte Ablichtung (Bl. 106 u. 107 d. A.) verwiesen. Unter anderem sagte die Geschäftsführung zu, dass der Standort S. für den Zeitraum bis zum 31.12.1999 als Betriebsstätte erhalten bleibt.

10

Unter dem 22.09.1997 wurde ein "MKS-Gutachten" erstellt.

11

Eine weitere Unternehmensanalyse der Hein u. Partner Unternehmensberatung datiert vom 27.07.1998.

12

1997 wurde eine sogenannte "Lenkungs- u. Steuerungskommission" bei der Schuldnerin gebildet, die gleichzeitig die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses übernahm (Teilnehmer: Mitglieder der Geschäftsleitung der Schuldnerin, Vertreter der Gewerkschaft, Betriebswirt H. von der PIW GmbH, Bremen, Vertreter beider Betriebsräte H. und S., insbesondere der Vorsitzende des Beteiligten zu 2.) In den regelmäßig einmal pro Monat stattfindenden Sitzungen wurde über die Auftragseingänge, Auftragsbestände und Fakturierungen informiert, zudem über die monatlichen Erfolgsrechnungen sowie die laufenden Liquiditätsplanungen. Am 03.11.1998 und am 04.11.1998 erläuterte der Gutachter H. u. a. gegenüber dem Vorsitzenden des Beteiligten zu 2 in Hannover bzw. H. sein Gutachten. Es wurden weitere Lohn- u. Gehaltsverzichte sowie die Werkschließung S. gefordert. Die Unternehmensanalyse wurde in Form des sogenannten "Quick-Checks" dem Vorsitzenden des Beteiligten zu 2 übergeben. In diesem Gutachten wurde auf die veraltete Technik und die schlechte Bausubstanz der Produktionshallen eingegangen (vgl. hinsichtlich des weiteren Inhalts dieses Quick-Checks die überreichte Ablichtung Bl. 186 bis 204 d. A.).

13

Im Februar 1999 kündigten die Banken die Kontokorrentkredite und die langfristigen Kredite der Schuldnerin.

14

Deswegen wurde am 24.02.1999 der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem Geschäftsführer der Schuldnerin gestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurden im Betrieb H. 455 Mitarbeiter und im Betrieb S. 109 Mitarbeiter beschäftigt.

15

Im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens erstellte der Beteiligte zu 1 unter dem 26.04.1999 ein Gutachten.

16

Der Beteiligte zu 1 entschloss sich, das Werk in S. zu schließen. Ziel war es, in H. dauerhaft einen überlebensfähigen Kernbereich zu erhalten.

17

Die Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren ist nur dadurch möglich, weil die Banken ein Massedarlehen i.H.v. 12,7 Mill. DM gewährten.

18

Unter anderem fanden am 06.04.1999 Verhandlungen mit der Gewerkschaft Holz- u. Kunststoff (GHK) über den Abschluss eines Sanierungstarifvertrages statt. An dieser Sitzung nahm auch der Vorsitzende des Beteiligten zu 2 und das Betriebsratsmitglied Frau T. teil. Die Schließung des Werkes S. wurde erörtert. Hinsichtlich des Betriebes in H. wurde der Sanierungstarifvertrag geschlossen. Bezüglich des Betriebes in S. dagegen nicht.

19

Am 13.04.1999 wurden jeweils in S. und in H. im Rahmen von Belegschaftsversammlungen seitens des Beteiligten zu 1 die beabsichtigten Maßnahmen vorgestellt und die sie bedingenden Gründe. Auch wurde die Möglichkeit der Beschäftigung im Rahmen einer Beschäftigungs- u. Qualifizierungsgesellschaft vorgestellt.

20

Am 16.04. u. 23.04.1999 verhandelten die Betriebsräte der Werke H. und S. mit der Arbeitgeberseite über die mögliche Übernahme eines Teils der Mitarbeiter des Werks S. in den Betrieb H.. Diese Verhandlungen scheiterten.

21

Mit Schreiben vom 20.04.1999 (Bl. 26 u. 27 d. A.) wies der Beteiligte zu 1 auf die Notwendigkeit der Schließung des Standortes S. und auf die Vorteile der Beschäftigungs- u. Qualifizierungsgesellschaft gegenüber dem Beteiligten zu 2 hin.

22

Am 27.04.1999 schlossen der Betriebsrat des Werks H. mit dem Beteiligten zu 1 entsprechende Betriebsvereinbarungen bezüglich einer Beschäftigungs- u. Qualifizierungsgesellschaft sowie bezüglich eines Sozialplanes.

23

Unter dem 26.04.1999 forderte der Geschäftsführer der Schuldnerin den Beteiligten zu 2 zur unverzüglichen Aufnahme von Verhandlungen bezüglich der Erzielung eines Interessenausgleichs auf. Auf die Notwendigkeit der Stilllegung des Werks S. wurde hingewiesen. Dieses Schreiben wurde auch von dem Beteiligten zu 1 als vorläufiger Insolvenzverwalter mit unterzeichnet (vgl. die Kopie des Schreibens - Bl. 28 d. A.).

24

Das erste diesbezügliche Gespräch fand zwischen den Beteiligten am 28.04.1999 statt. Von dem Beteiligten zu 2 wurde eine unzureichende Information des Betriebsrates gerügt. Unstreitig zwischen den Parteien war in diesem Gespräch die Tatsache, dass das "MKS"-Gutachten bereits 1997 dem Beteiligten zu 2 vorlag. Die Beteiligten vertagten sich sodann auf den 05.05.1999. Der Beteiligte zu 1 sollte den Entwurf eines Interessenausgleichs mit Sozialplan sowie weitere angeforderte Unterlagen dem Beteiligten zu 2 zur Verfügung stellen.

25

Mit Schreiben des Beteiligten zu 1 vom 30.04.1999 wurden dem Beteiligten zu 2 neben dem Entwurf eines Interessenausgleichs und Sozialplans verschiedene andere Unterlagen übersandt. Die Art. der Unterlagen ergibt sich aus der Auflistung gemäß S. 2 des Schreibens vom 30.04.1999. Hinsichtlich des Inhalts des Schreibens vom 30.04.1999 und hinsichtlich des Inhalts der übermittelten Unterlagen wird auf die überreichten Ablichtungen (Bl. 29-75 d. A.) verwiesen.

26

Im Rahmen des am 05.05.1999 folgenden zweiten Gespräches zwischen den Beteiligten wurde die auf S. 4 des Interessenausgleichs unter Ziff. 1 angeführte "Personalliste" nachgereicht. Der Beteiligte zu 2 wünschte eine konkrete Sozialplanberechnung für alle von der Entlassung bedrohten Mitarbeiter auf Grundlage des Sozialplanentwurfes. Dem Beteiligten zu 2 wurden aktuelle Übersichten über die Entwicklung der Auftragsbestände, Auftragseingänge und Fakturierungen überreicht.

27

Mit Schreiben vom 05.05.1999 wurden dem Beteiligten zu 2 diese Unterlagen nochmals übermittelt. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen (Bl. 76-80 d. A.). Die dort genannten Zahlen beziehen sich auf beide Betriebe H. und S..

28

Mit Schreiben vom 10.05.1999 übermittelte der Beteiligte zu 1 dem Beteiligten zu 2 u. a. die Sozialplanberechnung. Auch wurde ein Alternativorschlag hinsichtlich des Interessenausgleichs gemacht (vgl. die Unterlagen Bl. 81-86 d. A.).

29

Nach dem 05.05.1999 forderte der Beteiligte zu 2 von dem Beteiligten zu 1 keine weitere Informationen oder Unterlagen an.

30

Am 12.05.1999 wurde der Beteiligte zu 2 in der dritten Runde der Verhandlungen über den Alternativvorschlag informiert.

31

Am 17.05.1999 wurde erneut über den Abschluss eines Interessenausgleichs verhandelt. Der Beteiligte zu 2 verlangte eine Nachbesserung des Inhalts, dass die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse um zwei Monate gestreckt werde, bzw. dass die Betriebsstilllegung nicht wie geplant zum 31.07.1999, sondern erst zum 30.09.1999 vollzogen werden solle. Dies lehnten die Vertreter des Beteiligten zu 1 im Hinblick auf die Gefahr der Gläubigerbenachteiligung ab. Ein weiterer und letzter Gesprächstermin wurde für den 21.05.1999 vereinbart.

32

An allen vier Gesprächen nahm der jetzige Prozessbevollmächtigte des Beteiligten zu 2 teil.

33

Am Vormittag des 21.05.1999 teilte der jetzige Prozessbevollmächtigte des Beteiligten zu 2 dem Vertreter des Beteiligten zu 1 mit, dass man den Termin nicht wahrnehmen werde. Der Vertreter des Beteiligten zu 1 - Herr Krüger - unterbreitete einen neuen Vorschlag hinsichtlich des Interessenausgleichs. Der Prozessbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 erklärte, der Beteiligte zu 2 werde sich Anfang der Woche melden und seine Stellungnahme abgeben.

34

Eine Reaktion des Beteiligten zu 2 erfolgte jedoch Anfang der 21. Kalenderwoche nicht mehr.

35

Mit Schreiben vom 26.05.1999 erbat der Beteiligte zu 1 von dem Beteiligten zu 2 Vertreter eine Kontaktaufnahme bis zum 27.05.1999. Ansonsten würde er die Interessenausgleichsverhandlungen als endgültig beendet betrachten (vgl. auch das Schreiben Bl. 181 und 182 d. A.).

36

Mit seiner Antragsschrift vom 27.05.1999, bei Gericht am 31.05.1999 eingegangen, begehrt der Beteiligte zu 1 die Gestattung der Betriebsstilllegung des Werks S. zum 31.07.1999 ohne Einhaltung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG.

37

Der Beteiligte zu 1 begründet sein Begehren u. a. mit der unstreitigen Tatsache, dass der Betrieb S. die laufenden Kosten -einschließlich Personalkosten- nicht aus den laufenden Einnahmen decken kann. Bei einer Fortführung des Werks S. würden sich Fehlbeträge zwischen 429.000,00 DM 459.000,00 DM pro Monat ergeben. Hinsichtlich der weiteren Erläuterungen des Beteiligten zu 1 zur wirtschaftlichen Lage wird auf die S. 17 u. 18 der Antragsschrift (Bl. 17 u. 18 d. A.) sowie auf die vorläufige Ergebnisplanung für 1999 (Bl. 92 d. A.) verwiesen.

38

Per 02.07.1999 beträgt das Minus der Aufträge im zweiten Quartal 1999 gegenüber dem Vorjahr 34,05 %.

39

Die Überschuldung der Schuldnerin beträgt per 01.05.1999 zumindest 70 Mill. DM.

40

Die Kündigungsfrist der Mitarbeiter des Werks S. beträgt -bis auf wenige Ausnahmen- drei Monate.

41

Vier von fünf Mitgliedern des Gläubigerausschusses stimmten der beabsichtigten Stilllegung des Werks S. zu.

42

Der Beteiligte zu 1 behauptet, die Analyse von Hein u. Partner vom 27.07.1998 habe dem Beteiligten zu 2 in seiner Gesamtheit vorgelegen. Das Gutachten des Beteiligten zu 1 vom 26.04.1999 weise eine Überschuldung der Schuldnerin per 24.02.1999 i.H.v. 11,5 Mill. DM aus. Der Maschinenpark des Werkes S. sei völlig überaltert.

43

Der Beteiligte zu 1 ist der Rechtsauffassung, die Voraussetzungen des § 122 InsO würden vorliegen. Insbesondere sei der Betriebsrat umfassend informiert worden. Auch die Informationen, die etwa der Betriebsratsvorsitzende im Rahmen der Lenkungs- u. Steuerungskommission erhalten habe, sei zu berücksichtigen. Es komme nicht darauf an, ob der Betriebsrat S. offiziell als Gremium zu den einzelnen Verhandlungen geladen worden ist. Einer Beteiligung des Gesamtbetriebsrates habe es schon deswegen nicht bedurft, da der Gesamtbetriebsrat nicht handlungsfähig gewesen sei. Nach Entsendung der neugewählten einzelnen Betriebsräte hätte ein neuer Vorsitzender gewählt werden müssen.

44

Ferner meint der Beteiligte zu 1, auch die vorinsolvenzrechlichen Verhandlungen seien auf die 3-Wochen-Frist anzurechnen, sofern es sich -wie hier- um dieselbe beabsichtigte Betriebsänderung handelt.

45

Der Beteiligte zu 1 beantragt,

dass die durch den Beteiligten zu 1 geplante Stilllegung des Betriebs S. der Schuldnerin zum 31.07.1999 durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist.

46

Der Beteiligte zu 2 beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

47

Der Beteiligte zu 2 behauptet, noch 1998 sei von dem vormaligen Inhaber der Schuldnerin, Herrn Klose erklärt worden, die Produktion in S. solle ausgebaut werden.

48

Ferner behauptet der Beteiligte zu 2, das Werk S. sei moderner als das Werk H.. Ein Teil der Produktionslinien könne gewinnbringend geführt werden.

49

Am 21.05.1999 habe der Zeuge Kr. für den Beteiligten zu 1 das Scheitern der Verhandlungen erklärt.

50

Bezüglich des Betriebes S. seien Gespräche mit Kaufinteressenten gerührt worden.

51

Die Situation in H. sei der in S. nunmehr ähnlich. Es sei nurnoch eine Stammbelegschaft von 20 gewerblichen Mitarbeitern geplant.

52

Der Beteiligte zu 2 vertritt die Rechtsauffassung, der Gesamtbetriebsrat hätte bezüglich der beabsichtigten Betriebsstilllegung des Werks S. angehört werden müssen. Der Gesamtbetriebsrat sei auch handlungsfähig gewesen, da er sich nur einmal konstituieren müsse. Einer erneuten Wahl des Vorsitzenden nach Entsendung neugewählter Betriebsratsmitglieder habe es nicht bedurft.

53

Zudem meint der Beteiligte zu 2, nur der Insolvenzverwalter könne die Verhandlungen mit dem Betriebsrat bezüglich des Interessenausgleichs aufnehmen und insofern die Information vorweg durchrühren. Mithin hätten die Informationen und Verhandlungen erst am 04.05.1999 beginnen können. Das Wissen des Beteiligten zu 2, insbesondere das Wissen von dessen Vorsitzenden aus früheren Verhandlungen sei nicht zu berücksichtigen.

54

Die umfassende Information habe vor dem Handlungsbeginn zu erfolgen. Erst ab diesem Zeitpunkt beginne die 3-Wochen-Frist zu laufen. Ferner meint der Beteiligte zu 2, er sei nicht umfassend informiert worden. Er behauptet insofern, er habe immer wieder auf die mangelnde Information hingewiesen.

55

Zudem seien die Zahlen aus dem MKS-Gutachten und aus der Analyse von Hein veraltet. Eine Aufsplittung der Zahlen für 1998 bezüglich der Werke S. und H. sei nicht erfolgt. Insofern seien nicht alle Unterlagen und Zahlen von dem Beteiligten zu 1 vorgelegt worden.

56

Die mangelnde Information des Betriebsrates zeige sich auch daran, dass dem Betriebsrat nicht das von dem Beteiligten zu 1 selbst erstellte Gutachten von April 1999 zur Verfügung gestellt worden ist, ebenso wenig wie ein Gutachten von Professor Dolf vom 26.01.1999.

Gründe

57

Der Antrag ist zulässig und begründet.

58

Zulässig und begründet ist der Antrag deswegen, weil der Beteiligte zu 1 einen Anspruch darauf hat, dass die von ihm geplante Stilllegung des Betriebs S. der Schuldnerin zum 31.07.1999 durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen solchen Antrag und die materiellen Voraussetzungen gem. § 122 InsO liegen vor.

59

§ 122 InsO hat folgenden Wortlaut:

"(1)
Ist eine Betriebsänderung geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat der Interessenausgleich nach § 112 BetrVG nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftliche Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande, obwohl der Verwalter dem Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat, so kann der Verwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 des BetrVG vorangegangen ist. § 113 Abs. 3 des BetrVG ist insoweit nicht anzuwenden...

(2)
Das Gericht erteilt die Zustimmung, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 des BetrVG durchgeführt wird. Die Vorschriften des ArbG über das Beschlussverfahren gelten entsprechend;..."

60

Der Zweck dieser gesetzlichen Norm ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Insolvenzverwalter grundsätzlich die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 111 BetrVG einzuhalten hat, wenn er Betriebsänderungen wie etwa eine Betriebsstelllegung beabsichtigt und ein Betriebsrat vorhanden ist. Insbesondere muss er das Zustandekommen eines Interessensausgleichs versuchen. Kommt eine Einigung mit dem Betriebsrat nicht zustande, so schreibt das Gesetz in § 112 Abs. 2 BetrVG vor, dass der Unternehmen oder der Betriebsrat die Einigungsstelle anzurufen hat. Unterlässt der Insolvenzverwalter den grundsätzlich vorgegebenen Weg, so steht den von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zu (§ 113 Abs. 3 BetrVG).

61

Mit § 122 InsO erhält der Insolvenzverwalter die Möglichkeit, eine Betriebsänderung in der Insolvenz ohne vorheriges Einigungsstellenverfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchzuführen, ohne dass Ansprüche auf Nachteilsausgleich entstehen, oder dass sogar Unterlassungsverfahren drohen. Der Gesetzgeber hat dem Insolvenzverwalter diese Möglichkeit eingeräumt, da nach dem Eintritt der Insolvenz häufig die unverzügliche Einstellung der Unternehmenstätigkeit erforderlich ist, um weitere Verluste zu vermeiden. Etwaige Sanierungschancen können entscheidend beeinträchtigt werden, wenn es nicht gelingt, einzelne unrentabele Betriebe oder Betriebsteile des Unternehmens sofort stillzulegen (vgl. Begründung Regierungsentwurf, BT-Drucksache 12/2443, S. 153). § 122 InsO bezweckt mithin eine Verkürzung des Interessenausgleichsverfahrens. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts nach Abs. 2 S. 1 ergeht nicht über die Frage des "Ob" der Betriebsänderung, sondern über die Frage des "Wann" (vor Durchführung des Einigungsstellenverfahrens oder danach). Sie ist keine Zustimmung zu der geplanten Betriebsänderung. Es geht lediglich um den Zeitpunkt der Betriebsänderung, um die Eilbedürftigkeit der Umsetzung der Entscheidung des Insolvenzverwalters (vgl. nur Kübler/Prütting, Kommentar zur InsO, Band I, § 122 RdNr. 28 mwN.).

62

Das Arbeitsgericht hat insbesondere nicht darüber zu befinden, ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist.

63

Antragsvoraussetzungen gemäß § 122 Abs. 1 S. 1 InsO sind, dass eine Betriebsänderung geplant ist und zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich nach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande kommt, obwohl der Insolvenzverwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat.

64

Hinsichtlich der Einzelheiten der Antragsvoraussetzungen ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

65

Im Falle der geplanten Betriebsänderung in Form einer Betriebsstilllegung und im Falle der Existenz sowohl eines örtlichen Betriebsrates als auch eines Gesamtbetriebsrates im Unternehmen der Schuldnerin stellt sich die Frage, welchen Betriebsrat der Insolvenzverwalter informieren muss. Diese Frage beantwortet das Gesetz nicht direkt. § 122 InsO enthält insofern keine spezielle Vorschrift. Mithin bestimmt sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist im Zweifel der örtliche Betriebsrat zuständig, nicht der Gesamtbetriebsrat. Das Gesetz geht von einer Primärzuständigkeit des Betriebsrates aus. Dies gebietet die Sachnähe des örtlichen Betriebsrates. Nur dann, wenn eine Regelung der Angelegenheit durch die Einzelbetriebsräte nicht möglich ist, ergibt sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates. Die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderungen obliegt dem Betriebsrat des Einzelbetriebes, sofern es sich nicht um Maßnahmen handelt, die das ganze Unternehmen oder mehrere Betriebe des Unternehmens betreffen und notwendigerweise nur einheitlich geregelt werden können. Dies ist z. B. der Fall bei der Stilllegung aller Betriebe eines Unternehmens (vgl. dazu BAG vom 30.04.1981, AP Nr. 12 zu § 99 BetrVG 1972, BAG vom 17.02.1981, AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, 17. Aufl., § 50 RdNr. 9, 19 ff. 42 mwN).

66

An die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrates durch den Insolvenzverwalter sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Unterrichtung des Betriebsrates durch den Unternehmer gem. § 111 S. 1 BetrVG.

67

Der Insolvenzverwalter muss den Betriebsrat zu einem Zeitpunkt unterrichten, der es erlaubt, dass der Betriebsrat noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die endgültige Entscheidung des Insolvenzverwalters und deren nähere Durchführung hat.

68

Die vorzunehmende Unterrichtung muss auch umfassend sein. Sie muss die Ursachen, eine detaillierte Beschreibung des Inhalts und Umfangs aller geplanter Maßnahmen und die zu erwartenden Auswirkungen auf die Belegschaft enthalten.

69

Dagegen ist der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, von sich aus unaufgefordert dem Betriebsrat Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

70

§ 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG bestimmt vielmehr, dass dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind.

71

Sollte der Betriebsrat der Auffassung sein, dass die Unterrichtung nicht vollständig ist, oder dass ihm Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, trifft ihn wegen des Gebotes der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG die Obliegenheit, die aus seiner Sicht unvollständige Unterrichtung unverzüglich zu rügen und die angeblich fehlenden Informationsgegenstände zu benennen (BAG v. 14.03.1989, AP Nr. 64 zu § 99 BetrVG 1972; BAG v. 28.01.1986, AP Nr. 34 zu § 99 BetrVG 1972; Fabricius in Fabricius/Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker, BetrVG, Gemeinschaftskommentar, Bd. 2, 6. Aufl., § 111 RdNr. 79). Dies bedeutet, dass es dem Betriebsrat in einem nachfolgenden Beschlussverfahren verwehrt ist, Mängel in der Unterrichtung seitens des Insolvenzverwalters aufzuzeigen, die er schon zeitnah nach der Unterrichtung durch den Insolvenzverwalter hätte vorbringen können. Dies gilt umsomehr, wenn der Betriebsrat im Zeitpunkt der Unterrichtung bereits anwaltlich beraten war.

72

Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, mit dem Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung zu beraten. Ziel der Beratung ist die Herbeiführung des Interessensausgleichs, also die Verabredung darüber, ob, wann und in welcher Form die geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll.

73

Haben Insolvenzverwalter und Betriebsrat mit dem ernsten Willen zur Einigung verhandelt und kommt nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich zustande, so kann der Verwalter die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung beantragen. Für die Berechnung der Frist ist maßgeblich, welcher Zeitpunkt früher liegt. Nach der umfassenden Unterrichtung des Betriebsrates müssen noch drei Wochen Zeit bleiben, um ernsthaft über den Abschluss eines Interessenausgleichs verhandeln zu können.

74

Die erkennende Kammer vertritt die Rechtsauffassung, dass die 3-Wochen-Frist nicht notwendigerweise erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Bestellung des Insolvenzverwalters zu laufen beginnt. Haben der Schuldner oder der vorläufige Insolvenzverwalter die Interessenausgleichsverhandlungen bereits eingeleitet, so kann der Insolvenzverwalter -bei unveränderter Betriebsänderung- auf diesen früheren Zeitpunkt hinsichtlich der Fristberechnung verweisen und in die Verhandlungen eintreten (so auch Eisenbeiss in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 122 RdNr. 13).

75

Nach Ablauf der 3-Wochen-Frist kann der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu beantragen, dass die präzise im Antrag zu bezeichnende Betriebsänderung durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist.

76

Gemäß § 122 Abs. 2 InsO erteilt das Arbeitsgericht die Zustimmung, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird. Die Norm verpflichtet mithin das Arbeitsgericht, die wirtschaftlichen Belange des Unternehmens mit den sozialen Belangen der Arbeitnehmer abzuwägen. In einem ersten Schritt hat das Arbeitsgericht daher zu prüfen, ob die wirtschaftliche Lage des Unternehmens isoliert betrachtet die sofortige Durchführung der Betriebsänderung erforderlich macht. Bejaht das Arbeitsgericht dies, muss es in einem zweiten Schritt prüfen, ob die Berücksichtigung sozialer Belange der Arbeitnehmer die Durchführung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG ausnahmsweise dennoch gebietet.

77

Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ist zu berücksichtigen, dass die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger weiterhin Hauptzweck des Insolvenzverfahrens ist. Die Gläubigerinteressen bestehen darin, dass die Insolvenzmasse möglichst nicht geschmälert wird und möglichst vollständig zur Befriedigung der Gläubiger verwertet werden kann. Das Arbeitsgericht hat eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob die von dem Insolvenzverwalter darzulegende wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer es noch zulässt, dass mit der Durchführung der Betriebsänderung noch monatelang zugewartet wird.

78

Hierbei muss der Insolvenzverwalter angeben, welche künftigen Massebelastungen entstehen, wenn ein Einigungsstellenverfahren über den Interessenausgleich durchgeführt wird. Er muss diese Kosten und deren Relation zur Masse darlegen.

79

Dem ist gegenüberzustellen, welche Ersparnisse von einer vorzeitigen Durchführung der in Aussicht genommenen Betriebsänderung unter substanziierter Beschreibung der geplanten Maßnahme zu erwarten ist. Wenn die Fortführung des Betriebs ohne Betriebsänderung bis zur Durchführung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG zu einer nicht unerheblichen Schmälerung der Masse rührt, erfordert die wirtschaftliche Lage des Unternehmens eine frühzeitige Betriebsänderung, so dass die Zustimmung durch das Arbeitsgericht zu erteilen ist. Soweit der Betrieb nicht produktiv genug ist, seine laufenden Kosten einschließlich Personalkosten aus laufenden Einnahmen zu decken, ist von der Eilbedürftigkeit auszugehen (Giesen ZIP 1998, 142; Kübler/Prütting, aaO § 122 RdNr. 33).

80

Bezüglich der sozialen Belange der Arbeitnehmer ist festzuhalten, dass es kein im Rahmen des § 122 relevanter sozialer Belang der Arbeitnehmer ist, dass die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens die Realisierung der Betriebsänderung verzögert und infolgedessen auch die Kündigungstermine hinausgeschoben werden (Kübler/Prütting aaO, § 122 RdNr. 35). Vielmehr muss der Betriebsrat darlegen, dass durch Vermittlung der Einigungsstelle sozial verträglichere Lösungen gefunden werden können. Hierzu muss der Betriebsrat Alternativkonzepte zu der geplanten Betriebsänderung vortragen, die die sozialen Belange der Arbeitnehmer besser berücksichtigen, ohne die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unangemessen mehr zu strapazieren.

81

Für das vorliegende Verfahren gelten die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzesüber das Beschlussverfahren entsprechend und mithin auch der in § 83 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebene Untersuchungsgrundsatz. Danach hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen innerhalb der gestellten Anträge aufzuklären. Die Aufklärungspflicht des Gerichts zwingt jedoch nicht zu einer uferlosen Ermittlungstätigkeit des Gerichts "ins Blaue". Die Ermittlung ist vielmehr nur soweit auszudehnen, als das bisherige Vorbringen der Beteiligten und der schon bekannte Sachverhalt bei pflichtgemäßer Würdigung Anhaltspunkte dafür bieten, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch nicht vollständig ist und noch weiterer Aufklärung bedarf (vgl. nur Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, Kommentar, 2. Aufl., § 83 RdNr. 86 und 87 mwN).

82

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist für den vorliegenden Fall folgendes festzustellen:

83

Es liegt eine geplante Betriebsänderung vor. Der Willensentschluss des Beteiligten zu 1 geht dahin, den Betrieb S. zum 31.07.1999 komplett stillzulegen.

84

Der Beteiligte zu 1 hat auch den richtigen Betriebsrat, nämlich den örtlichen Betriebsrat des Werkes S. unterrichtet. Bei einer geplanten Betriebsstilllegung ist der örtliche Betriebsrat der primär zuständige Betriebsrat. Der Ausnahmefall der geplanten Betriebsstillegung aller Betriebe eines Unternehmens liegt hier nicht vor. Der Vortrag des Beteiligten zu 2 dahingehend, inzwischen würde sich der Betrieb H. in einer ähnlichen Situation wie der Betrieb S. befinden, ist unerheblich. Zum einen haben die Vertreter des Beteiligten zu 2 in dem Anhörungstermin vom 09.07.1999 selber vorgetragen, dass eine Stammbelegschaft von zumindest 20 gewerblichen Arbeitnehmern am Standort H. weiterexistieren soll. Gerade dies stellt keine Stilllegung eines Produktionsbetriebes dar, sondern lediglich eine -wenn auch erhebliche- Einschränkung der Belegschaft. Zudem ist die geplante Stilllegung des Betriebes S. bereits für den 31.07.1999 geplant. Entsprechendes für das Werk H. hat der Beteiligte zu 2 nicht annähernd substanziiert vorgetragen. Einer weiteren Amtsaufklärung "ins Blaue hinein" bedurfte es mithin nicht. Es verbleibt bei der Primärzuständigkeit des örtlichen Betriebsrates.

85

Der Betriebsrat des Werks S. ist auch rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung informiert worden. Unstreitig ist der Betriebsrat über die geplante Betriebsstillegung zu einem Zeitpunkt informiert worden, in dem die Stilllegung noch nicht, und zwar auch nicht teilweise verwirklicht worden ist. Der Betriebsrat wusste auch aufgrund erteilter Informationen, welche Auswirkungen auf die Belegschaft zu erwarten waren. Nachdem die Verhandlungen vom 16.04. und 23.04.1999 zwischen der Geschäftsleitung/Beteiligten zu 1 und den örtlichen Betriebsräten der Werke S. und H. über eine mögliche Übernahme eines Teils der Mitarbeiter des Werks S. ins Werk H. gescheitert waren, war allen Beteiligten klar, dass Folge der beabsichtigten Betriebsstilllegung die Entlassung von allen Mitarbeitern des Werks S. sein würde.

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Entgegen der Rechtsauffassung des Beteiligten zu 2 ist er auch umfassend über die Ursachen für die geplante Betriebsstilllegung informiert worden. Das Gericht kann diesbezüglich die Frage dahingestellt sein lassen, ob sich der Beteiligte zu 2 die Kenntnisse seines Vorsitzenden oder die seiner anderen Mitglieder aus der Teilnahme an der Lenkungs- u. Steuerungskommission oder aus der Teilnahme an anderen Sitzungen zurechnen lassen muss. Denn die Voraussetzungen für eine umfassende Unterrichtung sind bereits deswegen zu bejahen, weil die dem Beteiligten zu 2 mit Schreiben des Beteiligten zu 1 vom 30.04.1999 und mit Schreiben vom 05.05.1999 übermittelten Unterlagen ausreichend sind. So wurde mit dem Schreiben vom 30.04.1999 zunächst die Unternehmensanalyse (Quick-Check) vom 27.07.1998 des Büros Hein u. Partner übermittelt. Darin wurden die Schwachstellen in der Produktion bezüglich H. und S. aufgezeigt. Die Schließung des Werks S. wurde empfohlen. Unter anderem wurden weiter die Erfolgsrechnungen für die Jahre 1996 und 1997 aufgeteilt nach den Betriebsstätten S. und H. übermittelt, des Weiteren die Segment-GuV 1997, ebenfalls getrennt nach S. und H.. Mit Schreiben vom 05.05.1999 wurden die Auftragsbestände 1996 bis einschließlich April 1999 übermittelt, bezüglich der Auftragseingänge sogar bis Mai 1999, die Fakturaumsätze bis April 1999, wobei Mai und Juni 1999 geschätzt wurden.

87

Unter Auswertung des Informationsmaterials (Bl. 29-80 d. A.) kann nicht von einer pauschalen Unterrichtung des Betriebsrates gesprochen werden. Vielmehr wurden dem Betriebsrat die Ursachen mitgeteilt, die nach Einschätzung des Beteiligten zu 1 Gründe für die beabsichtigte Betriebsstilllegung sind.

88

Soweit der Beteiligte zu 2 im vorliegenden Beschlussverfahren nunmehr moniert, es hätte eine Aufsplittung der Zahlen bezüglich der beiden Standorte H. und S. bedurft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rüge zu spät erfolgt. Wie oben bereits ausgeführt, ist der Betriebsrat im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit gehalten, unverzüglich nach Erhalt der Informationen zu rügen, welche Informationen noch gebraucht werden. Aus dem gleichen Grund kann der Rechtsauffassung des Beteiligten zu 2 nicht gefolgt werden, die Unterrichtung sei unzureichend, weil dem Betriebsrat nicht das Gutachten des Beteiligten zu 1 von April 1999 oder das Gutachten des Professor D. vom 26.01.1999 vorgelegt worden ist. Zum einen besteht grundsätzlich keine Vorlagepflicht des Insolvenzverwalters (§ 80 § 2 BetrVG). Zum anderen hat der Beteiligte zu 2 eine weitere Information bzw. die Vorlage von weiteren Unterlagen nach dem 05.05.1999 nicht mehr begehrt.

89

Diese Tatsache hat der Beteiligte zu 1 mehrfach im Verlauf des Verfahrens vorgetragen. Der Beteiligte zu 2 ist diesem Tatsachenvortrag auch nicht qualifiziert entgegengetreten. Er hat lediglich pauschal behauptet, er habe öfter/immer auf die unzureichende Information hingewiesen. Auch unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes ist das Gericht nicht verpflichtet, dieser pauschalen Behauptung nachzuforschen, da der Beteiligte zu 1 den Inhalt der Gespräche vom 28.04.1999, 05.05.1999, 12.05.1999 und 17.05.1999 anschaulich geschildert hat. Insofern hätte es eines konkreten Beitrages des Beteiligten zu 2 dahingehend bedurft, konkrete Tatsachen in das Beschlussverfahren einzubringen, die eine konkrete Rüge des Betriebsrates i.S.d. Rechtsprechung des BAG ersichtlich machen.

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Mithin war spätestens mit Erhalt der Unterlagen gem. Schreiben vom 05.05.1999 die umfassende Unterrichtung des Betriebsrates abgeschlossen.

91

Die Beteiligten haben auch ernsthaft über den Abschluss eines Interessenausgleichs beraten und verhandelt. Insgesamt fanden in dem Zeitraum 28.04.1999 bis 17.05.1999 vier Gespräche diesbezüglich statt. Selbst wenn man erst mit Zugang des Schreibens vom 05.05.1999 die Unterrichtung des Betriebsrates als abgeschlossen betrachtet, entfielen in den Folgezeitraum zwei Gesprächsrunden, wobei der weitere Gesprächstermin vom 21.05.1999 von dem Beteiligten zu 2 nicht wahrgenommen wurde. Es wurden verschiedene Alternativen zum ursprünglichen Entwurf des Beteiligten zu 1 diskutiert.

92

Auch die in § 122 Abs. 1 S. 1 InsO festgehaltene Frist von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn wurde eingehalten. Nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen reicht es aus, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegen. Für eine sachliche Entscheidung über den Antrag reicht es aus, dass der Betriebsrat umfassend unterrichtet worden ist, vorausgesetzt, dass zwischen der Unterrichtung und dem Schluss der mündlichen Verhandlung noch mindestens drei Wochen liegen und nach der Unterrichtung ernsthafte Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleiches durchgeführt worden sind (Kübler/Prütting aaO § 122 RdNr. 25).

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War mithin die Übermittlung der letzten Unterlagen gem. Schreiben vom 05.05.1999 Schlusspunkt der Unterrichtung des Betriebsrates, so begannen spätestens am 12.05.1999 die Verhandlungen über den Abschluss des Interessenausgleichs. Der Anhörungstermin im Beschlussverfahren fand am 09.07.1999 statt. Die gesetzliche 3-Wochen-Frist ist mithin eingehalten. Im Gesetz findet sich keine spezielle Bestimmung, dass der Antrag im Beschlussverfahren erst nach Ablauf der 3-Wochen-Frist eingehen darf.

94

Bezüglich der Einhaltung der 3-Wochen-Frist ist die Behauptung des Beteiligten zu 2, am 21.05.1999 habe der Zeuge Krüger als Vertreter des Beteiligten zu 1 erklärt, die Verhandlungen seien gescheitert, unerheblich. Denn das Gesetz verlangt nicht, dass die Beteiligten drei Wochen ohne Unterbrechung über den Abschluss eines Interessenausgleichs verhandeln müssen. Entscheidend ist nach dem Gesetz, dass nach Verhandlungsbeginn ernsthaft über den Abschluss eines Interessenausgleichs verhandelt wird und die Beteiligten innerhalb von drei Wochen nicht zu einem Abschluss kommen. Das ernsthafte Verhandeln über einen Interessenausgleich ist zwischen den Beteiligten unstrittig. Ob ein, zwei oder 10 Gesprächsrunden innerhalb der drei Wochen stattgefunden haben, ist rechtlich ohne Belang. Insofern würde die behauptete Erklärung des Zeugen Krüger die 3-Wochen-Frist nicht beeinflussen.

95

Zudem hätte der Betriebsrat spätestens nach Erhalt des Schreibens des Beteiligten zu 1 vom 26.05.1999 noch Einwirkungsmöglichkeiten und Verhandlungsmöglichkeiten gehabt, wenn er denn reagiert hätte. Er hat aber keine Gesprächsbereitschaft mehr signalisiert. Mithin lief die 3-Wochen-Frist spätestens am 02.06.1999 ab.

96

Bezüglich des Antragsinhalts bestehen keine Bedenken.

97

Die Zustimmung nach § 122 Abs. 2 InsO war zu erteilen, da die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer es erfordert, dass die Betriebsstilllegung des Werks S. ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 des BetrVG durchgeführt wird.

98

Die sofortige Durchführung der Betriebsstilllegung ist erforderlich, da die Insolvenzmasse ansonsten erheblich geschmälert würde und dadurch Gläubigerinteressen beeinträchtigt würden. Unstreitig ist der Betrieb S. nicht produktiv genug, seine laufenden Kosten einschließlich Personalkosten aus laufenden Einnahmen zu decken. Bereits daraus ergibt sich die Eilbedürftigkeit. Diese Tatsache ist von dem Beteiligten zu 2 nicht in Frage gestellt worden. Das gleiche gilt hinsichtlich der Tatsache, dass erhebliche Verluste bei einer Aufrechterhaltung des Betriebs S. jeden Monat entstehen würden. Der vorgelegten Ergebnisplanung (Bl. 92 d. A.) ist der Beteiligte zu 2 nicht qualifiziert entgegengetreten. Die Tatsache, dass bei einer Fortführung des Werks S. Fehlbeträge von mehreren 100.000,00 DM pro Monat entstehen würden, ist nicht weiter aufklärungsbedürftig. Sie stehen zur Überzeugung des Gerichts fest. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Fortführung des Unternehmens während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur dadurch möglich geworden ist, weil Banken ein Massedarlehen i.H.v. 12,7 Mill. DM gewährt haben. Bis zur Durchführung des Einigungsstellenverfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG würden mehrere Monate ins Land gehen. Dies hätte zur Folge, dass bis zur Beendigung des Einigungsstellenverfahrens zumindest mehrere 100.000,00 DM, wenn nicht gar mehrere Millionen DM Verlust hinzukommen würden. Insofern führt die Prognoseentscheidung dazu, dass eine sofortige Betriebsstilllegung des Werks S. unter Einbeziehung der Gläubigerinteressen im Insolvenzverfahren erforderlich ist.

99

Der Beteiligte zu 2 hat nicht näher dargelegt, inwiefern soziale Belange die Fortführung des Betriebes S. über den 31.07.1999 hinaus bedingen. Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass allein die Hinausschiebung des Kündigungstermins kein Kriterium im Rahmen der Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer ist. Alternativvorschläge des Beteiligten zu 2, unter dem die sozialen Belange der Arbeitnehmer besser zu berücksichtigen sind, sind von diesem nicht vorgetragen worden.

100

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 12 Abs. 5 ArbGG).

101

Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen (§ 122 Abs. 3 S. 2 InsO), da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

102

Die vorliegende Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da die Entscheidung des Streits nicht von klärungsbedürftigen Rechtsfragen abhängt. Ziff. 2 der zitierten Bestimmung ist nicht einschlägig.

Dr. Wenzeck