Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.01.2006, Az.: 1 Ws 10/06
Anrechnung der vor Beginn des Maßregelvollzugs vollstreckten Untersuchungshaft und sog. Organisationshaft auf die Reststrafe und die Maßregel; Verlängerung der Höchstfrist für die Unterbringung um zwei Drittel der konkret verhängten Strafe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 30.01.2006
- Aktenzeichen
- 1 Ws 10/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 23030
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0130.1WS10.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 09.12.2005 - AZ: 10 StVK 188/05
Rechtsgrundlagen
- § 67 Abs. 4 StGB
- § 67 Abs. 5 S. 1 StGB
- § 57 Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB
Fundstellen
- NStZ-RR 2006, 388-389 (Volltext mit red. LS)
- StV 2007, 428 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
Verfahrensgegenstand
Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Amtlicher Leitsatz
Die vor Beginn des Maßregelvollzugs vollstreckte Untersuchungs- und sog. Organisationshaft ist in der Regel nur auf die Reststrafe, nicht aber auf die Maßregel anzurechnen.
In der Maßregelvollzugssache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft
gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts S.
vom 9. Dezember 2005
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######,
den Richter am Oberlandesgericht ####### und
den Richter am Oberlandesgericht #######
am 30. Januar 2006
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Ablauf der Höchstfrist für die Unterbringung des Verurteilten in der Entziehungsanstalt wird auf den 7. Oktober 2009 festgesetzt.
Der Zeitpunkt, an dem frühestmöglich eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB nach Erledigung der Hälfte in Betracht kommt, wird auf den 7. Dezember 2006 festgesetzt.
Der Zeitpunkt, an dem frühestmöglich eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung gemäß § 67 Abs. 5 i. V. m. § 57 Abs. 1 StGB nach Erledigung von zwei Drittel in Betracht kommt, wird auf den 7. Oktober 2007 festgesetzt.
Gründe
I.
Der Verurteilte ist vom Landgericht V. am 10. März 2004 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von fünf Jahren verurteilt worden. Gleichzeitig ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Der Verurteilte hat in der Zeit vom 30. September 2003 bis zum 9. März 2004 162 Tage in der Untersuchungshaft und in der Zeit vom 10. März 2004 bis zum 7. Juni 2004 90 Tage in der sogenannten Organisationshaft verbracht. Er befindet sich seit dem 8. Juni 2004 zur Vollstreckung der Maßregel im Landeskrankenhaus B..
Die Staatsanwaltschaft hat die Höchstfrist für den Verbleib des Verurteilten in der Maßregel auf den 6. Oktober 2009 errechnet. Den 1/2-Termin hat sie auf den 7. Dezember 2006 und den 2/3-Termin auf den 7. Oktober 2007 festgelegt (Bl. 149, 150 des Vollstreckungsheftes). Gegen diese Berechnung hat sich der Verurteilte mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewandt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. Dezember 2005 hat die Strafvollstreckungskammer das Ende der Höchstfrist für die Unterbringung in der Entziehungsanstalt auf den 27. Januar 2009 festgesetzt und zugleich bestimmt, dass der 1/2-Termin am 29. März 2006 und der 2/3-Termin am 29. Januar 2007 erreicht sei.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass sowohl die Untersuchungs- als auch die Organisationshaft nur auf den Teil der Strafe anzurechnen sei, der nicht durch Anrechnung des Maßregelvollzuges gemäß § 67 Abs. 4 StGB erledigt ist, d. h. die Anrechnung solle nur auf die Reststrafe, nicht aber auf die Maßregel erfolgen. Die vor Beginn des Maßregelvollzuges erlittene Untersuchungs- und sogenannte Organisationshaft sei erst nach Berücksichtigung der Maßregelzeit auf die Strafe anzurechnen. Sie hält den von ihr errechneten Termin nach 1/2-Verbüßung, 2/3-Verbüßung und für das Ende der Höchstfrist für richtig.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und auch begründet.
Die Höchstfrist für die Unterbringung nach § 67 Abs. 1 StGB i. V. m. § 67 Abs. 4 StGB läuft am 7. Oktober 2009 ab.
Bei dieser Berechnung ist der Senat von folgenden Grundsätzen ausgegangen:
Die Höchstfrist für die Unterbringung von zwei Jahren verlängert sich um zwei Drittel der konkret verhängten Strafe (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1993, 453; OLG Hamm StV 1995, 89). Dies entspricht dem eindeutigen Gesetzeswortlaut.
Die verbüßte Untersuchungs- und Organisationshaft wird nur auf die Strafe - nämlich das zu verbüßende Restdrittel - nicht aber auf die Maßregel angerechnet. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (Beschluss des früheren 3. Strafsenats vom 20. August 1996 in StV 1997, 477) und befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG ( in NStZ 1998,77 [BVerfG 18.06.1997 - 2 BvR 2422/96]; vgl. auch OLG Stuttgart Justiz 2002, 63 ).
Übersteigt die verbüßte Untersuchungs- und/oder Organisationshaft allerdings das Restdrittel der Strafe, ist wegen des Übermaßverbotes der überschießende Betrag von der Höchstfrist für die Unterbringung abzuziehen.
Durch diese Berechnungsmethode wird der vom Bundesverfassungsgericht gerade in diesem Zusammenhang ausdrücklich geforderten verfassungsrechtlich gebotenen Beachtung des Übermaßgebotes Rechnung getragen.
Die Anrechnung der Untersuchungs- bzw. Organisationshaft nur auf das Restdrittel verhindert, dass das Maß der Anrechnung von den vom Verurteilten in der Regel nicht verschuldeten Unwägbarkeiten in der Dauer des Straf- und Vollstreckungsverfahrens abhängig gemacht wird. Diese Berechnung führt allerdings in dem - seltenen und hier nicht zutreffenden - Fall zu unbilligen Ergebnissen, in dem ein Verurteilter einen Zeitraum von länger als einem Drittel der verhängten Strafe in Untersuchungs- oder Organisationshaft verbracht hat. Erfolgt in einem solchen Falle die Anrechnung lediglich auf das Restdrittel, würden Hafttage, die nach der Entscheidung des Gesetzgebers gemäß § 67 Abs. 4 StGB grundsätzlich anzurechnen sind, praktisch wegfallen. Das darf nicht sein. Um hier einen gerechten Ausgleich zu schaffen, sind die das Restdrittel übersteigenden Hafttage daher von der errechneten Höchstfrist abzuziehen. Ein solcher Fall ist hier indessen nicht gegeben.
Da zur Zeit ungewiss ist, wie lange sich der Verurteilte noch im Maßregelvollzug befindet, ist eine nur vorläufige Berechnung der Halb- bzw. 2/3-Strafzeit nicht angebracht; nur so kann eine überflüssige spätere Korrektur vermieden werden.
Vielmehr hat eine Festlegung dieser beiden Zeitpunkte bereits jetzt so zu erfolgen, dass die Untersuchungs- bzw. Organisationshaft nicht zu einer Verlängerung des tatsächlichen Freiheitsentzuges führt.
Die genannten Grundsätze führen hier zu folgender Berechnung der Höchstfrist nach § 67 d Abs. 1:
Strafbeginn: 8. Juni 2004
Reguläre Höchstfrist ohne Anrechnung
2 Jahre (24 Monate zuzüglich 40 Monate [2/3 von der Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren])
Ablauf am 7. Oktober 2009
Höchstfrist nach Anrechnung von Untersuchungs- und Organisationshaft (252 Tage) nur auf das Restdrittel von 20 Monaten = 2/3-Zeitpunkt
Ablauf am 7. Oktober 2007
Höchstfrist nach Anrechnung von Untersuchungs- und Organisationshaft (252 Tage) nur auf die Resthälfte von 30 Monaten = 1/2 Termin
Ablauf am 7. Dezember 2006.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei ( Nr. 3602 Anlage 1 GKG ).