Amtsgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.11.2006, Az.: 13 Ds 1107 Js 17751/05 ( 84/06 )

Beginn der Antragsfrist bei der Erkennbarkeit von tatsächlichen Anhaltspunkten für die Vereitelung einer Zwangsvollstreckung; Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens mangels rechtzeitiger Strafantragsstellung; Voraussetzungen für das Vorliegen der Kenntnis im Rahmen der Frist für einen Strafantrag

Bibliographie

Gericht
AG Lüneburg
Datum
29.11.2006
Aktenzeichen
13 Ds 1107 Js 17751/05 ( 84/06 )
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 33735
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGLUENE:2006:1129.13DS1107JS17751.0.0A

Fundstelle

  • JZ Information 2007, 42* (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Vereiteln der Zwangsvollstreckung

Tenor:

  1. I.

    Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt.

  2. II.

    Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

1

I.

In ihrer Anklageschrift vom 26.07.2006 wirft die Staatsanwaltschaft Lüneburg dem Angeschuldigten vor, in Scharnebeck und anderenorts in der Zeit vom 06.07.2004 bis 28.09.2004 durch vier Straftaten bei einer dem Täter drohenden Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens beiseite geschafft zu haben.

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Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt:

3

1.-4.

4

Der Angeschuldigte hatte als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma xxx eine selbstschuldnerische Bürgschaft aus verschiedenen Darlehen zur Absicherung des Kreditengagements gegenüber der Sparkasse xxx übernommen. Unter dem 29.07.2003 erfolgte seitens der Sparkasse xxx die Kündigung der Geschäftsverbindung aufgrund von offenen Forderungen und nicht ausreichender Besicherung ihrer Ansprüche. Die Sparkasse xxx erwirkte Vollstreckungstitel, unter anderem aus dem Urteil des Landgerichts Lüneburg 9 O 351/03 sowie der notariellen Grundschuldbestellungsurkunde des Notars xxx 12.06.1997, und erteilte Vollstreckungsaufträge in das Privatvermögen des Angeschuldigten. Der Angeschuldigte entzog sich den Vollstreckungsmaßnahmen durch Verlegung seines Wohnsitzes sowie dadurch, dass er weiter Geschäfte in Form von Verkäufen von Futtermitteln tätigte, die zu diesem Zweck erhaltenen Schecks jedoch jeweils auf das Konto seines Sohnes xxx Kontonummer xxx bei der Sparkasse xxx einreichte bzw. die Zahlungen seitens der Kunden auf dieses Konto veranlasste und in der Folge hohe Bargeldabhebungen (zweimal 10.000,00 EUR, zweimal 4.000,00 EUR) von diesem Konto tätigte, um die Zwangsvollstreckung in diese Vermögenswerte zu verschleiern und es sich dabei um folgende Einzelfälle handelt:

  1. 1.

    06.07.2004 Zahlung des Kunden xxx in Höhe von 11.134,62 EUR.

  2. 2.

    12.07.2004, Wertstellung 15.07.2004, Zahlung des Kunden xxx in Höhe von 7.614,50 EUR,

  3. 3.

    23.08.2004 Zahlung des Kunden xxx im Wert von 2.137,38 EUR,

  4. 4.

    Zahlung des Kunden xxx über 9.529,50 EUR am 28.09.2004.

5

Vergehen, strafbar nach §§ 288 Abs. 1, Abs. 2, 53 StGB.

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II.

Aus den Ermittlungsakten ergibt sich, dass die Sparkasse xxx unter dem 06.07.2005 "Strafanzeige wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung" erstattet hat (Bl. 3 f. d.A.). Dieses Schreiben ging am 12.07.2005 bei der Polizeiinspektion xxx ein. Einen förmlichen "Strafantrag" stellte sie mit Schreiben vom 17.07.2006 (Bl. 107 d.A.).

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In der "Strafanzeige" vom 06.07.2005 schreibt die Sparkasse xxx unter anderem:

"Ferner konnten wird beobachten, dass über das Konto des minderjährigen Sohnes xxx Umsätze eingingen, die nicht im Geschäftsrahmen eines 14-Jährigen stehen und sich auch aus dem Verwendungszweck keine Rückschlüsse ergeben, weshalb der Sohn diese Beträge erhalten hat. Als Empfänger war stets xxx angegeben. Die Beträge wurden jeweils auch kurz nach Eingang von Herrn xxx verfügt. Nachdem uns dies bekannt wurde, haben wir die Eltern xxx und angeschrieben

(s. unser Schreiben vom 12.01.2005)

und Auskunft über die dort einzeln aufgeführten Eingänge und Abverfügungen verlangt. Bis zum heutigen Tag haben wir keine Antwort erhalten. Beim letzten Versuch über das Guthaben des Kontos zu verfügen, wurde die Auszahlung mit der Begründung verweigert, dass wir erst auszahlen, wenn er uns die im vorgenannten Schreiben gestellten Fragen beantwortet. Er versprach entsprechende Unterlagen vorzulegen. Dies ist bis zum heutigen Tag nicht erfolgt. Das Konto weise seit diesem Tag keine Barverfügungen mehr auf."

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In dem genannten Schreiben der Sparkasse xxx an den Angeschuldigten vom 12.01.2005 (Bl. 9 d.A.) sind neun Transaktionen auf das genau bezeichnete Konto des Sohnes des Angeschuldigten, xxx aufgeführt. Nicht nur die Beträge sind in Euro und Cent exakt angegeben, sondern auch das Datum der Wertstellung und der Verwendungszweck bzw. Überweisende. Auch nennt die Sparkasse xxx in diesem Schreiben die Daten von vier vorgenommenen Barauszahlungen sowie die entsprechenden genau bezifferten Beträge. Sodann heißt es in dem Schreiben vom 12.01.2005 abschließend:

"Die getätigten Umsätze entsprechen nicht dem für ein Kind üblichen Rahmen. Wir fordern Sie daher auf, uns nachzuweisen, dass die eingegangenen Gelder Ihrem Sohn zustanden und die Auszahlungen ihm zugute kamen. Wir erwarten die Einreichung der Nachweise bis zum 25.01.2005. Andernfalls behalten wir uns vor, gegen Sie Strafanzeige u.a. wegen Vereiteln der Zwangsvollstreckung zu stellen."

9

Der Angeschuldigte antwortete auf dieses Schreiben der Sparkasse vom 12.01.2005 nicht, die auch keine weitergehenden Erkenntnisse in dieser Sache gewinnen konnte. Dennoch wandte sie sich erst mehr als fünf Monate später mit der "Strafanzeige" vom 06.07.2005 an die Polizei.

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III.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens war aus rechtlichen Gründen abzulehnen, da ein Verfahrenshindernis besteht. Es mangelt nämlich an einer rechtzeitigen Strafantragsstellung im Sinne der §§ 288 Abs. 2, 77 b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StGB.

11

Der Straftatbestand der Vereitelung der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 288 Abs. 1 StGB ist gemäß § 288 Abs. 2 StGB ein absolutes Antragsdelikt, so dass bei einem fehlenden oder verspäteten Strafantrag ein unüberwindliches Verfahrenshindernis besteht.

12

Die Frist für diesen Strafantrag beträgt nach Maßgabe von § 77 b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StGB drei Monate ab Kenntnis der Tat und der Person des Täters.

13

Diese Frist begann hier für die Sparkasse xxx bereits im Januar 2005, so dass die "Strafanzeige" vom 06.07.2005 und erst recht der förmliche "Strafantrag" vom 17.07.2006 verspätet waren.

14

Dies ergibt sich daraus, dass die Sparkasse xxx bereits bei Anfertigung des Schreibens vom 12.01.2005 (Bl. 9 d.A.) bzw. spätestens mit Ablauf der dort ausdrücklich genannten Frist bis zum 25.01.2005 Kenntnis von der Straftat und der Person des Täters, nämlich des Angeschuldigten, im Sinne von § 77 b Abs. 2 S. 1 StGB hatte.

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"Kenntnis" in diesem Sinne verlangt mehr als Mutmaßung und weniger als Gewissheit. Der Antragsberechtigte, hier also die Sparkasse xxx muss von der Tat und dem Täter so zuverlässige Kenntnis haben, dass er in der Lage ist, vom Standpunkt eines besonnenen Menschen aus zu beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll oder nicht. Seine Kenntnis muss in der Folge so beschaffen sein, dass er sich bei Abwägung aller Umstände zur Antragstellung entschließen kann (vgl. BGH NJW 1999, 508; Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, 27. Auflage 2006, § 77 b StGB Rdn. 10; LK-Jähnke, 11. Auflage 1994, § 77 b StGB Rdn. 7; SK-Rudolphi/Wolter, 7. Auflage 2004, § 77 b StGB Rdn. 7.). Der bloße Verdacht oder reine Vermutungen genügen hingegen nicht ( vgl. SK-Rudolphi/Wolter a.a.O.; LK-Jähnke, a.a.O.; Trödle/Fischer, 52. Auflage 2004, § 77 b StGB Rdn. 4.).

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Eine so verstandene Kenntnis der Tat, die mehr als eine bloße Vermutung und Mutmaßung ist, liegt hier vor. Dies folgt daraus, dass die Sparkasse xxx wie oben dargestellt, in ihrem Schreiben vom 12.01.2005 bereits sämtliche in der Anklageschrift genannten Gutschriften bzw. Überweisungen nach Euro und Cent genau angegeben hat, gleichfalls den Tag der Wertstellung und den Verwendungszweck bzw. Überweisenden. Gleiches gilt für die von dem Konto erfolgten Abhebungen. Sie hat ferner ausdrücklich mitgeteilt, dass sie diese Umsätze nicht als für ein Kind im Alter des Sohnes des Angeschuldigten üblich ansehe und den Angeschuldigten innerhalb einer kurzen Frist bis zum 25.01.2005 aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen. Sie hat sich bei alledem ausdrücklich eine "Strafanzeige" wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung vorbehalten. All dies zeigt, dass die Sparkasse xxx als bloße Vermutungen hegte, sondern ein konkretes Wissen um die Umstände der Tat, also die exakten Transaktionen und die zweifelhafte Berechtigung des Sohnes des Angeschuldigten, hatte. Sie wusste nämlich exakt, welche Gutschriften den Vereitelungstatbestand erfüllen dürften, wann und durch welche Überweisungen oder Scheckeinreichungen diese Gutschriften zustande gekommen waren, wann und in welcher Höhe Abhebungen erfolgt sind und wies auch unmittelbar darauf hin, dass derartige Transaktionen auf dem Konto des 14-jährigen Sohnes nicht üblich seien. Vom Standpunkt eines besonnen Menschen bzw. einer besonnen Bank aus war es ihr daher spätestens nach Ablauf der gesetzten Frist ohne weiteres zumutbar, über die Strafantragstellung zu entscheiden, da sie alle relevanten Tatsachen kannte, der Angeschuldigte nicht reagiert hat, was die Richtigkeit ihrer Vorhaltungen weiter untermauerte, und relevante zusätzliche Erkenntnisse ohnehin nicht mehr hinzugetreten sind.

17

Dass dieses Wissen ausreichen muss, um von einer "Kenntnis" im Sinne des § 77 b Abs. 2 S. 1 StGB auszugehen, zeigt sich auch darin, dass nach zutreffender Ansicht, der sich das Gericht anschließt, dann mehr als bloße Mutmaßungen und Vermutungen vorliegen, wenn ein Wissen von Tatsachen gegeben ist, die einen Schluss auf die wesentlichen Tatumstände und den Täter zulassen (RG 58, 204). Dies jedoch ist hier der Fall, da die Sparkasse im Januar 2005 um die Transaktionen und ihre Quellen sowie die Abhebungen wusste und daher selbst ohne weiteres den Schluss auf die fehlende Berechtigung, also die fehlende Gläubigerstellung des Sohnes des Angeschuldigten, ziehen konnte, wie sie es in ihrem Schreiben vom 12.01.2005 auch getan hat. Da sie selbst gegen den Angeschuldigten vollstreckte, waren für sie nach alledem die wesentlichen Tatumstände und der Angeschuldigte als Täter erkennbar. Dies reicht aus.

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Ein letzter Aspekt spricht hier eindeutig für eine "Kenntnis" der Sparkasse im Januar 2005. Nach zutreffender Ansicht, der das Gericht ebenfalls folgt, ist nämlich von einer solchen Kenntnis auf jeden Fall dann auszugehen, wenn ein Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigender Anfangsverdacht vorliegt (vgl. Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, a.a.O. sowie Mitsch MK 12). Ein solches Wissen, das einen Anfangsverdacht und entsprechende Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigt, lag hier bereits im Januar 2005 vor. Schließlich war allein aufgrund der bei der Sparkasse xxx bereits zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Kenntnisse ohne weiteres möglich, einen Anfangsverdacht hinsichtlich der Vereitelung der Zwangsvollstreckung durch den Angeschuldigten, also die durch tatsächliche Anhaltspunkte gegebene Möglichkeit der Strafbarkeit, zu bejahen. Auch hätte bereits im Januar 2005 der Sachverhalt, insbesondere die Herkunft und der Gläubiger der getilgten Forderungen, durch zeugenschaftliche Vernehmung der Sparkassenmitarbeiter und der in dem Schreiben genannten Einzahler bzw. Überweisenden sowie durch Beschlagnahme und Auswertung der den Gutschriften zu Grunde liegenden Geschäftsunterlagen näher aufgeklärt werden können. Für eine solche Betrachtungsweise spricht zuletzt, dass auf Seiten der Sparkasse xxx dem Schreiben vom 12.01.2005 keinerlei weitere Erkenntnisse hinzugekommen sind. Sie hat es schlicht und ergreifend versäumt, ihrer Androhung nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist bis zum 25.01.2005 auch eine "Strafanzeige" folgen zu lassen. Diese Nachlässigkeit darf nicht zu Lasten des Angeschuldigten gehen.

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Nach alledem begann die dreimonatige Antragsfrist im Sinne von § 77 b Abs. 1 S. 1 StGB bereits im Januar 2005, so dass sie im Laufe des April 2005 verstrichen ist. Die "Strafanzeige" vom 06.07.2005 und erst recht der "Strafantrag" vom 17.07.2006 waren daher verspätet, so dass auch die Frage, ob die "Strafanzeige" vom 06.07.2005 in einem förmlichen Strafantrag umzudeuten ist, nicht mehr beantwortet werden muss.

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IV.

Eine hinreichender Tatverdacht wegen Bankrotts i.S.d. § 283 StGB liegt nicht vor, worauf die Staatsanwaltschaft bereits in dem zutreffenden Vermerk von Bl. 97 d.A. hingewiesen hat, so dass auch eine Eröffnung des Hauptverfahrens unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt.

21

V.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.