Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 02.11.2004, Az.: 21 Ss 58/04

Überprüfungsmöglichkeit der Strafzumessung durch das Revisionsgericht; Aufhebung des Urteils aufgrund fehlender Darlegungen zu den Feststellungen der Kammer im Rahmen des Strafausspruches; Absehen von der Aufhebung des Urteils wegen Angemessenheit der Strafe; Notwendigkeit der engen Auslegung des § 354 Abs. 1a Strafprozessordnung (StPO); Bemessung der Strafhöhe als alleinige Aufgabe des Tatrichters aufgrund des in der Verhandlung gewonnen umfassenden Eindrucks von Tat und Täterpersönlichkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.11.2004
Aktenzeichen
21 Ss 58/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 20696
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2004:1102.21SS58.04.0A

Fundstellen

  • JZ 2004, 665 (amtl. Leitsatz)
  • NStZ 2005, 163-164 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 2005, 10-11 (Volltext mit amtl. LS)
  • StraFo 2005, 76-77 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Unerlaubtes Handeln mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

Prozessführer

E. S., geboren 1977 in I., wohnhaft W. Straße in H.,

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    § 354 Abs. 1a StPO ist grundsätzlich eng auszulegen. Ob eine Strafe "angemessen" ist oder nicht, kann vom Revisionsgericht nur in eindeutigen Fällen beantwortet werden, nämlich dann, wenn zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter zu einer anderen Bewertung hätte kommen können, diese Möglichkeit aber eher fernliegend ist.

  2. 2.

    Eine "Gesetzesverletzung bei Zumessung der Rechtsfolgen" ist gegeben, wenn Rechtsfehler bei der Bewertung oder der Feststellung der Strafzumessungstatsachen vorliegen.

In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim vom 26. April 2004
in der Sitzung vom 2. November 2004,
an der teilgenommen haben:
Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,
Richterin am Oberlandesgericht,
Richter am Oberlandesgericht als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Holzminden hat den Angeklagten am 8. Dezember 2003 wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in achtzehn Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Höxter vom 4. Dezember 2003 (4 Ls 441 Js 621/02) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die jeweils auf das Strafmaß beschränkten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim mit der angefochtenen Entscheidung verworfen.

2

Nach den Feststellungen der Kammer zur Person hat der Angeklagte den Realschulabschluss erreicht und eine Tischlerlehre absolviert. Da er in diesem Bereich keine Arbeit fand, ist er derzeit als Packer in einer Firma, die Werbeartikel vertreibt, mit einem Gehalt von 400,00 EUR im Monat beschäftigt. Er beabsichtigt, in H. Grafikdesign oder Produktdesign zu studieren. Er ist am 17. April 2004 Vater einer Tochter geworden.

3

Strafrechtlich ist der Angeklagte bereits mehrfach in Erscheinung getreten. Nachdem er am 8. Oktober 1998 wegen exhibitionistischer Handlungen und am 16. Februar 2000 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu Geldstrafen verurteilt worden war, verhängte das Amtsgericht Höxter mit dem hier einbezogenen Urteil am 4. Dezember 2003 wegen unerlaubten Handels in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Haschisch in nicht geringer Menge in sechs Fällen, davon in drei Fällen im minder schweren Fall, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten, deren Vollstreckung bis zum 3. Dezember 2006 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte von Januar bis Oktober 2001 in sechs Fällen zwischen 100-200 Gramm und 1.000 Gramm Haschisch erworben hatte, das teilweise zum Eigenkonsum, überwiegend aber zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorgesehen war. Als Einzelstrafen hat das Gericht für die drei minder schweren Fälle je sechs Monate, für die drei weiteren Fälle jeweils ein Jahr Freiheitsstrafe verhängt.

4

Zur Sache hat die Kammer die infolge der Beschränkung der Berufungen auf den Strafausspruch rechtskräftigen Feststellungen des Amtsgerichts zu Grunde gelegt. Danach erwarb der Angeklagte seit Anfang 2002 bis Ende April 2003 in 16 Fällen von einem gesondert verfolgten "Udo aus L." jeweils 400 Gramm Haschisch zum Grammpreis von 4,00 EUR, von dem er einen Teil zum Eigenkonsum verwendete und den Rest an eine Vielzahl gesondert verfolgter Abnehmer gewinnbringend veräußerte. Der Gewinn diente u.a. auch der Mitfinanzierung seines Lebensunterhalts. In zwei Fällen von Anfang 2000 bis Anfang Mai 2003 erwarb der Angeklagte von einem "Maik aus S." jeweils 100 Gramm Amphetamin "Speed" zum Preis von 800 EUR, das er ebenfalls an diverse Abnehmer gewinnbringend weiterveräußerte, wobei der Gewinn auch hier der Mitfinanzierung seines Lebensunterhalts diente. Als Wirkstoffanteil wurde bei den sichergestellten 152,01 Gramm Haschisch ein THC-Anteil von etwa 11,8 Gramm und bei den 61,64 Gramm eines Amphetaminsulfats und Coffein enthaltendes Substanzgemenges etwa 5 Gramm Aphetaminbaseanteil festgestellt.

5

Im Rahmen der Strafzumessung ist die Kammer vom Strafrahmen der §§ 29 Abs. 3, 29a BtMG - jeweils Freiheitsstrafe von einem bis fünfzehn Jahren - ausgegangen. Anhaltspunkte für einen minder schweren Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG seien nicht gegeben.

6

Zu seinen Gunsten hat die Kammer gewertet, dass er umfänglich geständig war und sich - unwiderlegbar - aus der Szene zurückgezogen hat und dann weiter ausgeführt:

"Zudem konnte Berücksichtigung finden, dass der Angeklagte freimütig seine Abnehmer namentlich benannte. Gleichwohl hat die Kammer insofern nicht von der Milderungsmöglichkeit des § 31 BtMG mit der Folge der Strafrahmenverschiebung über § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht. Ein Großteil der von ihm benannten Abnehmer war der Polizei nämlich bereits durch Observationsmaßnahmen bekannt geworden und durch das Auffinden von bei dem Angeklagten erworbenen Drogen überführt."

7

Zu seinen Lasten hat das Gericht gewertet, dass bezüglich des Haschischs die Grenze zur nicht geringen Menge um ein Mehrfaches überschritten war, er bereits einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten war und zumindest einen Teil der Taten beging, obwohl er wusste, dass gegen ihn ein Verfahren wegen vergleichbarer Taten lief.

8

Die Kammer hat für jede Tat die Mindeststrafe von einem Jahr verhängt und - nach nochmaliger Abwägung aller Umstände - unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil vom Amtsgericht Höxter vom 4. Dezember 2003 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt.

9

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

10

Er erhebt die Aufklärungsrüge im Zusammenhang mit der Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG und führt dazu aus, nach weiteren Beweiserhebungen wäre festzustellen gewesen, dass der Angeklagte über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus wesentlich zur Aufklärung Taten anderer mitgewirkt habe.

11

II.

Die Revision ist zulässig, im Ergebnis aber unbegründet.

12

1.

a.

Die Feststellungen der Kammer zum Schuldspruch lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere ist die Kammer zutreffend von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch.

13

b.

Im Rahmen der Strafausspruches fehlen jedoch hinreichende Darlegungen dazu, worauf die Kammer ihre Feststellung stützt, ein Großteil der von Angeklagten benannten Abnehmer sei der Polizei bereits durch Observationsmaßnahmen bekannt gewesen und durch das Auffinden von bei dem Angeklagten erworbenen Drogen überführt worden. Dieser Umstand ergibt sich weder aus den nach der wirksamen Berufungsbeschränkung rechtskräftigen Feststellungen des Amtsgerichts noch aus den sich auf die geständigen Angaben des Angeklagten stützenden ergänzenden eigenen Feststellungen der Kammer. Auf welche Beweiserhebungen sich die Kammer insoweit stützt, bleibt unklar. Insoweit greift bereits die Sachrüge durch.

14

Auf die in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge kommt es daher nicht an.

15

2.

Der Senat sieht jedoch trotz dieses Rechtsfehlers von der Aufhebung des Urteils ab, weil die verhängte Strafe angemessen ist, § 354 Abs. 1a StPO.

16

a.

Nach dieser durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz (BGBl. Nr. 45 S. 2198) am 1. September 2004 in Kraft getretenen Vorschrift kann das Revisionsgericht wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist.

17

Aus den Motiven des Gesetzgebers ergibt sich, dass mit dieser neuen Vorschrift die Möglichkeit des Revisionsgerichts, von der Aufhebung des Urteils abzusehen, wenn es zur Überzeugung gelangt, das Urteil beruhe nicht darauf (§ 337 Abs. 1 StPO), behutsam erweitert werden soll. Danach soll das Revisionsgericht bereits dann von der Aufhebung absehen können, wenn die verhängte Rechtsfolge nach seiner Meinung angemessen ist; auf die hypothetische Frage, wie der Tatrichter bei zutreffender rechtlicher oder tatsächlicher Bewertung entschieden hätte, soll es nicht mehr ankommen (BT-Drs. 15/3482 S. 21f).

18

Nach Auffassung des Senats ist § 354 Abs. 1a StPO grundsätzlich eng auszulegen. Dies ergibt sich bereits aus der Stellung des Revisionsgerichtes: Die Bemessung der Strafhöhe ist grundsätzlich allein Sache des Tatrichters, weil nur er in der Lage ist, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Verhandlung von Tat und Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen (BGHSt 34, 345). Ob eine Strafe "angemessen" ist oder nicht, kann daher vom Revisionsgericht nur in eindeutigen Fällen beantwortet werden, nämlich dann, wenn zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter zu einer anderen Bewertung hätte kommen können, diese Möglichkeit aber eher fernliegend ist.

19

Der Senat vertritt weiter die Auffassung, dass eine "Gesetzesverletzung bei Zumessung der Rechtsfolgen" auch dann vorliegt, wenn - wie hier - Rechtsfehler im Bereich der Feststellung und nicht nur der Bewertung der Strafzumessungstatsachen vorliegen. Die Rechtsprechung hat für die Beruhensfrage auch bislang nicht differenziert, ob der Rechtsfehler bei der Strafzumessung allein in der Abwägung oder auch bei der Feststellung der Strafzumessungstatsachen lag. Voraussetzung war nur, dass das Urteil nicht auf dem Fehler beruhte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. § 337 Rdn. 37ff m.w.N). Dies muss entsprechend auch für § 354 Abs. 1a StPO gelten. Eine derartige Auslegung ist auch vom Wortlaut des § 354 Abs. 1a StPO gedeckt, der allein auf eine - wie auch immer geartete - "Gesetzesverletzung bei der Zumessung der Rechtsfolgen" abstellt. Sie steht auch im Einklang mit den Motiven des Gesetzgebers, der nicht nach Rechtsfehlern im rechtlichen oder tatsächlichen Bereich differenziert (s.o.).

20

Nach alldem kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des Urteils auch dann absehen, wenn zwar nicht geklärt ist, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen fakultativen Strafmilderungsgrund vorliegen, in jedem Falle aber bei lebensnaher Betrachtung im Ergebnis eine niedrigere Strafe nicht mehr angemessen wäre.

21

b.

So liegt der Fall hier:

22

Die Verhängung einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe als die ausgesprochene von zwei Jahren und sechs Monaten liegt bei einer Gesamtabwägung aller Umstände fern.

23

Dies gilt auch dann, wenn weitere Beweiserhebungen der Kammer zu der Feststellung geführt hätten, der Angeklagte habe durch freiwillige Offenbarung seines Wissens wesentlich dazu beigetragen, dass die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden konnte, mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 BtMG vorgelegen hätten.

24

Ein Absehen von Strafe nach § 31 2. Alt. BtMG scheidet von vornherein aus. Dieses ist von Gesetzes wegen nur bei den leichteren Straftaten nach § 29 Abs. 1, 2, 4 oder 6 BtMG möglich, nicht aber beim gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 Abs. 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG.

25

Unter den Voraussetzungen des § 31 BtMG wäre allerdings die Reduzierung des von der Kammer zugrundegelegten Strafrahmens von mindestens einem Jahr auf drei Monate, nicht aber darunter in Betracht gekommen: Drei Monate Freiheitsstrafe sind sowohl die Mindeststrafe für einen minder schweren Fall des Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der auf entsprechende Angaben des Angeklagten nach § 31 BtMG hätte gestützt werden können (dazu Körner, BtMG, 4. Aufl., § 29a Rdn. 121), als auch die Mindeststrafe nach der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit nach § 31 1. Alt BtMG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Eine weitere Reduzierung des Strafrahmens durch eine doppelte Minderung aufgrund desselben Umstandes kommt nicht in Betracht, § 50 StGB.

26

Selbst bei einer derartigen Reduzierung des Strafrahmens wäre aber für jede der achtzehn Taten eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten zu verhängen. Zusätzlich zu diesen achtzehn Einzelstrafen sind auch noch die Strafen von dreimal einem Jahr und dreimal sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Höxter vom 4. Dezember 2003 in die Gesamtstrafe einzubeziehen, § 54 StGB.

27

Auch bei einem großzügig bemessenen Abschlag für die Gesamtstrafe wegen des sachlichen Zusammenhangs der Taten und der durch die wiederholte Begehung für den Angeklagten niedrigeren Hemmschwelle erscheint eine geringere Strafe als die verhängte Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten dem Senat nicht mehr angemessen. Dies würde im übrigen selbst dann gelten, wenn wegen der zwei Fälle des unerlaubten Handels mit Amphetaminen eine nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht angenommen werden (dazu Körner, aaO, § 29a Rdn. 60) und es - bei Anwendung des § 31 BtMG - lediglich zur Anwendung des Mindeststrafrahmens aus § 29 Abs. 1 BtMG bzw. § 29 Abs. 3 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB kommen könnte. Schließlich hat der einschlägig vorbelastete Angeklagte als professioneller Dealer über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine Vielzahl von Abnehmern im ländlichen Raum mit - wenn auch nur weichen - illegalen Drogen in erheblichen Mengen versorgt und dies teilweise auch noch, als er wusste, dass gegen ihn ein Verfahren wegen vergleichbarer Taten geführt wurde.

28

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.