Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.07.1978, Az.: IV OVG A 64/78
Erteilung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung im Schwerbehindertenrecht; Ergehen eines stillschweigenden Verwaltungsakts; Zustellung eines Verwaltungsakts im Schwerbehindertenrecht; Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung im Schwerbehindertenrecht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 31.07.1978
- Aktenzeichen
- IV OVG A 64/78
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1978, 15365
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1978:0731.IV.OVG.A64.78.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 30.01.1978 - AZ: II A 313/76
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 2 SchwbG
- § 18 Abs. 3 S. 2 SchwbG
Verfahrensgegenstand
Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung
In der Verwaltungsrechtssache
hat der IV. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
am 31. Juli 1978
beschlossen:
Tenor:
Des Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - II. Kammer Hildesheim - vom 30. Januar 1978 ist wirkungslos.
Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Kläger.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Beigeladene beantragte am ... bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten die Erteilung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des bei ihr beschäftigt gewesenen Klägers, weil dieser sich am 3. Mai 1976 geweigert hatte am nächsten Tage zu einer ihm zugewiesenen Arbeitsstelle in ... zu fahren. Die Hauptfürsorgestelle beschloß am 17. Mai 1976, der Kündigung zuzustimmen, und unterrichtete darüber fernmündlich am selben Tage die Beigeladene. Der schriftliche Zustimmungsbescheid wurde am 18. Mai 1976 verfaßt und am 19. Mai sowohl der Beigeladenen als auch dem Kläger zugestellt.
Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben und die Aufhebung der Bescheide der Schwerbeschädigtenbehörden beantragt. Diesem Antrag hat das Verwaltungsgericht durch ... Urteil vom 30. Januar 1978 entsprochen, weil es der Ansicht ist, daß der Bescheid der Hauptfürsorgestelle vom 18. Mai 1976 zu spät ergangen und zugestellt worden sei und daß dieser und der Widerspruchsbescheid aufgehoben werden müßten, weil die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur beabsichtigten Kündigung des Klägers durch die Beigeladene bereits gem. § 18 Abs. 3 Satz 2 des Schwerbehindertengesetzes wirksam geworden sei; eine auf diese Weise zustandegekommene Zustimmung stelle aber keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Die später ergangenen Bescheide seien unter diesen Umständen rechtswidrig und müßten deshalb aufgehoben werden.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens haben der Kläger und die Beigeladene vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich geschlossen, wonach die Beigeladene die fristlose Kündigung in eine fristgemäße Kündigung umgewandelt hat. Der Kläger und der Beklagte haben daraufhin die Hauptsache für erledigt erklärt.
Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird ergänzend auf die Prozeßakten und auf die Verwaltungsakten verwiesen, die dem Gericht vorliegen.
II.
Nach der von den Parteien erklärten Erledigung der Hauptsache ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen. Das angefochtene Urteil ist entsprechend § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 ZPO wirkungslos.
Über die Kosten des Verfahrens ist gem. § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Diese Entscheidung muß zu Lasten des Klägers ausfallen.
Bei Durchführung des Berufungsverfahrens hätte das angefochtene Urteil nicht von Bestand bleiben können. Den Gründen des Verwaltungsgerichts für die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen kann nicht zugestimmt werden.
Nach § 18 des Schwerbehindertengesetzes bedarf auch die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Mit Rücksicht auf die Eilbedürftigkeit des arbeitsrechtlichen Vorganges gelten jedoch besondere Fristen, durch deren Einhaltung eine schnelle Klärung der Rechtslage gewährleistet werden soll. Nach § 18 Abs. 3 des Gesetzes hat die Hauptfürsorgestelle die Entscheidung innerhalb von zehn Tagen vom Tage des Eingangs des Antrages an zu treffen. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt in der auf diese Weise zustande gekommenen Zustimmung ein Verwaltungsakt. Durch eine Maßnahme der Behörde ist auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts eine Regelung für einen Einzelfall mit Rechtswirkungen nach außen getroffen worden. Diese allgemeine Definition des Verwaltungsaktes in § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes trifft auf den in § 18 Abs. 3 Satz 2 des Schwerbehindertengesetzes geregelten Vorgang zu, wobei die Maßnahme der Behörde in ihrem Schweigen liegt.
Es ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, daß Verwaltungsakte auch stillschweigend ergehen können (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Band I, 10. Aufl. S. 217 ff.). Allgemein ist bei der Beurteilung eines Vorganges dahin, daß durch Schweigen der Verwaltung ein Verwaltungsakt ergangen ist, zwar Vorsicht geboten; im Falle einer gesetzlichen Friktion, wie sie hier vorliegt, besteht insoweit aber eindeutige Klarheit. Der gesetzlichen Deutung des Verhaltens der Verwaltungsbehörde liegt die Unterstellung zugrunde, daß sie nach Maßgabe des Schwerbehindertenrechtes die Notwendigkeit der Zustimmung angenommen hat. Wird die Hauptfürsorgestelle aber mit einem solchen Entscheidungsvorgang identifiziert, so muß sie verfahrensrechtlich auch so behandelt werden, als ob sie die Entscheidung tatsächlich erlassen hätte. Bestätigt wird diese Rechtsauffassung durch § 18 Abs. 5 des Gesetzes, wonach Rechtsmittel gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung keine aufschiebende Wirkung haben. Hier wird nicht zwischen einer ausdrücklichen Zustimmung und einer Zustimmung durch Schweigen unterschieden; das bedeutet, daß beide Arten der Zustimmung gemeint sind. Für beide Fälle geht der Gesetzgeber damit ... von der Zulässigkeit von Rechtsmitteln aus. Aus diesen Gründen folgt der Senat nicht der von Wilrodt/Neumann, Kommentar zum Schwerbehindertengesetz, 4. Auflage, vertretenen Auffassung, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung durch Schweigen sei kein Verwaltungsakt, auf die das Verwaltungsgericht sich beruft (RdNr. 30 zu § 18). Die hier vertretene Auffassung teilt dagegen Rewolle in seinem Kommentar zum Schwerbehindertengesetz unter Nr. V zu § 18 unter gleichzeitiger Berufung auf Gröninger, Kommentar zum Schwerbehindertengesetz, Anm. 4 b zu § 18. Ebenso gehen Schlichter/Stich/Tittel bei von Brauitsch, Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder, Bd. V - BBauG - in ihrer Kommentierung zu § 19 unter RdNr. 20 davon aus, daß die gesetzliche Fiktion einer Genehmigungserteilung durch Schweigen in § 19 Abs. 4 des Bundesbaugesetzes dem betroffenen Nachbarn die Möglichkeit eröffnet, die auf diese Weise zustandegekommene Genehmigung anzufechten.
Der danach vorliegende Verwaltungsakt krankt auch nicht daran, daß er nicht allen Beteiligten zugestellt worden ist. Durch die Sonderregelung in § 18 Abs. 3 Satz 2 Schwerbehindertengesetz werden die Zustellungsregeln in § 15 Abs. 2 des Gesetzes für diesen Fall aufgehoben. Das ist dem Wortlaut der Bestimmung eindeutig zu entnehmen, weil die Regelung, daß die Zustimmung als erteilt gilt, von keinem weiteren Umstand als von dem Fristablauf nach Antragstellung und dem Schweigen der Behörde abhängt (vgl. hierzu Rewolle a.a.O. unter V zu § 18).
Hatte die Hauptfürsorgestelle danach einen Verwaltungsakt erlassen, so blieb es ihr unbenommen, ihre Entscheidung, die sie mündlich noch innerhalb der 10-Tage-Frist der Beigeladenen übermittelt hatte, später schriftlich zu begründen. Dabei kommt es auf die Form dieser Begründung, die hier die Form des eigentlichen Verwaltungsaktes war, nicht an. Insoweit würden auch dann keine verfahrensrechtliche Schwierigkeiten eintreten, wenn die Hauptfürsorgestelle nach Eintritt der Rechtswirkung des § 18 Abs. 3 Satz 2 Schwerbehindertengesetz die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ablehnen würde. In einem solchen - wohl ungewöhnlichen Fall - bliebe es auch dann bei der Fiktion der Zustimmung als möglichem Gegenstand eines Rechtsmittel Verfahrens.
Bei dieser Rechtsaage besteht kein Anlaß, die Bescheide der Hauptfürsorgestelle vom 17. Mai 1976 und des Widerspruchsausschusses vom 26. November 1976 allein wegen der vorangegsngenen gesetzlichen Fiktion aufzuheben. Dabei wäre das Hinwirken auf die Stellung eines formell richtigen Antrages im Verwaltungsstreitverfahren (Antrag auf Aufhebung der durch Fristenablauf am 17. Mai 1976 erteilten Zustimmung zur Kündigung) gemäß § 86 Abs. 3 VwGO eine Angelegenheit des Gerichts gewesen, womit eine Auswirkung auf die zuvor dargestellte Rechtslage jedoch nicht verbunden gewesen wäre.
Die danach gebotene sachliche Überprüfung der Zustimmung zur Kündigung, die im Falle der Durchführung des Berufungsverfahrens anzustellen gewesen wäre, hätte zu Lasten des Klägers ausgehen müssen. Nach § 18 Abs. 4 des Schwerbehindertengesetzes soll die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Ein solcher Zusammenhang ist hier nicht deutlich geworden. Der Kläger hat sich am 3. und 4. Mai 1976 geweigert, eine ihm übertragene Arbeit zu leisten. Der Widerspruchsausschuß meint in seinem Bescheid vom 26. Oktober 1976 hierzu, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. sei diese Arbeitsverweigerung nicht gerechtfertigt gewesen, zumal der den Kläger behandelnde Arzt nur erklärt habe, er solle möglichst von auswärtigen Arbeiten befreit werden.
Dieser Beurteilung wäre im Berufungsverfahren zuzustimmen gewesen, zumal der Kläger auch vorher schon ohne fremde Hilfe an Arbeitsplätzen eingesetzt worden sein soll.
Die rechtliche Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der Beigeladenen hatte danach bei notwendiger Zustimmung durch die Hauptfürsorgestelle vor das Arbeitsgericht gehört, wo sie mit dem Ergebnis einer vergleichsweisen Regelung auch stattgefunden hat.
Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 VwGO. Dieser Beschluß ist gemäß § 152 VwGO unanfechtbar.
Fischer
Dr. Gehrmann