Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 16.06.2021, Az.: 3 A 88/19

Häusliche Gewalt; Interner Schutz; Kolumbien; Schutzbereitschaft, staatliche

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
16.06.2021
Aktenzeichen
3 A 88/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70695
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerin ist kolumbianische Staatsangehörige und lebte vor ihrer Ausreise zuletzt in dem Ort Madrid, Provinz Cundinamarca. Am 29. Dezember 2017 reiste sie aus ihrer Heimat aus und auf dem Luftweg kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Einreise erfolgte mit einem am 08. November beantragten und am 10. November 2017 erteilten langfristigen Visum mit den Kennzeichen „G“. Das Visum wurde zum Zwecke der Ausübung einer Au-Pair-Tätigkeit, gültig vom 01.01. bis 31.03.2018 ausgestellt. Später wurde dieses Visum bis zum 29.12.2018 verlängert. Nachdem eine Fortsetzung der Au-Pair-Tätigkeit in Österreich nicht zustande gekommen war, beantragte die Klägerin am 18. Januar 2019 Asylgewährung. Zu ihren Gründen wurde sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 31. Januar 2019 angehört. Sie gab dabei im Wesentlichen an, zunächst von ihrem Vater und später auch von ihrem Freund misshandelt worden zu sein. Nachdem sie ihr Studium aus gesundheitlichen Gründen und mangels weiterer finanzieller Möglichkeiten habe abbrechen müssen, sei sie im Februar 2017 mit ihrem damaligen Freund zusammengezogen. Dieser habe sie finanziell unterstützt. Ihre Beziehung sei immer schlechter geworden. Er habe sie immer mehr kontrolliert, dann geschlagen und schließlich Mitte Mai 2017 vergewaltigt. Er habe sie auch gezwungen abzutreiben, gleichzeitig habe er sie heiraten wollen. Im November 2017 sei sie zu ihren Eltern zurückgezogen. Für diese sei ihr damaliger Freund der perfekte Schwiegersohn gewesen. Sie habe es jedoch mit ihm nicht mehr ausgehalten. Schließlich sei sie mit organisatorischer und finanzieller Hilfe ihrer Tante aus Kolumbien ausgereist, um in Deutschland als Au-Pair zu arbeiten.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2019 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die von der Klägerin geschilderte Verfolgung knüpfe nicht an ein asylerhebliches Merkmal an. Eine Zwangsheirat habe nicht unmittelbar bevorgestanden, sondern sie von der Klägerin allein befürchtet worden. Im Übrigen stünde ihr in jeder kolumbianischen (Groß-)Stadt interner Schutz vor Verfolgung zur Seite.

Gegen diesen, am 25. Februar 2019 zugestellten, Bescheid hat die Klägerin am 11. März 2019 (Montag) Klage erhoben. Zu deren Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Sie habe massive häusliche Gewalt durch ihren Vater und ihren Freund erfahren. Sie sei damit Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung geworden. Eine interne Schutzmöglichkeit stehe ihr nicht zur Verfügung, weil der Vater ihres damaligen Freundes beim Militär arbeite und über gute Beziehungen verfüge. Zudem sei z. B. Bogota nicht ansatzweise sicher. Dort sei es seit Sommer 2020 zu massiven Gewaltausbrüchen gekommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. Februar 2019 zu verpflichten,

der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass bei der Klägerin Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist in mündlicher Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2019 ist rechtmäßig und die Klägerin hat die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch des subsidiären Schutzstatus.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie – (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.

Es obliegt bei alledem dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 – 9 C 32/87; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90, jeweils zitiert nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 – 9 B 405/89, juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90, juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 – 9 C 109.84, zitiert nach juris).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Gemessen an diesen Vorgaben, steht der Klägerin ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht zur Seite.
Zur Begründung nimmt der Einzelrichter zunächst gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in deren angefochtenem Bescheid vom 14. Februar 2019 und stellt fest, dass er diesen Ausführungen folgt. Ergänzend ist auszuführen:

Die von der Klägerin befürchtete Verfolgung knüpft nicht an einen asylerheblichen Verfolgungsgrund an. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, dass sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung u. a. wegen seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

Gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

a. die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

b. die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 4 AsylG).

Die inhaltliche Begriffsbestimmung der bestimmten sozialen Gruppe, also des geschützten Status, erfolgt danach anhand von drei geschützten – internen – Merkmalen, den angeborenen, unveränderbaren sowie den Merkmalen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Verzicht hierauf nicht verlangt werden kann.

Das externe Merkmal nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 b) AsylG verlangt, dass die betreffende Gruppe als solche innerhalb der sie umgebenden Gesellschaft bestimmbar sein und eine fest umrissene Identität aufweisen muss. Es ist zu ermitteln, ob die Gruppe aufgrund ihres internen Merkmals von der sie umgebenden Gesellschaft deutlich abgegrenzt ist (vgl. Marx, AsylG, 10. Aufl. § 3 b Rn. 19 und 21).

Die Eigenschaft als Frau führt nach Auffassung des Gerichts nicht dazu, dass eine Person von der kolumbianischen Gesellschaft als andersartig betrachtet wird und insoweit einer Gruppe mit abgrenzbarer Identität angehört. Frauen, die auch in Kolumbien einen erheblichen Teil der Bevölkerung ausmachen, werden dort nicht als „gesellschaftlicher Fremdkörper“ (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 3b AsylG Rn. 2) eingestuft. Dass Frauen, die Opfer von familiärer Gewalt wurden, als abgrenzbare Gruppe anzusehen sind, kann das Gericht ebenfalls nicht feststellen. Dagegen sprechen insbesondere gesetzessystematische Gründe, weil ansonsten die Verfolgungshandlung und der Verfolgungsgrund in unzulässiger Weise miteinander vermischt würden (so bereits Urteile der erkennenden Kammer vom 05.08.2020 -3 A 720/17- und der 2. Kammer des erkennenden Gerichts vom 10.12.2018 - 2 A 846/17 -, juris Rn. 25; und vom 13.02.2020 -2 A 919/17-). Zwar werden die unmittelbare Familie und der Ehemann, von denen die Bedrohung ausgeht, die betroffenen Frauen regelmäßig als andersartig betrachten. Ob dies auch für die die Frauen umgebende Gesellschaft gilt, lässt sich aber allenfalls im Einzelfall feststellen und ist nicht verallgemeinerungsfähig. In aller Regel wird der Umstand, dass eine Ehefrau von ihrem Mann vergewaltigt worden ist, Thema im engeren Familienkreis bleiben. Das Gericht vermag deshalb nicht der Ansicht von Marx zu folgen, der bei häuslicher Gewalt und Ehrenmorden, bei denen dieselbe rechtliche Problematik auftritt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für gegeben erachtet (a.a.O. Rn. 32 und 53). Diese Auffassung vernachlässigt das externe Tatbestandsmerkmal des § 3 b Abs. 4 b) AsylG.

Selbst wenn man das Vorliegen der Anforderungen des § 3b Abs. 1 Nr. 4 b) AsylG für eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 4 AsylG nicht für erforderlich halten sollte (so Marx, a.a.O. Rn. 33), ist für die Annahme einer an das Geschlecht anknüpfenden Verfolgung in den Fällen häuslicher Gewalt oder in Fällen von Ehrenmorden, dennoch erforderlich, dass die Art und Weise der Gewaltausübung spezifisch auf den „Genderstatus“ der Frau gerichtet ist und der staatliche Schutz systematisch wegen dieser „Genderfaktoren“ versagt wird. Der entscheidende Umstand, der von häuslicher Gewalt betroffene Frauen von den Frauen innerhalb einer Gesellschaft insgesamt abgrenzt, ist die evidente Tatsache institutionalisierter Diskriminierung von Frauen durch Polizei, Gerichte und das gesamte Rechtssystem eines Staates (Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 3b Rn. 33 und 27 m.w.N.; s. a. VG Köln, Urteil vom 12.07.2018 - 8 K 15907/17.A -, juris, Rn. 39 ff. m.w.N.: politische Dimension der Verfolgung erforderlich). Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen bestehen keine Anhaltspunkte für eine institutionalisierte Steuerung oder auch nur Tolerierung solcher Gewalt durch staatliche Stellen in Kolumbien. Von Januar bis Juli 2020 sind von der Generalstaatsanwaltschaft 58.000 Ermittlungsverfahren wegen häuslicher Gewalt angestrengt worden. 39.000 Opfer waren weiblich (USDOS, Country Reports on Human Rights for 2020, Colombia, S. 25). Gesetze gegen eheliche Gewalt sind vorhanden, sie kommen mangels Anklagen jedoch nur selten zum Tragen und führen, wenn doch, zu nur geringen Strafen für die Täter. Das Gesetz verpflichtet die Regierung, Opfern häuslicher Gewalt sofortigen Schutz vor weiterem physischen oder psychischen Missbrauch zu gewähren (BFA, Staatendokumentation Kolumbien, S. 18). Von einer institutionalisierten Diskriminierung kann demnach keine Rede sein. Andersgeartete praktische Erfahrungen mit der Polizei bei Schutzgesuchen, wie sie auch die Klägerin gemacht hat, sind Beispiele individuellen Fehlverhaltens, die indes nicht das gesamte Schutzsystem prägen. Dass dieses durchaus funktioniert, ist dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wie des subsidiären Schutzstatus scheitert weiter, selbständig tragend daran, dass die von der Klägerin geschilderte Verfolgung von nicht staatlichen Akteuren ausgeht, das Gericht aber davon überzeugt ist, dass der kolumbianische Staat in der Lage und willens ist, i. S. d. § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Gemäß § 3 d Abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gemäß Satz 2 der Vorschrift gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Einen vollständigen Schutz vor jeglichen kriminellen Übergriffen vermag kein Staat zu bieten. Verlangt wird durch die genannten Vorschriften, dass der Staat die Verfolgungsgefahr durch effektiven Schutz minimiert. Selbst wenn es nicht ausreichen sollte, dass die zuständigen Behörden ihr Bestes tun, wenn der Ausländer darlegen kann, dass das Beste ineffektiv ist und er glaubhaft gemacht hat, dass der Staat zur erforderlichen Schutzgewährung nicht fähig ist (vgl. in diesem Sinne Marx, a. a. O. § 3 d Rn. 33), kann hier von einer solchen Gefahr nicht ausgegangen werden. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Schließlich, und wiederum selbständig die Entscheidung tragend, steht der Klägerin interner Schutz i. S. v. § 3 e Abs. 1 AsylG zur Seite, so dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen ist.

Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und

2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Ein solch interner Schutz steht der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls in den kolumbianischen Großstädten zur Verfügung, die nicht zu den zwischen der Guerilla und der Regierung umstrittenen Gebieten Kolumbiens gehören. Sämtliche dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel berichten von gezielten Übergriffen von Banden und Guerilleros auf die Zivilbevölkerung lediglich in den nach Rückzug der Farc-Rebellen umkämpften Regionen Kolumbiens. In diesen Gebieten, in denen es nach dem Rückzug der Farc-Rebellen infolge des Friedensabkommens 2016 zu Territorial- und Streitereien um Drogen und Rohstoffe gekommen ist, zeigt der kolumbianische Staat kaum effektive Präsenz auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Er ist in den Bereichen der Strafverfolgung in diesen Gebieten quasi nicht existent (vgl. USDOS, Trafficking in Persons Report vom 25.06.2020, S. 1 f.; USDOS, Colombia 2019 Human Rights Report, S. 18; OHCR, Situation of human rights in Colombia, vom 08.05.2020 S. 3; BFA, Länderbericht Kolumbien vom 25.10.2018. S. 7, 11). Die umkämpften und von der staatlichen Gewalt nicht effektiv geschützten Gebiete, sind ländliche und grenznahe Urwaldgebiete in den Provinzen Catatumba, Bajo Cauca, Sur de Cordoba, Choco, Norte de Cauca, Tumaco und Norte Santander (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik, Kolumbien auf dem Weg zum Minimalfrieden vom August 2019 mit Karte). Andere Quellen nennen Antioquia, Cauca, Caqueta, Guaviare, Meta, Narino, Norte de Santander, Putumayo und Valle de Cauca (BFA v. 28.05.2021 an das erkennende Gericht). Erkenntnisse darüber, dass der kolumbianische Staat außerhalb der umkämpften Gebiete nicht sein staatliches Gewaltmonopol durchsetzt, hat das Gericht nicht. Keine der aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Lise ersichtlichen Erkenntnismittel berichtet über Derartiges.

Hierzu gehört insbesondere die Hauptstadt Bogota nicht. Es ist für Personen, die von Verfolgung betroffen sind, möglich, sich innerhalb des Staatsgebiets Kolumbiens einer solchen Bedrohung zu entziehen. Für Personen, die dem der staatlichen Schutzprogramm der UNP (Unidad Nacional de Proteccion) unterfallen, gibt es sogar staatliche Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen, bis hin zu Reisekostenunterstützung (vgl. BFA vom 28.05.2021 Auskunft an das erkennende Gericht, S. 3 f., 7 f.). Die Konrad Adenauer Stiftung macht die Frage der internen Sicherheit davon abhängig, wie stark die verfolgte Person exponiert ist und von welchen Akteuren sie verfolgt wird (Auskunft an die erkennende Kammer vom 26.04.2021). Beide Gesichtspunkte sprechen dafür, dass die Klägerin internen Schutz in einer beliebigen kolumbianischen Großstadt finden könnte. Das an ihr bestehende Verfolgungsinteresse ist rein privater und persönlicher Natur. Sie war in keiner Weise über ihre dörfliche Umgebung hinaus exponiert. Ein Verfolgungsinteresse und, noch wichtiger, eine Verfolgungsmöglichkeit vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die Drohung des Ex-Freundes, er werde sie durch seinen beim Militär beschäftigten Vater überall finden, ist ohne Substanz. Die Klägerin vermochte nicht zu sagen, in welcher Position der Vater des Ex-Freundes ist, die eine landesweite Verfolgungsmöglichkeit wahrscheinlich erscheinen lässt. Es liegt auch außerhalb jeder Lebenswirklichkeit, die militärischen Möglichkeiten wegen einer gescheiterten Liebesbeziehung einzuschalten. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass der Klägerin etwa in Bogota, aber auch jeder anderen kolumbianischen Großstadt wie etwa Medellin oder Cali, eine Wohnsitznahme möglich und zumutbar ist. Auf jeden Fall findet die Klägerin hier effektiven Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG (ebenso VG Braunschweig, Urteil vom 09.07.2019 -3 A 187/19-).

Der Klägerin ist es schließlich auch zuzumuten sich in diesen Großstädten in Sicherheit zu bringen. Zwar befinden sich in Kolumbien neben etwa 1 Millionen Binnenvertriebenen und 500.000 kolumbianischen Rückkehrern noch weitere etwa 2 Millionen venezuelische Flüchtlinge (USDOS, 2019 Human Rights Report, S. 18 f.; KAS, Länderbericht vom 11.06.2020, S. 1 f.). Das Gericht hat jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass arbeitsfähige Frauen, wie die Klägerin, in Kolumbien nicht in der Lage wären, sich durch eigene Arbeit, ggf. durch Unterstützung der in Kolumbien vielfältig vorhandenen Flüchtlingsunterstützungsorganisationen, eine existenzielle Lebensgrundlage zu schaffen (vgl. Konrad Adenauer Stiftung, Auskunft an das erkennende Gericht vom 26.4.2021). So ging die Armutsquote Kolumbiens in den letzten Jahren deutlich zurück. Die offizielle Arbeitslosenquote lag 2017 bei 9,38 %. Fast die Hälfte der Beschäftigten sind im informellen Sektor tätig. In Städten ist6 das medizinische Versorgungsangebot mit dem in Europa vergleichbar (BFA, Länderbericht Kolumbien, S. 24 f.; ähnlich Bertelsmann Stiftung –BTI- 2020 Country Report Colombia, S. 17)). Ferner hat der kolumbianische Staat ein weites soziales Netz gespannt, das kostenfreie medizinische Versorgung für arme und benachteiligte Menschen ebenso umfasst wie Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit, wenngleich dies nicht für die im informellen Sektor arbeitenden Personen gilt (BTI, a.a.O., S. 23 f.)

Die Zuerkennung subsidiären Schutzes scheitert gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. §§ 3 d und 3 e AsylG aus den zuvor genannten Gründen.

Auch auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG vermag sich die Klägerin nicht zu berufen. Insoweit wird erneut auf die überzeugenden Gründe aus dem Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2019, denen das Gericht folgt, umfassend Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG.

Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenerwägungen des Bundesamtes sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 S. 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.