Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 07.06.2020, Az.: 2 U 46/20
Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilprozess
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 07.06.2020
- Aktenzeichen
- 2 U 46/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 64511
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2020:0607.2U46.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 04.03.2020 - AZ: 6 O 1188/18
Rechtsgrundlagen
- Art. 103 Abs. 1 GG
- § 160 Abs. 2 ZPO
- § 165 ZPO
- § 279 Abs. 3 ZPO
- § 285 Abs. 1 ZPO
- § 520 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-3 ZPO
- § 631 Abs. 1 BGB
- Art. 103 Abs. 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Zur Zulässigkeit einer Berufung
Der Sachverständige ist Gehilfe des Gerichts. Das Gericht muss mit dieser Hilfe eigene Sachkunde gewinnen und in diesem Zusammenhang die vom Sachverständigen erhobenen Tatsachenbefunde überprüfen, dessen Schlussfolgerungen verstehen und deren Anknüpfung an die Tatsachengrundlage nachvollziehen.
Nach §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO ist über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern. Findet sich im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht ein Verstoß gegen §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO fest (§§ 165, 160 Abs. 2 ZPO). Dies ist grundsätzlich als Verfahrensfehler anzusehen.
Redaktioneller Leitsatz
Es verstößt gegen das Recht einer Prozesspartei auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, wenn das Gericht im Urteil nicht ausreichend zu erkennen gibt, dass es einen Streit zwischen dem gerichtlich bestellten Sachverständigen und einem von der betreffenden Prozesspartei beauftragten Privatgutachten sorgfältig und kritisch gewürdigt und den Sachverhalt insoweit ausreichend geklärt hat. Dem ist nicht genügt, wenn das Gericht in den Urteilsgründen mitteilt, dass eine inhaltliche Überprüfung des Gutachtens nicht Aufgabe des Gerichts sei und auch nicht im Bereich seiner Möglichkeiten liege.
In dem Rechtsstreit
AA GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer BB und CC, Ort1,
Beklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
DD GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer EE, Ort2,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2020 für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4. März 2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg mit dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten zu entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um einen Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung.
Die Beklagte brachte im Auftrag der Klägerin in deren Büro- und Fertigungsgebäude in Ort1, Straße1, einen Industrieestrich ein, der (nur) im Bereich des Treppenhauses auf einer Dämmlage ausgebildet ist.
Die Klägerin hat behauptet, der Industrieboden weise Risse und Hohlstellen auf und weiche negativ von den anerkannten Regeln der Technik ab. Hierdurch werde die vorausgesetzte Nutzung beeinträchtigt. Für die Sanierung müssten Kosten in Höhe von 97.772,22 € aufgewandt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 97.772,22 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 9%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, weitergehende Mängelschäden, Mangelfolgeschäden, die anfallende Mehrwertsteuer und sonstige Schäden (z. B. Betriebsausfallkosten) auszugleichen, die in Zukunft aufgrund der Mangelhaftigkeit des Fußbodenbelages bei der Klägerin anfallen werden,
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten einen Betrag von 775,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, eventuelle Mängel des Verbundestrichs beruhten auf der Oberflächenhaftung des Betons, die Gegenstand von Bedenkenanzeigen gewesen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen.
Das Landgericht hat die Beklagte nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Zahlung von 89.186,20 € nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, weitergehende Mängelschäden, Mangelfolgeschäden und sonstige Schäden (z. B. Betriebsausfallkosten) auszugleichen, die in Zukunft aufgrund der Mangelhaftigkeit des Fußbodenbelages bei der Klägerin anfallen werden. Das Werk der Beklagten sei teilweise mangelhaft. Der Verbundstrich im gewerblichen Bereich weise weder die vereinbarte Beschaffenheit auf, noch entspreche die Leistung den anerkannten Regeln der Technik. Demgegenüber sei der Estrich auf Dämmlage im grün markierten Bereich des Raumplans (Bd. II Bl. 12 d. A.) mangelfrei.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Eine in der Berufungsschrift angekündigte "Berufungsbegründung" ist nicht zur Akte gereicht worden. Mit Schriftsatz vom 30. April 2020 hat die Beklagte beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts einstweilen einzustellen. Diesen Antrag hat sie unter anderem damit begründet, dass sich das Landgericht nicht mit den Ausführungen ihres Privatsachverständigen auseinandergesetzt und den Sachverhalt weiter aufgeklärt habe. Das Landgericht habe sich vielmehr ausschließlich auf die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen FF verlassen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen.
Die Klägerin meint, entgegen der Auffassung der Beklagten habe sich das Landgericht mit den Privatgutachten der Beklagten auseinandergesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit dem zugrundeliegenden Verfahren und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet an einem wesentlichen Mangel, aufgrund dessen eine aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die erforderlichen Zurückverweisungsanträge haben beide Parteivertreter gestellt. Im Einzelnen gilt Folgendes:
A) Die Berufung ist zulässig.
1) Eine Unzulässigkeit der Berufung folgt nicht daraus, dass weder der Berufungsschrift vom 19. März 2020 noch dem Schriftsatz vom 30. April 2020 ein förmlicher Berufungsantrag der Beklagten zu entnehmen ist. Zwar muss die Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Was beantragt wird, kann sich jedoch auch ohne förmlichen Antrag konkludent aus dem Zusammenhang ergeben (Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl. § 520 Rn. 28, 32 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Aus dem genannten Schriftsatz und dem darin erhobenen Vorwurf, das Landgericht habe sich nicht ausreichend mit dem zur Akte gereichten Privatgutachten des Dr.-Ing. GG auseinandergesetzt, ergibt sich ausreichend deutlich, dass die Beklagte als Rechtsmittelziel den in der Vorinstanz gestellten Klageabweisungsantrag weiterverfolgt und damit zugleich die Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung begehrt.
2) Der Beklagtenschriftsatz vom 19. März 2020 genügt den Erfordernissen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO als auch denen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO.
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat er - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleiten. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt. Für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (BGH MDR 2014, 741 [BGH 11.03.2014 - VI ZB 22/13]).
b) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dazu enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Konkrete Anhaltspunkte, welche danach die Bindung entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (BGH MDR 2014, 741 [BGH 11.03.2014 - VI ZB 22/13]).
c) Die Beklagte macht in dem bereits genannten Schriftsatz geltend, das Landgericht habe sich nicht mit den Ausführungen ihres Privatsachverständigen Dr.-Ing. GG auseinandergesetzt, der den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen widersprochen habe. Darin liegt die Rüge des Verfahrensfehlers einer unvollständigen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO. Mit dieser Rüge sind hinreichend konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Das Gericht hat (auch) in Bauprozessen die Pflicht, sich mit von den Parteien vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt (BGH MDR 2020, 114; BauR 2010, 931; Sacher in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 20. Teil Rn. 44; Pastor in Werner/Pastor, Der Bauprozess, 16. Aufl. Rn. 148, 150 jeweils m. w. N.). Es darf den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass es ohne einleuchtende und nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH NJW 2019, 17; Laumen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 11. Aufl. § 286 Rn. 12).
B) Die Berufung ist auch begründet.
1) Die Berufung kann allerdings nicht darauf gestützt werden, dass das Landgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe. Die Bejahung der Zuständigkeit durch das erstinstanzliche Gericht ist durch § 513 Abs. 2 ZPO der Nachprüfung entzogen.
2) Das Landgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen, weil es im Urteil nicht ausreichend zu erkennen gegeben hat, dass es den Streit zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und den vom Beklagten beauftragten Privatgutachtern sorgfältig und kritisch gewürdigt und den Sachverhalt insoweit ausreichend geklärt hat.
Selbst wenn dem Richter im Einzelfall die Sachkunde zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen und zur Beurteilung einer entscheidungserheblichen Frage fehlt, liegt die Entscheidungskompetenz allein bei ihm. Er ist verpflichtet, soweit irgend möglich Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel von Amts wegen auszuräumen (Beyerlein in Beyerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 5. Aufl. § 11 Rn. 1) und die erhobenen Beweise stets kritisch zu würdigen (Laumen in Prütting/Gehrlein a.a.O. § 286 Rn. 12). Mit Privatgutachten hat es sich ebenso sorgfältig auseinanderzusetzen, wie wenn es sich um die abweichende Stellungnahme eines von ihm bestellten weiteren Gutachters handeln würde (BVerfG NJW 1997, 123).
Die Würdigung eines Gutachtens gehört danach zu den schwierigsten Aufgaben des Gerichts. Es muss dabei, obwohl es nicht über eine ausreichende eigene Sachkunde zur Beantwortung der Beweisfrage verfügt, versuchen, eigene Sachkunde zu gewinnen, die vom Sachverständigen erhobenen Tatsachenbefunde zu überprüfen, die Schlussfolgerungen zu verstehen und deren Anknüpfung an die Tatsachengrundlage nachzuvollziehen (Bayerlein in Beyerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 5 Aufl. § 22 Rn. 4). Anderenfalls würde nicht das Gericht, sondern faktisch der Sachverständige den Rechtsstreit entscheiden.
Diesen Prüfungsmaßstab hat das Landgericht offensichtlich verkannt, wenn es auf Seite 6 ausführt: "Soweit die Beklagte die von dem Sachverständigen gezogenen Rückschlüsse aus den feststehenden Erkenntnissen in Zweifel zieht, ist eine inhaltliche Überprüfung des Gutachtens weder Aufgabe des Gerichts, noch liegt sie im Bereich seiner Möglichkeiten. Dazu gehört auch die Beurteilung des Sachverständigen, welches Untersuchungsverfahren und welche Unterlagen er für notwendig aber auch ausreichend hält, um zur Beantwortung der Beweisfragen zu gelangen." Das Landgericht stellt damit Teilaspekte sachverständiger Beurteilung außer Diskussion und negiert eine richterliche Kontrolle.
Daran ändert nichts, dass das Landgericht die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen angeordnet, diesen in der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2020 ergänzend befragt und das Ergebnis der Anhörung im Urteil ausführlich dargestellt und teilweise gewürdigt hat. Zwar steht es grundsätzlich in seinem Ermessen, in welcher Weise der Tatrichter seiner Pflicht zur Aufklärung von Widersprüchen nachkommt. Dies kann zweckmäßigerweise etwa dadurch erfolgen, dass das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anhört (BGH MDR 2020, 114 [BGH 05.11.2019 - VIII ZR 344/18]). Das Landgericht hat also einen grundsätzlich möglichen Weg zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts gewählt.
Die Anhörung war jedoch unvollständig, da sich das Gericht mit weiterem Vorbingen aus dem Schriftsatz vom 25. Februar 2020 und der Stellungnahme des Privatgutachters Dr.-Ing. GG vom 13. Februar 2020 nur teilweise auseinandergesetzt hat. In beiden Schreiben werden nach der mündlichen Verhandlung klärungsbedürftig gebliebene Gesichtspunkte aufgezeigt. So wird im Schriftsatz des Beklagtenvertreters zu Recht darauf hingewiesen, dass nach dem Sanierungsangebot der Fa. HH (Anlage K 4) ein Estrich mit einer Dämmung eingebaut werden soll, der in dem nach Auffassung des Gerichts sanierungsbedürftigen gewerblichen Bereich unstreitig nicht Vertragsgegenstand war. Zumindest für die Ermittlung der Schadenshöhe ist weiter klärungsbedürftig, ob die vom Sachverständigen nach eigener Aussage vor Ort mit roter Kreide markierten Hohllagen (Bd. II Bl. 17 d. A.) mit den Einzeichnungen der Klägerin (Bd. I Bl. 22 d. A.) übereinstimmen. Eine Klärung erscheint auch deshalb erforderlich, weil die offensichtlich vom Sachverständigen stammenden handschriftlichen Angaben zu Hohllagen und Rissen nicht mit den Eintragungen der Klägerin ("Die Halle weist viele Risse auf", "Die Halle ist voller Risse") in Einklang zu bringen sind. Es wäre zu erwarten gewesen, dass der gerichtliche Sachverständige eine eigene Riss- und Hohlstellenskizze mit genauen Angaben seiner Feststellungen der Begutachtung beifügt. Erst mit entsprechend detaillierten Angaben können Aussagen zu den erforderlichen Sanierungsarbeiten (Rückbau und Erneuerung, Verfüllung etc.) getroffen werden. Der "Raumplan" ist vom Sachverständigen jedoch erst in der mündlichen Verhandlung dem Gericht überreicht und als Anlage zum Protokoll genommen worden, so dass eine Auseinandersetzung erst nach Übersendung des Protokolls erfolgen konnte. In der Stellungnahme des Privatsachverständigen wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass statistisch gesicherte Erkenntnisse zur Estrichqualität mangels ausreichender Prüfergebnisse nicht möglich seien, weshalb eine erneute Beprobung erforderlich sei. Dies betrifft jedenfalls die Anzahl der Bohrkerne, möglicherweise auch deren Durchmesser. Die vom gerichtlichen Sachverständigen zur Akte gereichte DIN (Bd. II Bl. 29 d. A.) dürfte allerdings nach vorläufigem Verständnis entgegen den Annahmen des II und des Privatsachverständigen JJ für einen ausreichenden Durchmesser der von der KK GmbH untersuchten Bohrkerne sprechen.
Der Vortrag der Beklagten war auch nicht verspätet. Nach §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO ist über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern. Findet sich im Protokoll (Bd. II Bl. 11 d. A.) - wie hier - kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht ein Verstoß gegen §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO fest (§§ 165, 160 Abs. 2 ZPO). Dies ist grundsätzlich als Verfahrensfehler anzusehen (BGH BauR 2007, 2118; OLG Oldenburg Urteil vom 10.11.2015 - 2 U 46/15). Wegen der damit verbundenen Verletzung rechtlichen Gehörs war es für das Landgericht also geboten, sich umfassend mit dem Schriftsatz vom 25. Februar 2020 und der beigefügten Stellungnahme des Privatsachverständigen auseinanderzusetzen. Verfahrensfehlerhaft war es deswegen, die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO nicht wieder zu eröffnen.
Der damit verbundene Gehörsverstoß ist erheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Erörterung des Beweisergebnisses und ausreichender Berücksichtigung des von der Beklagten vorgelegten Privatgutachtens zu einer anderen Bewertung gelangt wäre und die Klage deshalb abgewiesen hätte.
Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht zugleich die Möglichkeit, die von ihm als unstreitig dargestellten vertraglichen Vereinbarungen zu klären. Die Beklage geht offensichtlich von abweichenden Vereinbarungen aus. So tritt sie der Auffassung der Beklagten entgegen, es sei im gewerblichen Bereich ein Verbundestrich vereinbart worden. Dies hat offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf die erforderlichen Prüfungen von Biege- und Druckfestigkeiten. Der Privatsachverständige Dr.-Ing. GG geht von einer Unzulänglichkeit des Betonuntergrunds aus, weshalb es sich bei dem Estrichaufbau um eine Sonderkonstruktion gehandelt habe, deren Ausführung und Begründung dem Bauherrn bekannt gewesen sei. Zu diesem Ergebnis kommt auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht eingereichte gutachterliche Stellungnahme des Privatsachverständigen JJ vom 15. Juni 2020 (Bd. II Bl. 139 d. A.). Nach den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen (GA S. 4) ist jedenfalls unstreitig, dass der Estrich erst nach einer Ertüchtigungsmaßnahme des Untergrunds aufgebracht worden ist. Das Landgericht wird dem Sachverständigen vorzugeben haben, von welchen vertraglichen Grundlagen er auszugehen hat.
Für den Fortgang des Verfahrens sei abschließend darauf hingewiesen, dass sich für das Landgericht gegebenenfalls die Notwendigkeit ergeben könnte, angesichts der divergierenden Stellungnahmen auch über die Person des Gutachters zu entscheiden. Kann der gerichtliche Sachverständige im Ergebnis die sich aus den Privatgutachten ergebenden Einwendungen nicht ausräumen, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung erforderlichenfalls gem. § 412 Abs. 1 ZPO ein weiteres Gutachten eines anderen Gutachters ("Obergutachten") einholen (vgl. BGH NJW 2016, 639 [BGH 15.12.2015 - VI ZR 557/15]).