Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.01.2013, Az.: 322 SsBs 356/12
Anforderungen an die Darlegung der Urteilsgründe bei Überzeugung des Tatrichters von der Richtigkeit einer Geschwindigkeitsmessung trotz erwiesenem Eingabefehler bei der manuellen Auswertung des Messsystems
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.01.2013
- Aktenzeichen
- 322 SsBs 356/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 10712
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2013:0110.322SSBS356.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hildesheim - 16.08.2012 - AZ: 36 Js 1439/12
Rechtsgrundlage
- § 25 Abs. 2a StVG
Amtlicher Leitsatz
Stellt der Tatrichter bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem System VKS 3.0 - Softwareversion 3.1 - einen Eingabefehler bei der manuellen Auswertung fest (hier: Eingabe eines offensichtlich falschen Datums), so müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, warum der Tatrichter dennoch von der Richtigkeit des Messergebnisses überzeugt ist. Es reicht nicht aus, die Geschwindigkeit anhand einer eigenen Wegzeitberechnung aus den Wegmarken der Videostandbilder abzuleiten.
In der Bußgeldsache
gegen Dr. M. L.,
geboren am xxxxxx 1978 in K.,
wohnhaft S., N.-G.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt S., P. -
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 10. Januar 2013
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hildesheim vom 16. August 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 176 € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat unter Gewährung der viermonatigen Antrittsfrist gem. § 25 Abs. 2a StVG verhängt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 31. Oktober 2011 um 13.37 Uhr mit einem Pkw die Bundesautobahn 7 in nördlicher Fahrtrichtung. Bei Kilometer 180,020 überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h - nach Abzug der Messtoleranz - um 42 km/h.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat auf die Sachrüge hin - vorläufig - Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts zur gefahrenen Geschwindigkeit hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass es sich bei dem Geschwindigkeitsmesssystem VKS 3.0 - Softwareversion 3.1 - um ein "standardisiertes Messverfahren" i. S. d. Rechtsprechung des BGH handelt, also um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291; BGHSt 43, 277; OLG Dresden, VRS 2005, 196; OLG Hamm, VRS 97, 144). In diesen Fällen genügt es in der Regel, im Urteil das angewandte Messverfahren, den berücksichtigten Toleranzabzug sowie die Einhaltung der Bedingungen des Messverfahrens, insbesondere die Beachtung der Bedienungsvorschriften sowie die erforderliche Eichung des Geräts, mitzuteilen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung der richtigen Anwendung des sachlichen Rechts zu ermöglichen (vgl. nur Senat, Beschl. vom 10. Juli 2003, 222 Ss 120/03).
Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens setzt insbesondere nicht voraus, dass die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfindet (OLG Dresden, a.a.O.). Die Richtigkeit des Messergebnisses, das - wie bei dem System VKS 3.0 - erst nach Auswertung der technischen Videoaufzeichnung mittels einer geeichten Auswerteeinheit durch einen Beamten erfolgt, kann deswegen in der Regel darauf gestützt werden, dass sich der Tatrichter von der ausreichenden Schulung des Messbeamten in der Anwendung der Auswerteeinheit überzeugt.
Jedoch ist der Tatrichter auch bei standardisierten Messverfahren gehalten, Fehlerquellen nachzugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Messung begründen. Derartige Anhaltspunkte hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil aufgezeigt, ohne zugleich darzustellen, anhand welcher Beweismittel es dennoch von der Richtigkeit der Messung überzeugt ist.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts enthält das Ergebnis der Anwendung der Auswerteeinheit (das Datenfenster des "Fallprotokolls Geschwindigkeit") ein unzutreffendes Datum ("37.12.2010" statt des in der Videoaufzeichnung festgehaltenen, als Tatzeit festgehaltenen Datums "31.10.2011"). Nach "Einschätzung" des Amtsgerichts handelt es sich dabei um das Resultat eines Eingabefehlers, der dem Messbeamten bei der EDV-gestützten Wiedergabe der Fotos unterlaufen sein muss. Diese durch kein Beweismittel untermauerte Vermutung des Amtsgericht kann zutreffend sein; in diesem Fall müssen die Urteilsgründe jedoch erkennen lassen, warum das Amtsgericht davon überzeugt ist, die weiteren Ergebnisse der Auswertung der Videoaufzeichnung seien fehlerfrei.
Zwar hat das Amtsgericht hier schlüssig anhand einer Weg-Zeit-Berechnung die Richtigkeit der sich aus dem Messdatenblatt sowie der Videoaufzeichnung ergebenden Geschwindigkeit aufgezeigt. Damit hat das Amtsgericht jedoch - gewissermaßen an dem standardisierten Messverfahren vorbei - die Berechnung nachvollzogen, die nach dem durch die PTB zugelassenen System gerade durch die Auswerteeinheit erfolgen muss. Insbesondere hat das Amtsgericht bei dieser Berechnung Anknüpfungstatsachen - nämlich die genauen Wegmarken - herangezogen, die sich erst aus der Anwendung der Auswerteeinheit ergeben konnten.
Das Amtsgericht war deswegen zumindest gehalten, den Messbeamten zum Vorgang der Auswertung der Videoaufzeichnung zu vernehmen, um ausschließen zu können, dass sich der Übertragungsfehler auf das Datum beschränkt hat. Gegebenenfalls wäre ansonsten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit geboten.