Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.06.2021, Az.: 1 Ws 233/21
Keine Außervollzugsetzung des Haftbefehls; Familiäre Bindung als fluchthemmender Umstand; Fluchtgefahr bei Straferwartung von mindestens einem Jahr
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 28.06.2021
- Aktenzeichen
- 1 Ws 233/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 45112
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 27.05.2021 - AZ: 10 KLs 35/20
- AG Osnabrück - AZ: 246 Gs 256/20
Rechtsgrundlagen
- § 31a Abs. 1 BtMG
- § 116 Abs. 1 StPO
- § 473 Abs. 1 StPO
Redaktioneller Leitsatz
Das Angebot zur Zahlung von 5000 Euro Kaution zur Außervollzugsetzung eines Haftbefehls wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ist ungeeignet, die Fluchtgefahr zu beseitigen. Die Straferwartung liegt bei einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr.
Tenor:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 27. Mai 2021,
durch den sein Antrag auf Außervollzugsetzung des mit Beschluss der Strafkammer vom 3. März 2021 geänderten und neu gefassten Haftbefehls des Amtsgericht Osnabrück vom 17. September 2020 zurückgewiesen worden ist,
wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist am 16. September 2020 festgenommen worden und befindet sich auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Osnabrück vom 17. September 2020 seitdem in dieser Sache in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 3. März 2012 hat das Landgericht Osnabrück den Haftbefehl der unter dem 23. Dezember 2020 erhobenen Anklage angepasst. Dem Angeklagten wird darin vorgeworfen, gemeinschaftlich mit den vier Mitangeklagten in der Zeit von Januar 2020 bis zum 16. September 2020 in Ort2 und andernorts durch sechs Straftaten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und hierbei als Mitglied einer Bande gehandelt zu haben, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. Konkret wird ihm die Beteiligung am Anbau von Cannabispflanzen und an der gewinnbringenden Veräußerung der gewonnenen Betäubungsmittel zur Last gelegt, wobei bis zur Entdeckung der Plantage durch insgesamt sechs Ernten Marihuana gewonnen wurde, das zu einem Gesamtverkaufspreis von rund 200.000 Euro in den Verkehr gebracht wurde.
Den in der seit dem 4. März 2021 laufenden Hauptverhandlung am 20. Mai 2021 gestellten Antrag, den Vollzug des Haftbefehls gegen geeignete Auflagen auszusetzen, hat die Strafkammer mit Beschluss vom 27. Mai 2021 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 4. Juni 2021, der das Landgericht mit Beschluss vom 9. Juni 2021 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für unbegründet. Dem Angeklagten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, wovon er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. Juni 2021 Gebrauch gemacht hat.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die vorbezeichneten Entscheidungen und Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel des Angeklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Angeklagte ist nach dem bislang durch die Strafkammer nicht geänderten und mit dem Antrag auf Außervollzugsetzung auch nicht angegriffenen Haftbefehl vom 3. März 2021 des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen dringend verdächtig.
Weniger einschneidende Maßnahmen, die die Erwartung hinreichend begründen, dass der Zweck der wegen Fluchtgefahr angeordneten Untersuchungshaft auch ohne deren Vollzug erreicht werden könnte (§ 116 Abs. 1 StPO), vermag auch der Senat nicht zu erkennen. Voraussetzung dafür wäre die Annahme, dass der Beschuldigte sich bei deren Anordnung dem Verfahren nicht entziehen würde. Insofern käme, da angesichts des Wohnsitzes des Angeklagten im Ausland Melde- und Aufenthaltsanweisungen ausscheiden, vorliegend allenfalls die Aussetzung des Vollzuges bei Leistung einer angemessenen Sicherheit in Betracht.
Indessen erscheint eine solche, zumal in der angebotenen Höhe von 5.000 Euro, nicht geeignet, der bestehenden Fluchtgefahr in ausreichendem Maße zu begegnen. Der Angeklagte hat für jede der ihm vorgeworfenen Taten eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren zu erwarten (§ 31a Abs. 1 BtMG). Dem durch diese Straferwartung gegebenen erhöhten Fluchtanreiz entgegenwirkende Umstände liegen auch unter Berücksichtigung der Leistung einer Kaution in der bezeichneten Höhe nicht vor.
Zwar verfügt der Angeklagte über einen festen Wohnsitz und über familiäre Bindungen in Land1. Auch ist im Hinblick auf den in Art. 26 des Rahmenbeschlusses des Rates 2008/909/JI vom 27. November 2008 (RB-Freiheitsstrafen) normierten Vorrang dieses in Land1 zum 1. November 2012 umgesetzten Regelwerkes vor dem Europäischen Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ÜberstÜbk) und der damit verbundenen grundsätzlichen Anerkennung zu vollstreckender Urteile (Art. 8 RB-Freiheitsstrafen) ohne die in Art. 11 ÜberstÜbk vorgesehene Möglichkeit der Herabsetzung im Umwandlungsverfahren für den Fall der mit einem Rücküberstellungsvorbehalt verbundenen Auslieferung jedenfalls im Hinblick auf die Höhe der dann in Land1 zu vollstreckenden Strafe für den Angeklagten kein Anreiz mehr gegeben, sich dem weiteren Verfahren nicht freiwillig zu stellen. Insoweit sind die dem Senatsbeschluss vom 4. November 2009 (1 Ws 599/09, bei juris) zu Grunde liegenden Erwägungen durch die Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union überholt. Der Angeklagte könnte durch sein Fernbleiben wegen des in Art. 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses des Rates 2002/584/JI vom 13. Juni 2002 über den europäischen Haftbefehl (RbEuHb) vorgesehenen Rücküberstellungsvorbehalts lediglich noch die Möglichkeit der Vollstreckung einer in der Bundesrepublik Deutschland verhängten Strafe in Land1 erzwingen.
Indessen sind neben der familiären Bindung keine weiteren fluchthemmenden Umstände erkennbar, die dem durch die erhebliche Straferwartung ausgelösten Fluchtanreiz in Verbindung mit entsprechenden Auflagen nach § 116 Abs. 1 StPO entgegenwirken könnten. Der Angeklagte will bis zu seiner Inhaftierung ein monatliches Nettoeinkommen von 2.222 Euro erzielt und im Übrigen von der finanziellen Unterstützung seiner Ehefrau gelebt haben. Einer Beschäftigung ist er, soweit diese nicht im Tätigwerden im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Cannabisplantage bestand, nur insoweit nachgegangen, als er für den Mitangeklagten BB die mutmaßlich auch dem Verkauf von Marihuana und sog. "Growshopartikeln" dienende Firma (...) führte. Auf welche Weise der Angeklagte im Falle seiner Entlassung zukünftig seinen Lebensunterhalt bestreiten will, ist deshalb unklar. Erst recht ist nicht erkennbar, dass berufliche Bindungen bestehen, die trotz einer drohenden längerfristigen Inhaftierung einem Absetzen entgegenstehen.
Bei dieser Sachlage kommt eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.