Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.02.1979, Az.: I OVG A 137/78

Baugenehmigung für die Einrichtung zweier Spielhallen in einem bisher als Laden genutzten Raum in einem Haus; Zulässigkeit der Errichtung von Vergnügungsstätten auch in anderen Baugebieten als in Kerngebieten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.02.1979
Aktenzeichen
I OVG A 137/78
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1979, 17608
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1979:0222.I.OVG.A137.78.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig - 06.06.1978 - AZ: 2 A 51/78

Verfahrensgegenstand

Erteilung einer Baugenehmigung

Der I. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg hat
am 22. Februar 1979
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schilling,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Schmaltz und Petter sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - II. Kammer - vom 6. Juni 1978 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger, der Automatenkaufmann ist, begehrt die Baugenehmigung für die Einrichtung zweier Spielhallen in einem bisher als Laden genutzten Raum im Haus ... Weg 32 - 34 in ...

2

Das Grundstück ... Weg 32 - 34 ist 1960 mit einem Wohnhaus, anschließendem Gewächshaus und einem Ladenpavillon für eine Gärtnerei bebaut worden. Die eine Hälfte des Verkaufspavillons wird als Blumengeschäft genutzt, in der anderen Hälfte sollen die Spielhallen betrieben werden. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des 1971 in Kraft getretenen Bebauungsplanes Nr. 502, der es als allgemeines Wohngebiet festsetzt. Gegenüber dem Ladenpavillon und östlich daneben liegen zwei große Altenwohnheime. Etwa 60 m westlich des Ladenpavillons, durch eine Grünanlage getrennt, kreuzt der ... Weg die ...straße, die lebhaften Verkehr einschließlich Straßenbahn aufweist und mit Wohnhäusern mit Läden im Erdgeschoß bebaut ist.

3

Den Bauantrag des Klägers vom 12. September 1977, der zwei Spielhallen mit insgesamt ca. 40 qm Grundfläche vorsieht, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 1977 ab, weil im allgemeinen Wohngebiet Vergnügungsstätten nicht zulässig seien. Den Widerspruch des Klägers wies der Innenminister mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 1978 zurück.

4

Mit der bereits am 20. Februar 1978 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe § 4a BauNVO überhaupt nicht berücksichtigt. Es sei zweifelhaft, ob Spielhallen als Vergnügungsstätten im Sinne des § 7 BauNVO einzuordnen seien oder ob sie nicht Anlagen für kulturelle, soziale oder gesundheitliche Zwecke seien. Der Vergleich mit Gaststätten lege es nahe, Spielhallen als nicht störende Gewerbebetriebe im Wohngebiet zuzulassen. Im übrigen habe der zuständige Beamte ihm, dem Kläger, aber auch die Baugenehmigung für die Spielhalle nach einer Ortsbesichtigung zugesagt. Erst nach dieser Zusage habe er den Mietvertrag auf 10 Jahre abgeschlossen.

5

Der Kläger hat beantragt,

die Bescheide vom 17. Oktober 1977 und 11. April 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat erwidert, Spielhallen seien nur in Kerngebieten zulässig. Die falsche Auskunft ihres Sachbearbeiters zwinge sie nicht zur Erteilung der Baugenehmigung.

8

Mit Urteil vom 6. Juni 1978, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

9

Gegen das ihm am 14. August 1978 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. September 1978 eingegangene Berufung des Klägers. Er trägt vor, eine Spielhalle könne nicht vorbehaltlos den Vergnügungsstätten zugeordnet werden mit der Folge, daß sie nur im Kerngebiet zulässig sei. Der Begriff der Spielhalle sei gesetzlich nicht definiert. Nach der Systematik der BauNVO komme es entscheidend auf die Emissionsträchtigkeit an. Ein Vergleich mit den im allgemeinen Wohngebiet zulässigen Gaststätten, in denen auch Spielautomaten aufgestellt werden dürften, mache deutlich, daß Spielhallen restriktiveren Regelungen unterworfen seien, so daß sie auch die Emissionsträchtigkeit von Gaststätten nicht erreichten. Im übrigen habe er, der Kläger, aber auch Anspruch auf eine Befreiung, weil die Spielhalle unter Berücksichtigung des Verkehrslärms der Werftstraße keinerlei Störungen erwarten lasse und der Kommunikation im Wohngebiet diene.

10

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag zu erkennen.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie erwidert, die Spielhalle gehöre nicht zu den Vorhaben, die im allgemeinen Wohngebiet zulässig seien oder ausnahmsweise zugelassen werden könnten. Selbst wenn man das annehmen wolle, sei eine Ausnahme mit Rücksicht auf die nähere Umgebung nicht gerechtfertigt. Das Gebiet werde durch Seniorenwohnungen und Altenpflegeheime sowie Einfamilienhausbebauung geprägt.

13

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten einschließlich der Vorgänge zum Bebauungsplan Nr. 502 haben dem Senat vorgelegen.

14

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

15

II.

Über die Berufung kann gemäß §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

16

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg, weil die Beklagte im Ergebnis die Baugenehmigung für die Einrichtung der Spielhallen zu Recht versagt hat.

17

Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 502 i.V.m. § 4 BauNVO 1968. Spielhallen sind im allgemeinen Wohngebiet nicht nach § 4abs. 2 BauNVO zulässig. Sie gehören insbesondere nicht zu den Anlagen für kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke nach § 4abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Ob und ggf. in welchem Umfang das Spielen in Spielhallen soziale oder sogar gesundheitliche Funktionen erfüllt, wie der Kläger insbesondere unter Hinweis auf Meistermann-Seeger/Bingemer, "Psychologie des Automatenspiels," vorträgt, kann offenbleiben; denn bei den Anlagen im Sinne des § 4abs. 2 Nr. 3 BauNVO muß der jeweilige Zweck im Vordergrund stehen. Anders als Altersheime, Kindergärten oder Krankenhäuser verkörpern Spielhallen aber nicht soziale oder gesundheitliche Zwecke.

18

Eine Zulassung der Spielhalle im Wege der Ausnahme nach § 4abs. 3 BauNVO ist allerdings nicht - wie das Verwaltungsgericht meint - deshalb ausgeschlossen, weil § 7 Abs. 2 BauNVO die Vergnügungsstätten zu den im Kerngebiet allgemein zulässigen Vorhaben zählt. Der Senat hat zwar keine Bedenken, die Spielhalle zu den Vergnügungsstätten zu zählen (vgl. Boeddinghaus/Franßen/Rohde, BauNVO 1977, § 4a RdNr. 23), womit nur eine besondere Art von Gewerbebetrieben bezeichnet wird. Vergnügungsstätten sind aber nicht auf Kerngebiete beschränkt, sondern sind auch in anderen Baugebieten zulässig, soweit Gewerbebetriebe dort jeweils zulässig sind (vgl. Förster, BauNVO, 1978, § 4a Anm. 3 b; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 7 BauNVO, RdNr. 23). Eine weitergehende Beschränkung von Vergnügungsstätten auf Kerngebiete wäre städtebaulich nicht gerechtfertigt und daher mit Art. 14 GG nicht vereinbar. Zweifelhaft erscheint dagegen, ob Spielhallen zu den sonstigen, nicht störenden Gewerbebetrieben im Sinne des § 4abs. 3 Nr. 2 BauNVO gezählt werden können, weil Spielhallen typischerweise außerhalb der täglichen Arbeitszeit Besucher anziehen und insbesondere durch den damit ansteigenden Kraftfahrzeugverkehr zu Störungen der Wohnruhe führen. Diese Überlegung wird durch§ 4a BauNVO 1977 bestätigt, der im besonderen Wohngebiet Gewerbebetriebe allgemein zuläßt, die nach der besonderen Eigenart des Gebietes mit der Wohnnutzung vereinbar sind (Abs. 1 Satz 2), Vergnügungsstätten aber in die Kategorie der nur ausnahmsweise zulässigen Vorhaben verweist, "obwohl das mit ihnen verbundene Angebot für Geselligkeit die Ausstattung eines WB-Gebietes durchaus verbessern kann"(Boeddinghaus/Franßen/Rohde, a.a.O.). Wenn § 4a Vergnügungsstätten ausdrücklich aus den "nach der besonderen Eigenart des Gebietes mit der Wohnnutzung vereinbaren" Gewerbebetrieben, die mehr als die nicht störenden Gewerbebetriebe umfassen (Förster, BauR 1978, 439/444), ausklammert, spricht alles dafür, daß der Verordnungsgeber davon ausgeht, daß Vergnügungsstätten typischerweise das Wohnen stören. Der Vergleich der Emissionsträchtigkeit von Spielhallen und Gaststätten führt in diesem Zusammenhang nicht weiter; denn der Verordnungsgeber hat - wie § 4abs. 2 Nr. 2 BauNVO zeigt - Schank- und Speisewirtschaften offensichtlich als für die Versorgung des Wohngebietes dringlicher angesehen als Vergnügungsstätten und unabhängig von ihrer Emissionsträchtigkeit eine differenzierende Regelung getroffen.

19

Diese Frage bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung, weil die Beklagte im Berufungsverfahren betont hat, daß an der vom Kläger vorgesehenen Stelle jedenfalls die ausnahmsweise Zulassung einer Spielhalle nicht in Betracht komme. Zur Begründung hat die Beklagte auf die Bebauung der näheren Umgebung verwiesen. Die Einrichtung einer Spielhalle führt typischerweise zusätzlichen Kraftwagen- oder Mopedverkehr in den ... Weg. Dies bringt auch bei im übrigen ordnungsmäßigem Verhalten der Besucher gewisse Belästigungen für die Seniorenwohnungen und Pflegeheime der unmittelbaren Nachbarschaft mit sich, mögen sie auch nicht den Grad einer Störung erreichen. Diese Erwägungen rechtfertigen eine negative Ermessensentscheidung.

20

Die Beklagte ist auch durch § 114abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 LVwG in der bis zum 31. März 1979 geltenden Fassung nicht daran gehindert, diese Begründung nachzuschieben. Selbst § 114abs. 2 LVwG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des LVwG vom 18. Dezember 1978 (GVOBl 1979 S. 2) schließt wohl nur die Möglichkeit aus, die nach § 109 Abs. 1 LVwG vorgeschriebene Begründung durch Sachvortrag im Verwaltungsprozeß zu heilen, nicht aber die Rechtmäßigkeit eines - formell ordnungsgemäß begründeten - Verwaltungsakts durch neuen Sachvortrag im Verwaltungsprozeß zu verteidigen (vgl. Badura in Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht - Allg. VerwR -, 3. Aufl. 1978, § 41 IV; Wolff/Bachof, Allg. VerwR I, 9. Aufl. 1974,§ 50 II d) 2). Die Begründung, die Ausnahme könne im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Gebietes nicht erteilt werden, ändert die Versagung der Baugenehmigung für die Spielhalle weder ihrem Wesen nach, noch beeinträchtigt sie den Kläger in seiner Rechtsverteidigung. Da die Beklagte die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 4abs. 3 BauNVO verneint hat - ob zu Recht, soll hier offenbleiben -, war sie nicht gehindert, die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren nachzuschieben (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.9.1965 - II C 168.62 -, Buchholz 232, § 116a BBG Nr. 4 - S. 9).

21

Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes kommt nicht in Betracht. Voraussetzung dafür wäre, daß die Durchführung des Bebauungsplanes für den Kläger zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar wäre, oder Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern würden. Dabei muß sich die Härte aus der baurechtlichen Situation und nicht aus lediglich persönlichen Gründen des Klägers ergeben. Daß der Kläger im Vertrauen auf eine unverbindliche mündliche Zusage vertragliche Verpflichtungen eingegangen ist, vermag eine offenbar nicht beabsichtigte Härte nicht zu begründen. Daß sich die Spielhalle als "Begegnungsstätte" im Wohngebiet vielleicht vorteilhaft auswirkt, führt nicht dazu, daß Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154abs. 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 2 VwGO.

23

Der Senat läßt die Revision nicht zu, weil er weder über klärungsbedürftige Fragen des Bundesrechts von grundsätzlicher Bedeutung entscheidet, noch von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht (§§ 132, 137 VwGO).

24

Rechtsmittelbelehrung

25

...

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 5.400,-- DM. festgesetzt.

Schilling
Schmaltz
Petter