Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 22.04.2002, Az.: 3 A 36/00

Bereicherungsrecht; Bezügerückforderung; Polizeizulage; Suspendierung; Wegfall der Bereicherung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
22.04.2002
Aktenzeichen
3 A 36/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43420
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Rechtssatz, dass für die Dauer der vorläufigen Dienstenthebung die Wahrnehmung der herausgehobenen Funktion gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 BBesG und damit der Anspruch des Beamten auf die Gewährung der Stellenzulage entfällt, gehört nicht zu den Grundprinzipien des Beamtenbesoldungsrechts, deren Kenntnis bei allen Beamten vorausgesetzt werden könnte.bestätigt durch (OVG Lüneburg, 5 LC 99/02, 22.10.2002).

Tatbestand:

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Im Zuge eines Disziplinarverfahrens war der Kläger durch Verfügung der Bezirksregierung Weser-Ems vom 21.11.1995 vorläufig des Dienstes enthoben, behielt aber, nachdem die Disziplinarkammer des Verwaltungsgericht Osnabrück die zugleich angeordnete Einbehaltung eines Teils seiner Bezüge aufgehoben hatte, seine Bezüge einschließlich der Polizeizulage (Vorbemerkung Nr. 6 zur Bundesbesoldungsordnung A), die noch bis zum 31.03.1999 an ihn gezahlt wurde. Nachdem der Beklagte den Kläger angehört hatte, forderte er von ihm mit Bescheid vom 05.10.1999 die für die Zeit vom 22.11.1995 bis zum 31.03.1999 gezahlte Polizeizulage in Höhe von insgesamt 10.819,51 DM mit der Begründung zurück, solange der Kläger des Dienstes enthoben gewesen sei, habe ihm die Polizeizulage nicht zugestanden; auf einen Wegfall der Bereicherung könne sich der Kläger nicht berufen, weil er hätte erkennen müssen, dass ihm die Zulage nicht zugestanden habe. Dagegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch ein, den der Beklagte durch Bescheid vom 04.04.2000 unter Verzicht aus Billigkeit auf einen Forderungsanteil in Höhe von 10% zurückwies.

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Der Kläger hat fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung er vorträgt: Er habe die Polizeizulage im fraglichen Zeitraum zu Recht erhalten. Die Disziplinarkammer habe die Einbehaltung eines Teils der Bezüge in vollem Umfang, also auch hinsichtlich der Polizeizulage aufgehoben. Eine Rückforderung der Polizeizulage verstoße daher gegen die längst rechtskräftige Entscheidung der Disziplinarkammer. Jedenfalls habe er möglicherweise überzahlte Bezügeanteile im Rahmen seiner allgemeinen Lebensführung verbraucht. Den Mangel eines rechtlichen Grundes der Zahlung habe er nicht erkennen müssen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 05.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2000 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor: Der Kläger habe die Polizeizulage im fraglichen Zeitraum zu Unrecht erhalten, weil er des Dienstes enthoben gewesen sei. Die Polizeizulage sei eine Verwendungszulage, die dem Beamten nur zustehe, wenn er den Dienst, für den die Zulage gezahlt werde, tatsächlich leiste. Der Kläger könne sich auf einen Wegfall der Bereicherung nicht berufen; er habe die Rechtsgrundlosigkeit der Zahlung erkennen müssen. In den Bezügeblättern sei die Zulage besonders ausgewiesen. Dass auch auf Seiten der Besoldungsstelle fehlerhaft gearbeitet worden sei, habe in dem Verzicht auf einen Anteil von 10% des Überzahlungsbetrages sowie einer großzügigen Tilgungsregelung unter Verzicht auf Stundungszinsen einen angemessenen Niederschlag gefunden. Wenn der Mangel des rechtlichen Grundes für die Zahlung nicht so offensichtlich gewesen sei, dass der Kläger ihn habe erkennen müssen, so könne gemäß VwV 12.2.12. zu § 12 BBesG die Entreicherung des Klägers unterstellt werden.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagte vom 05.10.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2000 verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat die Polizeizulage in der Zeit vom 22.11.1995 bis zum 31.03.1999 zwar ohne Rechtsgrund erhalten. Die weiteren Voraussetzungen des § 12 des Bundesbesoldungsgesetztes (BBesG) für eine Verpflichtung des Klägers zur Rückzahlung der überzahlten Beträge liegen jedoch nicht vor.

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Für die Dauer seiner Suspendierung vom Dienst hatte der Kläger keinen Anspruch auf die Polizeizulage. Bei dieser Zulage handelt es sich um eine Stellenzulage, die gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 BBesG nur für die Dauer der Wahrnehmung der herausgehobenen Funktion gewährt werden darf. Durch sie werden die Besonderheiten des jeweiligen Dienstes, insbesondere der mit dem Posten- und Streifendienst sowie dem Nachtdienst verbundene Aufwand sowie der Aufwand für Verzehr mit abgegolten (Vorbem. Nr. 9 BBesO A Abs. 3). Das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 18.04.1991 - 2 C 11.90 -, ZBR 1991, 379) hat dazu entschieden:

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Nach Nr. 9 Abs. 1 Satz 1 der Vorbemerkungen erhalten u.a. Polizeivollzugsbeamte der Länder, soweit ihnen Dienstbezüge der Bundesbesoldungsordnung A zustehen, eine Stellenzulage nach Anlage IX. Gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 BBesG dürfen Stellenzulagen nur für die Dauer der Wahrnehmung der herausgehobenen Funktionen gewährt werden. Mit der Anknüpfung in Vorbemerkung Nr. 9 an bestimmte Beamtengruppen und die ihnen zugeordneten Funktionen ("Zulage für Beamte und Soldaten mit vollzugspolizeilichen Aufgaben") wird der Kreis der Zulageberechtigten sowohl von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Laufbahn als auch von der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben abhängig gemacht. Für die Zugehörigkeit zu einer Beamtengruppe ist die konkrete organisationsrechtliche Zuordnung des Beamten maßgebend (BVerwGE 79, 22 <24>; Urteil vom 6. April 1989 - BVerwG 2 C 10.87 - <Buchholz 240.1 Nr. 3 = ZBR 1990, 124>). Der Begriff der "Wahrnehmung herausgehobener Funktionen" i.S. des § 42 Abs. 3 Satz 1 BBesG stellt dagegen auf die tatsächliche Sachlage ab und erfordert insoweit grundsätzlich die tatsächliche Erfüllung der dem Beamten übertragenen Aufgaben (Urteil vom 6. April 1989 - BVerwG 2 C 10.87 - <a.a.O.>). Das Merkmal der tatsächlichen Erfüllung der Aufgabe wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Dienstausübung tatsächliche Hinderungsgründe - wie Erholungsurlaub oder Krankheit - entgegenstehen (Urteil vom 24. Januar 1985 - BVerwG 2 C 9.84 - <Buchholz 235 § 42 Nr. 8> m.w.N.).

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Etwas anderes muß indes für den Fall gelten, daß der Beamte r e c h t l i c h   aufgrund einer vom Dienstherrn ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung gehindert ist, Dienst zu leisten. Hierdurch werden das Recht und die Pflicht des Beamten, die mit seinem Amt im konkret-funktionellen Sinn verbundenen dienstlichen Aufgaben wahrzunehmen, aufgehoben. Damit entfällt für die Dauer der Dienstenthebung die Wahrnehmung der herausgehobenen Funktion gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 BBesG. Diese Auslegung steht mit dem Wortlaut der Vorbemerkungen Nr. 9 der Anlage I zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B im Einklang ("Zulage für Beamte mit vollzugspolizeilichen Aufgaben").

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Mit der vorläufigen Dienstenthebung des Klägers wurde zugleich die „Wahrnehmung“ der Dienstaufgaben beendet, die den Anspruch auf Zahlung der Zulage begründete. Deshalb stand dem Kläger vom 22.11.1995 an aus materiellem Besoldungsrecht die Zulage nicht mehr zu und durfte an ihn nicht weiter gezahlt werden (vgl. 2 Abs. 2 BBesG). Hieran änderte die Entscheidung der Disziplinarkammer nichts, durch welche die Anordnung der Einbehaltung eines Teils der Bezüge aufgehoben worden ist. Die Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich nur auf die Aufhebung der behördlichen Anordnung, die Bezüge des Klägers einzubehalten, also auf die Beseitigung eines behördlichen Eingriffsaktes in den Besoldungsstatus des Klägers. Die Entscheidung der Disziplinarkammer erzeugt keinen eigenständigen, neben die materiellrechtlichen Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes tretenden Rechtsgrund für eine Zahlung der Polizeizulage.

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Gemäß § 12 Abs. 2 Satz BBesG regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Danach ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ihm zur Herausgabe verpflichtet (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich, so hat der Empfänger den Wert zu ersetzen. Bei Gehaltszahlungen durch Bankgutschriften begründet dies regelmäßig die Pflicht zur Rücküberweisung (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 818 Anm. 6). Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Wertersatz ist jedoch ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist (§ 818 Abs. 3 BGB). Ist der erlangte Gegenstand weitergegeben oder verbraucht worden (für Lohnzahlungen vgl. BAG, NJW 2001, 2907), so besteht eine Bereicherung nur fort, soweit der Empfänger sich damit noch vorhandene Vermögensvorteile geschaffen hat (BGH, NJW 1984, 2095 [BGH 09.05.1984 - IVb ZR 7/83]), zum Beispiel anderweitige Ersparnisse, Anschaffungen, Tilgungen eigener Schulden (BGH NJW 2000, 740 [BGH 27.10.1999 - XII ZR 239/97]) usw.. Hat der Beamte die Überzahlung zu einer verhältnismäßig geringfügigen Verbesserung seiner Lebensverhältnisse aufgewendet, so fehlt es in der Regel an einer fortbestehenden Bereicherung. Da nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Lebenshaltung der Beamten sich in der Regel nach dem ihnen zur Verfügung stehende Gehalt richtet und infolge dessen mit einer Erhöhung des Gehalts auch die Ausgaben steigen, hat es nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts seinen wohlüberlegten Sinn, wenn bei geringfügigen Überzahlungen, die nicht mehr als 10% der an sich zustehenden Bezüge betragen, ein offenbarer Wegfall der Bereicherung unterstellt wird (BVerwGE 13, 107). Dem tragen die Verwaltungsvorschriften zu § 12 BBesG Rechnung, wonach ohne nähere Prüfung - sofern keine „verschärfte Haftung“ des Beamten eintritt (siehe dazu die Ausführungen weiter unten) - der Wegfall der Bereicherung unterstellt werden kann, wenn die im jeweiligen Monat zuviel gezahlten Bezüge 10 v. H. des insgesamt zustehenden Betrages, höchstens 300,00 DM nicht übersteigen, was auch dann gelten soll, wenn in einem Monat Nachzahlungen erfolgen (BBesGVwV 12.2.12). Danach kann beim Kläger der Wegfall der Bereicherung angenommen werden. Denn die Zulage machte an den ihm zustehende Bezügen insgesamt nur einen Anteil von ca. 3,5% aus. Berücksichtigt man ferner, dass die Überzahlungen beim Kläger nicht zu einer Erhöhung der für seinen Lebensunterhalt eingeplanten Bezüge geführt, die ihm rechtliche zustehenden Bezüge vielmehr zu einer Anpassung seines Lebensstandards „nach unten“ hätte führen müssen, so deutet nichts daraus hin, dass der Kläger die jeweils überzahlten Beträge zur Mehrung seines Vermögens eingesetzt hat.

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Dem Kläger ist es nicht verwehrt, sich auf den Wegfall der Bereicherung zu berufen. Denn er haftet nicht „verschärft“. Gemäß § 819 Abs. 1 BGB ist der Empfänger einer Leistung, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang oder später erfährt, von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG steht es der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung gleich, wenn der Mangel so offensichtlich ist, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Offensichtlich ist der Mangel nicht nur dann, wenn er ungehindert sichtbar ist, sondern auch, wenn dem Beamte die Erkenntnis, dass er Bezüge erhält, die ihm nicht zustehen, durch andere als optische Wahrnehmung zugänglich ist, insbesondere, wenn sie durch Nachdenken, logische Schlussfolgerungen oder durch sich aufdrängende Erkundigung in Erfahrung gebracht werden kann (Fürst, GKÖD, Band III K § 12 Anm. 23, m. w. N.). In diesem Sinne ist dem Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht vorzuwerfen, er habe den Mangel des rechtlichen Grundes nur deshalb nicht erkannt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße außer Acht gelassen habe. Die Erkenntnis, dass als Folge einer vorläufigen Dienstenthebung ohne Anordnung der Einbehaltung (eines Teils) der Bezüge, die materiellrechtliche Grundlage für die Zahlung bestimmter Bestandteile der Bezüge entfallen kann, drängt sich einem im Besoldungsrecht nicht bewanderten Beamten nicht auf. Die Fortzahlung der ungekürzten Bezüge muss bei ihm nicht Zweifel erwecken, ob sich sein Besoldungsstatus gegenüber dem bisherigen nicht allein dadurch ändert, dass er unter Beibehaltung seines Alimentationsanspruch seinen Dienst nicht versieht. Aus der Sicht des Klägers liegt es nahe anzunehmen, dass er nach Aufhebung der Anordnung über die Einbehaltung seiner Bezüge die ihm „als Polizeibeamten“ zustehenden Bezüge weiterhin erhält. Um zu erkennen, dass die Polizeizulage nicht dem Polizeivollzugsbeamten an sich zusteht, sondern nur solange, wie er als Polizeivollzugsbeamter auch tatsächlich eingesetzt ist, bedarf es näherer Kenntnisse des Besoldungsrechts, die nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden können, zumal unter Polizeibeamten kraft Erfahrung bekannt sein dürfte, dass eine vorübergehende Unterbrechung der Wahrnehmung der Dienstaufgaben - etwa durch Urlaub oder Erkrankung - regelmäßig keinen Einfluss auf die Zahlung der Zulage hat. Dem Kläger musste sich der besoldungsrelevante Unterschied zwischen einer Unterbrechung der Dienstausübung wegen Krankheit oder Urlaub und einer solchen wegen einer Suspendierung nicht ohne Weiteres aufdrängen (vgl. VG Bremen, U. v. 08.05.1989 - 5 A 345/87 -, im Instanzenzug der Entscheidung des BVerwG v. 18.04.1991 - 2 C 11.90 -, ZBR 1991, 379, vorangehend)

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil sie die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), ob ein Polizeivollzugsbeamter regelmäßig, das heißt ohne individuelle Spezialkenntnisse, Zweifel daran hegen muss, dass ihm während einer vorläufigen Dienstenthebung ohne Anordnung einer Einbehaltung (eines Teils) seiner Bezüge die Polizeizulage zusteht.