Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.05.1992, Az.: 11 U 12/92
Einwendungen wegen der Nichtausführung von Wertpapiergeschäften ; Kommissionsgeschäft mit Selbsteintritt; Schadensersatzanspruch wegen pflichtwidrigen Unterlassens eines Deckungsgeschäftes; Zeitspanne zwischen Auftragserteilung und Weiterleitung (Unverzüglichkeitsgebot); Darlegungslast und Beweislast für die Schadensursächlichkeit der Pflichtverletzung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.05.1992
- Aktenzeichen
- 11 U 12/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 15651
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1992:0522.11U12.92.0A
Fundstellen
- WM 1993, 1879-1882 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1993, 259
Amtlicher Leitsatz
Zu den Pflichten einer Bank bei einem limitierten Verkaufsauftrag für Optionsscheine, die nur von einigen Maklern im telefonischen Freiverkehr gehandelt werden.
Gründe
1.)
Die von der Beklagten nicht ausgeführten Verkaufsaufträge vom 23.02.1990 bezogen sich nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien auf Optionsscheine und waren daher weder als Börsentermingeschäft (§ 53 Börsengesetz) noch als Differenzgeschäft (§ 764 BGB) oder als Spiel (§ 762 BGB) unverbindlich (vgl. OLG Bamberg WM 1989, 745, bestätigt durch BGH WM 1989, 1881; OLG Stuttgart WM 1990, 627 [OLG Stuttgart 20.03.1990 - 6 U 171/89]; OLG Frankfurt am Main WM 1990, 1452 [OLG Frankfurt am Main 05.07.1990 - 16 U 113/89]; OLG Hamburg WM 1991, 581 [OLG Hamburg 22.02.1991 - 1 U 78/90]). Die Beklagte macht auch nicht geltend, daß die Verträge vom 23.02.1990 unwirksam waren und daß die Klageforderung bereits aus diesem Grunde nicht bestehen könnte.
2.)
Ein Anspruch aus §§ 401, 400 HGB bzw. § 433 Abs. 2 BGB auf Abrechnung nach dem am 23.02.1990 gesetzten Limit besteht entgegen der Ansicht des Klägers selbst dann nicht, wenn ein Verkauf zu diesem Limit am 23.02.1990 bei pflichtgemäßen Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten erfolgt wäre.
Nach Nr. 39 a Abs. 2 Satz 1 der AGB der Beklagten, deren Geltung bei Auftragserteilung vereinbart worden ist (§ 2 Abs. 1 AGBG), behielt sich die Beklagte vor, Aufträge über Wertpapiere entweder als Eigenhändler oder als Kommissionär durch Selbsteintritt auszuführen, wenn diese Wertpapiere - wie die Optionsscheine des Klägers - nicht zum amtlichen Handel oder nicht zum geregelten Markt zugelassen sind. Während das Eigengeschäft ein reiner Kaufvertrag zwischen der Bank als Käufer bzw. als Verkäufer und dem Kunden als Verkäufer bzw. Käufer ist, findet auf das Kommissionsgeschäft mit Selbsteintritt grundsätzlich Kommissionsrecht, teilweise aber auch Kaufrecht Anwendung (vgl. Landgericht Darmstadt, WM 1984, 332; Klein in: Bankrecht und Bankpraxis Rdn. 7 / 74 ff; Assmann/Schütze/Roth, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 11 Rdn. 73 ff; Schlegelberger/Hefermehl, HGB 5.·Aufl. § 405 Rdn. 19). Ein Kaufpreisanspruch gegen die Bank aus § 433 Abs. 2 BGB bzw. ein Anspruch aus § 400, 401 HGB auf Abrechnung des Deckungsgeschäfts zu dem Preis, der bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erzielbar gewesen wäre, entsteht aber in keinem Fall, bevor die Bank tatsächlich ein Deckungsgeschäft abgeschlossen hat. Unterbleibt dies pflichtwidrig - wie von dem Kläger geltend gemacht - so besteht lediglich ein Schadensersatzanspruch aus §·385 HGB oder aus PVV (vgl. Bürger WuB I G 1.- 2.89).
3.)
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch, weil der Verkaufsauftrag am 23.02.1990 nicht ausgeführt worden ist.
a)
Einem etwaigen Schadensersatzanspruch steht allerdings - worauf das Vorbringen der Beklagten abzielt - nicht der Einwand der Verwirkung (vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, 1981, Rdn. 1846, 1933; Sonnenhol WuB I G 1. - 3.88) entgegen, weil der Kläger die Wertpapiere im März bzw. April 1990 zu einem niedrigeren Kurs verkauft hat, ohne sie zuvor der Beklagten zu dem am 23.02.1990 gesetzten Limit anzubieten. Denn der Kläger wußte vor dem späteren Verkauf unstreitig nicht, zu welchem Zeitpunkt die Mitarbeiter der Beklagten die Verkaufsaufträge weitergeleitet hatten. Dies hat er erst im Jahre 1991 erfahren. Vorher bestand für den Kläger keine Veranlassung, der Beklagten die Wertpapiere zu dem am 23.02.1990 gesetzten Limit anzubieten; die Beklagte hatte keinen Anlaß darauf zu vertrauen, daß sie von dem Kläger nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden würde. Der vorliegende Sachverhalt ist insoweit nicht vergleichbar mit der Entscheidung des Landgerichts Frankfurt vom 30.05.1988 (WM 1988, 1366).
b)
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch scheitert auch nicht daran, daß der Kläger nach Nr. 36 Abs. 6 Satz 2 der AGB der Beklagten Einwendungen wegen Nichtausführung von Wertpapiergeschäften unverzüglich nach dem Zeitpunkt zu erheben hat, an dem die Ausführungsanzeige ihm im gewöhnlichen Postlauf hätte zugehen müssen. Denn abgesehen davon, daß der Kläger Einwendungen nicht erheben konnte, bevor er wußte, wann seine Aufträge weitergeleitet worden waren, gilt die Genehmigungsfiktion aus Nr. 36 Abs. 6 Satz 3 der AGB der Klägerin bereits ihrem Wortlaut nach nur für unterbliebene Einwendungen gegen Ausführungsanzeigen (so Canaris a.a.O. Rdn. 1933; Sonnenhol a.a.O.; a.A. Schlegelberger/Hefermehl, a.a.O. § 401 Rdn. 97).
c)
Bedenken bestehen gegen die Auffassung des Landgerichts, die Weiterleitung der Aufträge durch die Mitarbeiter der Beklagten an die B-Bank nach ca. 2 Stunden bzw. 1 1/4 Stunden lasse ohne nähere Darlegungen des Klägers dazu, daß eine schnellere Bearbeitung möglich gewesen wäre, eine Pflichtverletzung nicht erkennen.
Das Landgericht stellt insoweit zwar zutreffend auf die Zeitspanne von ca. 2 Stunden bzw. 1 1/4 Stunden zwischen der Auftragserteilung an die Beklagte und der Weiterleitung an die B-Bank und nicht auf den längeren Zeitraum bis zum Eingang des Verkaufsangebots bei einem Makler dieser Optionsscheine ab. Denn dem Kläger war vor Auftragserteilung bekannt, daß die Beklagte über kein eigenes Konto bei einem solchen Makler verfügte und daß sie den Auftrag über die B-Bank abwickeln mußte. Für Verzögerungen des Auftrages nach der Weiterleitung an die B-Bank haftet die Beklagte daher nach Nr. 19 Abs. 1 Satz 2 ihrer AGB, die insoweit der Regelung in § 664 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechen, nicht (vgl. MünchKomm-Seiler, BGB, 2. Aufl., § 664 Rdn. 5 u. 17).
Die Beklagte war verpflichtet, die Verkaufsaufträge des Klägers für die Optionsscheine, die starken Kursschwankungen unterliegen können, schnellstmöglich weiterzuleiten; hierbei handelte es sich um eine Kardinalpflicht der Beklagten (Canaris a.a.O., Rdn. 1922; Krebs, AGB-Sparkassen/Banken, 3. Aufl., Rdn. 36.12; Assmann/Schütze/Roth, a.a.O., § 12 Rdn. 77). Dies gilt unabhängig davon, welches Ausmaß die von der Beklagten selbst vorgetragenen Kursstürze am Tage zuvor hatten, sowie unabhängig davon, ob der Kläger die Mitarbeiter der Beklagten ausdrücklich auf die Eilbedürftigkeit der Aufträge hingewiesen hatte; diese ergab sich ohne weiteres aus dem Auftrag selbst und aus den Umständen seiner Erteilung. Die Beklagte kann daher zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg auf Nr. 36 Abs. 3 ihrer AGB verweisen, wonach sie Wertpapieraufträge möglichst noch am Tage des Eingangs ausführt und bei nicht rechtzeitiger Ausführung nur für grobes Verschulden haftet. Denn die Haftung für die Verletzung der Kardinalpflicht, die Wertpapieraufträge schnellstmöglich weiterzuleiten, kann weder abbedungen noch auf Fälle grober Fahrlässigkeit beschränkt werden (vgl. Canaris a.a.O., Rdn. 2756; Krebs a.a.O., Rdn. 36.12.; BGH NJW RR 1988, 559; BGH NJW 1991, 2559, 2563).
Die Beklagte ist dem - einleuchtenden - Vortrag des Klägers nicht substantiiert entgegengetreten, der Zeitraum zwischen der Auftragserteilung und der Weiterleitung durch die Beklagte entspräche nicht dem Unverzüglichkeitsgebot und auch nicht der Praxis bei anderen Banken. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten, sämtliche Wertpapierverkäufe müßten erst in der Depotbuchhaltung auf ihre Ordnungsgemäßheit geprüft werden (Kunde, Wertpapierbestand, Unterschrift bei eventuellen Verpfändungen o.ä.), läßt jeden konkreten Bezug zu den Verkaufsaufträgen des Klägers und den dadurch veranlaßten Überprüfungen vermissen. Auch der Vortrag, den Mitarbeitern der Beklagten sei es "trotz aller Bemühungen" nicht gelungen, die Aufträge früher weiterzuleiten, ist substanzarm. Es spricht daher einiges für die Behauptung des Klägers, die Mitarbeiter der Beklagten hätten seine Aufträge nicht schnellstmöglich weitergeleitet, sondern einige Zeit unbearbeitet liegen lassen. d) Ob die Beklagte sich zu der Behauptung des Klägers, die Mitarbeiter der Beklagten hätten gegen die Kardinalpflicht verstoßen, den Auftrag schnellstmöglich weiterzuleiten, hinreichend im Sinne von § 138 Abs. 2 ZPO erklärt hat, und ob es zur Feststellung und näheren Konkretisierung der insoweit bestehenden Pflichten der Beklagten der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf, kann aber dahingestellt bleiben. Denn der Kläger trägt auch in der Berufungsinstanz nicht substantiiert vor, daß ein Verkauf der Wertpapiere zu dem von ihm gesetzten Limit erfolgt wäre, wenn die Mitarbeiter der Beklagten die Aufträge schnellstmöglich weitergeleitet hätten.
aa)
Die Darlegungs- und Beweislast für die Schadensursächlichkeit der - unterstellten - Pflichtverletzung trägt der Kläger. Eine Beweislastumkehr greift insoweit entgegen der Ansicht des Klägers nicht ein. Grundsätzlich muß die Partei, die Schadensersatz verlangt, den Ursachenzusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und dem geltend gemachten Schaden beweisen. Einer der Fälle, für die die Rechtsprechung eine Ausnahme von diesem Grundsatz anerkannt hat (vgl. BGH JZ 1988, 656 = NJW 1988, 200; Palandt-Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 282 Rdn. 14), liegt nicht vor. Teilweise wird postuliert, daß die anerkannte Beweislastumkehr bei einem schuldhaft groben Verstoß gegen Berufspflichten, die andere vor Schäden des Körpers und der Gesundheit schützen sollen, auch auf die Verletzung von Berufspflichten ausgedehnt werden sollte, die dem Schutz des Vermögens dienen (vgl. Palandt-Heinrichs a.a.O.; Giesen JZ 1988, 660; Heinemann NJW 1990, 2945 ff, 2351). Demgegenüber hat der BGH (BGH a.a.O. S. 658) aber zu Recht betont, es könne keinesfalls darauf verzichtet werden, daß die Verletzung der fraglichen Berufspflicht typischerweise zu dem geltend gemachten Schaden führt. Diese Voraussetzung ist angesichts der unstreitigen Kursschwankungen bei den streitgegenständlichen Wertpapieren nicht gegeben.
Eine Beweislastumkehr kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil die Schadensursache im Gefahren- und Verantwortungsbereich der Beklagten liegt, den der Kläger nicht überblicken kann (vgl. BGH a.a.O. S. 659). Die Feststellung, welche Kaufofferten am 23.02.1990 für die Wertpapiere des Klägers vorlagen, erfordert keinen Einblick in die Sphäre der Beklagten; diese sollte die Aufträge des Klägers lediglich weiterleiten. Es entspricht auch der überwiegenden Auffassung, daß derjenige, der sich auf eine günstigere Abschlußmöglichkeit beruft, diese darlegen und ggfls. beweisen muß (vgl. Landgericht Aachen, WM 1988, 864; Krebs a.a.O. Rdn. 36.12; Staub-Keller, Großkommentar HGB, 401 Rdn. 6; Canaris a.a.O. Rdn. 1917; Lange WuB I G 1. - 2.88; Schlegelberger/Hefermehl a.a.O., §·401 Rdn. 16; a.A. Assmann/Schütze/Roth, a.a.O., § 12 Rdn. 80). Dem Kläger wird hierdurch kein unbilliges Beweisrisiko auferlegt; zu seinen Gunsten greifen die Beweiserleichterungen nach §§ 252 Satz 2 BGB, 287 ZPO ein (BGH a.a.O. S. 659).
bb)
Bezüglich der am 23.02.1990 um 8.30 Uhr erteilten Aufträge macht der Kläger lediglich pauschal geltend, bei sofortiger Weiterleitung der Aufträge durch die Mitarbeiter der Beklagten sei ein Verkauf zu dem gesetzten Limit möglich gewesen. Er bestreitet nicht den von der Beklagten vorgetragenen, niedrigeren bzw. nur für größere Handelseinheiten gültigen Tageskurs, verweist aber darauf, daß dieser Kursschwankungen im Verlaufe des vormittags nicht erfaßt. Konkrete Angaben zu dem Kursverlauf am 23.02.1990 und zu den getätigten Umsätzen macht er nicht. Er trägt nicht einmal vor, welche Kurse sich aus den informellen Informationssystemen ergeben haben, die er laufend verfolgt haben will. Der Vortrag des Klägers läßt daher auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen aus §§ 252 Satz 2 BGB, 287 ZPO nicht den Schluß zu, daß ein Verkauf zu dem gesetzten Limit erfolgt wäre, wenn die Mitarbeiter der Beklagten die Aufträge schnellstmöglich weitergeleitet hätten.
cc)
Bezüglich des Verkaufsauftrages um 9.15 Uhr besteht zwar die Besonderheit, daß der Kläger behauptet er habe der D-Bank zur selben Zeit denselben Auftrag erteilt, der sogar zu einem höheren Kurs ausgeführt worden sei.
Der Verkauf durch die D-Bank läßt aber nicht den Schluß zu, daß zur selben Zeit auch noch weitere Kaufaufträge zu diesem Kurs vorlagen. Der Kläger macht keinerlei Angaben zum Kursverlauf und zum Umsatz am 23.02.1990 im übrigen. Er trägt nicht vor, auf welche Weise (z. B. eigener Kunde der D-Bank oder Erwerb durch diese selbst) es zum Verkauf gekommen ist; die vorgelegte Abrechnung weist keine Spesen aus. Der Zeitpunkt des Verkaufs wird nicht vorgetragen, nur der Zeitpunkt der Weiterleitung des Auftrages in die Schweiz.