Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.01.2004, Az.: 6 W 112/03
Vorliegen eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als Grundlage für eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung; Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für ein zivilgerichtliches Verfahren; Nichtbestehen von Anhaltspunkten für ein Verschulden des entscheidenden Richters aufgrund der Bestätigung seiner Entscheidung von einem Kollegialgericht; Unzulässigkeit einer Inhaftierung nach dem Antrag auf Aufhebung eines Abschiebungshaftbefehls; Unvertretbarkeit der Ablehnung des Antrags auf Aufhebung eines Abschiebehaftbefehls; Unzulässigkeit der Sicherungshaft bei feststehender Unmöglichkeit einer Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 12.01.2004
- Aktenzeichen
- 6 W 112/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 37678
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2004:0112.6W112.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 03.09.2003 - AZ: 5 O 1704/02
Rechtsgrundlagen
- § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG
- § 64 Abs. 3 AuslG
- § 839 Abs. 1 BGB
- Art. 5 Abs. 1 EMRK
- Art. 5 Abs. 5 EMRK
- § 8 Abs. 1 S. 3 FrhEntzG
Fundstelle
- InfAuslR 2004, 216-217
In der Beschwerdesache
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ...und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
am 12.01.2004
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 10.10.2003 wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 03.09.2003 in der Fassung vom 20.10. 2003 geändert:
Dem Antragsteller wird für eine gegen den Landkreis ...gerichtete Klage in Höhe von 2.255,00 EUR und eine gegen das Land ...gerichtete Klage in Höhe von 1.364,00 EUR Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ...bewilligt.
Im übrigen wird der Prozesskostenhilfeantag abgewiesen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache nur zu einem Teil Erfolg.
Eine Klage gegen das Land nach § 839 Abs. 1 BGB hat keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Dabei kann dahinstehen ob der Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 12.04.2001 Urteilscharakter hat, jedenfalls liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein Verschulden des entscheidenden Richters vor, da seine Entscheidungen von einem Kollegialgericht bestätigt worden sind.
Hingegen ist einer Klage gegen das Land unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 5 EMRK hinreichende Erfolgsaussicht nicht abzusprechen, soweit der Anspruchsteller nach dem 02.07.2001 weiterhin in Haft gehalten wurde. Art. 5 Abs. 5 EMRK gewährt dann einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch, wenn dem Anspruchsteller seine Freiheit dem Art. 5 Abs. 1 EMRK zuwider beschränkt wurde (BGHZ 45, 46). Nach Art. 5 Abs. 1 f) darf die Freiheit nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden, wenn eine Person rechtmäßig festgenommen oder in Haft gehalten wird zur Verhinderung der unerlaubten Einreise oder wenn gegen die Person ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
Bis zur Stellung des Antrages auf Aufhebung der Abschiebehaft am 02.07.2001 war der Abschiebehaftbefehl unanfechtbar. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (unter Bezugnahme auf BGHZ 57, 33) in dem angefochtenen Beschluss vom 07. Juli 2003 an, wonach die Freiheitsentziehung aufgrund eines unanfechtbaren Beschlusses nicht rechtswidrig ist. Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses endete aber mit dem Antrag des Antragstellers vom 02.07.2001 auf Aufhebung des Abschiebehaftbefehls.
Für die Zeit nach Eingang dieses Antrags ist darauf abzustellen, ob die Entscheidung des Gerichts vertretbar ist. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass staatsanwaltschaftliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Strafverfahren, bei denen dem Staatsanwalt ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, im Amtshaftungsprozess nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen sind (BGH NJW 1989, 96). Diese Grundsätze hat der BGH auch auf Entscheidungen von Richtern für anwendbar erklärt, die über die Anordnung oder Fortdauer von Untersuchungshaft zu entscheiden haben (vgl. BGHZ 27, 338 (346)). Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Entscheidung nicht mehr verständlich ist.
Nach dem bisherigen Sachvortrag und den dem Senat vorliegenden Unterlagen dürfte die Vertretbarkeit der Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Abschiebehaftbefehls - jedenfalls mit einer für die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten genügenden Sicherheit - abzulehnen sein. Auf Bl. 32 der dem Senat in Ablichtung vorliegenden Verwaltungsvorgänge des Landkreises Vechta befindet sich ein Antrag der Bezirksregierung Braunschweig vom 27.01.2000 an die Kanzlei der Botschaft der Russischen Föderation auf Ausstellung eines Passersatzpapieres für den Antragsteller, dem ein vom Antragsteller selbst ausgefüllter und unterschriebener Antrag vom 26.01.2000 beigefügt war. Auf diesen Antrag antwortete das Generalkonsulat der Russischen Föderation mit Schreiben vom 29.05.2000. In diesem Schreiben wurde mitgeteilt, dass sich die Identität des Antragsstellers derzeit nicht feststellen lasse, da keine Informationen aus Tschetschenien vorliegen. Bereits zu diesem Zeitpunkt war daher bekannt, dass wegen fehlender Passersatzpapiere eine Abschiebung nicht erfolgen konnte und die Beschaffung von Passersatzpapieren nicht möglich war. Nach § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate erfolgen kann. Danach hätte der Antragsteller am 02.07.2001 von der Abschiebehaft verschont werden müssen. Nach diesen bisher bekannten Tatsachen war der weitere Vollzug der Abschiebehaft damit rechtswidrig. Unter diesen Umständen war die Fortdauer der Sicherungshaft vom 02.07.2001 an wegen Fehlens eines unanfechtbaren Abschiebehaftbefehls rechtswidrig.
Es bestehen somit hinreichende Erfolgsaussichten einer Klage gegen das Land auf Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 02.07. - 02.11.2001 (124 Tage).
Für eine Klage gegen den beklagten Landkreis bestehen die hinreichenden Erfolgsaussichten für den gesamten Zeitraum.
Der beklagte Landkreis ist passivlegitimiert. Er hat dafür einzustehen, dass in rechtswidriger Weise gegen den Antragsteller ein Antrag auf Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 AuslG gestellt wurde und die antragsgemäß ergangene Haftanordnung auch vollzogen worden ist. Den Landkreis vermag es nicht zu entlasten, dass die Haftanordnung durch einen (unabhängigen) Richter beschlossen worden ist, zumal die Entscheidung, ob die angeordnete Sicherungshaft auch vollzogen wird, dem Landkreis oblag (§ 8 Abs. 1 Satz 3 FrhEntzG).
Der Antragsteller hat schlüssig einen Anspruch gegen den beklagten Landkreis nach § 839 Abs. 1 BGB dargelegt. Der Antragsteller hat vorgetragen, bereits im Jahre 2000 einen Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren gestellt zu haben. Dieser Antrag sei negativ beschieden worden. Dies ergebe sich aus den Verwaltungsvorgängen des beklagten Landkreises. Die Sicherungshaft war damit nach § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG nicht zulässig, denn dass er keine Passersatzpapiere bekommen konnte, war vom Antragsteller nicht zu vertreten. Er hatte den Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren am 26.02.2000 ausgefüllt und unterzeichnet. Dadurch, dass der beklagte Landkreis dennoch veranlasste, dass ein Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft zur Abschiebung gestellt wurde, hat er seine Amtspflichten schuldhaft verletzt.
Der Landkreis ist dem Vortrag bisher nicht entgegengetreten, der im übrigen durch die dem Senat in Ablichtung vorliegenden Verwaltungsvorgängen des beklagten Landkreises bestätigt wird. Im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Abschiebehaft durch die Stadt..., in Amtshilfe für den beklagten Landkreis, war daher in keiner Weise damit zu rechnen, dass die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate erfolgen könnte.
Im übrigen ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen des beklagten Landkreises, dass gegen den Antragsteller mehrere Anklagen erhoben worden waren. Den Verwaltungsvorgängen lässt sich nicht entnehmen, dass der beklagte Landkreis die Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft gem. § 64 Abs. 3 AuslG, ohne die eine Abschiebung nicht zulässig war, eingeholt hätte. Hierin könnte ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liegen.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (§ 287 ZPO). Sie ist deshalb vom Revisionsgericht und gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nunmehr auch vom Berufungsgericht, grundsätzlich nur noch darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob sich das Gericht mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessenen Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzung bemüht hat (vgl. BGH MJW 1998, 2741, 2742 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes an der Regelung des § 7 Abs. 3 StrEG orientiert hat. Zwar ist das StrEG, wie auch das Landgericht erkannt hat, auf zu Unrecht erlittene Abschiebehaft nicht unmittelbar anwendbar. Das schließt aber nicht aus, die in § 7 Abs. 3 StrEG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung entsprechend heranzuziehen (so für die Entschädigung aus dem allgemeinen Aufopferungsanspruch BGH 1990, 397, 398; für den auch hier gegebnen Fall der Abschiebehaft vgl. OLG Schleswig, SchlHA 2002, 113, 114; OLG Oldenburg 6 W 58/03).
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