Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.02.2006, Az.: 1 W 98/05
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.02.2006
- Aktenzeichen
- 1 W 98/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 42107
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2006:0220.1W98.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Fürstenfeldbruck; AG Herzberg am Harz, 4 C 2018/05; 4 C 336/05
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2006, 652-654
Tenor:
Zum zuständigen Gericht wird das Amtsgericht Herzberg am Harz bestimmt.
Gründe
I.
Die Klägerin fordert von dem Beklagten die Vergütung von Mobilfunkleistungen in Höhe von 1.613,88 € nebst Zinsen. Die Parteien haben im Juni 2003 einen Vertrag über die Bereitstellung und Nutzung eines Mobilfunkanschlusses geschlossen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wohnte der Beklagte im Bezirk des Amtsgerichtes Herzberg.
Wegen angeblich noch offener Forderungen betrieb die Klägerin gegen den Beklagten das Mahnverfahren. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids war der Beklagte noch im Bezirk des Amtsgerichts Herzberg wohnhaft, das die Klägerin im Mahnantrag auch als zuständiges Streitgericht bezeichnet hat. Obwohl das Mahngericht ihr die Einlegung des Widerspruchs bereits Ende 2003 mitgeteilt hatte, betrieb die Klägerin die Durchführung des streitigen Verfahrens erst im Jahre 2005. Die Akten sind am 02.06.2005 beim Amtsgericht Herzberg am Harz eingegangen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Anspruchsbegründung am 27.09.2005 wohnte der Beklagte in Germering im Bezirk des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck.
Aufgrund des Hinweises des Amtsgerichts Herzberg, es sei unzuständig, weil der Wohnsitz des Beklagten nicht in seinem Gerichtsbezirk liege, hat die Klägerin die Verweisung an das "örtlich zuständige" Gericht beantragt. Mit Beschluss vom 28.10.2005 hat sich das Amtsgericht Herzberg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck verwiesen. Eine Begründung enthält dieser Beschluss nicht.
Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hat die Akten an das Amtsgericht Herzberg mit der formlosen Mitteilung zurückgesandt, es sei nicht zuständig, da die Klägerin den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gewählt habe. Daraufhin hat das Amtsgericht Herzberg die Akten erneut dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck mit der Bemerkung zugeleitet, dass "beim Dienstvertrag der gemeinsame Erfüllungsort ist, wo die Dienste zu leisten sind. Das ist bei einem Handyvertrag nicht der Wohnsitz des Schuldners."
Mit Beschluss vom 23.11.2005 hat sich das Amtsgericht Fürstenfeldbruck ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und dem Oberlandesgericht Braunschweig die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorgelegt.
II.
Das Amtsgericht Herzberg ist als das zuständige Gericht zu bestimmen.
1. Die Voraussetzungen zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind gegeben.
Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hat dem Oberlandesgericht Braunschweig den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt. Diese Vorlage von Amts wegen genügt für eine Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. BGH NJW 1979, 1048; 1985, 2537.).
Das Oberlandesgericht Braunschweig ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen. Die Amtsgerichte Herzberg und Fürstenfeldbruck befinden sich in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken. Das Amtsgericht Herzberg war zuerst mit der Sache befasst (vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, 27. Auflage, § 36, Rn. 6).
Sowohl das Amtsgericht Herzberg als auch das Amtsgericht Fürstenfeldbruck haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen nach § 281 Abs. 1 ZPO für örtlich unzuständig erklärt, so dass ein negativer Kompetenzkonflikt vorliegt.
2. Der Bestimmung des Amtsgerichts Herzberg am Harz zum zuständigen Gericht steht der Verweisungsbeschuss vom 28.10.2005 nicht entgegen.
Grundsätzlich ist ein Verweisungsbeschluss nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend, so dass er nicht von dem neuen Gericht und dessen Rechtsmittelinstanzen aufgehoben oder abgeändert werden kann. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Verweisung jede gesetzliche Grundlage fehlt und sie daher objektiv willkürlich erscheint (vgl. Reichold, in: Thomas / Putzo, 27. Auflage, § 281, Rn. 12; BGH NJW 1993, 1273.).
Das ist hier der Fall.
Das Amtsgericht Herzberg hat nach Aktenlage im Rahmen seines Verweisungsbeschlusses den Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 Abs. 1 ZPO als eindeutige Zuständigkeitsvorschrift (s. u. zu Ziffer 3 und 4 ) übergangen, so dass die Verweisung mangels einer gesetzlichen Grundlage als objektiv willkürlich erscheint (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 281 Rn. 17). Das folgt nicht allein aus dem Umstand, dass das Amtsgericht Herzberg den Verweisungsbeschluss vom 28.10.2005 nicht begründet hat. In den Fällen fehlender Begründung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 ZPO genügt für das Entstehen einer Bindungswirkung, dass sich aus dem Akteninhalt ergibt, dass das verweisende Gericht die Rechtslage sachlich überprüft hat und dabei eine vom verweisenden Gericht für zutreffend erachtete Rechtsgrundlage für die Verweisung erkennbar ist (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1991, 90; KG MDR 1993, 176). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor. Das Amtsgericht Herzberg hat sich erst nach dem Erlass seines Verweisungsbeschlusses anlässlich der ersten Rücksendung der Akten zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes geäußert. Die nachträglichen Erwägungen des Amtsgerichts Herzberg zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes ändern nichts an der objektiven Willkürlichkeit des Verweisungsbeschlusses, da entsprechende Erwägungen - deren Vertretbarkeit in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben kann - bei Erlass des Verweisungsbeschluss nicht ersichtlich vorgenommen worden sind. Zu dem gebotenen Schutz des Anspruchs der Parteien auf einen gesetzlichen Richter sowie auf rechtliches Gehör ist es unerlässlich, dass sich das Gericht bereits zum Zeitpunkt seiner Entscheidung mit sämtlichen in Betracht kommenden rechtlichen Grundlagen auseinandergesetzt hat, wobei es irrelevant ist, ob es einer vertretbaren Mindermeinung folgt oder sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung anschließt (BGH NJW-RR 2002, 1498, 1499 [BGH 09.07.2002 - X ARZ 110/02]). Wenn das Gericht allerdings eine rechtliche Grundlage auf nicht nachvollziehbare Weise verkennt, erscheint die Entscheidung bei verständiger Würdigung der die grundrechtsgleichen Rechte in Art. 101 und 103 GG beherrschenden Gedanken nicht nachvollziehbar und daher offensichtlich unhaltbar.
3. Das Amtsgericht Herzberg am Harz ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
Nach § 29 Abs. 1 ZPO ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Der Erfüllungsort für die von der Klägerin geltend gemachten Forderungen ist nach § 269 Abs. 1 ZPO der Wohnsitz des Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Bezirk des Amtsgerichts Herzberg.
a.) Die Klägerin trägt vor, mit dem Beklagten einen Vertrag über Mobilfunkleistungen, mithin einen Dienstvertrag i. S. d. § 611 BGB, geschlossen zu haben. Für die Leistungs- und Gegenleistungspflicht aus einem Mobilfunk-(Dienst-)Vertrag kann aus der Natur des Schuldverhältnisses und mangels Anhaltspunkten für eine entsprechende Vereinbarung ein einheitlicher gemeinsamer Erfüllungsort nicht festgestellt werden. Es fehlt an einer prägenden, an einem bestimmten Ort zu erbringenden Dienstleistung (vgl. BGH NJW 1995, 1546, 1547 [BGH 09.03.1995 - IX ZR 134/94]). Der Betrieb des Mobiltelefons sollte dem Beklagten nach dem Vertrag von der Klägerin zwar auch an seinem damaligen Wohnort in Herzberg ermöglicht werden, aber - anders als bei einem Festnetzanschluss oder einem Vertrag über Energieversorgungs-leistungen (vgl. BGH NJW 2003, 3418) - eben nicht nur dort, was auch gerade dem Sinn eines Mobiltelefons entspricht.
b.) Fehlt es bei einem gegenseitigen Vertrag an einem gemeinsamen Erfüllungsort, ist für jede der auszutauschenden Leistungen der Erfüllungsort gesondert zu beurteilen, hier für die Zahlungspflicht des Beklagten. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Zahlungen an einem bestimmten Ort zu erbringen hatte, liegen nicht vor. Nach den demzufolge anzuwendenden allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Leistungsort (§§ 269, 270 BGB) ist der Leistungsort für die Zahlungen des Beklagten sein Wohnort zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses (vgl. BGH NJW 1995, 1546 [BGH 09.03.1995 - IX ZR 134/94]). Dass Geldschulden nach § 270 Abs. 1 BGB Schickschulden sind, betrifft nur die Gefahrtragung und ändert deshalb an dem gem. §§ 269, 270 BGB insoweit grundsätzlich am Wohnsitz des Schuldners gegebenen Leistungs- und Erfüllungsort nichts (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 270 Rn. 1). Unerheblich ist auch, dass der Beklagte nach dem Vertragsschluss seinen Wohnsitz und Aufenthaltsort gewechselt hat. Maßgeblich sind allein die Verhältnisse bei der Entstehung des Schuldverhältnisses, sofern die Parteien nicht nachträglich einen anderen Leistungsort vereinbaren (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 269 Rn. 18), was hier nicht der Fall ist.
4. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck ist auch nicht aufgrund einer im Verweisungsantrag der Klägerin vom 20.10.2005 liegenden Gerichtsstandswahl nach § 35 ZPO zuständig. Zum Zeitpunkt des Verweisungsantrages vom 20.10.2005 stand der Klägerin ein Wahlrecht nach § 35 ZPO nicht mehr zur Verfügung.
Die durch die Bezeichnung des Amtsgerichts Herzberg als Streitgericht (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) im Mahnantrag von der Klägerin getroffene Wahl des Gerichtsstands i. S. v. § 35 ZPO (vgl. BayObLG MDR 1999, 1461) ist seit dem 02.06.2005 bindend. Die Wahl gem. § 35 ZPO ist für den Prozess endgültig und unwiderruflich, sobald die Rechtshängigkeit eingetreten ist (BayObLG MDR 1999, 1461; NJW-RR 1991, 187; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Auflage, § 35, Rn. 2.). Die Rechtshängigkeit tritt mit Eingang der Akten an das im Mahnbescheidsantrag angegebene Streitgericht - hier das Amtsgericht Herzberg - ein (vgl. BayObLG ZIP 2003, 1863, 1864 [BayObLG 27.03.2003 - 1 Z AR 28/03]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 696, Rn. 5). Dass die Voraussetzungen der zeitlichen Rückbeziehung des § 696 Abs. 3 ZPO nicht vorliegen, weil die Abgabe nicht "alsbald" erfolgt ist, ist für den Eintritt der Rechtshängigkeit mit Akteneingang beim angegebenen Streitgericht - hier am 02.06.2005 - ohne Belang (vgl. BayObLG a.a.O.; LG Köln NJW-RR 1991, 59; Hüßtege a.a.O., § 696 Rn. 13).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Kosten dieses Verfahrens Kosten der Hauptsache sind (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1983, 846).