Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.03.2002, Az.: 2 W 95/02

Darlegungslast; Erstattungsfähigkeit; Gerichtstermin; Kostenerstattung; Kostenfestsetzungsverfahren; notwendige Kosten; Notwendigkeit; Parteireisekosten; Privatgutachten; Sachverständigengutachten; Sachverständigenkosten; Waffengleichheit; Zweckmäßigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.03.2002
Aktenzeichen
2 W 95/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43755
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 12.02.2002 - AZ: 6 O 2910/00 (34)

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 4. März 2002 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 12. Februar 2002 - 6 O 2910/00 (34) - abgeändert.

Die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 6.103,04 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 8. Januar 2002.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 995,23 EUR.

Gründe

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Die gem. §§ 104 Abs. 3, 567 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch begründet.

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1. Privatgutachterkosten

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Die Beklagte kann die Kosten des hinzugezogenen Privatgutachters, des Prof. Dr. med. P. in Höhe von 1.680,00 DM (858,97 EUR) erstattet verlangen. Zwar sind die während eines Rechtsstreits entstandenen Kosten eines Privatgutachters nur ausnahmsweise erstattungsfähig, da in aller Regel während eines Rechtsstreits eine Beweisaufnahme nur im Rahmen der gerichtlichen Beweisanordnung stattfindet (vgl. OLG München JurBüro 1987, Seite 897; OLG Bamberg JurBüro 1987, Seite 757; 1989, Seite 1568). Eine solche Ausnahme liegt etwa dann vor, wenn die Einholung des Privatgutachtens erforderlich ist, um auf diesem Wege der Darlegungslast genügen zu können oder um das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen überprüfen zu lassen (ständige Rechtsprechung des Senats: Beschluss vom 5. Juni 2001 - 2 W 130/01 -; Beschluss vom 28. Mai 1999 - 2 W 44/99 -; OLG Bamberg JurBüro 1987, Seite 1554, 1555). In Rechtsprechung und Literatur wird die ausnahmsweise Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Privatgutachters anerkannt, wenn dies aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit geboten ist, insbesondere dann, wenn es sich bei dem Gegner um eine Fachfirma gehandelt hat (OLG Bamberg, JurBüro 1987, Seite 1403) oder wenn eine Substantiierung ohne fachlichen Rat z.B. bei Klärung technischer Vorgänge nicht möglich ist (OLG Frankfurt in Rechtspfl. 1987, Seite 172).

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Unter Beachtung dieser Maßstäbe durfte die Beklagte vorliegend fachlichen Rat durch Hinzuziehung des Prof. Dr. med. P. einholen. Insbesondere in der Beschwerdeschrift hat sie hierzu vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe mit Prof. Dr. P. allein nach Zustellung der Klageschrift eine vierstündige Besprechung durchgeführt um in die schwierige Materie eingeführt zu werden. Dieser Vortrag ist auch nachvollziehbar, da es sich vorliegend um einen Rechtsstreit handelte, der wissenschaftliches Spezialwissen erforderlich machte. Die Parteien stritten darum, ob die Beklagte verpflichtet war, in dem von ihr herausgegebenen „Handbuch Medikamente“ bestimmte Äußerungen über den Wirkstoff Noscapin und das von der Klägerin hergestellte Arzneimittel Capval zu unterlassen. Insbesondere ging es um Wirkungen und Nebenwirkungen dieses Medikaments. Die Parteien haben jeweils ihre Standpunkte unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Untersuchungen bzw. wissenschaftliche Ansätze zu untermauern versucht und hierzu auch umfangreiches Schriftmaterial vorgelegt. Die Klägerin selbst ist eine Fachfirma, die ihren Vortrag auf entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen stützte. Bei dieser Sachlage ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Beklagte, die selbst nicht über entsprechendes wissenschaftliches Personal verfügt, sich fachlichen Rat beschaffte. Darauf, ob die Hilfestellung unmittelbar durch Begutachtung oder durch persönliche Gespräche, die wiederum direkt in die Schriftsätze einflossen, erfolgte, kommt es nicht an.

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2. Reisekosten der Parteien

6

Auch diese Kosten kann die Beklagte erstattet verlangen.

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Die Reisekosten einer Partei zum Termin sind nicht nur dann als notwendig zu erstatten, wenn das Gericht das persönliche Erscheinen angeordnet hatte, sondern auch aus sonstigen Gründen, z.B. wegen verwickelter Sachlage (OLG Karlsruhe JurBüro 1990, Seite 209) oder wenn die Wahrnehmung des Termins durch die Partei neben ihrem Anwalt zweckmäßig war und schriftsätzliches Vorbringen nicht genügt hatte (OLG Bamberg, JurBüro 1983, Seite 436; OLG Hamburg JurBüro 1982, Seite 603; Zöller - Herget, ZPO, 23. Aufl., § 91 Rnr. 13 Stichwort Reisekosten). Auch der Senat hat bereits entschieden, dass ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei die Kosten einer Terminsteilnahme erstattungsfähig sind, wenn in einer Terminsmitteilung der unzutreffende Eindruck einer Erscheinenspflicht hervorgerufen worden ist (Beschluss vom 1. September 1997 - 2 W 172/97 -).

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Vorliegend war das persönliche Erscheinen eines entsprechend bevollmächtigten Mitarbeiters der Beklagten zwar nicht angeordnet worden, gleichwohl konnte infolge des Begleitschreibens zur Terminsladung zumindest der Eindruck entstehen, dass die persönliche Anwesenheit für sachdienlich erachtet wurde. Im übrigen war jedoch auch das persönliche Erscheinen des entsprechend bevollmächtigten Vertreters aufgrund des Prozessgegenstandes als sachdienlich und damit zweckmäßig anzusehen. So hatte das Gericht gleichzeitig mit der Terminsladung in einem Anschreiben erklärt, dass die Parteien den Versuch unternehmen sollten, ohne das Gericht selbst zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Dieser Äußerung mussten die Parteien entnehmen, dass in der mündlichen Verhandlung auch die Möglichkeit einer gütlichen Einigung ernsthaft vom Gericht angestrebt wurde. Hinzu kommt, dass auch Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht protokolliert worden sind, was ebenfalls für die Notwendigkeit und Zweckdienlichkeit des Erscheinens spricht. Nicht zuletzt handelte es sich auch um eine für beide Parteien bedeutende Angelegenheit, wofür allein der Streitwert von bis zu 700.000,00 DM spricht.

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3. Reisekosten des Rechtsanwalts der Beklagten zum Termin

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Auch diese Kosten kann die Beklagte erstattet verlangen. Zwar ist eine Partei grundsätzlich gehalten, sogleich einen am Ort des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen, so dass die Beklagte, einen bei dem Prozessgericht, dem Landgericht Braunschweig, niedergelassenen Rechtsanwalt hätte beauftragen müssen. Gleichwohl können ihr die Mehrkosten, die durch Bevollmächtigung des an ihrem Sitz in Berlin niedergelassenen Rechtsanwalts entstanden sind, ersetzt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass der Beklagten, hätte sie einen Rechtsanwalt in Braunschweig beauftragt, ihr die Kosten einer Informationsreise zu diesem Anwalt erstattet worden wären, die der Höhe nach identisch sind. Grundsätzlich darf eine Partei ohne Kostennachteil wenigstens einmal zur Beauftragung und erstmaligen Information den Prozessbevollmächtigten aufsuchen, weil ein umfassendes Informationsgespräch regelmäßig zur gründlichen Vorbereitung eines Rechtsstreits erforderlich und damit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist (ständige Rechtsprechung des Senats: Beschluss vom 15. Mai 2001 - 2 W 116/01 -; Beschluss vom 19. April 2000 - 2 W 79/00 -; OLG Bremen JurBüro 1988, Seite 848). Nur dann, wenn der Partei eine schriftliche Information zumutbar ist, kann sie derartige Informationsreisekosten nicht verlangen (vgl. Beschluss des Senats vom 15. Mai 2001 - 2 W 122/01 -). Vorliegend war jedoch eine persönliche Unterrichtung des Prozessbevollmächtigten geboten. Es handelte sich gerade nicht um einen einfach gelagerten Fall sondern um einen vom Rechtlichen und Tatsächlichen her nicht einfach gelagerten Sachverhalt. Die Parteien mussten sich zur Begründung ihres Vorbringens jeweils mit wissenschaftlichen Studien und Einlassungen auseinandersetzen. Insoweit kann auf die Ausführungen zu Punkt 1 entsprechend Bezug genommen werden. Es ging um die Frage, inwieweit die Bewertung eines Medikaments in einem Handbuch noch vom Grundrecht auf allgemeine Meinungsfreiheit gem. § 5 Abs. 1 GG gedeckt war und die dort festgesetzten Grenzen nicht überschritten waren. In der Urteilbegründung wurde Bezug genommen auf das vorgelegte Gutachtenmaterial. Abrundend kann auch hier auf die erhebliche Bedeutung der Angelegenheit, die nicht zuletzt durch den hohen Streitwert indiziert wird, Bezug genommen werden. Im Ergebnis kann deshalb der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt nicht mehr als einfach gelagert bezeichnet werden.

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4. Insgesamt kann deshalb die Beklagte die nicht festgesetzten Kosten (Reisekosten Partei und Rechtsanwalt in Höhe 217,24 DM, 20,00 DM, 27,10 DM und 2,16 DM sowie Gutachterkosten in Höhe von 1.680,00 DM) von insgesamt 1.946,50 DM = 995,23 EUR erstattet verlangen.

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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Wertfestsetzung orientierte sich gem. § 3 ZPO an dem nicht festgesetzten Betrag.