Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.05.2016, Az.: 1 Ws 244/16

Fehlerhafte Übernahme einer Strafsache nach Eröffnung des Hauptverfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.05.2016
Aktenzeichen
1 Ws 244/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 29705
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0518.1WS244.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 12.04.2016 - AZ: 12 KLs 21 Js 20349/12

Fundstelle

  • NJW-Spezial 2016, 602

Amtlicher Leitsatz

Übernimmt das Landgericht ein Verfahren nach § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO nur aufgrund des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles, hat dieser Mangel nur Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts, wenn sich die Übernahme als willkürlich darstellt. In diesem Fall kommt indessen keine Einstellung nach § 206a Abs. 1 StPO, sondern eine Verweisung an das stattdessen zuständige Gericht in Betracht.

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 12. April 2016 wird aufgehoben, soweit hiermit das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt wurde.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie seine hierdurch veranlassten notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist eine seitens der Kammer vorgenommene Einstellung des Verfahrens nach Maßgabe von § 206a StPO. Dem liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensablauf zu Grunde:

Mit einem von der Staatsanwaltschaft Hildesheim dem dortigen Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegten Strafbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe in einem bei der Staatsanwaltschaft Hildesheim geführten Strafverfahren unter wahrheitswidriger Behauptung seiner Eigentümerstellung versucht, 16 Bilder des Malers S. P. im Wert von über 1 Million € zu erlangen. Das Amtsgericht hat am 13. April 2014 den Strafbefehl erlassen und hiermit eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen diesen Strafbefehl hat der Angeklagte fristgemäß Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hat sodann mit Verfügung vom 12. November 2014 unter Hinweis auf die besondere Bedeutung und den Umfang der Sache die Akten dem Landgericht Hildesheim formlos mit der Bitte um Übernahme vorgelegt. Nachdem die Akten zunächst unter Hinweis auf die nach § 225a StPO einzuhaltenden Formalien an das Amtsgericht zurückgesandt worden waren, und der Angeklagte hiermit auch die Möglichkeit rechtlichen Gehörs zu der beabsichtigten Verfahrensweise hatte, wurden die Akten am 7. Januar 2015 erneut dem Landgericht Hildesheim zur Übernahme nach § 225a StPO vorgelegt. Mit Beschluss vom 10. Februar 2015 hat die Kammer unter Annahme des besonderen Umfangs und der besonderen Bedeutung des Falles im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG das Verfahren nach § 225a StPO übernommen. Die Kammer hat hierzu ausgeführt, dass der Prozess wegen des hohen Wertes der Bilder und des Bekanntheitsgrades des Malers S. P. ein erhebliches öffentliches Interesse hervorrufen werde, zumal zivilrechtliche Forderungen des Nachlasses in beträchtlicher Höhe im Raume stünden. Zudem sei in einem ähnlich gelagerten Verfahren ebenfalls Anklage zum Landgericht erhoben worden; der Angeklagte sei in jenem Verfahren nach vier Hauptbehandlungstagen verurteilt worden. Zudem seien besondere Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme erkennbar.

Die Hauptverhandlung begann schließlich am 6. April 2016. Mit Beschluss vom 12. April 2016 hat die Kammer sodann einen seitens des Angeklagten erhobenen Besetzungseinwand zurückgewiesen, die Hauptverhandlung ausgesetzt, und das Verfahren unter Annahme eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO eingestellt. Die Kammer hat zu der Einstellung ausgeführt, dass ein Verfahren mit einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls nicht einem Gericht höherer Ordnung zur Übernahme vorgelegt werden könne, und dass die Kammer nach Erlass des Strafbefehls wegen der hierdurch eingetretenen Zuständigkeitsperpetuierung das Verfahren nicht mehr hätte übernehmen dürfen.

Gegen diese Einstellung richtet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde, die dem Angeklagten bekannt gemacht wurde. Er hat sich hierzu nicht geäußert.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist nach Maßgabe von §§ 206a Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO statthaft und zulässig, und hat auch in der Sache Erfolg. Die von der Kammer angenommenen Voraussetzungen einer Einstellung nach § 206a StPO lagen nicht vor.

Die vom Landgericht vorgenommene Einstellung nach Maßgabe von § 206a StPO setzt das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses voraus, das nicht anders als durch eine Einstellung des Verfahrens behoben werden kann. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Jedenfalls nach Eröffnung des Hauptverfahrens - bzw. nach dem dieser gleich zu stellendem Erlass eines Strafbefehls - ist bei Annahme der Unzuständigkeit des Gerichts für eine Einstellung nach Maßgabe von § 206a StPO grundsätzlich kein Raum (KK-StPO-Schneider, Strafprozessordnung, 7. Aufl., § 206a Rn. 9 m.w.N.), weil ein Mangel der fehlenden Zuständigkeit durch Vorlage an das zuständige Gericht regelmäßig behoben werden kann. Hat - wie vorliegend - nach entsprechender Vorlage ein Gericht das Verfahren übernommen, so bleibt es hieran grundsätzlich gebunden. Dies gilt umso mehr, weil nach Maßgabe von § 269 StPO ein Gericht sich nicht für unzuständig betrachten darf, weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre. Denn die größere sachliche Zuständigkeit schließt die geringere ein; die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung benachteiligt den Angeklagten regelmäßig nicht (BVerfG NJW 1959, 872 [BGH 03.02.1959 - VIII ZR 91/58]; BGH NJW 1997, 2689; Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Aufl., § 269 Rn. 1).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt lediglich in Betracht, wenn eine Übernahme durch das Gericht höherer Ordnung willkürlich erfolgt ist (HK- StPO- Julius, 4. Aufl., § 269 Rn. 1 a.E., Rn. 7), weil dann dem Angeklagten für das Hauptverfahren sein gesetzlicher Richter entzogen werden würde. Nur in diesen Fällen ist die Möglichkeit eröffnet, dass das übernehmende Gericht seine eigene Zuständigkeitsbestimmung durch Verweisung an das zuständige Gericht, in der Regel dasjenige, das vorgelegt hat, korrigiert (LR-Stuckenberg, StPO, 6 und 20. Aufl., § 209 Rn. 51 m.w.N.).

Eine willkürliche Übernahme des Verfahrens durch das Landgericht liegt aber nicht vor. Für die Annahme von Willkür reichen eine rechtsfehlerhafte Annahme der Zuständigkeit und eine hierauf begründete rechtsfehlerhafte Übernahme nicht aus. Willkür in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs vielmehr nur vor, wenn die Annahme der Zuständigkeit jeder vernünftigen Grundlage entbehrt und offensichtlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt haltbar erscheint, wenn sich also die Entscheidung so weit von der anzuwendenden Norm entfernt, dass sich der Schluss aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (BVerfGE 19, 38 [BVerfG 11.05.1965 - 2 BvR 259/63]). Es muss also die Grenze des Hinnehmbaren überschritten werden und die ergangene Entscheidung darf bei verständiger Würdigung offensichtlich nicht mehr haltbar sein (BVerfGE 29,49; 82, 194 [BVerfG 31.05.1990 - 2 BvR 1436/87]; vgl. auch LR-Siolek, § 24 GVG Rn. 34). Hiervon ist vorliegend aber nicht auszugehen.

Das Landgericht hat seine Übernahme vor dem Hintergrund des Wertes der fraglichen Bilder, des Bekanntheitsgrades des fraglichen Malers und des hiernach zu erwartenden erheblichen öffentlichen Interesses im Wesentlichen auf die Annahme einer besonderen Bedeutung und wegen absehbarer Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme auf die Annahme eines besonderen Umfangs im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG gestützt. Zwar ist hierbei außer Acht geblieben, dass nach der Rechtsprechung die Prüfung der beweglichen Zuständigkeit im Sinne dieser Vorschrift zeitlich bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses resp. bis zum Erlass des Strafbefehls begrenzt wird, und dass ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich eine Zuständigkeitsperpetuierung eintritt (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 GVG Rn. 10 m.w.N.). Die Erwägungen, die das Landgericht seiner Übernahme zu Grunde gelegt hat, sind aber gleichwohl grundsätzlich nachvollziehbar, vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung jedenfalls gedeckt und nach den anzulegenden Grundsätzen hiernach jedenfalls nicht willkürlich. Die Übernahme des Verfahrens erfolgte formal auch nach den Anforderungen nach Maßgabe von § 225a StPO einschließlich der hiernach vorgesehenen Beteiligung des Angeklagten. Die Annahme, dass das Verfahren vor einer großen Strafkammer verhandelt werden soll, war vor dem Hintergrund der dargelegten - und überdies auch zutreffenden - Umstände zumindest nicht sachfremd.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass dem Verfahren vor dem Landgericht ein Strafbefehl zugrunde liegt, der ein wesentliches Ergebnis der Ermittlungen nicht enthält. Die Wirksamkeit des Strafbefehls als Verfahrensgrundlage an sich wird hierdurch zunächst nicht infrage gestellt. Auch wird durch das hier fehlende wesentliche Ergebnis der Ermittlungen nicht die Umgrenzungsfunktion einer Anklageschrift beeinträchtigt, sondern allenfalls die Informationsfunktion. Soweit hierdurch der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör beeinträchtigt werden sollte, kann ein solcher Mangel im Laufe der weiteren Hauptverhandlung durch ergänzende Klarstellungen oder Hinweise hinreichend behoben werden. Der Hauptverhandlung der Sache vor dem Landgericht steht das Fehlen des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO in entsprechender Anwendung.

IV.

Gegen diesen Beschluss ist nach § 304 Abs. 4 StPO ein Rechtsmittel nicht eröffnet.