Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 07.05.2015, Az.: 3 B 566/15
Benotung der Leistungen einer Bewerberin im sportlichen Teil eines Eignungstests (Bumerang Test) nach einer für Männer und Frauen einheitlichen Bewertungstabelle
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 07.05.2015
- Aktenzeichen
- 3 B 566/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 15702
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2015:0507.3B566.15.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 33 Abs. 2 GG
- § 5 Abs. 2 APVO-Feu
Fundstelle
- NdsVBl 2015, 7
Amtlicher Leitsatz
Bewerbungsverfahrensanspruch Auswahlverfahren zur Einstellung als Brandmeister Anwärterin Das Gebot der Chancengleicheit im Auswahlverfahren zur Einstellung als Brandmeister Anwärter/Brandmeister Anwärterin wird verletzt, wenn die Leistungen einer Bewerberin im sportlichen Teil des Eignungstests (Bumerang Test) nach einer für Männer und Frauen einheitlichen Bewertungstabelle benotet werden.
Gründe
Die Antragstellerin begehrt die Einstellung in den feuerwehrtechnischen Dienst (Laufbahngruppe 1, 2. Einstiegsamt).
Die Antragsgegnerin beabsichtigt die Einstellung von 7 Nachwuchskräften für den feuerwehrtechnischen Dienst in der Laufbahngruppe 1, 2. Einstiegsamt (Brandmeister-Anwärter) zum 1. Juni 2015. Auf diese Stellen bewarben sich neben der Antragstellerin 191 Personen. Mit Schreiben vom 24. Februar 2015 lud die Antragsgegnerin die Bewerber/innen zu einem Auswahlverfahren bei der Berufsfeuerwehr der Antragsgegnerin ein. Weiter teilte die Antragsgegnerin mit, dass sich das Auswahlverfahren in fünf Teile gliedere:
1. Allgemeiner Eignungstest (Mathematik, Diktat, technisches Verständnis)
2. Sondertests
a) Drehleitersteigen
b) Durchgang durch die Atemschutzübungsstrecke
3. Sporttest (Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit, Schnelligkeit)
4. Schwimmen (Tieftauchen, Streckentauchen, Schwimmen mit Gewicht)
5. Vorstellungsgespräch
Weiter wies die Antragsgegnerin in dem Einladungsschreiben darauf hin, dass vorgesehen sei, nach dem vierten Teil des Auswahlverfahrens eine Vorauswahl zu treffen, so dass nicht alle Bewerber/innen am Vorstellungsgespräch teilnehmen werden.
Die Teile 1 - 4 des Auswahlverfahrens fanden vom 10. März 2015 bis 12. März 2015 bei der Berufsfeuerwehr der Stadt E. statt. Nach den Teilen 1 und 2 des Auswahlverfahrens und vor der Durchführung des Sporttestes und des Schwimmens nahm die Antragsgegnerin eine Bewertung vor. Aufgrund dieser Bewertung wurden die Bewerber/innen mit den schlechtesten schriftlichen Ergebnissen zum anschließenden Sporttest nicht mehr zugelassen. Diese Verfahrensweise wurde den Teilnehmern bei der Begrüßung vorab mitgeteilt. An dem anschließenden Sport-/Schwimmtest nahmen neben der Antragstellerin noch 52 Bewerber teil.
In dem Sporttest mussten die Bewerber/innen neben dem Langhantelziehen von mindestens 10 Wiederholungen und einem Ausdauerlauf ("Cooper-Test") einen sogenannten "Bumerang-Test" d. h. einen Hindernisparcours in der Sporthalle in möglichst kurzer Zeit, die gestoppt wurde, absolvieren. Die gemessene Zeit wurde benotet, wobei für Bewerberinnen und Bewerber bei diesem Test die gleiche Notenskala in Abhängigkeit von der erzielten Zeit zu Grunde gelegt wurde. Bei dem "Bumerang-Test" erzielte die Antragstellerin eine Zeit von 2:01 Minuten, die nach der Bewertungstabelle mit der Note 4,5 bewertet wurde. Bei dem "Cooper-Test", bei dem in einer vorgegebenen Zeit eine möglichst große Entfernung zurückgelegt werden muss, legte die Antragstellerin 1.875 m zurück. Dafür vergab die Antragsgegnerin die Note 3,1. Sie legte dabei eine Bewertungstabelle speziell für weibliche Bewerberinnen zu Grunde. Die von den männlichen Bewerbern erzielten Entfernungen wurden nach einer eigenen Bewertungstabelle für männliche Bewerber bewertet.
Zwei Bewerberinnen und zwei Bewerber erfüllten die Ausschlusskriterien im Sport-/Schwimmtest nicht und schieden deshalb aus. Die übrigen 49 Bewerberinnen und Bewerber, die die kompletten Teile 1 - 4 des Auswahlverfahrens absolviert hatten, wurden aufgrund der erzielten Ergebnisse, den dafür vergebenen Noten und der daraus gebildeten Gesamtnote in eine Rangfolge eingeordnet. Die Gesamtnote wurde aus folgender Gewichtung der Teilnoten gebildet: Sport 50 %, PTV (Physik, technisches Verständnis) 12,5 %, Mathematik 25 %, Deutsch 12,5 %.
Die 25 besten Bewerber/innen sowie diejenigen Bewerber/innen, die über eine Ausbildung zur Rettungsassistentin/zum Rettungsassistenten verfügten, wurden von der Antragsgegnerin zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Antragstellerin erzielte mit der Gesamtnote 3,55 den Platz 35 der Rangliste und wurde daher nicht zu den Vorstellungsgesprächen eingeladen, die am 25. März 2015, 26. März 2015 und 1. April 2015 stattfanden.
Mit einem am 25. März 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begehrt. Nach den Vorstellungsgesprächen vor einer Auswahlkommission bildete die Antragsgegnerin eine Rangliste von 6 erfolgreichen Bewerbern, die für eine Einstellung vorgesehen sind. Darüber hinaus wurde ein siebter Bewerber unter den Bewerbern, die ehemalige Zeitsoldaten der Bundeswehr waren, für eine nach § 10 Soldatenversorgungsgesetz zu berücksichtigende Stelle ausgewählt. Ferner schlug die Auswahlkommission weitere 5 Bewerber für den Fall vor, dass einer dieser Bewerber die betriebs- und amtsärztliche Untersuchung nicht bestehen oder die Bewerbung zurückziehen würde.
Anlässlich des vorliegenden Verfahrens wird eine Stelle als Brandmeister-Anwärter bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens von der Antragsgegnerin frei gehalten. Der für diese Stelle auserkorene Bewerber wurde wegen des vorliegenden Verfahrens noch nicht benachrichtigt.
Im vorliegenden Verfahren macht die Antragstellerin geltend, die getroffene vorläufige und sodann endgültige Auswahlentscheidung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Man habe ihr mitgeteilt, dass unabhängig vom Alter und Geschlecht die Bewerber mit den besseren Sportergebnissen für das Vorstellungsgespräch ausgewählt worden seien. Dies seien allesamt nur Männer gewesen. Soweit die Antragsgegnerin ihre Auswahlentscheidung allein von der sportlichen Leistung im Test Nummer 3 und 4 abhängig mache, verstoße diese Vorgehensweise gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Der Sport- und Schwimmtest solle allein die körperliche Eignung nach Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit und Schnelligkeit überprüfen. Werde allein auf die Ergebnisse der Einzeltests abgestellt, ohne das Alter der Person oder das Geschlecht der Person zu berücksichtigen, würden Frauen bei der Auswahl benachteiligt. Männer seien von Natur aus kräftiger, so dass beispielsweise Hanteln von ihnen öfter gestemmt werden könnten als von Frauen. Diese Spitzenwerte allein sagten jedoch nichts über die sportliche Eignung eines Bewerbers aus. Aufgrund der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Männern und Frauen seien bei den Tests auch Tabellen vorhanden gewesen, an denen die erforderlichen Leistungen der Bewerber hätten abgelesen werden können. Die Antragstellerin habe sich jeweils vor dem Test die für das Bestehen notwendigen Wiederholungen etc. ansagen lassen. Weiter sei nicht nachvollziehbar, warum der Test 3 und 4 als bestanden gewertet und damit die jeweilige Eignung festgestellt worden sei, die Antragstellerin aber vom weiteren Verfahren ausgeschlossen worden sei.
Sie habe die Voraussetzungen nach der Ausschreibung erfüllt, indem sie die hierfür erforderlichen Tests bestanden habe. Die Antragsgegnerin habe jedoch eine Auswahl der Bewerber nach vorher nicht feststehenden Kriterien vorgenommen. Erst am 2. April 2015 sei die Zusammensetzung der Endnote zum Auswahlvorgang gelangt. Tatsächlich sei keine weitere Festlegung von Auswahlkriterien erfolgt. Dies sei rechtswidrig, da bei einem Auswahltest die Anforderungen und Benotungen vorher festgesetzt werden müssten. Ohne weitere Erläuterung werde nunmehr die sportliche Eignung mit 50 % und die schriftlichen Eignungstest ebenfalls mit 50 % angesetzt. Unklar sei auch, warum in den schriftlichen Tests Mathematik einen übergroßen Anteil an der Bildung der Note gehabt habe. Auch beim "Bumerang-Test", einem Koordinationstest, würden bei anderen Einstellungstests die Leistungen zwischen Männern und Frauen unterschiedlich bewertet. Dies sei vorliegend nicht geschehen, wodurch sie in ihren Grundrechten verletzt werde.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
der Antragsgegnerin vorläufig im Wege der Anordnung zu untersagen, bis einen Monat nach Eintritt der Rechtskraft eines ablehnenden Bescheides die ausgewählte Bewerberin/den ausgewählten Bewerber zur Vermeidung eines rechtswidrigen Erfahrungs- und Bewährungsvorsprungs auf der ausgeschriebenen Stelle zu beschäftigen oder mit der Wahrnehmung der Geschäfte zu betrauen,
- 2.
der Antragsgegnerin vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die ausgewählte Bewerberin/den ausgewählten Bewerber bis einen Monat nach Eintritt der Rechtskraft eines ablehnenden Bescheides in die Stelle Brandmeister Anwärter/in bei der Berufsfeuerwehr der Stadt E. einzuweisen,
- 3.
der Antragsgegnerin vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Antragstellerin vorläufig an dem Auswahlverfahren weiter zu beteiligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sei Hinblick darauf fraglich, dass die Antragstellerin bisher weder mündlich noch schriftlich über eine Ablehnung informiert worden sei. Durch das Auswahlverfahren werde die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt. Das Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG habe man beachtet. Im Rahmen des Auswahlverfahrens seien sowohl die allgemeinen Anforderungen - Deutsch, Mathematik, Physik - als auch die sportlichen Anforderungen an die Bewerber/Bewerberinnen geprüft und benotet worden. Die Dokumentation dieser Leistung sei über Listen erfolgt. Tabellen, aus denen die Teilnehmer/Teilnehmerinnen die erforderlichen sportlichen Leistungen hätten ablesen können, hätten entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin nicht vorgelegen. Die für das "Bestehen" notwendigen 10 Wiederholungen seien lediglich für die Aufgabe "Langhantelziehen" angesagt worden. Diese Wiederholungen seien von allen Bewerbern/Bewerberinnen zu erfüllen gewesen. Die Bewertung sei allein mit ja oder nein erfolgt, die Anzahl der Wiederholungen über 10 sei nicht bewertet worden. Die Antragstellerin habe diese Disziplin bestanden.
Die Bewertung beim "Cooper-Lauftest" (Ausdauerlauf) habe sich angelehnt an die Empfehlungen zur Durchführung eines sportlichen Einstellungstests zum mittleren und gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst in Niedersachsen. Es habe eine Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Bewerbern/Bewerberinnen stattgefunden. Mit einer Laufstrecke von 1.875 m habe die Antragstellerin eine Note von 3,1 erhalten. Beim "Bumerang-Test" (Koordinationstest) habe man nicht zwischen weiblichen und männlichen Bewerbern/Bewerberinnen unterschieden, da vor allem die Wendigkeit und die Geschwindigkeit bewertet werden sollten. Die Benotung sei nach benötigter Zeit erfolgt, um den Parcours zu bewältigen. Die Antragstellerin habe dabei die Note 4,5 erhalten. Insgesamt habe die Antragstellerin das Auswahlverfahren mit der Note 3,55 abgeschlossen. Mit dieser Note habe sie den 35. Platz erreicht. Im Rahmen ihres Auswahlermessens habe die Antragsgegnerin aufgrund dieser Rankingliste entschieden, die ersten 25 Bewerber/Bewerberinnen sowie die Bewerber mit der Ausbildung zum Rettungsdienstassistenten zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Das besondere Interesse der Antragsgegnerin an der Einstellung von Feuerwehrbeamten mit der Ausbildung zum Rettungsdienstassistenten ergebe sich daraus, dass sich der Vorbereitungsdienst gemäß § 5 Abs. 2 APVO-Feu um ein halbes Jahr auf eineinhalb Jahre verkürze und die Rettungsdienstassistenten/innen auch im Krankentransport und Rettungsdienst eingesetzt werden könnten, den die Berufsfeuerwehr der Antragsgegnerin mit abdecke. Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat überwiegend in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind jedoch sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch durch die Antragstellerin glaubhaft zu machen.
Ein Anordnungsgrund liegt vor. Der streitgegenständliche Vorbereitungsdienst soll am 1. Juni 2015 beginnen. Damit steht die Zulassung des ausgewählten aber noch nicht benachrichtigten Bewerbers zum Vorbereitungsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zu erwarten, bevor über die Bewerbung der Antragstellerin bestandskräftig entschieden ist. Auch bei Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf kann der abgelehnte Bewerber vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Das Beamtenverhältnis auf Widerruf endet grundsätzlich erst mit dem Ausscheiden aus dem Vorbereitungsdienst (vgl. § 22 Abs. 4 BeamtStG). Allerdings können nach § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden. Jedoch soll ihnen Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden (§ 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG). Eine vorläufige Zulassung eines Mitbewerbers zum Vorbereitungsdienst würde diesem jedenfalls bei einem erneuten Auswahlverfahren aufgrund der bis dahin erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten Vorteile verschaffen, die die Chancen der Antragstellerin mindern.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Für die Auswahl eines von mehreren Bewerbern gibt Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich vor, dass jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat (vgl. auch § 9 BeamtStG). Kommen mehrere Bewerber für die Berufung in ein Beamtenverhältnis oder auf einen höherwertigen Dienstposten in Betracht, muss somit der am besten Geeignete ausfindig gemacht werden. Diese Regeln der Bestenauslese dienen vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung von Stellen, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Bewerbers an einem angemessenen beruflichen Fortkommen; ein Bewerber hat daher Anspruch auf rechtsfehlerfreie Anwendung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25.06.2013 - 3 CE 13.300 - zitiert nach ). Die Bewerbung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind (BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 2 C 6/11 - zitiert nach ). Mit den Begriffen Eignung, Befähigung und fachliche Leistung eröffnet Art. 33 Abs. 2 GG bei Ernennungsentscheidungen einen Beurteilungsspielraum des Dienstherrn. Dieser unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG verleiht dem Bewerber in diesem Rahmen das Recht, eine Auswahlentscheidung dahingehend überprüfen zu lassen, ob der Dienstherr ermessens- und beurteilungsfehlerfrei über seine Bewerbung entschieden hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.05.2011 - 2 BvR 764/11 - zitiert nach ).
Jede Benachteiligung oder Bevorzugung eines Bewerbers wirkt sich auch auf die Erfolgsaussichten der Bewerbungen der Mitbewerber aus und stellt eine Verletzung der Bewerbungsverfahrensansprüche dieser Mitbewerber dar. In Konkurrenzsituationen kommt dem Gebot der Chancengleichheit entscheidende Bedeutung zu. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber verpflichtet den Dienstherrn während eines laufenden Bewerbungsverfahrens nicht nur zur leistungsgerechten Auswahl, sondern auch zur chancengleichen Behandlung aller Bewerber im Verfahren. Der Dienstherr muss sich fair und unparteiisch gegenüber allen Bewerbern verhalten. Dies schließt es aus, dass er Maßnahmen ergreift, die bei objektiver Betrachtung, d.h. aus der Sicht eines unbefangenen Beobachters, als eine Bevorzugung oder aktive Unterstützung eines Bewerbers erscheinen. Er darf nicht bestimmten Bewerbern Vorteile verschaffen, die andere nicht haben (BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 2 C 6/11 - zitiert nach ).
Diese Anforderungen erfüllt das vorliegende Auswahlverfahren nicht, denn die Antragstellerin wurde offenkundig gegenüber ihren männlichen Mitbewerbern im Rahmen des Auswahlverfahrens unter Verstoß gegen das Gebot der Chancengleichheit wesentlich benachteiligt. Die Benotung der Leistungen der Antragstellerin im "Bumerang-Test" wurde entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht chancengleich durchgeführt. Anders als beim "Cooper-Test", bei dem die erzielte Laufstrecke nach einer für Bewerber und Bewerberinnen getrennten und unterschiedlichen Bewertungstabelle bewertet wurde, wurde die von der Antragstellerin beim "Bumerang-Test" erzielte Zeit nach der für sämtliche Bewerber gleichermaßen geltenden Notenskala beurteilt. Eine speziell für Frauen entwickelte Notenskala wurde beim "Bumerang-Test" nicht angewendet. Dadurch wurde die Antragstellerin im Hinblick auf die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Chancengleichheit in erheblicher Weise benachteiligt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin darf unter Hinweis auf die beim "Bumerang-Test" überprüfte Wendigkeit und Geschicklichkeit aller Bewerber eine geschlechterspezifische Differenzierung der Notenskala nicht unterbleiben. Denn bei dem von der Antragsgegnerin durchgeführten "Bumerang-Test" spielt die Schnelligkeit der Bewerber und Bewerberinnen eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
Das Testziel des "Bumerang-Tests" (Geschicklichkeitslauf mit Überspringen und Durchkriechen von Kastenteilen auf Schnelligkeit) besteht in der Überprüfung der Schnelligkeit, der Stütz- und Rumpfkraft sowie der Koordinations-, Orientierungs- und Konzentrationsfähigkeit (vgl. http://www.polizei- einstellung.de/sporttest- fur- die- bundespolizei/2010/06/10/). Der "Bumerang-Test" wird in seiner Grundform als Geschicklichkeitslauf über eine Runde ausgestaltet. Nach den von der Antragstellerin zur Gerichtsakte eingereichten Bewertungstabelle der Polizei in Niedersachsen bekommt dort ein männlicher Bewerber für eine Zeit zwischen 15,5 bis 15,9 Sekunden die Note 3,0. Weibliche Bewerberinnen werden mit der Note 3,0 im "Bumerang-Test" bewertet, wenn sie den Parcours in einer Zeit von 18,4 bis 19,1 Sekunden bewältigen.
Man kann indes die Anforderungen dadurch erhöhen, dass man den Geschicklichkeitslauf zeitlich ausweitet, indem man etwa mehrere Runden absolvieren lässt. Dies war offenkundig beim vorliegenden Auswahlverfahren der Fall. Denn nach der im vorliegenden Auswahlverfahren gültigen Bewertungstabelle musste man beim "Bumerang-Test" für die Note 3,0 mindestens eine Zeit von 1 Minute und 30 Sekunden erzielen. Mit den in zeitlicher Hinsicht gesteigerten Anforderungen beim "Bumerang-Test" im vorliegenden Auswahlverfahren kommt es im Vergleich zu dem nur wenige Sekunden dauernden "Bumerang-Test" in seiner Grundform immer weniger auf Wendigkeit und Geschicklichkeit, sondern zunehmend mit längerer Ablaufdauer auch auf Schnelligkeit an, der in einer geschlechterspezifisch ausgestalteten Bewertungstabelle aufgrund der bei Frauen und Männern unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen für die Schnelligkeit beim Laufen auch Rechnung zu tragen ist.
Dass die männlichen Bewerber beim "Bumerang-Test" eindeutig im Vorteil waren, zeigen die erzielten Ergebnisse nachdrücklich und insbesondere die dafür vergebenen Noten. Denn der männliche Bewerber mit der besten Zeit beim "Bumerang-Test" benötigte eine Gesamtzeit von 1 Minute und 9 Sekunden und erhielt dafür die Note von 1,9 nach der für Frauen und Männer einheitlichen Bewertungstabelle. Der beim "Bumerang-Test" schlechteste männliche Bewerber erzielte die Note 3,8 für eine Zeit von 1 Minute und 47 Sekunden. Die Antragstellerin hingegen erzielte als einzige Frau unter allen 49 Bewerbern die schlechteste Zeit mit 2 Minuten und 1 Sekunde, was ihr nach der für Männer und Frauen gleichen Bewertungstabelle mit deutlichem Abstand die Note 4,5 einbrachte. Alle anderen männlichen Bewerber erzielten beim "Bumerang-Test" hingegen eine bessere Note als 4,0. Dass die Note 4,5 der Antragstellerin nicht etwa auf ihr mangelndes körperliches Leistungsvermögen zurückzuführen ist, wird daran deutlich, dass sie beim "Cooper-Test" mit 1.875 m nach der Bewertung durch die Antragsgegnerin nach der Bewertungstabelle für Frauen die Note 3,1 erhalten hat, bzw. nach der Bewertungstabelle für Frauen bei zutreffender Anwendung richtigerweise die Note 3,2 hätte erhalten müssen, womit sie aufgrund der Note beim "Cooper-Test" 12 männliche Bewerber hinter sich gelassen hat. Sie hat damit beim "Cooper-Test" um deutlich mehr als eine Notenstufe besser abgeschnitten als beim "Bumerang-Test".
Diese Diskrepanz sowie das mit weitem Abstand schlechteste Notenergebnis aller Bewerber im "Bumerang-Test" sind nach Überzeugung der Kammer nicht auf mangelnde Fitness, Wendigkeit oder Geschicklichkeit der Antragstellerin zurückzuführen, sondern liegen im Wesentlichen darin begründet, dass die Bewertungstabelle beim "Bumerang-Test", ohne nach Geschlechtern zu differenzieren, für alle männlichen und weiblichen Bewerber gleichermaßen Anwendung gefunden hat.
Wenn man eine Bewertung der beim "Bumerang-Test" gezeigten Leistungen anhand einer für die Leistung von Frauen konzipierten Benotungstabelle vorgenommen hätte, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin unter den 25 besten Bewerberinnen und Bewerbern zu platzieren gewesen wäre, die zum Auswahlgespräch eingeladen worden sind.
Da mit der nicht nach Geschlechtern differenzierenden Bewertungstabelle beim "Bumerang-Test" dem im Auswahlverfahren nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beachtenden Gebot, allen weiblichen und männlichen Bewerbern im Auswahlverfahren die gleichen Chancen einzuräumen, nicht hinreichend Rechnung getragen worden ist und damit eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung nicht gegeben war, kann nach Auffassung der Kammer dahinstehen, ob der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch deshalb Erfolg gehabt hätte, weil die wesentlichen Aspekte eines besonderen Auswahlverfahrens für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst in eine beamtenrechtliche Laufbahn sowie die diesbezüglich grundlegenden Eignungsanforderungen und Auswahlgesichtspunkte normativ, also in einem Gesetz oder einer Rechtsverordnung, geregelt sein müssen (vgl. VGH München, Beschluss vom 17.06.2010 - 7 ZB 10.375 - zitiert nach ).
Soweit der Antrag sich auf die weitere Beteiligung der Antragstellerin an dem Auswahlverfahren richtet, hat er indes keinen Erfolg, weil die damit begehrte Beteiligung der Antragstellerin an den Bewerbungsgesprächen nicht mehr erreicht werden kann. Denn die Auswahlgespräche mit den 25 besten Bewerbern wurden inzwischen durchgeführt und das eigentliche Auswahlverfahren ist ausweislich des Auswahlvermerks vom 1. April 2015 abgeschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG - in der zum Zeitpunkt der Einleitung des ersten Rechtszuges geltenden Fassung vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2082), beträgt also die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge. Eine Halbierung im Eilverfahren ist vorliegend nicht angebracht (Nds. OVG, Beschluss vom 16.05.2013 - 5 ME 92/13 - zitiert nach ).