Arbeitsgericht Hannover
Beschl. v. 23.02.2017, Az.: 2 Ca 331/16

Rechtswegbeschluss; rechtswegfremde Aufrechnung; verlängerte Vollstreckungsabwehrklage

Bibliographie

Gericht
ArbG Hannover
Datum
23.02.2017
Aktenzeichen
2 Ca 331/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53615
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung kann auch nicht mit einer (verlängerten) Vollstreckungsabwehrklage vor den Gerichten für Arbeitssachen geltend gemacht werden.

Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes als Prozessgericht des ersten Rechtszuges gemäß § 767 Abs. 1 ZPO ist im Wege der teleologischen Reduktion zu verneinen.

Tenor:

1. Hinsichtlich des Klageantrages zu Ziffer 2. ist der Rechtsstreit zu den Arbeitsgerichten in Höhe eines Teilbetrages von EUR 1.248,05 zulässig.

2. Hinsichtlich des restlichen Teilbetrages des Klageantrages zu Ziffer 2. in Höhe von EUR 93.751,95 ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten unzulässig. Der Rechtsstreit wird hinsichtlich des insoweit verfolgten Streitgegenstandes abgetrennt und gemäß § 48 ArbGG i. V. m. § 17 a Abs. 2 GVG an das Landgericht B-Stadt als zuständiges Gericht des zulässigen Rechtsweges verwiesen.

3. Die Kostenentscheidung bezüglich des erledigten Klageantrages zu Ziffer 1. bleibt einer Schlussentscheidung vorbehalten.

4. Termin zur Kammerverhandlung und Auflagen werden nach Bestandskraft dieses Beschlusses anberaumt.

Gründe

I.

Die Beklagte ist Witwe des verstorbenen Herrn S. und Mitgesellschafterin der Klägerin. Die Klägerin ist Holding für insgesamt neun operativ tätige andere Gesellschaften, die sogenannten „S. OHGen“, u. a. der S. OHG S. Die Beklagte ist ebenfalls Mitgesellschafterin der  S. OHG S.

In dem vor dem Arbeitsgericht Hannover zum Aktenzeichen ... geführten Vorprozess über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses haben die Parteien am 02.06.2016 einen Vergleich geschlossen, der die Klägerin verpflichtet hat, an die Beklagte eine Abfindung in Höhe von EUR 95.000,00 brutto zu zahlen.

Die S. OHG S. trat am 05.07.2016 ein im Jahresabschluss 2015 in Höhe von EUR 159.236,76 ausgewiesenes negatives Kapitalkonto an die Klägerin in Höhe eines Teilbetrages von EUR 93.751,95 ab. Über den Abfindungsanspruch der Beklagten rechnete die Klägerin am 06.07.2016 (Anlage K 2) und führte Lohnsteuer in Höhe von EUR 1.248,05 ab. Mit Schreiben vom 08.07.2016 zeigte die Klägerin gegenüber der Beklagten hinsichtlich der Lohnsteuer die Erfüllung durch Abführung an das zuständige Finanzamt an und erklärte hinsichtlich des abgetretenen Anspruchs der S. OHG S. die Aufrechnung. Die Beklagte betrieb hinsichtlich der im Vergleich titulierten Abfindung dennoch die Zwangsvollstreckung in voller Höhe.

Die Klägerin hatte mit ihrer am 25.07.2016 vor dem Arbeitsgericht Hannover zum Aktenzeichen 2 Ca 331/16 erhobenen Klage ursprünglich beantragt:

1. Die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.06.2016, Aktenzeichen ..., für unzulässig zu erklären.

2. Die Beklagte zu verurteilen, die erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.06.2016, Aktenzeichen ..., an die Klägerin herauszugeben.

3. Gemäß § 770 ZPO anzuordnen, die Vollstreckung aus dem Vergleich des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.06.2016, Aktenzeichen ..., bis zur Rechtskraft des hiesigen Urteils einstweilen einzustellen.

Mit Beschluss vom 28.07.2016 hat das Arbeitsgericht Hannover den Antrag zu 3. auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich vom 02.06.2016 mangels Glaubhaftmachung eines aus der Vollstreckung resultierenden und nicht zu ersetzenden Nachteils zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 20.09.2016 stellte die Klägerin folgende Anträge:

1. Die Vollstreckung aus dem Vergleich des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.06.2016, Aktenzeichen ..., bis zum Erlass des Urteils in dieser Sache gegen Sicherheitsleistung einstweiligen einzustellen.

2. Den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 14.09.2016, Aktenzeichen ..., gegen Sicherheitsleistung des Schuldners aufzuheben.

Mit Beschluss vom 30.09.2016 hat das Gericht auch den Antrag zu 4. auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen.

Im Anschluss ließ die Beklagte ein Geschäftskonto der Klägerin pfänden und der Betrag von EUR 95.000,00 wurde an die Beklagte überwiesen.

Die Klägerin beantragte daraufhin,

1. Die Beklagte zu verurteilen, die erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.06.2016, Aktenzeichen ..., an die Klägerin herauszugeben.

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 95.000,00 nebst 5 Prozentpunkten hieraus über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 04.10.2016 zu zahlen.

Zwischenzeitlich haben die Parteien den neuen Klagantrag zu 1. (Titelherausgabe) übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Klägerin hat zu der Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes Hannover hinsichtlich des Antrages zu 2. Folgendes vorgetragen:

Das Arbeitsgericht Hannover sei hinsichtlich der ursprünglich erhobenen Vollstreckungsabwehrklage als das Prozessgericht des ersten Rechtszuges zuständig gewesen. Diese Zuständigkeit gelte auch für die zur „verlängerten Vollstreckungsabwehrklage“ umgestellte Klage. Hinsichtlich beider Teilbeträge des Antrages zu 2. folge die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zusätzlich direkt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Die Zahlung der Lohnsteuer in Höhe von EUR 1.248,05 an das Finanzamt habe in eben dieser Höhe eine Bruttoforderung der Beklagten aus dem streitigen Arbeitsverhältnis getilgt. Die Aufrechnung in Höhe von EUR 93.751,95 habe den Nettoabfindungsanspruch, also ebenfalls eine Forderung aus einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern getilgt.

Die Beklagte hat neben der Klageabweisung hinsichtlich des neuen Klagantrages zu Ziffer 2. die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gerügt.

II.

Die Gerichte für Arbeitssachen sind für die sogenannte verlängerte Vollstreckungsabwehrklage der Klägerin nur hinsichtlich des Streitgegenstandes „Lohnsteuer“ zuständig.

Hinsichtlich des Streitgegenstandes „Ausgleich des negativen Kapitalkontos“ hat die Klägerin dagegen die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung erklärt. Auch bei einer Vollstreckungsabwehrklage sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig für eine Entscheidung über die Wirkung einer Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung.

1) Mit der Befriedigung des Zahlungsanspruches der Beklagten und Herausgabe des Vollstreckungstitels ist die Zwangsvollstreckung beendet und die Vollstreckungsabwehrklage unzulässig geworden.

2) Ist die Vollstreckung im laufenden Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage beendet worden, kann der Schuldner im Wege der sogenannten verlängerten Vollstreckungsabwehrklage seine Klage auf die (Rück-)Erstattung dessen richten, was der Gläubiger aufgrund seiner unzulässigen Zwangsvollstreckung erlangt hat (vgl. BHG, Urteil vom 25.02.1988 – III ZR 272/85).

Dafür müsste die zunächst angestrengte Vollstreckungsabwehrklage zulässig und begründet gewesen sein, damit nunmehr ein Rückforderungsanspruch nach § 812 BGB durchgesetzt werden kann. Voraussetzung hierfür ist, dass im Fall einer Aufrechnung des Schuldners die der ursprünglichen Vollstreckungsabwehrklage zugrunde liegende Gegenforderung des Schuldners in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt.

3) Gemäß § 767 Abs. 1 ZPO ist für eine Vollstreckungsabwehrklage das Arbeitsgericht als Prozessgericht zuständig, und zwar nicht nur dann, wenn sich die Klage gegen die Zwangsvollstreckung aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil richtet, sondern auch bei einer Klage gegen jeden Vollstreckungstitel über einen Anspruch, für den bei klagweisender Geltendmachung die Arbeitsgericht zuständig gewesen wären; hier der Abfindungsanspruch aus dem streitigen Arbeitsverhältnis, tituliert im gerichtlichen Vergleich vom 02.06.2016.

§ 767 Abs. 1 ZPO erfasst aber nicht alle denkbaren Einwendungen. Vielmehr ist im Fall der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes als Prozessgericht des ersten Rechtszuges im Wege der teleologischen Reduktion zu verneinen.

Gemäß § 767 Abs. 2 ZPO können bei der Vollstreckungsabwehrklage nur solche Gründe dem Urteil entgegengehalten werden, die erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften der ZPO spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind. Wenn im Vorprozess ein Urteil ergangen ist, sollen in der Vollstreckungsabwehrklage verspätet vorgebrachte Einwendungen also unberücksichtigt bleiben. Erst recht unberücksichtigt bleiben müssen Gegenforderungen, die mangels Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für diese Gegenforderung von vornherein nicht im Vorprozess dem titulierten Anspruch hätten entgegengehalten werden können.

a. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer seine Vergütungspflicht. Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand. Es bedarf keiner Aufrechnung. Der Streit über die Lohnsteuer fällt damit in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 2 Abs. 1 Ziffer 3 b ArbGG.

b. Dagegen handelt es sich bei der Aufrechnung mit dem Anspruch auf Ausgleich des negativen Kapitalkontos um die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung. Die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung kann nur berücksichtigt werden, wenn diese Gegenforderung rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder unstreitig ist (vgl. OLG Nürnberg – 12 W 1374/15, Rd.-Nr. 28 bei juris).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

c. Diesem Ergebnis steht nicht § 17 Abs. 2 GVG entgegen. Danach entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit zwar unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Sinn und Zweck dieser Norm besteht aber darin, eine einheitliche Sachentscheidung durch ein Gericht zu ermöglichen, wenn derselbe prozessuale Anspruch auf mehreren, eigentlich verschiedenen Rechtswegen zugeordneten Anspruchsgrundlagen besteht. Eine Zuständigkeit für die Entscheidungen über die Wirkung einer Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung wird damit nicht begründet (vgl. BAG, 23.08.2001 – 5 AZB 3/01, Rd.-Nr. 8 bei juris).

d. Auch die Verbindung der beiden Streitgegenstände miteinander führt nicht zu einer einheitlichen Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen aus § 2 Abs. 3 ArbGG. Nach dieser Bestimmung sind die Gerichte für Arbeitssachen auch dann für eine nicht unter die Tatbestände der Absätze 1 und 2 des § 2 ArbGG fallende Rechtsstreitigkeit zuständig, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Streitigkeit im rechtlichen oder unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang steht und für seine Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichtes gegeben ist.

aa. Ein rechtlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht, wenn der Anspruch auf dem Arbeitsverhältnis beruht oder durch dieses bedingt ist (BAG 03.02.2014 - 10 AZB 77/13 - Rn. 5). Eine rechtliche Verknüpfung zwischen dem im Vorprozess streitigen Arbeitsvertrag der Klägerin mit der Beklagten einerseits und dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten mit der S. OHG S. andererseits besteht nicht. Weder nimmt der eine auf den anderen noch der andere auf den einen Bezug.

bb. Ein unmittelbar wirtschaftlicher Zusammenhang ist gegeben, wenn der Anspruch auf demselben wirtschaftlichen Verhältnis beruht oder wirtschaftliche Folge desselben Tatbestands ist. Die Ansprüche müssen innerlich eng zusammengehören, also einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen. Diese Voraussetzungen liegen regelmäßig vor, wenn eine nicht aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Leistung im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis erbracht wird oder beansprucht werden kann. Der Zusammenhang kommt besonders deutlich dann zum Ausdruck, wenn die Leistung auch eine Bindung des Arbeitnehmers an den Betrieb bezweckt (BAG 24.09.2004 - 5 AZB 46/04 - zu II 1 der Gründe).

Ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem im Vorprozess streitigen Arbeitsvertrag der Klägerin mit der Beklagten einerseits und dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten mit der S. OHG S. andererseits ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, erst recht kein „unmittelbarer“.

cc. Eine weite Auslegung der Regelung in § 2 Abs. 3 ArbGG verbietet sich. Einer verfassungswidrigen Rechtswegerschleichung darf nicht Vorschub geleistet werden (so wörtlich: BAG, 16.04.2014 - 10 AZB 12/14, Rn. 16).

III.

Diese Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, § 48 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 17 a GVG.