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Abschnitt A VP-ABBeschl - Prüfraster für die Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen

Bibliographie

Titel
Anwendungsbestimmungen der Ministerien zur Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen
Redaktionelle Abkürzung
VP-ABBeschl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
11120

I. Prüfung der Verhältnismäßigkeit

1. Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften, die dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG unterfallen und die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, ist eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach den folgenden Bestimmungen durchzuführen. Der Umfang der Prüfung muss im Verhältnis zu der Art, dem Inhalt und den Auswirkungen der Vorschrift stehen.

2. Jede Vorschrift i. S. der Nummer 1 ist mit einer Erläuterung zu versehen, die so ausführlich ist, dass eine Bewertung der Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ermöglicht wird.

3. Die Gründe, aus denen hervorgeht, dass eine Vorschrift gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, sind durch qualitative und, soweit möglich und relevant, quantitative Elemente zu substantiieren.

4. Vorschriften i. S. von Nummer 1 dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatszugehörigkeit oder des Wohnsitzes darstellen und müssen durch Ziele des Allgemeininteresses i. S. des Artikels 6 der Richtlinie (EU) 2018/958 gerechtfertigt sein. Sie müssen für die Verwirklichung des angestrebten Ziels geeignet sein und dürfen nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen.

5. Das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in der Begründung des Gesetz- oder Verordnungsentwurfs darzustellen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 GGO).

II. Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung

1. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind sämtliche der folgenden Punkte zu berücksichtigen:

  1. a)

    die Eigenart der mit den angestrebten Zielen des Allgemeininteresses verbundenen Risiken, insbesondere der Risiken für Dienstleistungsempfängerinnen und Dienstleistungsempfänger, einschließlich Verbraucherinnen und Verbraucher, Berufsangehörige und Dritte;

  2. b)

    die Frage, ob bestehende Regelungen spezifischer oder allgemeiner Art, etwa die Regelungen in Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Produktsicherheit oder des Verbraucherschutzes, nicht ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen;

  3. c)

    die Eignung der Vorschrift zur Erreichung des angestrebten Ziels, sowie die Frage, ob sie diesem Ziel tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise gerecht wird und somit den Risiken entgegenwirkt, die bei vergleichbaren Tätigkeiten in ähnlicher Weise identifiziert wurden;

  4. d)

    die Auswirkungen auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU, die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Qualität der bereitgestellten Dienstleistungen;

  5. e)

    die Frage, ob zur Erreichung des im Allgemeininteresse liegenden Zieles auch auf mildere Mittel zurückgegriffen werden kann; wenn die Vorschrift nur durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt ist und sich die identifizierten Risiken auf das Verhältnis zwischen dem oder der Berufsangehörigen und der Verbraucherin oder dem Verbraucher beschränken und sich deshalb nicht negativ auf Dritte auswirken, ist i. S. dieses Buchstabens insbesondere zu prüfen, ob das Ziel durch Maßnahmen erreicht werden kann, die milder sind als die Maßnahme, die Tätigkeiten vorzubehalten.

2. Darüber hinaus sind bei der Prüfung die folgenden Punkte zu berücksichtigen, wenn sie für die Art und den Inhalt der neu eingeführten oder geänderten Vorschrift relevant sind:

  1. a)

    der Zusammenhang zwischen dem Umfang der Tätigkeiten, die von einem Beruf erfasst sind oder die einem Beruf vorbehalten sind und der erforderlichen Berufsqualifikation;

  2. b)

    der Zusammenhang zwischen der Komplexität der betreffenden Aufgaben und der Notwendigkeit, dass diejenigen, die die Aufgaben wahrnehmen, im Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation sind, insbesondere in Bezug auf Niveau, Eigenart und Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Erfahrung;

  3. c)

    die Möglichkeit, die berufliche Qualifikation auf alternativen Wegen zu erlangen;

  4. d)

    die Frage, ob und warum die bestimmten Berufen vorbehaltenen Tätigkeiten mit anderen Berufen geteilt oder nicht geteilt werden können;

  5. e)

    der Grad an Autonomie bei der Ausübung eines reglementierten Berufs und die Auswirkungen von Organisations- und Überwachungsmodalitäten auf die Erreichung des angestrebten Zieles, insbesondere wenn die mit einem reglementierten Beruf zusammenhängenden Tätigkeiten unter der Kontrolle und Verantwortung einer ordnungsgemäß qualifizierten Fachkraft stehen;

  6. f)

    die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die die Informationsasymmetrie zwischen Berufsangehörigen und Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich abbauen und verstärken können.

3. Wird die neue oder geänderte Vorschrift mit einer oder mehreren der folgenden nicht abschließend aufgezählten Anforderungen kombiniert, so ist die Auswirkung der neuen oder geänderten Vorschrift zu prüfen, insbesondere ist zu prüfen, wie die neue oder geänderte Vorschrift kombiniert mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben legitimen Zwecks beiträgt und ob sie hierfür notwendig ist:

  1. a)

    Tätigkeitsvorbehalte, geschützte Berufsbezeichnung oder jede sonstige Form der Reglementierung i. S. von Artikel 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2005/36/EG;

  2. b)

    Verpflichtungen zur kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung;

  3. c)

    Vorschriften in Bezug auf Berufsorganisationen, Standesregeln und Überwachung;

  4. d)

    Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation, Registrierungs- und Genehmigungsregelungen, insbesondere wenn diese Anforderungen den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation voraussetzen;

  5. e)

    quantitative Beschränkungen, insbesondere Anforderungen, die die Zahl der Zulassungen zur Ausübung eines Berufs begrenzen oder die eine Mindest- oder Höchstzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder Vertreterinnen und Vertreter festsetzen, die bestimmte Berufsqualifikationen besitzen;

  6. f)

    Anforderungen an bestimmte Rechtsformen oder Anforderungen in Bezug auf die Beteiligungsstruktur oder Geschäftsleitung eines Unternehmens, soweit diese Anforderungen unmittelbar mit der Ausübung des reglementierten Berufs zusammenhängen;

  7. g)

    geografische Beschränkungen, auch dann, wenn der Beruf in Teilen der Bundesrepublik Deutschland in einer Weise reglementiert ist, die sich von der Reglementierung in anderen Teilen unterscheidet;

  8. h)

    Anforderungen, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung eines reglementierten Berufs beschränken, sowie Unvereinbarkeitsregeln;

  9. i)

    Anforderungen an den Versicherungsschutz oder andere Mittel des persönlichen oder kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht;

  10. j)

    Anforderungen an Sprachkenntnisse, soweit diese für die Ausübung des Berufs erforderlich sind;

  11. k)

    festgelegte Mindest- und/oder Höchstpreisanforderungen;

  12. l)

    Anforderungen an die Werbung.

4. Zusätzlich ist sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird, wenn spezifische Anforderungen im Zusammenhang mit der vorübergehenden oder gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen gemäß Titel II der Richtlinie 2005/36/EG, einschließlich der folgenden Anforderungen, neu eingeführt oder geändert werden:

  1. a)

    eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation gemäß Artikel 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2005/36/EG;

  2. b)

    eine vorherige Meldung gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG, die gemäß Absatz 2 des genannten Artikels erforderlichen Dokumente oder eine sonstige gleichwertige Anforderung;

  3. c)

    die Zahlung einer Gebühr oder von Entgelten, die von der Dienstleistungserbringerin oder dem Dienstleistungserbringer für die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung gefordert werden.

Die Verpflichtung nach dieser Nummer gilt nicht für Maßnahmen, durch die die Einhaltung geltender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleistet werden soll, die im Einklang mit dem Recht der EU angewendet werden.

5. Bei Vorschriften, die die Reglementierung von Gesundheitsberufen betreffen und Auswirkungen auf die Patientensicherheit haben, ist das Ziel der Sicherstellung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes zu berücksichtigen.