Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.01.2005, Az.: 8 U 249/04
Anfechtung einer Rechtshandlung durch einen Insolvenzverwalter; Rückzahlung eines im Wege der Zwangsvollstreckung beigetriebenen Betrages durch einen Insolvenzverwalter nach Anfechtung der Rechtshandlung ; Zulässigkeit einer Beitreibung der gegen einen Schuldner zustehenden Forderung innerhalb des letzten Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer Forderungspfändung ; Anfechtbarkeit einer in kritischer Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Befriedigung durch Zahlung eines Drittschuldners als inkongruente Deckung ; Folgen eines Führens der Pfändung und Überweisung der Forderung des Schuldners zu einem wirksamen und insolvenzbeständigen Pfändungspfandrecht ; Entstehung eines Pfändungspfandrechts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.01.2005
- Aktenzeichen
- 8 U 249/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 10095
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2005:0114.8U249.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 08.09.2004 - AZ: 9 O 1811/04
Rechtsgrundlage
- § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Fundstellen
- AnwBl 2005, 109-110
- MDR 2005, 894-895
- MDR 2005, 984-985 (Volltext mit red. LS)
- NZI (Beilage) 2005, 28* (amtl. Leitsatz)
- OLGReport Gerichtsort 2005, 102-103
- ZInsO 2005, 328-329 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Eine in kritischer Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung durch Zahlung eines Drittschuldners ist nach § 131 Abs 1 Nr. 1 InsO als inkongruente Deckung anfechtbar, wenn die Pfändung und Überweisung der Forderung des Schuldners nicht zu einem wirksamen und insolvenzbeständigen Pfändungspfandrecht geführt hat, weil sie ebenfalls innerhalb des Zeitraums von einem Monat vor Insolvenzantragstellung erfolgt ist.
In dem Rechtsstreit
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... ,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 14. Januar 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 8. September 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufungsinstanz auf 36.726,73 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der S ... GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung eines im Wege der Zwangsvollstreckung beigetriebenen Betrages, nachdem er diese Rechtshandlung sowie den zugrunde liegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gemäss § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten hat.
Der Beklagte ist Inhaber einer titulierten Forderung gegen die Schuldnerin. Er erwirkte am 28. April 2002 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen einer der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin zustehenden Werklohnforderung. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Drittschuldnerin am 14. Mai 2002 zugestellt. Dieseüberwies am 30. Mai 2002 einen Betrag von 36.726,73 EUR an den Beklagten. Die Schuldnerin stellte am 5. Juni 2002 einen Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde daraufhin mit Beschluss vom 22. August 2002 eröffnet.
Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe imÜbrigen nimmt der Senat auf das angefochtene Urteil Bezug. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Rückzahlung verurteilt.
Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er vertritt unter Wiederholung und Ergänzung seines bisherigen Vorbringens die Auffassung, dass die von ihm im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung nicht inkongruent sei.
Die Berufung des Beklagten ist mangels Erfolgsaussicht gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Das Landgericht hat, wie der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 15. Dezember 2004 im einzelnen ausgeführt hat, die von dem Kläger gemäss § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erklärte Insolvenzanfechtung zu Recht durchgreifen lassen und den Beklagten deshalb zutreffend zur Rückzahlung des im Wege der Zwangsvollstreckung erlangten Betrages verurteilt.
Der Beklagte hat innerhalb des letzten Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine ihm gegen die Schuldnerin zustehende Forderung aufgrund einer Forderungspfändung beigetrieben. Eine solche Sicherung oder Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung in kritischer Zeit, nämlich während der wirtschaftlichen Krise der Schuldnerin, hat der Gläubiger eines Zahlungsanspruchs nicht zu beanspruchen; die dadurch erlangte Deckung ist inkongruent (vgl. Kreft in HKInsO, 3. Aufl., § 131 Rn. 15; MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rn. 26). Die Vorschrift des § 131 Abs. 1 Nr.1 InsO bezweckt, den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zeitlich vorzuziehen und das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip zurückzudrängen; nach Eintritt der Krise und der damit verbundenen materiellen Insolvenz soll eine Ungleichbehandlung der Gläubiger nicht mehr durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel insolvenzfest erzwungen werden können (vgl. BGH BGHZ 136, 309, 311 ff.). Ein Gläubiger, der sich innerhalb des Monatszeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO wegen einer fälligen Forderung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung eine Befriedigung verschafft, hat deshalb das Erlangte auf eine Anfechtung hin zurückzugewähren.
Auf das zuvor durch die Pfändung und Überweisung der Forderung der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin begründete Pfändungspfandrecht kann sich die Beklagte nicht berufen. Das Pfändungspfandrecht entsteht mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner (vgl. MünchKommZPO/Smid, 2. Aufl., § 829 Rn. 33). Diese Zustellung ist hier ebenfalls innerhalb des letzten Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschehen. Das Pfändungspfandrecht konnte deshalb dem Beklagten ein insolvenzbeständiges und für sich unanfechtbares Recht auf abgesonderte Befriedigung (§ 50 Abs. 1 S. 1 InsO) nicht verschaffen. Pfändung undÜberweisung einer Forderung einerseits und die Zahlung durch den Drittschuldner andererseits sind zwar selbständige Rechtshandlungen; die Anfechtung der Befriedigung ist aber nur dann nicht erfolgversprechend, wenn das Pfändungspfandrecht wirksam und unanfechtbar vor der kritischen Zeit, also außerhalb der Monatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, entstanden ist, da nur in diesem Fall der Pfändungspfandgläubiger das erhält, was ihm bereits aufgrund des Pfändungspfandrechts zusteht und die Gesamtheit der Gläubiger durch die Erlangung der Befriedigung nicht benachteiligt wird (vgl. BGH NJWRR 2000, 1215, 1216; Kirchhof ZInsO 2004, 1168, 1172). Bei einem - wie hier - innerhalb der kritischen Zeit entstandenen Pfändungspfandrecht gilt dies nicht; beide Rechtshandlungen unterliegen der Insolvenzanfechtung, die von der Beklagten erlangte Deckung ist nicht kongruent.
Die Rechtssache besitzt im Übrigen keine grundsätzliche Bedeutung; sie erfordert nicht eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufungsinstanz auf 36.726,73 EUR festgesetzt.