Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.11.2003, Az.: 12 UF 69/03

Anspruch des Sozialamts auf Erstattung von Sozialleistungen; Inanspruchnahme des Sohnes einer pflegebedürftigen Sozialhilfeempfängerin; Gerichtliche Geltendmachung übergegangener Unterhaltsansprüche; Anforderungen an die Darlegungen zu Bedarfshöhe und wirtschaftlichen Verhältnissen des Bedürftigen; Ermittlung des anrechenbaren Einkommens und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltschuldners; Bewertung mietfreien Wohnens in selbst genutztem Wohnungseigentum ; Zumutbarkeit ertragsbringenden Einsatzes durch Fremdvermietung ; Bestimmung des angemessenen Bedarfs des Ehegatten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.11.2003
Aktenzeichen
12 UF 69/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 14958
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2003:1118.12UF69.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Delmenhorst - 05.08.2003 - AZ: 22 F 140/03

Fundstellen

  • FamRZ 2004, 295-296 (Volltext mit amtl. LS)
  • JWO-FamR 2004, 9
  • NJW 2004, XIV Heft 12 (Kurzinformation)
  • NJW-RR 2004, 364-365 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZFE 2004, 59-60 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Leistungen nach dem Gesetz zur sozialen Grundsicherung sind beim Elternunterhalt bedarfsdeckend in Anspruch zu nehmen. Eine Bedürftigkeit besteht nur bei einem dann noch ungedeckter Bedarf.

Der angemessene Bedarf des mit dem in Anspruch genommen Kind zusammenlebenden Ehegatten bemisst sich in der Regel nach der Hälfte des gemeinsamen Einkommens beider Eheleute.

In der Familiensache
hat der 12. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 04. November 2003
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ...
sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 05. August 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Delmenhorst geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Erstattung von Sozialleistungen, die er für die Mutter des Beklagten erbracht hat, in Anspruch.

2

Der Kläger erbrachte in der Zeit vom 10. Juli 2002 bis 30. April 2003 für die in einem Pflegeheim untergebrachte Mutter des Beklagten Sozialhilfeaufwendungen mit einem Gesamtbetrag von 1.169,74 EUR. Er erbringt weitere laufende Leistungen, deren endgültige Höhe noch nicht feststeht.

3

Von der Aufnahme der Zahlungen unterrichtete er den Beklagten mit Rechtswahrungsanzeige vom 08. Juli 2002.

4

Der Beklagte ist Rentner mit einem Grad der Behinderung von 70 %. Er bezieht eine monatliche Altersversorgung von insgesamt rund 1.898,00 EUR. Seine Ehefrau ist als Krankenschwester berufstätig und erhält ein Nettoeinkommen von rund 525,00 EUR. Ferner erhielten sie eine Steuererstattung von rund 178,00 EUR. Beide wohnen mietfrei in einem Einfamilienhaus, für das sie einen monatlichen Abtrag von 450,00 EUR aufbringen. Außerdem fallen verschiedene Beiträge für Versicherungen an.

5

Mit dem Vorbringen, das Einkommen sei unter Berücksichtigung der Hausbelastungen um einen Vorteil an ersparter Miete von rund 119,00 EUR zu erhöhen, hat der Kläger die Zahlung von 1.169,74 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie Feststellung begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, ab Mai 2003 auf den laufenden Unterhalt Abschläge in Höhe von monatlich 120,47 EUR bis zum 3. Werktag eines Monats zu zahlen.

6

Durch Urteil vom 05. August 2003 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Delmenhorst der Klage antragsgemäß stattgegeben.

7

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.

8

Er macht geltend, das Amtsgericht sei von einem zu hohen Mietwert ausgegangen und habe den Bedarf seiner Ehefrau zu niedrig bemessen. Zudem entstünden ihm und seiner Ehefrau krankheitsbedingte Mehraufwendungen von monatlich zumindest 250,00 EUR.

9

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Delmenhorst vom 05. August 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

13

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

14

Der Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger aus übergegangenem Recht Unterhaltszahlungen zu leisten.

15

Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger Feststellung begehrt, dass der Beklagte ab Mai 2003 zu laufenden Abschlagszahlungen verpflichtet sei. Eine Feststellungsklage setzt ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses voraus (§ 256 Abs. 1 ZPO). Daran fehlt es nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn zugleich Klage auf Leistung erhoben werden kann (Zöller/Greger § 256 ZPO Rn. 7a). Dies trifft auch für den vorliegenden Fall zu, da der Kläger nicht Feststellung einer fortbestehenden Unterhaltsverpflichtung begehrt, sondern auf Grund der noch ungeklärten Bedürfnislage die Entrichtung laufender Abschlagszahlungen verlangt. Für die Durchsetzung erst in Zukunft übergehender Unterhaltsansprüche steht dem Kläger jedoch die Leistungsklage zur Verfügung (§ 91 Abs. 3 S. 2 BSHG).

16

Die Klage ist zudem sachlich nicht begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf künftige Leistung nicht hinreichend dargelegt. Dieses Recht gründet sich auf die Erwartung, dass die in der Vergangenheit erbrachten Zahlungen auf Grund unveränderter Verhältnisse auch für die Zukunft aufzubringen sind. Daher obliegt zunächst dem Sozialhilfeträger die Darlegung, dass für längere Zeit Leistungen fortzuentrichten sind (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz § 91 BSHG Rn. 179). In welchem Umfang dies hier erforderlich ist, erschließt sich aus dem nicht weiter substantiierten Vortrag, es liege zurzeit noch keine verbindliche Pflegesatzvereinbarung vor, nicht. Zum Bestehen eines Unterhaltsanspruchs fehlt es an einem hinreichenden Sachvortrag. Der gesetzliche Anspruchsübergang nach § 91 BSHG lässt die Rechtsnatur des Anspruchs unberührt. Grundlage der geltend gemachten Forderung ist unverändert der Anspruch der Mutter gegen ihren Sohn aus § 1601 BGB. Voraussetzung für diesen Anspruch ist die mangelnde Fähigkeit, den Bedarf aus eigenem Einkommen und Vermögen selbst zu decken (§ 1602 Abs. 1 BGB; Palandt/Diederichsen § 1602 BGB Rn. 4; Weinreich/Klein § 1602 BGB Rn. 29). Einer Darlegung der Höhe des Bedarfs und der wirtschaftlichen Verhältnisse der Mutter des Beklagten ist der Kläger nicht bereits auf Grund der geleisteten Sozialhilfe enthoben, weil zwischen dieser und der bürgerlichrechtlichen Unterhaltspflicht erhebliche Wertungsunterschiede bestehen und die sozialrechtlichen Ansprüche die unterhaltsrechtlichen Ansprüche zum Teil überschreiten (Schellhorn/Schellhorn BSHG 16. Aufl. § 91 Rn. 36f; vgl. auch Senat FamRZ 1991, 1347). Es ist zudem unklar, ob monatlich gleich bleibende Leistungen erbracht werden oder in der geltend gemachten Summe für einzelne Monate eine Erstattung beansprucht wird, die über eine Leistungsfähigkeit des Beklagten hinausgeht. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, ob und in welchem Umfang ab Januar 2003 Leistungen nach dem Gesetz zur sozialen Grundsicherung (BGBl.. I 2001, 1310; vgl. Unterhaltsrechtliche Leitlinien Ziff. 2.9) in Anspruch genommen werden und aus welchen Gründen gleichwohl noch ein ungedeckter Bedarf bestehen soll.

17

Aber auch unabhängig davon kommt ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten aus § 1601 BGB mangels ausreichender Leistungsfähigkeit nicht in Betracht. Sein anrechenbares Einkommen übersteigt nicht den ihm in jedem Fall zu belassenden Selbstbehalt von 1.250,00 EUR. Dies gilt unabhängig davon, ob weitere erstmals mit der Berufung geltend gemachte Belastungen einkommensmindernd zu berücksichtigen wären oder nicht.

18

Nach der Klagebegründung beträgt das maßgebliche Einkommen des Beklagten rund 1.987,00 EUR, wobei zu Gunsten des Klägers unterstellt werden kann, dass auch künftig eine gleich hohe Steuererstattung zu erwarten ist. Dieses Einkommen ist um Versicherungsleistungen von zumindest 160,00 EUR und den Hausabtrag von unstreitig 450,00 EUR zu vermindern. Im Gegenzug ist ein geldwerter Vorteil in Höhe ersparter Mietausgaben von 570,00 EUR hinzuzurechnen. Dabei bemisst sich dieser Wohnwert nicht nach einem für das bewohnte Haus aufzubringenden Mietzins, sondern nach dem Betrag, der für die Anmietung einer dem verfügbaren Einkommen entsprechenden Wohnung angemessen wäre.

19

Mit der ertraglosen Nutzung eigenen Vermögens ist der Vorteil verbunden, sonst unvermeidbare Aufwendungen zu ersparen. Zwar ist für die Bewertung des Gebrauchsvorteils (§ 100 BGB) in der Regel der übliche Mietzins als objektiver Wert maßgebend. Dieser objektive Maßstab wird unterhaltsrechtlich aber durch subjektive Gesichtspunkte überlagert, soweit ein Missverhältnis zum verfügbaren Einkommen besteht. Tatsächliche Einnahmen sind mit dem Wohnen im eigenen Haus nicht verbunden, sodass der Kapitalwert eines Hausgrundstücks das zur Verfügung stehende Einkommen und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten nicht beeinflusst. Es besteht auch keine Obliegenheit, diesen Kapitalwert durch eine Fremdvermietung ertragbringend einzusetzen. Eine anderweitige Nutzung oder Verwertung des Hausgrundstücks wäre mit einer beim Verwandtenunterhalt nicht zu erwartenden Einschränkung der eigenen Lebensstellung verbunden. Daher ist für den Wert mietfreien Wohnens nicht der für den selbstgenutzten Wohnraum im Fremdvergleich aufzuwendende Mietzins maßgebend. Vielmehr ist auf die ersparten Mietaufwendungen abzustellen, deren Höhe individuell nach den augenblicklichen Lebens und Einkommensverhältnissen zu bemessen ist (BGH FamRZ 2003, 1179, 1181 [BGH 19.03.2003 - XII ZR 123/00]; Senat FamRZ 2000, 1174, 1175; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 8. Aufl. Rn. 781a). Bei einem 2.000,00 EUR übersteigenden Familieneinkommen steht ein Mietzins von rund 570,00 EUR in einem zum verfügbaren Einkommen angemessenen Verhältnis, womit sich der vom Amtsgericht zu Grunde gelegte Betrag im Ergebnis als zutreffend erweist.

20

Der sich damit ergebende Betrag von 1.947,00 EUR ist darüber hinaus um den von dem Beklagten für den Unterhalt seiner Ehefrau einzusetzenden Anteil zu kürzen. Der in den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Bedarf des Ehegatten ausgewiesene Selbstbehalt von 950,00 EUR stellt dabei ebenso wie der Selbstbehalt des in Anspruch genommenen Kindes nur die unterste Grenze des in jedem Fall anrechnungsfrei zu bleibenden Betrages dar. Daraus lässt sich jedoch für die Höhe des angemessenen Bedarfs anderer Familienangehöriger nichts ableiten. Dieser Bedarf ist vielmehr ebenfalls nach den konkreten Einkommens und Vermögensverhältnissen der Eheleute zu bestimmen. Da die Ehefrau des Beklagten ihrer Schwiegermutter gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet ist und ihr im Rang vorgeht, braucht sie keine Kürzung ihres eigenen angemessenen Unterhalts hinzunehmen (BGH a.a.O.; Senat FamRZ 1991, 1347; FamRZ 2000, 1174, 1175).

21

Die Höhe dieses Bedarfs ist nach den durch die Einkommen beider Ehegatten bestimmten ehelichen Lebensverhältnissen zu bestimmen, an denen die Ehefrau grundsätzlich einen gleichen Anteil hat. Soll schon für die geschiedene Ehe vom Grundsatz gleicher Teilhabe auszugehen sein (so BVerfG NJW 2002, 1185, 1186) [BVerfG 05.02.2002 - 1 BvR 105/95], muss dieses erst recht für Eheleute gelten, die in intakter Ehe leben. Daher ist es folgerichtig, wenn der BGH diesen angemessenen Bedarf mit der Hälfte der beiderseitigen Einkommen der Eheleute bewertet hat (BGH FamRZ 2002, 742 [BGH 20.03.2002 - XII ZR 216/00]; FamRZ 2003, 860, 866) [BGH 19.02.2003 - XII ZR 67/00]. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung.

22

Vermindert um die Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen ergibt sich einschließlich der anteiligen Steuererstattung für die Ehefrau des Beklagten ein anrechenbares Einkommen von 565,00 EUR. Damit beläuft sich das Familieneinkommen auf insgesamt gerundet 2.510,00 EUR. Dieser Betrag ist insgesamt als bestimmend für die Lebensverhältnisse zu Grunde zu legen, da für deren vom BGH erwogene Einschränkung durch eine "latente Unterhaltslast" (BGH FamRZ 2003, 865 [BGH 19.02.2003 - XII ZR 67/00]) hier nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich ist. Der angemessene Bedarf der Ehefrau des Beklagten beläuft sich auf die Hälfte dieses Betrages und beträgt folglich 1.255,00 EUR. Abzüglich ihres eigenen Einkommens verbleibt ein ungedeckter Bedarf von 690,00 EUR, um den das Einkommen des Beklagten zu vermindern ist. Damit ergibt sich für den Beklagten ein verbleibender Betrag von ebenfalls gerundet 1.255,00 EUR. Dieser überschreitet den angemessenen Selbstbehalt derart geringfügig, dass hiervon kein Unterhalt zu leisten ist.

23

Damit erweist sich die Klage bereits nach dem Vorbringen des Klägers als unbegründet, sodass es keiner Vertiefung bedarf, inwiefern die weiteren in der Berufungsbegründung vorgebrachten Aufwendungen das anrechenbare Einkommen zusätzlich vermindern könnten.

24

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

25

Es bestehen keine Gründe, die Revision zuzulassen.