Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.06.2017, Az.: 1 Ws 298/17
Zulässigkeit der Anrechnung der Unterbringung auf eine verfahrensfremde Strafe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 21.06.2017
- Aktenzeichen
- 1 Ws 298/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 19904
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 31.03.2017 - AZ: 15 StVK 452/16 A
Rechtsgrundlagen
- StGB § 67 Abs. 4
- StGB § 67 Abs. 6
- StVollstrO § 54 Abs. 3
Fundstelle
- StV 2018, 368-369
Amtlicher Leitsatz
Eine Anrechnung der Unterbringung auf eine wegen einer nach deren Anordnung begangenen Tat verhängte verfahrensfremde Strafe kommt wegen unbilliger Härte auch dann in Betracht, wenn die neue Straftat vor Beginn der Unterbringung begangen worden ist, eine erneute Unterbringung in dem neuen Verfahren trotz Vorliegens der Voraussetzungen entgegen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2005 (3 StR 216/05, BGHSt 50, 199) nur im Hinblick auf die bereits vollzogene Unterbringung unterblieben ist, so dass die bei nochmaliger Anordnung gebotene Unterbrechung der Maßregel gemäß § 54 Abs. 3 StVollstrO nicht möglich ist.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz in Lingen vom 31. März 2017 wie folgt geändert:
1. Die Zeit des Vollzuges der im Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 23. Februar 2012 (3 KLs 936 Js 37975/09 -18/11) angeordneten Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird auch auf die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2013 (201 Ls 120 Js 14814/12 - 393/12) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 6. März 2014 (7 Ns 165/13) angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.
2. Der nach der zu Ziffer 1. erfolgten Anrechnung verbleibende Strafrest aus dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2013 (201 Ls 120 Js 14814/12 - 393/12) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 6. März 2014 (7 Ns 165/13) wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Das weitergehende Rechtsmittel des Verurteilten wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt, jedoch wird die Gebühr auf die Hälfte ermäßigt. Die Hälfte der dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.
Gründe
Durch Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Osnabrück vom 23. Februar 2012, rechtskräftig seit dem gleichen Tage, war gegen den Verurteilten vornehmlich wegen Betrugstaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Die zunächst gewährten Aussetzungen von Strafe und Maßregel zur Bewährung waren mit Beschluss vom 15. Oktober 2012 widerrufen worden, nachdem der Verurteilte zwischen März und September 2012 erneut Vermögensdelikte begangen hatte. Wegen dieser Taten hatte in der Folge das Amtsgericht Osnabrück mit Urteil vom 22. Juli 2013 (201 Ls 120 Js 14814/12 - 393/12) eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt; auf seine Berufung hin war diese nach Teileinstellung des Verfahrens durch das Landgericht Osnabrück mit Urteil vom 6. März 2014 (7 Ns 165/13) auf ein Jahr und sieben Monate - ebenfalls ohne Strafaussetzung zur Bewährung - herabgesetzt worden.
Nachdem sich der Verurteilte im vorliegenden Verfahren zunächst seit dem 7. Oktober 2012 in Sicherungshaft gemäß § 453c StPO befunden hatte, wurde auf Grund des erfolgten Widerrufs der Aussetzung die Unterbringung gemäß § 63 StGB seit dem 19. November 2012 im A...-Klinikum vollzogen.
Mit Beschluss vom 31. März 2017, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz in Lingen die Unterbringung für erledigt erklärt, da die Voraussetzungen ihrer Anordnung nach den geänderten Maßstäben des § 63 StGB nicht mehr gegeben seien, sowie das Eintreten der gesetzlichen Führungsaufsicht angeordnet und diese näher ausgestaltet. Den nach Anrechnung verbleibenden Strafrest hat sie nicht zur Bewährung ausgesetzt und dessen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt angeordnet. Von einer Anrechnung der Unterbringung auf die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2013 (in Verbindung mit dem Berufungsurteil vom 6. März 2014) gemäß § 67 Abs. 6 StGB hat die Strafvollstreckungskammer abgesehen und auch insoweit den Vollzug der Strafe in der Justizvollzugsanstalt angeordnet. Auf Grund dieser Entscheidung befindet sich der Verurteilte seit dem 24. April 2017 im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt L....
Mit seiner sofortigen Beschwerde vom 24. April 2017 wendet sich der Verurteilte gegen die unterbliebene Anrechnung auf die verfahrensfremde Strafe und die Nichtaussetzung der danach verbleibenden Strafreste zur Bewährung.
Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
1. Die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht davon abgesehen, die nach Anrechnung auf die verfahrensgegenständliche Freiheitsstrafe verbleibende Dauer der Unterbringung auf die in Verbindung mit dem Berufungsurteil vom 6. März 2014 durch Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2013 verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen.
a. § 67 Abs. 6 Satz 3 StGB, wonach die Anrechnung in der Regel ausgeschlossen ist, wenn die der verfahrensfremden Strafe zu Grunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist, steht einer solchen Anrechnung nicht entgegen. Denn Hintergrund dieses Ausschlussgrundes ist die Erwägung, dass die Wahrung der präventiven Wirkung von Strafdrohungen entfiele oder jedenfalls deutlich abgeschwächt würde, soweit im Maßregelvollzug aufgrund von Anrechnungsregeln gewissermaßen Gutschriften angesammelt und für während des Vollzugs erst noch begangene Straftaten genutzt werden könnten. Durch die Formulierung "in der Regel" soll jedoch Spielraum geschaffen werden, ausnahmsweise auch in solchen Fällen eine Anrechnung zu gestatten, wenn - wie hier - die neue Tat vor dem Maßregelvollzug begangen wurde und der Betroffene daher noch nicht behandelt und dem mit dem Vollzug verbundenen Freiheitsentzug ausgesetzt worden war (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 18/7244, S. 29 unter Hinweis auf die zu Grunde liegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. März 2012, 2 BvR 2258/09, Rz. 64, die bei dem von ihm skizzierten Ausschlussgrund vorrangig auf im Maßregelvollzug begangene Straftaten abstellt).
b. Das Absehen von der Anrechnung stellt auch eine unbillige Härte im Sinne von § 67 Abs. 6 Satz 1 StGB dar.
Der Verurteilte hat sich bis zu seiner Verlegung in den Strafvollzug Anfang April 2017 seit Herbst 2012, also rund viereinhalb Jahre im Maßregelvollzug befunden. Dem gegenüber stehen Freiheitsstrafen von insgesamt drei Jahren und sieben Monaten. Damit liegt eine die Höhe der verhängten Strafen erheblich übersteigende Dauer des erlittenen Freiheitsentzuges im Sinne von § 67 Abs. 6 Satz 2 StGB vor.
Demgegenüber ist zwar ein Therapieerfolg nicht festzustellen. So ist etwa der Stellungnahme des A...-Klinikums vom 2. September 2016 zu entnehmen, dass der Verurteilte keine Krankheitseinsicht zeige. Bei der Aufarbeitung der Delikte würden von ihm in erster Linie externale Umstände und Personen verantwortlich gemacht. Eine differenzierte Aufarbeitung von in seiner Person begründeten Risikofaktoren sowie der Umgang damit sei bis dahin nicht möglich gewesen. Auch der Sachverständige Dr. med. G... kommt in seinem Gutachten vom 10. Februar 2017 zu dem Ergebnis, dass bei dem Verurteilten, der keine Behandlungsmotivation aufweise, auch in der Zukunft ein beträchtliches Rückfallrisiko besteht.
Dass es an diesem nach § 67 Abs. 6 Satz 2 StGB ebenfalls insbesondere - mithin nicht ausschließlich in den Blick zu nehmenden und auch nicht zwingend erforderlichen - zu berücksichtigendem Kriterium fehlt, hindert aber die Annahme einer unbilligen Härte im Sinne von § 67 Abs. 6 Satz 1 StGB nicht. Zu Bedenken ist nämlich, dass das Amtsgericht Osnabrück - und ihm folgend das Landgericht Osnabrück im Berufungsurteil vom 6. März 2014 - in seiner Entscheidung vom 22. Juli 2013 von der Verweisung an die große Strafkammer zum Zwecke der an sich auch wegen der neuen Taten angezeigten - erneuten - Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB nur deshalb abgesehen hat, weil angesichts der bereits vollzogenen Unterbringung hiervon ein größerer Therapieerfolg nicht zu erwarten gewesen wäre. Durch diese Verfahrensweise würde jedoch der Verurteilte - unterbliebe eine Anrechnung der Unterbringung auch auf diese Strafe - unangemessen benachteiligt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. Beschluss v. 14.07.2005, 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199) ist, wenn der bereits mit einer Maßregel gemäß § 63 StGB belegte Angeklagte die in dem neuen Verfahren angeklagte Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat, während Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) sicher ausgeschlossen werden kann, und gegen ihn daher eine Freiheitsstrafe verhängt werden muss, der erneute Ausspruch der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht nur zulässig, sondern geboten, um die Anrechenbarkeit der Zeit des Maßregelvollzuges auf die Strafe zu gewährleisten und hierdurch eine Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen. Denn wird auch in dem neuen Verfahren neben der Freiheitsstrafe auf die Unterbringung erkannt, so ist durch die Unterbrechungsregelung des § 54 Abs. 3 StrVollstrO gewährleistet, dass auch der zweite Maßregelausspruch zur Vollstreckung gelangt und damit § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB für die neu verhängte Freiheitsstrafe ebenfalls Anwendung findet. Es ist - so der Bundesgerichtshof - kein rechtfertigender Grund dafür erkennbar, dem Angeklagten diese Möglichkeit der Verkürzung des von ihm insgesamt zu duldenden Freiheitsentzuges nur deswegen zu nehmen, weil er bereits auf Grund eines früheren Urteils in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist. Diese Überlegungen müssen auch bei der Frage, ob eine unbillige Härte im Sinne des § 67 Abs. 6 Satz 1 StGB vorliegt, Berücksichtigung finden, zumal dem Verurteilten eine Anfechtung der Entscheidungen im Hinblick auf die unterbliebene Maßregelanordnung mangels Beschwer nicht möglich gewesen wäre.
2. Zu Recht hat indessen die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der nach Anrechnung verbleibenden restlichen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 23. Februar 2012 nicht gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 StGB zur Bewährung ausgesetzt.
Von dem Verurteilten sind im Falle seiner Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt ausweislich des durch den Sachverständigen Dr. med. G... erstatteten Gutachtens mit einem überdurchschnittlich hohen Risiko erneute, der zu Grunde liegenden Verurteilung gleichartige Straftaten zu erwarten. Die von ihm gezeigte Delinquenz gehe auf biographisch überdauernde, personalgebundene Risikofaktoren zurück, in erster Linie auf seine Persönlichkeitsstörung. Eine prinzipielle Änderung seiner Persönlichkeitsstruktur im bisherigen Vollzugsverlauf sei nicht erkennbar. Seine Rückfallgefahr im Falle einer unverzüglichen Entlassung werde man vor diesem Hintergrund nur als überdurchschnittlich hoch bezeichnen können. Im Hinblick hierauf sowie auf den völlig fehlenden sozialen Empfangsraum und die mangelnde Mitwirkung des Verurteilten ist auch nicht ersichtlich, wie dieses Risiko durch Auflagen oder Weisungen auf ein hinnehmbares Maß reduziert werden könnte.
Dieselben Erwägungen führen dazu, dass auch der nach Anrechnung verbleibende Strafrest aus dem Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2013 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 6. März 2014 nicht gemäß § 57 Abs. 1 StGB (§ 67 Abs. 5 Satz 1 StGB gilt hier nicht; vgl. Gesetzesbegründung S. 29) zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Mit zutreffender Begründung hat die Strafvollstreckungskammer auch den Vollzug der Strafen anstelle der Fortsetzung des Vollzugs der Maßregel angeordnet, § 67 Abs. 5 Satz 2 StGB.
3. Schließlich halten auch die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen weiteren Anordnungen, nämlich das Nichtentfallen der gesetzlichen Führungsaufsicht und deren Ausgestaltung, der Prüfung durch den Senat stand. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der Strafvollstreckungskammer Bezug, denen der Beschwerdeführer auch nicht dezidiert entgegengetreten ist.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO.
Durch die Anrechnungsentscheidung verkürzt sich die Dauer der noch anstehenden Strafvollstreckung nicht unerheblich. Andererseits hat der Verurteilte sein mit dem Rechtsmittel erstrebtes Ziel, umgehend auf freien Fuß zu gelangen, nicht erreicht. Es erschien daher angemessen, die Gebühr auf die Hälfte zu ermäßigen und der Staatskasse die Hälfte der dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.