Landgericht Lüneburg
Urt. v. 09.05.1997, Az.: 1 S 384/96
Wirksamkeit einer Bürgschaft für alle bestehenden und zukünftigen Ansprüche aus einem Angestelltenverhältnis; Einflussmöglichkeit auf die Neuentstehung von Ansprüchen zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger; Ausweitung der Haftung des Bürgen bei allen Rechtsgrundlagen für die Zukunft
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 09.05.1997
- Aktenzeichen
- 1 S 384/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 25616
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:1997:0509.1S384.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lüneburg - 31.10.1996 - AZ: 10 C 433/96
Rechtsgrundlagen
- § 765 BGB
- § 6 Abs. 2 AGBG
- § 9 AGBG
Fundstellen
- NJW-RR 1998, 1069-1070 (Volltext mit red. LS)
- NZA-RR 1998, 202-203 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
den Richter am Landgericht ... und
den Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 31. Oktober 1996 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Das Amtsgericht Lüneburg hat die Klage auf Zahlung von DM 5.000,00 aus Bürgschaft mit der Begründung abgewiesen, die Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten verstoße gegen§ 9 II AGBG ein wirksamer Bürgschaftsvertrag sei nicht zustande gekommen. Die Berufung rechtfertigt eine abweichende Beurteilung nicht.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von DM 5.000,00 gegen die Beklagte.
Es kann dabei dahinstehen, ob die geltend gemachten Hauptforderungen bereits durch Verfall gemäß § 15 II des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen, der über § 7 Nr. 3 des Arbeitsvertrages Anwendung findet, erloschen sind.
Ein wirksamer Bürgschaftsvertrag, durch die die geltend gemachten Ansprüche gedeckt wären, ist nämlich nicht zustande gekommen. Dem hier verwandten formularmäßigen Bürgschaftsvertrag fehlt es jedenfalls an einer hinreichend bestimmten Hauptforderung, so daß die bestehende Regelung einer Inhaltskontrolle gemäß § 9 AGBG nicht standhält.
In einem Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger, für die Verbindlichkeit eines Dritten einzustehen, § 765 I BGB. Dabei kann auch eine Bürgschaft für zukünftige Ansprüche des Gläubigers gegen den Hauptschuldner übernommen werden. § 765 II BGB. Für das Vorliegen eines Bürgschaftsvertrages ist nicht nur der Verpflichtungswille des Bürgen maßgeblich, sondern der Vertrag muß auch bestimmt genug sein. In dem Bürgschaftsvertrag war bestimmt, daß die Beklagte für alle bestehenden oder zukünftigen Ansprüche der Klägerin gegen den Hauptschuldner aus dem Angestelltenverhältnis - gleich aus welchem Rechtsgrund - haften sollte.
Nach dieser Formulierung des Bürgschaftsvertrages liegt eine hinreichend bestimmte Hauptforderung im Sinne des gesetzlichen Leitbildes des § 767 I 3 BGB nicht vor. Zwar kann eine weitgefaßte Fassung der mit der Bürgschaft abgedeckten Ansprüche grundsätzlich dann bestimmt genug sein, wenn zusätzlich ein Höchstbetrag der Bürgenverpflichtung festgelegt ist. Es muß also entweder die Bürgenverpflichtung oder die Hauptschuld begrenzt sein. Vorliegend sollte die Beklagte für alle - gleich aus welchem Rechtsgrund - bestehenden oder zukünftigen Forderungen der Klägerin gegen den Hauptschuldner aus dem Angestelltenverhältnis einstehen. Allerdings war die Höhe der Verpflichtung auf einen Betrag von DM 5.000,00 begrenzt. Eine solche, weite Fassung ist jedoch dann nicht ausreichend, wenn es sich um eine formularmäßige Bürgschaftserklärung handelt.
Eine formularmäßige Bürgschaftserklärung, auf die das AGBG Anwendung findet, liegt vor. Die Anwendbarkeit des AGBG ist immer dann anzunehmen, wenn der Verwender ein Formular vorgefertigt für eine Vielzahl von Fällen anwendet. Bei der vorliegenden Bürgschaftserklärung war der komplette Text der Erklärung schon nicht änderbar vorformuliert. Es war lediglich noch der Name des Bürgen einzutragen und die Erklärung auf einer entsprechenden Linie von diesem zu unterzeichnen. Damit handelte es sich um ein Formular, das durch den Bürgen nur noch ohne Änderungen hingenommen werden konnte.
Die Klausel, in der sich die Beklagte für alle bestehenden und zukünftigen Ansprüche aus dem Angestelltenverhältnis zwischen der Klägerin und dem Hauptschuldner - gleichgültig welcher Rechtsgrundlage - bis zu einer Höhe von DM 5.000,00 verbürgt, hält einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG nicht stand, weil der Bürge damit unangemessen entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben benachteiligt wird und die Klausel gegen den Sinn der gesetzlichen Regelung des § 767 I 3 BGB verstößt (vgl. BGH NJW 96, 1274, 1275 [BGH 18.01.1996 - IX ZR 171/95]; BGH NJW 96, 924, 924 [BGH 18.01.1996 - IX ZR 69/95]; BGH NJW 96, 2369, 2370 [BGH 13.06.1996 - IX ZR 229/95]; BGH NJW 95, 2553, 2554 [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]). Das gilt auch bei einer höhenmäßigen Begrenzung. Diese Entscheidungen sind auch auf den vorliegenden Fall übertragbar. Dagegen könnte zwar die unterschiedliche Ausgangslage sprechen. Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem es sich um Geschäftsbeziehungen zwischen einer Bank und einem Geschäftspartner handelte, wobei die Hauptschuld sich aus denändernden Kreditlinien und der Gewährung von neuen Krediten zusammensetzte. In einem solchen Fall ist es dem Bürgen nicht möglich, sein Risiko bei Übernahme der Bürgschaft überhaupt zu bestimmen, weil er gerade keinen Einfluß auf die Änderung oder Neuentstehung von Verbindlichkeiten zwischen dem Dritten und dem Gläubiger hat. Vorliegend handelte es sich insofern um einen relativ überschaubaren Rahmen, nämlich lediglich um Ansprüche aus dem Angestelltenverhältnis zwischen dem Hauptschuldner und der Klägerin. Andererseits sollte die Beklagte aber auch für in der Zukunft entstehende Ansprüche haften. Außerdem waren die Rechtsgründe, aus denen sich die Haftung ergeben sollte, in keiner Weise begrenzt. Damit hatte die Beklagte formularmäßig ein nicht mehr angemessenes Risikoübernommen. Der Schutz setzt in dem Punkt an, in dem der Bürge durch die Ausgestaltung der Klausel nicht mehr in der Lage ist, den Umfang der Haftungsgründe in irgendeiner Form einzugrenzen oder vorherzusehen. Gerade bei einer Bürgschaft, die auch für zukünftige Ansprücheübernommen werden soll, tritt die fehlende Einflußmöglichkeit auf die Neuentstehung von Ansprüchen zwischen Hauptschuldner und Gläubiger hinzu. Genau dieses Risiko sollte der Beklagten mit der verwendeten Klausel jedoch aufgebürdet werden. Zwar war die Haftung auf Ansprüche aus dem Angestelltenverhältnis begrenzt. Damit konnten in den Kreis der der Bürgenhaftung zugrundeliegenden Ansprüche keine vollkommen neuen hinzukommen, die mit der völligen Neugewährung eines Kredits aus einer laufenden Geschäftsbeziehung zwischen Drittem und Bank zu vergleichen wären. Andererseits war allein durch die formale Begrenzung der Haftung auf das Angestelltenverhältnis keine Eingrenzung vorgenommen worden. Diesem Verhältnis können unabsehbare, neu entstehende Ansprüche entspringen, die zwar in einer Beziehung zum Angestelltenverhältnis stehen, jedoch vom Bürgen in keiner Weise abgeschätzt oder vorhergesehen werden können. Deswegen ist hier die Haftung auf Ansprüche aus dem Angestelltenverhältnis einer Haftung auf Ansprüche aus einer laufenden Geschäftsbeziehung gleichzusetzen. Durch die Ausweitung der Haftung auf alle erdenklichen Rechtsgrundlagen auch für die Zukunft war es der Beklagten nicht mehr möglich abzuschätzen, in welchem Rahmen sich die Hauptschuld bewegen würde. Sie wurde somit durch die Klausel unangemessen benachteiligt.
Damit ist die Klausel insgesamt nach § 6 II AGBG unwirksam und nicht Bestandteil des Bürgschaftsvertrages geworden. Imübrigen bleibt der Vertrag erhalten (vgl. BGH NJW 95, 2553, 2556 [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]). Entstehende Lücken sind über Vetragsauslegung und gesetzliche Vorschriften zu ergänzen. Dabei ist auf den Willen und die Interessen der typischerweise am Vertrag Teilnehmenden abzustellen. Vorliegend hatte die Beklagte nach ihrem Verständnis lediglich eine Mankohaftungübernehmen wollen. Auch kann unter Zugrundelegung der Umstände der Unterschrift der Bürgschaftserklärung nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Beklagte für Ansprüche, die erst in Zukunft entstehen würden, verbürgen wollte. Damit ist lediglich ein Bürgschaftsvertrag wirksam zustandegekommen, der eine Verbürgung für Ansprüche enthält, die zum Zeitpunkt der Verbürgung schon bestanden. Solche Ansprüche sind aber von der Klägerin nicht geltend gemacht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.