Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.04.2008, Az.: Ss 131/08
Verwirklichung des äußeren und inneren Tatbestands der Beleidigung durch eine Äußerung über den Staatsanwalt in einer schriftlichen Beschwerde gegen eine Verfahrenseinstellung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.04.2008
- Aktenzeichen
- Ss 131/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 14175
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2008:0414.SS131.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osnabrück - 11.12.2007 - AZ: 201 Ds 162/07
Rechtsgrundlagen
- § 183 StGB
- § 185 StGB
- Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG
Fundstellen
- JuS 2008, 743-744 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- NStZ-RR 2008, 201 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Beleidigung
Amtlicher Leitsatz
In einer Beschwerde gegen eine Verfahrenseinstellung enthaltene Äußerungen über einen Staatsanwalt, die zwar ehrverletzend sind, aber keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen (hier u.a.: "Super-Ermittler", entartetes Verhalten"), sind wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB straflos.
In dem Strafverfahren
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 14. April 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
nach § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2007 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und dem Angeklagten insoweit entstandene notwendige Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Das Amtsgericht Osnabrück hat den Angeklagten am 11. Dezember 2007 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5 EUR verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Die zulässige Revision hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten.
Nach Maßgabe des Eröffnungsbeschlusses und des Urteils waren Gegenstand der Verurteilung Äußerungen im Schreiben des Angeklagten an die Generalstaatsanwaltschaft vom 25. September 2006 über einen sachbearbeitenden Staatsanwalt. Mit diesem Schreiben legte der Angeklagte Beschwerde gegen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen falscher Verdächtigung ein, das auf seine Strafanzeige hin gegen die Verantwortlichen einer KfzVersicherung eingeleitet worden war. In dem - weithin unhöflich, überheblich und polemisch gehaltenen - Schreiben bezeichnete der Angeklagte u.a. "das Verhalten" des sachbearbeitenden Staatsanwalts als "inzwischen ganz offensichtlich vollkommen entartet". dieses spiegele in keiner Weise die Respektierung seiner grundgesetzlich garantierten Rechte wieder und schütze "ein ganz offensichtlich mafiös bzw. scientologisch organisiertes Unternehmen bei der gewerblichen Ausübung von Verbrechen gegen die Bevölkerung". den "SuperErmittlern" der Staatsanwaltschaft verbliebe nur noch die Aufgabe, die Sache einem Richter vorzulegen.
Das Amtsgericht hat hierin zu Recht die Erfüllung des äußeren und inneren Tatbestands der Beleidigung gesehen. Die Verurteilung beruht gleichwohl auf einem Rechtsfehler, weil dem Angeklagten zu Unrecht abgesprochen worden ist, in Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gehandelt zu haben.
Die in Rede stehenden Äußerungen sind sämtlich nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungsäußerungen zu werten. Das gilt nicht nur für die Ausdrücke "entartetes Verhalten" und "SuperErmittler" sondern auch für die Äußerung, das Verhalten des Staatsanwaltes schütze "ein ganz offensichtlich mafiöses bzw. scientologisch organisiertes Unternehmen bei der gewerblichen Ausübung von Verbrechen gegen die Bevölkerung". In dieser abstrusen Äußerung ist so wenig Tatsachensubstanz enthalten, dass sie letztlich nur als eine (abwertende) Meinungsäußerung angesehen werden kann. Meinungsäußerungen zur Ausführung von Rechten in einem gerichtlichen Verfahren, wozu auch das hier in Rede stehende Ermittlungsverfahren zählt, sind nach § 193 StGB nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Bei der Auslegung dieser Vorschrift dürfen keine zu engen Grenzen gezogen werden. Wertende Äußerungen über Verhalten und Person von Verfahrensbeteiligten stehen grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Der subjektive Charakter einer abgegebenen Stellungnahme bedingt, dass sich ein Verfahrensbeteiligter zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt und insbesondere dem Verhalten der Gegenseite unter Umständen auch mit drastischen Worten äußern darf. Im "Kampf um das Recht" darf ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, vgl. BverfG NJW 1991, 2074. Allerdings sind auch der Zulässigkeit von Meinungsäußerungen, die in einem gerichtlichen Verfahren gemacht werden, Grenzen gesetzt. Formalbeleidigungen, Schmähkritik und ehrverletzende Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung geltend gemachter Rechte stehen, sind auch dann nicht zulässig.
Bei Zugrundelegen dieser Maßstäbe kann das angegriffene Urteil keinen Bestand haben. Die in Rede stehenden Äußerungen des Angeklagten unterfallen noch dem Schutzbereich des § 193 StGB. Die Ausdrücke "inzwischen ganz offensichtlich vollkommen entartetes Verhalten" und "SuperErmittler" wurden nicht isoliert verwendet, sondern in Zusammenhang mit der anhängigen Rechtssache. Denn sie erfolgten im Rahmen einer Beschwerde gegen die staatsanwaltliche Sachbehandlung. Sie drücken die Unzufriedenheit des Angeklagten mit dem Vorgehen des Staatsanwalts zwar in grob unhöflicher und unangemessener Weise aus, stellen aber noch keine Formalbeleidigungen oder Schmähkritik dar. Für die - ohnehin abstruse - Äußerung, das Verhalten des Sachbearbeiters schütze mafiöse etc. Machenschaften, gilt nichts anderes, zumal hierbei nicht zum Ausdruck gebracht wurde, der Staatsanwalt schütze dergleichen bewusst oder gar vorsätzlich.
Nach alledem war - ohne dass noch auf die weiteren Rügen der Revision einzugehen wäre - das angefochtene Urteil aufzuheben und der Angeklagte freizusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.