Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.08.2001, Az.: 13 B 2620/01
Beihilfe für die Teilnahme an einer sozialtherapeutischen Erlebnisreise und Gemeinschaftsreise
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 28.08.2001
- Aktenzeichen
- 13 B 2620/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 25220
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2001:0828.13B2620.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 39 BSHG
- § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG
Verfahrensgegenstand
Sozialhilfe (Kosten einer Erlebnis- und Gemeinschaftsreise),
Prozessführer
1. Herrn M. u.a.
Proz.-Bev.zu 1-2: Rechtsanwälte Kroll und andere, Haarenfeld 52 c, 26129 Oldenburg,
Prozessgegner
Landkreis Ammerland,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Ammerlandallee 12, 26655 Westerstede
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 13. Kammer -
am 28. August 2001
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 1. und 2. jeweils eine einmalige Beihilfe für die Teilnahme an einer sozialtherapeutischen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise der Erholungshilfe e.V., Hannover, in der Zeit vom 31. August 2001 bis 13. September 2001 in den Bayerischen Wald in Höhe von 1.875,33 DM zu gewähren.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner zu 11/12 und die Antragsteller zu 1/12.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässige Antrag hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung kann nur ergehen, wenn der Antragsteller sowohl einen Anspruch auf die begehrte Leistung als auch die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Beide Voraussetzungen sind im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer, auf den es in diesem Verfahren allein ankommt, für den geltend gemachten Anspruch auf Teilnahme an einer sozialtherapeutischen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise in dem tenorierten Umfang gegeben.
Die Antragsteller haben jeweils einen Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe für die Teilnahme an einer sozialtherapeutischen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise der Erholungshilfe e.V., Hannover in der Zeit vom 31. August 2001 bis 13. September 2001 in den Bayerischen Wald in Höhe von 1.875,33 DM gem. §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 19 der Verordnung nach § 47 des BSHG (Eingliederungshilfe-Verordnung) glaubhaft gemacht.
Nach § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG sind Maßnahmen der Eingliederungshilfe vor allem (auch) die Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft. Hierunter fallen (vgl. § 19 Eingliederungshilfe-Verordnung) grundsätzlich auch Ferienaufenthalte o.ä. (Schellhorn, Jirasek, Seipp, BSHG, Kommentar, 15. Aufl. 1997,§ 40 Rd.Nr. 44; LPK, BSHG, Kommentar, 5. Aufl., § 40 Rd.Nr. 33; VG Berlin, Beschluss vom 16. September 1999, Az.: VG 8 A 424.99, RdL 99 S. 160 ff.).
Vorliegend ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Teilnahme an der streitgegenständlichen sozialtherapeutischen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise erforderlich ist, um die Aufgabe der Eingliederungshilfe (vgl. § 39 Abs. 3, Abs. 4 BSHG) zu erfüllen. Bei den Antragstellern liegt unstreitig jeweils eine nicht nur vorübergehende seelische Behinderung i.S.d. § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG vor. Das Nds. Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben hat dementsprechend der Stadt Delmenhorst bezüglich des Antragstellers zu 1. bereits unter dem 10. Juli 1995 ein Grundanerkenntnis über die Gewährung von Eingliederungshilfe gem. § 39 BSHG i.V.m.§ 40 BSHG für die teilstationäre Einrichtung für seelisch Behinderte (Arbeitsbereich Werkstatt für Behinderte) erteilt. Bezüglich der Antragstellerin zu 2. wurde ein entsprechendes Grundanerkenntnis vom Nds. Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben unter dem 12. Mai 1998 erteilt.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass die von ihnen begehrte Teilnahme an der sozialtherapeutischen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise als Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft gem. § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 19 Eingliederungshilfe-Verordnung notwendig ist.
Dies ergibt sich bei der hier nur möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung bei Anwendung des auch vom Antragsgegner herangezogenen Rundschreibens NR. 22/97 des Nds. Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 27. November 1997 (im folgenden: Richtlinien). Da es sich bei diesen Richtlinien lediglich um eine Verwaltungsvorschrift handelt, ist sie für das Gericht allerdings nicht verbindlich. Der Antragsgegner hat jedoch deutlich gemacht, dass er diese Richtlinie in der Verwaltungspraxis (regelmäßig) zur Anwendung bringt. In Ziff. 7.4 des Rundschreibens vom 27. November 1997 ist ausdrücklich folgendes geregelt:
"Die vom Verein für Erholungshilfe für Schwerbehinderte e.V., Berliner Allee 47, 30175 Hannover, durchgeführten Maßnahmen sind nicht Gegen-stand dieser Richtlinien. Eine Teilnahme an einer Maßnahme dieses Vereins unter Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln ist jedoch von den Bewilligungsbehörden bei der Regelung nach Ziff. 4.2 dieser Richtlinien (Dauer und Häufigkeit der Reisen) nach den gleichen Maßstäben wie bei der Teilnahme an einer Gemeinschaftsreise zu berücksichtigen."
Die Kammer versteht diese Regelung dahingehend, dass die vom Verein für Erholungshilfe durchgeführten Maßnahmen gewissermaßen privilegiert sind. Sie unterliegen mit Ausnahme der Regelung in Ziff. 4.2 der Richtlinie nicht den weiteren Einschränkungen und Anforderungen des Rundschreibens Nr. 22/97. Insbesondere findet daher die Regelung in Ziff. 2, 2. Absatz der Richtlinie, wonach bei Behinderten, die eine Werkstatt für Behinderte besuchen, auch wenn sie in einem Wohnheim leben, im Regelfall davon ausgegangen werden könne, dass sie über Außenkontakte im näheren Umfeld der Wohnung oder des Heimes verfügten, die ihnen den Kontakt mit nichtbehinderten Personen gewährleisteten, keine Anwendung. Da die Antragsteller nach Aktenlage - unstreitig - zumindest seit Juni 1998 an keiner Gemeinschaftsreise teilgenommen haben (vgl. Schreiben der Gemeinnützigen Gesellschaft für Paritätische Sozialarbeit vom 19. Juni 2001 an den Antragsgegner) sind vorliegend die hier allein anzuwendenden Voraussetzungen von Ziff. 4.2 der Richtlinie (Dauer und Häufigkeit der Gemeinschaftsreisen) erfüllt.
Aber auch unabhängig von der Selbstbindung des Antragsgegners durch das Rundschreiben Nr. 22/97 des Nds. Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben ist der geltend gemachte Anspruch im tenorierten Umfang glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich unmittelbar aus §§ 39 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V:m.§ 19 Abs. 1 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung. Die Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft umfasst dabei Maßnahmen, die geeignet sind, den Behinderten die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Personen zu ermöglichen, zu erleichtern oder diese vorzubereiten und Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen. Nach§ 4 Abs. 2 BSHG hat der Sozialhilfeträger über Form und Maß der Hilfe zum Leben in der Gemeinschaft nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 12. April 2000, 4 L 3902/99, Nds. Rechtspflege 2000 S. 260 ff, 261). Bei summarischer Prüfung lässt sich feststellen, dass die vom Antragsgegner mit den streitgegenständlichen Bescheiden vom 9. Juli 2001 getroffene Ermessensentscheidung voraussichtlich rechtsfehlerhaft ist. Maßgeblich ist, ob im Einzelfall die begehrte Hilfe geeignet ist, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern (LPK a.a.O., § 40 Rd.Nr. 1). Die Gemeinnützige Gesellschaft für Paritätische Sozialarbeit (GPS) hat ihrem Schreiben an den Antragsgegner vom 14. August 2001 überzeugend dargelegt, dass die Teilnahme der Antragsteller an der streitgegenständlichen sozialtherapeutischen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise notwendig ist. Danach verfügen die Antragsteller offenbar nur über geringfügige Außenkontakte mit Nichtbehinderten. Der Antragsgegner ist diesem Vorbringen bislang auch nicht substantiiert entgegen getreten. Eine weitere Aufklärung muss ggfls. dem Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben. Das Gericht hat sich bei seiner Entscheidung aber auch davon leiten lassen, dass nach unbestrittenem Vortrag der Antragsteller, der auch der Aktenlage entspricht, diese in der Vergangenheit bislang keine Reise der begehrten Art durchgeführt haben. Dies ist dem Antragsgegner von der GPS bereits mit Schreiben vom 19. Juni 2001 schriftlich mitgeteilt worden.
Der Antrag hat jedoch nicht in vollem Umfang Erfolg. Die Antragsteller begehren mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die (vorläufige) Verpflichtung des Antragsgegners zurÜbernahme der Kosten für die Teilnahme an der streitgegenständlichen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise, wobei sie die Kosten mit jeweils 1.875,33 DM beziffern und darüber hinaus einen "angemessenen Barbetrag gem. § 40 Abs. 1 Ziff. 8 BSHG i.V.m. § 55 SGB IX" begehren. Nach einem Schreiben der Erholungshilfe, sozialtherapeutische Erlebnisreisen e.V., Hannover vom 8. Mai 2001 an den Antragsgegner betragen die reinen Reisekosten für die Teilnahme an der streitgegenständlichen Erlebnis- und Gemeinschaftsreise nur 1.735,33 DM. Ein zusätzlicher Barbetrag wird in dem "Endpreis" der Reise bereits mit 140,00 DM in Ansatz gebracht. Die Gesamtkosten der Reise belaufen sich nach diesem Schreiben daher auf 1.875,33 DM. Der Barbetrag ist demnach in den jeweils als Reisekosten geforderten und nunmehr auch gewährten Betrag von jeweils 1.875,33 DM enthalten.
Der notwendige Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Die streitgegenständliche Erlebnis- und Gemeinschaftsreise beginnt bereits am 31. August 2001.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO. Bei der Kostenverteilung ist berücksichtigt worden, dass die Antragsteller auch in geringem Umfang unterliegen geblieben sind.
Schallenberger
Sonnemann