Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.10.2014, Az.: 1 AusL 6/14

Auslieferung; Menschenwürde; Strafvollstreckung; Überbelegung; Zelle; Wohnfläche; Mindeststandard; Völkerrecht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
22.10.2014
Aktenzeichen
1 AusL 6/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 42492
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Auslieferung eines Verfolgten - hier: nach Bulgarien - zur Strafvollstreckung verstößt nicht gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard (und damit gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung), wenn dem Verfolgten in der Justizvollzugsanstalt zwar nur eine Mindestwohnfläche von knapp 4 Quadratmetern zur Verfügung stehen wird, aber keine weiteren Umstände (wie bspw. Belüftungs-, Heizungs- oder Beleuchtungsdefizite) hinzutreten, die auf menschenrechtswidrige Zustände schließen lassen.

Tenor:

Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Bulgarien zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen der im Europäischen Haftbefehl der Regionalen Staatsanwaltschaft Silistra/Bulgarien vom 16. Juni 2014 - Kn-20/13 - bezeichneten Freiheitsstrafe von 9 Monaten und 13 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts Silistra vom 23. Januar 2013 (Strafverfahren Nr. 26/2013) in Verbindung mit der Entscheidung des Bezirksgerichts Silistra vom 14. Februar 2014 (Strafverfahren Nr. 23/2014) ist zulässig.

Die Auslieferungshaft dauert fort.

Gründe

I.

Gegen den Verfolgten liegt ein Europäischer Haftbefehl der Regionalen Staatsanwaltschaft Silistra/Bulgarien vom 16. Juni 2014 - Kn-20/13 - vor. Dem Haftbefehl liegt ein Urteil des Amtsgerichts Silistra vom 23. Januar 2013 - 26/2013 zugrunde. Nach den mitgeteilten Urteilsfeststellungen fuhr der Verfolgte am 22. September 2012 um 01.30 Uhr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,48 g Promille und damit im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit an der Kreuzung der Straße Yordan Yovkov und des Blvd. Macedonia einen PKW Opel Astra. Das Gericht verhängte in Anwesenheit des Verfolgten wegen dieser Straftat, die gemäß Art 343b Abs. 1 StGB des bulgarischen StGB mit einer Höchststrafe von 1 Jahr belegt ist, eine Bewährungsmaßnahme (vgl. zum Straftatbestand: OLG München, Beschluss vom 15.05.2013, 31 Ausl A 442/13, juris, Rn.3 f.). Diese Bewährungsmaßnahme wurde sodann - ebenfalls in Anwesenheit des Verfolgten - durch eine auf Art 43a Nr. 2 des bulgarischen StGB (dazu: OLG München, Beschluss vom 15.05.2013, 31 Ausl A 442/13, juris, Rn. 6 f.) beruhende Entscheidung vom 14. Februar 2014 ersetzt und der Verfolgte mit einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten und 13 Tagen ersetzt. Das von der Verteidigerin des Betroffenen eingelegte Rechtsmittel wurde am 31. März 2014 in seiner Abwesenheit verworfen.

Der Senat hat - nach vorläufiger Festnahme (§ 19 IRG) am 9. Juli 2014 sowie Festhalteanordnung vom 10. Juli 2014 - am 16. Juli 2014 die Auslieferungshaft angeordnet. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat den Verfolgten daraufhin gemäß § 79 Abs. 2 IRG durch eine mit Gründen versehene Vorabentscheidung vom 17. Juli 2014 (Bl. 112 ff) davon in Kenntnis gesetzt, dass sie beabsichtige, keine Bewilligungshindernisse gemäß § 83 b IRG gelten zu machen und die Auslieferung nach Bulgarien zu bewilligen, wenn der Senat sie für zulässig erachte.

Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig beantragt, die Auslieferung gemäß § 29 Abs. 1 IRG für zulässig zu erklären und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

Der Verfolgte hält demgegenüber die Auslieferung für unzulässig, weil die Haftbedingungen in Bulgarien aus seiner Sicht nicht den völkerrechtlichen Mindeststandards genügen.

II.

Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zu treffen, weil keine Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung vorliegt. Die Auslieferung des Verfolgten ist für zulässig zu erklären.

Der von den bulgarischen Behörden übermittelte Europäische Haftbefehl entspricht den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Er enthält Angaben über die Identität und die Staatsangehörigkeit des Verfolgten, die Art und rechtliche Würdigung der Straftat sowie die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde. Des Weiteren enthält er die verhängte Strafe, die Bezeichnung der ausstellenden Justizbehörde, deren Anschrift und die Angabe, dass ein vollstreckbares Urteil vorliegt.

Dass mit dem Ersuchen die einschlägigen Vorschriften des ersuchenden Staates (vorliegend Art 343b Abs. 1 und Art 43a Nr. 2 des bulgarischen StGB) nicht im Wortlaut übermittelt wurden (§ 83 a Abs. 1 Nr. 4 IRG), steht der Anordnung der Auslieferungshaft nicht entgegen. Die Vorschriften ergeben sich aus der zitierten Entscheidung des OLG München. Sie sind zudem in englischer Sprache unter der folgender Adresse abrufbar: https://www.mvr.bg/NR/rdonlyres/330B548F-7504-433A-BE65-5686B7D7FCBB/0/04_Penal_Code_EN.pdf. Außerdem ist die Mitteilung entbehrlich, wenn die Auslieferung ohne Kenntnis des genauen Wortlauts geprüft werden kann (Böse IRG-K § 83 a Rn. 7 in Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl.). Das ist der Fall, weil die beiderseitige Strafbarkeit (§ 3 Abs. 1 IRG) sicher feststeht: Die Tat ist in Deutschland gemäß § 316 StGB strafbar.

Die Voraussetzungen des § 81 Nr. 1 IRG i. V. m. § 3 IRG sind ebenfalls erfüllt. Die Tat, die dem Verfolgten vorgeworfen wird, ist nach bulgarischem Recht mit einer Höchststrafe von 1 Jahr bedroht. Die zu vollstreckende Sanktion übersteigt außerdem das in § 81 Nr. 2 IRG festgelegte Mindestmaß von 4 Monaten.

Die Fragen der Gegenseitigkeit (§ 5 IRG) und, da ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, der Spezialität (§ 11 IRG) brauchen im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht geprüft zu werden (§ 82 IRG).

Ferner bestehen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines durchgreifenden Bewilligungshindernisses gemäß § 83 b IRG. Die Voraussetzungen von § 83 b Abs. 1 IRG leigen ersichtlich nicht vor. Auch hat der Verfolgte in Deutschland keinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 83 b Abs. 2 IRG. Denn er befand sich nach seinen eigenen Angaben gegenüber dem Amtsgerichts Seesen im Zeitpunkt seiner Festnahme nach erstmaliger Einreise erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Dass die Generalstaatsanwaltschaft kein überwiegendes Interesse an der Strafvollstreckung im Inland i.S.d. § 83 b Abs. 2 lit b IRG angenommen hat, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Zwar leben die Exfrau und der Sohn des Betroffenen seit rund 15 Jahren in Hildesheim. Der Annahme einer nachhaltigen sozialen Beziehung steht aber der Umstand entgegen, dass der Verfolgte vor seiner Einreise rund 15 Jahre keinen persönlichen Kontakt zu seinen in Deutschland lebenden Familienangehörigen hatte.

Das Verfahren verstößt darüber hinaus nicht gegen § 73 S. 2 IRG. So liegt zunächst kein unzulässiges Abwesenheitsverfahren vor. Denn der Verfolgte ist vor den Entscheidungen vom 23. Januar 2013 und vom 14. Februar 2014 persönlich gehört worden. Dass das von seiner Verteidigerin eingelegte Rechtsmittel gegen die Entscheidung 14. Februar 2014 am 31. März 2014 in seiner Abwesenheit verworfen wurde, schadet nicht (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.05.2013, 31 Ausl A 442/13, juris, Rn. 28).

Die Haftbedingungen, die den Verfolgten in Bulgarien erwarten, genügen schließlich auch noch den völkerrechtlichen Mindeststandards. Dies erschien dem Senat zunächst zweifelhaft, weil der Bericht des Ausschusses zur Vermeidung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarats vom 04.12.2012 (CPT/Inf (2012) 33) darauf hindeutet, dass die völkerrechtlichen Mindeststandards jedenfalls nicht in allen bulgarischen Haftanstalten gewahrt sind (vgl. hierzu auch OLG Bremen, Beschluss vom 13.02.2014, Ausl A 20/13). Die Bedenken des Senats sind indes durch die Auskunft der Regionalen Staatsanwaltschaft Silistra vom 3. Oktober 2010 ausgeräumt. Aus dieser ergibt sich, dass die ohnehin nicht mehr hohe Reststrafe im Gefängnis Belene vollstreckt werden wird. Dort wird der Verfolgte bei Normalbelegung mit 520 Häftlingen - im Auskunftzeitpunkt lag allerdings eine geringfügige Überbelegung vor (569 Häftlinge) - eine Mindestwohnfläche von 4 Quadratmetern zur Verfügung haben. Bei solchen Platzverhältnissen ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur dann ein Verstoß gegen Art 3 EMRK anzunehmen, wenn weitere Umstände (Belüftungs-,. Heizungs- oder Beleuchtungsdefizite etc.) hinzutreten (vgl. Nachweise bei Pohlreich, Die Rechtsprechung des EGMR zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, NStZ 2011, 560, 561 f.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Der Stellungnahme ist zu entnehmen, dass jeder Schlafsaal mit WC und Waschbecken ausgestattet ist. Die Schlafräume verfügen zwar nicht über ein gesondertes Bad, den Gefangenen wird aber gestattet, zweimal pro Woche zu baden. Auch verfügen die Räume über Zugang zu natürlichem Licht, so dass es zur Belüftung keiner Anlage bedarf.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.02.2011 (1 BvR 409/09), auf die sich der Verfolgte beruft. Das Bundesverfassungsgerichts hatte einen Sachverhalt zu berurteilen, der dadurch gekennzeichnet war, dass die Toilette in einer mit mehreren Inhaftierten belegten Zelle lediglich unzureichend vom übrigen Haftraum getrennt und nicht gesondert belüftet war. Anhaltspunkte, dass die Hafträume in dem Gefängnis Belene ähnliche Mängel elementarer Intimität aufweisen, liegen nicht vor.

III.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist anzuordnen. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren und der Durchführung der Auslieferung entziehen wird (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Wenn ein europäischer Haftbefehl vorliegt, ist - in rahmenbeschlusskonformer Auslegung - regelmäßig davon auszugehen, dass der ersuchende Staat die Haftgründe bereits geprüft und zutreffend bejaht hat (Senat, Beschluss vom 23.06.2010, Ausl 4/10; OLG Stuttgart, NStZ 2007, 410 ff. [OLG Stuttgart 26.10.2006 - 3 Ausl/ 52/06]). Diese Annahme ist auch im konkreten Fall gerechtfertigt, zumal der Verfolgte anlässlich seiner Vernehmung durch die Ermittlungsrichterin deutlich gemacht hat, dass er nicht gewillt sei, sich freiwillig in sein Heimatland zu begeben.

Gründe der Verhältnismäßigkeit stehen im Hinblick auf die Höhe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe der Fortdauer der Auslieferungshaft nicht entgegen.