Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.03.2017, Az.: 14 K 285/16
Rechtsstreit über das Vorliegen eines Sanierungsgewinns und eines daraus resultierenden teilweisen Erlasses der Einkommensteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen; Entstehung eines Konfusionsgewinn durch den Rückerwerb von Schuldverschreibungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 10.03.2017
- Aktenzeichen
- 14 K 285/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 43346
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2017:0310.14K285.16.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 AO
- § 163 AO
- § 227 AO
- § 102 FGO
Amtlicher Leitsatz
Eine Billigkeitsmaßnahme unter Beachtung der Regelungen im sog. Sanierungserlass kommt nicht Betracht.
Eine Klage gegen eine auf den Sanierungserlass gestützte ablehnende Entscheidung kann selbst dann keinen Erfolg haben, wenn die Verwaltung auch zukünftig Billigkeitsmaßnahmen in Zusammenhang mit Sanierungsgewinnen gewährt oder Sanierungsgewinne steuerfrei gestellt werden.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob ein Sanierungsgewinn vorliegt und die Einkommensteuer daher teilweise aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen ist.
Der Kläger war im Jahr 2011 zu 66,46 % an der ... KG beteiligt. Für das Streitjahr ist dem Kläger ein Gewinnanteil von ... € im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung zugerechnet worden. Nach Ansicht der Kläger ist darin ein - dem Grunde aber nicht der Höhe nach in Streit stehender - Sanierungsgewinn in Höhe von ... € enthalten.
Hintergrund war ein Rückkauf von seitens der KG ausgegebenen festverzinslichen Inhaberschuldverschreibungen (Gesamtnennbetrag ... €; Endfälligkeit: 15. Juli 2013) zum 31. Dezember 2011. Der Rückkaufspreis sollte rund .... € betragen. Darüber hinaus ist ein Erlass der aus den Schuldverschreibungen zu zahlenden Forderungen mit Ausnahme des Kaufpreises vereinbart worden. Aufgrund dessen entstand zum 31. Dezember 2011 ein außerordentlicher Ertrag bei der KG von rund ... €.
Das Finanzamt (FA) setzte die Einkommensteuer gegenüber den Klägern mit Bescheid vom 17. Juli 2013 fest. Unter dem 31. Juli beantragten die Kläger unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 27. März 2003, BStBl. II 2003, 240 (im Folgenden: Sanierungserlass) die Stundung und den Erlass der auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuer.
Den Antrag lehnte das FA unter dem 9. Juni 2015 ab. Die Überprüfung, ob ein begünstigter Sanierungsgewinn nach dem Sanierungserlass vorliege, habe ergeben, dass weder eine Sanierungsbedürftigkeit, noch eine Sanierungseignung, noch eine Sanierungsabsicht vorlägen. Der Antrag auf Stundung und Erlass nach § 227 Abgabenordnung (AO) werde deshalb abgelehnt.
Das dagegen angestrengte Einspruchsverfahren verlief erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 26. September 2016 führte das FA aus, die im Sanierungserlass genannten Voraussetzungen würden nicht vorliegen. Bei der KG sei durch den Rückerwerb der Schuldverschreibungen ein Konfusionsgewinn entstanden. Begünstigt nach dem Sanierungserlass seien jedoch nur Erlassverträge und negative Schuldanerkenntnisse. Die rechtliche Qualität eines Konfusionsgewinns sei nicht mit derjenigen eines Erlassvertrags vergleichbar. Zudem seien Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit nicht gegeben, zumal ein eingereichter Businessplan kein Sanierungsplan im Sinne des Sanierungserlasses sei. Die KG sei bei Entstehung des Gewinns nicht in einem Zustand akuter Insolvenzbedrohung gewesen. Es habe sich auch nur ein Gläubiger beteiligt, so dass es zudem an der Sanierungsabsicht fehle, zumal es sich nicht um den Hauptgläubiger gehandelt habe.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit welcher die Kläger der Argumentation des FA entgegentreten. Es liege kein Konfusionsgewinn vor und ein solcher könne im Übrigen einen begünstigten Sanierungsgewinn darstellen. Die KG sei sanierungsbedürftig und -fähig gewesen, die Sanierungsabsicht sei offensichtlich gegeben und schließlich weise der Schulderlass Sanierungseignung auf.
Da die Steuerbeträge zwischenzeitlich gezahlt worden seien, werde davon ausgegangen, dass sich eine Billigkeitsmaßnahme auf § 163 AO stützen müsse.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
... die Einkommensteuer 2011 in Höhe eines Betrags von ... aus Billigkeitsgründen niedriger festzusetzen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die genannten Beträge zu erlassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und verweist auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren.
Unter dem 8. Februar 2017 hat der Berichterstatter auf die nach seiner Auffassung aus dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28. November 2016 (GrS 1/15, DStR 2017, 305) zu ziehenden Konsequenzen hingewiesen. Die Kläger haben ausgeführt, dass Verfahren anhängig halten zu wollen. Das FA hat telefonisch mitgeteilt, auf eine Stellungnahme hierzu verzichten.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet. Die eine Billigkeitsmaßnahme ablehnende Entscheidung des FA ist im Ergebnis nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
1. Gesetzliche Grundlagen für eine Billigkeitsentscheidung sind §§ 163, 227 AO. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Der Begriff der Unbilligkeit ist dabei identisch, die Vorschriften unterscheiden sich danach, ob das Festsetzungs- oder das Erhebungsverfahren betroffen ist. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO und der Erlass nach § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Unbilligkeit der Besteuerung kann sich nach allgemeiner Auffassung aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben (BFH-Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15, DStR 2017, 305).
Sachliche Billigkeitsgründe liegen vor, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297). Härten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BStBl II 1996, 503; vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BStBl II 1997, 717, m.w.N.). Der Sanierungserlass beinhaltet dabei eine Konkretisierung, unter welchen Voraussetzungen die Finanzverwaltung in Zusammenhang mit Sanierungsgewinnen von einer sachlichen Unbilligkeit ausgeht bzw. ausging (vgl. insbesondere Rn. 8 des Sanierungserlasses).
2. Die vom FA zu treffende Ermessensentscheidung ist nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar. Die Nachprüfung einer abgelehnten Billigkeitsmaßnahme ist deshalb darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 48/07, BStBl II 2010, 92). Demzufolge ist das Finanzgericht im Ermessensbereich weder zu eigenen Tatsachenermittlungen noch zur eigenen Ermessensausübung befugt, weil es damit letztlich seine Erwägungen an die Stelle der hier allein maßgeblichen Ermessenserwägungen der Verwaltung setzen würde (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 X R 24/95, BStBl II 2000, 514). Regelmäßig prüft das Gericht nur, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind (Ermessensüberschreitung), ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (Ermessensfehlgebrauch) oder ob gar keine Ermessenserwägungen angestellt worden sind (Ermessensnichtgebrauch) (vgl. BFH-Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BStBl II 1977, 127, 128). Eine fehlerfreie Ermessensausübung durch das FA setzt demnach voraus, dass die Entscheidung aufgrund einer einwandfreien und erschöpfenden Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts getroffen worden ist (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1990 VII R 106/87, BFH/NV 1991, 509 m.w.N.).
Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null; vgl. etwa BFH-Urteile vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3; und vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297).
3. Gemessen an diesen Grundsätzen kommt eine Verpflichtung des Beklagten zu der von den Klägern begehrten Billigkeitsmaßnahme im anhängigen Verfahren nicht in Betracht.
a) Die Kläger sind mit dem FA davon ausgegangen, dass eine sachliche Billigkeitsmaßnahme dem Grunde nach aufgrund des Sanierungserlasses gegeben sein kann. Demzufolge bestand für das FA weder ein Anlass, persönliche Billigkeitsgründe zu prüfen oder -in Abweichung der Regelungen des Sanierungserlasses- eine einzelfallbezogene Billigkeitsmaßnahme zu prüfen. Eine solche ist ausweislich der Ausführungen im BFH-Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15, DStR 2017, 305 zwar weiterhin in Zusammenhang mit Sanierungsgewinnen möglich, war aber ersichtlich nicht Gegenstand der Entscheidung des FA.
b) Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung kann damit dem Grunde nach nur die Frage sein, ob das FA die im Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen unter Beachtung des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung unzutreffend verneint hat. Allerdings verstoßen nach dem BFH-Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15, DStR 2017, 305, welchem sich der Senat anschließt, die im Sanierungserlass vorgesehenen Billigkeitsmaßnahmen gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und stellen keinen Fall der sachlichen Unbilligkeit dar. Zur Vermeidung von Wiederholungen auf die genannte Entscheidung verwiesen.
Da sich damit eine sachliche Unbilligkeit nicht aus dem Sanierungserlass ergeben kann, sich die hier zu überprüfende Entscheidung aber allein mit dieser Frage beschäftigt, kommt eine Verpflichtung des FA zu der begehrten Billigkeitsmaßnahme nicht in Betracht und zwar unabhängig davon, ob diese auf § 163 AO oder § 227 AO zu stützen wäre.
4. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob und wie Gesetzgeber oder Verwaltung auf den Beschluss des Großen Senats des BFH reagieren. Im Falle der Schaffung einer neuen gesetzlichen Grundlage wird es maßgeblich auf die Frage ankommen, wie die Regelungen zur zeitlichen Anwendbarkeit ausgestaltet werden. Sofern § 3a, § 52 Abs. 4a EStG gemäß der Prüfbitte aus BR-Drs. 59/1/17 vom 27. Februar 2017 (S. 10 ff.) Gesetz werden, wären auf Antrag Sanierungsgewinne steuerbefreit, wobei eine Anwendung bei allen noch offenen Fällen in Betracht käme. Da nach eigenem Bekunden der Kläger die Steuerfestsetzung bestandskräftig ist, würde eine Berücksichtigung der Gesetzesänderung schon aus diesem Grund ausscheiden. Sofern hingegen - etwa im Hinblick auf das Vertrauen in die Weitergeltung des Sanierungserlasses - eine anderweitige Anwendungsregelung gefunden wird, hat dieses ebenso wenig Einfluss auf die hier zu beurteilende Entscheidung des FA. Selbst wenn -in diese Richtung Rundverfügung der OFD Frankfurt am Main vom 22. Februar 2017, juris, Rn. 15- aus Vertrauensschutzgesichtspunkten eine Weitergeltung des Sanierungserlasses in Betracht gezogen würde, müssten diese Gesichtspunkte zunächst in einem (neuen) Verwaltungsverfahren geprüft werden. Sofern die Finanzverwaltung zukünftig eine anderweitige, ggf. einzelfallbezogene Billigkeitsprüfung vornehmen wird, müsste ebenso ein neues Verfahren in Gang gesetzt werden, da sich die bisherigen Entscheidungen hierzu nicht verhalten. Eine erneute Antragstellung - jedenfalls aus anderen Gründen - wird insoweit allgemein als zulässig angesehen (Koenig/Fritsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 227 Rn. 48; Tipke/Kruse/Loose, AO/FGO, § 227 AO Rn. 133).
Damit ist das vorliegende Klageverfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet, einen Anknüpfungspunkt für eine Gesetzesänderung oder eine zukünftige Billigkeitsmaßnahme darzustellen. Eine Berücksichtigung von Erwägungen, welche im Verwaltungsverfahren aufgrund der erst danach ergangenen Entscheidung des Großen Senats nicht angestellt werden konnten, würde einem Austausch der Ermessensentscheidung des FA bzw. einer eigenen Ermessensentscheidung des Senats gleichkommen. Gründe, das Verfahren anhängig zu halten, sind damit nicht ersichtlich, zumal das FA einem -etwa mit dem insofern geäußerten Begehren der Kläger verbundenen Antrag auf Ruhen des Verfahrens (§ 155 FGO, § 251 Zivilprozessordnung)- nicht zugestimmt hätte.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
III. Da aufgrund der Entscheidung des Großen Senats ausschließlich verfahrensbezogene Rechtsfragen zu klären waren und die Kläger durch den Berichterstatter bereits auf die Rechtslage hingewiesen worden sind, hat der Senat eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid als geeignet angesehen.