Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 26.04.1995, Az.: 3 U 113/94

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.04.1995
Aktenzeichen
3 U 113/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 33624
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1995:0426.3U113.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 28.02.1994 - AZ: 3 O 246/93

Fundstelle

  • NJW 1998, 82-84 (Volltext mit red. LS) "Erbscheinsverzicht der Sparkassen"

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 1995 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht . sowie die Richter am Oberlandesgericht . und . für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. Februar 1994 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen wird zurückgewiesen.

    Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20. 000 DM abwenden, sofern die Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Beide Parteien dürfen Sicherheit auch in Form einer nicht befristeten und nicht bedingten selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse leisten.

    Wert der Beschwer: über 60. 000 DM.

Tatbestand:

1

Die Klägerin, die als Gesamtrechtsnachfolgerin der verstorbenen Kontoinhaberin auftritt, nimmt die Beklagte auf Herausgabe des Inhalts eines aufgelösten Wertpapierdepots, hilfsweise auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 134-141 GA).

3

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin mangels Wirksamkeit der sie betreffenden Erbeinsetzung nicht Rechtsnachfolgerin der Depotinhaberin geworden sei und die Beklagte in Unkenntnis dieser Erbeinsetzung das Depot im übrigen auch mit leistungsbefreiender Wirkung an einen Dritten übertragen hätte.

4

Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und entsprechend begründete Berufung der Klägerin, die damit im wesentlichen ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter verfolgt.

5

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie ist nach wie vor der Ansicht. Erbin und damit Depotinhaberin geworden zu sein. Sie bestreitet insbesondere, daß die von der Beklagten vorgetragenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart worden seien. Die Eheleute . seien weder auf die Geschäftsbedingungen hingewiesen worden, noch hätten sie Gelegenheit gehabt, diese inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen. Im übrigen ist die Klägerin der Auffassung. Nr. 5 AGB-Sparkassen sei sowohl im Hinblick auf § 3 AGBG als auch gemäß § 9 AGBG unwirksam.

6

Die Klägerin beantragt.

7

das angefochtene Urteil abzuändern und

  1. 1

    die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Zahlung von 130.842,88 DM folgende Wertpapiere an sie herauszugeben:

    .

    25 Stück

    .

    30 Stück

    .

    50 Stück

    .

    30 Stück

    .

    45 Stück

    .

    6 Stück

    .

    16 Stück

    .

    1.425 Stück

    .

    797 Stück

    .

    500 Stück

  2. 2

    hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an sie 149.328,39 DM nebst 4 % Zinsen auf 130.997,56 DM vom 1. Januar 1990 bis zum 3. Februar 1994 und auf 149.328,39 DM seit dem 4. Februar 1994 zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

10

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die zur Akte gelangten Schriftsätze der Parteien verwiesen.

11

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluß vom 13. Februar 1995 (Bl. 259 f GA) Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Aussage des Zeugen . vom 24. Februar 1995 (Bl. 266 GA) Bezug genommen.

Gründe

12

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

13

A.

Das Landgericht hat zutreffend entschieden. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin Erbin der verstorbenen . geworden ist, denn die Beklagte wäre auch in diesem Fall durch die Übertragung des Depots auf . von ihrer Leistungspflicht aus dem Depotvertrag freigeworden.

14

Gemäß Nr. 5 (1) S. 2 der. AGB der Beklagten (in der von 1951 bis 1992 geltenden Fassung) konnte die Beklagte auf die Vorlage des notariellen Testaments der o.g. Erblasserin sowie der Niederschrift über die nachlaßgerichtliche Testamentseröffnung den Verfügungen des darin als Erben bezeichneten . auch mit Wirkung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber entsprechen, falls insoweit keine Personenidentität vorlag.

15

I.

Die genannte AGB-Klausel ist auch wirksam einbezogen worden.

16

1. Die Beklagte hat durch Vorlage der Kopie der vom Ehemann der genannten Erblasserin unterzeichneten Quittung vom 5. April 1968 (Bl. 199 GA) vorgetragen, daß dieser nicht nur den Erhalt der AGB, sondern auch deren Geltung ausdrücklich bestätigt hat. Dadurch sind die Geschäftsbedingungen der Beklagten in Form einer Rahmenvereinbarung Grundlage der gesamten Geschäftsbeziehung zwischen . und der Beklagten geworden. Soweit die Klägerin diese Quittung quasi ins Blaue hinein in Zweifel zieht, kommt dem keine entscheidungserhebliche Bedeutung mehr zu. Der Senat ist insoweit, im Einklang mit der Aussage des Zeugen . davon überzeugt, daß die Quittung nicht nur echt ist, sondern auch die Aushändigung der Geschäftsbedingungen an . sowie die damalige Absprache, danach verfahren zu wollen, zutreffend wiedergibt.

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2. Da die Erblasserin Gesamtrechtsnachfolgerin des (alleinigen) Depotinhabers geworden war, entfalteten die AGB der Beklagten mithin auch ihr und ihren Erben gegenüber Wirkung. Dabei kann dahinstehen, ob die Geltung der AGB gegenüber der Erblasserin anders zu beurteilen wäre, wenn sie Mitinhaberin des Depots gewesen wäre. Der Senat verneint dies, sieht aber von weiteren Begründungen insoweit ab, weil eine Mitinhaberschaft für ihn aufgrund der Aussage des Zeugen . die sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu eigen gemacht hat und der die Klägerin nicht weiter entgegengetreten ist, ausgeschlossen ist.

18

II.

Die genannte AGB-Klausel ist nach Ansicht des Senats auch wirksam. Soweit ersichtlich, ist sie bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich verworfen worden. In der Literatur wird von ihrer Wirksamkeit ausgegangen (vgl. z. B. Canaris, Großkomm, HGB, 3. Aufl., Bd. III/3, Rdn. 2714; Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl., (8) AGB-Banken Nr. 5 Rdn. 2; Krebs, Komm. AGB Spark. u. Banken. 2. Aufl., Nr. 5 AGBSp/Nr. 24 AGB-Banken. Rdn. 5/3; Wolf/Horn/Lindacher. AGB-Gesetz, 3. Aufl., § 23 Rdn. 666).

19

1. Die in Nr. 5 (1) S. 2 AGBSp enthaltene Regelung hält auch einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 138, 242, 315 BGB, wie sie in der Zeit vor dem Inkrafttreten des AGBG von der Rechtsprechung vorgenommen wurde, stand. Davon geht die Klägerin wohl ebenfalls aus, denn sie argumentiert im Kern mit den Vorschriften des AGBG, Letztlich kommt es darauf aber nicht entscheidend an, weil die Klausel auch den strengeren Anforderungen des AGBG genügt.

20

2. Prüft man sie daher anhand des AGBG, weil die AGB der Beklagten im übrigen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der Erblasserin neu vereinbart worden sein könnten, so führt das nicht zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.

21

a. Die Klausel ist nicht überraschend i.S.d. § 3 AGBG.

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Typisch für eine Klausel i.S.d. gesetzlichen Regelung ist der von ihr ausgehende Überrumpelungseffekt, den jede Regelung enthält, mit der der Vertragspartner in der Situation bei Vertragsschluß vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGHZ 102, 152, 159; 109, 197, 201 WM 1992, 135, 137 [BGH 21.11.1991 - IX ZR 60/91]; WM 1994, 784 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93]).

23

Das entscheidende Überraschungsmoment ergibt sich nicht daraus, daß die Klausel objektiv ungewöhnlich ist. Sie ist schon damals im Bereich der Banken und Sparkassen, wie in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf entsprechenden Geschäftsbedingungen der Kreditinstitute kurz angesprochen, allgemein üblich gewesen.

24

Eine Klausel erweist sich zwar auch dann als überraschend, wenn ihr Inhalt nicht schon objektiv ungewöhnlich ist, aber wesentlich von dem abweicht, was der Vertragspartner des Verwenders als seine Vorstellungen und Absichten unwidersprochen zum Ausdruck gebracht hat oder was er aufgrund der Verhandlungen mit dem Verwender verständigerweise erwarten durfte. Die Darlegung dieser individuellen, die konkreten Verhandlungen der Geschäftspartner betreffenden Gründe, aus denen sich ein Überrumpelungseffekt ergeben soll, obliegt dem Geschäftspartner des Verwenders (BGH WM 1994, 784 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93]). Das Vorbringen der Klägerin verhält sich zu diesem Punkt nicht.

25

b. Die streitige Klausel hält auch einer Inhaltskontrolle gemäß § 9 AGBG stand.

26

aa. Sie gehört zu den gemäß § 8 AGBG kontrollfähigen Nebenabreden. Von der Inhaltskontrolle ausgenommen sind zum einen nämlich die AGB-Bestimmungen, die rein deklaratorischen Inhalt einer ohnehin geltenden gesetzlichen Regelung wiederholen (BGHZ 91, 55, 57; 106, 42, 45) und zum anderen die Bestimmungen, die Art. und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und den dafür zu zahlenden Preis unmittelbar regeln (BGHZ 106, 42, 46).

27

Die konkrete Bestimmung gibt der Sparkasse in einer bestimmten Situation die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen mit schuldbefreiender Wirkung gutgläubig an einen Dritten zu leisten. Handelt es sich bei dem Dritten um den tatsächlich Berechtigten, also den Erben, so regelt die Klausel ersichtlich lediglich die Legitimationsfrage. Ist der Dritte dagegen nicht der wahre Erbe, so erweitert die Klausel den Bereich der berechtigten Gutgläubigkeit der Sparkasse, stellt diese also so, als hätte der Dritte einen Erbschein vorgelegt. Dadurch werden die gesetzlichen Regelungen ergänzt, so daß der Inhaltskontrolle gemäß §§ 9 ff AGBG nicht die Schranke des § 8 AGBG entgegensteht.

28

bb. Die Klausel enthält auch keine unangemessene Benachteiligung des Kunden. Soweit der Dritte tatsächlich Erbe ist, scheidet eine Benachteiligung ohnehin aus. Besteht dagegen insoweit keine Personenidentität, so ist nicht zu verkennen, daß die Klausel, wie schon angesprochen, letztlich der Haftungserleichterung der Sparkasse dient; darin ist indes noch keine treuwidrige Benachteiligung des Geschäftspartners (Erblassers) zu sehen.

29

Die in der Klausel vereinbarte Ermächtigung der Sparkasse läuft letztlich darauf hinaus, daß es der Sparkasse gestattet wird, ohne weitere Prüfung der Rechtsnachfolge an denjenigen zu leisten, der sich durch ein sicher von ihrem Kunden herrührendes Dokument als von diesem bei Errichtung desselben gewollter Rechtsnachfolger ausweisen kann. Die Geschäftsbedingung knüpft damit an einen vom Kunden willentlich gesetzten Erklärungstatbestand an, der mit der Erteilung einer postmortal wirkenden Vollmacht vergleichbar ist. Letztere soll es dem Bevollmächtigten gerade ermöglichen, unabhängig vom Willen der Erben und auch vor ihrer Ermittlung tätig werden zu können (BGH NJW 1969, 1245, 1247 [BGH 18.04.1969 - V ZR 179/65]; WM 1994, 2190 ff [BGH 25.10.1994 - XI ZR 239/93]). Mit der Errichtung eines Testaments oder dem Abschluß eines Erbvertrages bringt der Erblasser zum Ausdruck, daß der Begünstigte nach seinem Tod in dem von ihm bestimmten Umfang in seine Rechtsstellung eintreten soll. Das geht inhaltlich sogar über eine Vollmachtserteilung hinaus. Durch die Respektierung dieses Willens des Erblassers wird dieser gerade nicht benachteiligt. Eine Benachteiligung liegt nur hinsichtlich des tatsächlichen Erben vor. Auf diesen kann aber im Rahmen der Inhaltskontrolle hier nicht abgestellt werden. Zum einen ist er im Zeitpunkt der Vereinbarung der Geschäftsbedingung noch nicht Vertragspartner und zum anderen steht dem Erblasser grundsätzlich frei, ihn insoweit zu benachteiligen. Gerade der schon angesprochene Fall der Erteilung einer postmortalen Vollmacht zeigt dies deutlich.

30

III.

Die Klägerin führt gegen die Wirksamkeit der Klausel auch keine wesentlichen Gesichtspunkte an. Soweit sie in der Berufungsinstanz das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen, nämlich die Vorlage einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des Testaments nebst gerichtlicher Eröffnungsniederschrift bestreitet, ist dies zwar erheblich, aber letztlich nicht entscheidend. Der Senat glaubt der Beklagten und sieht deren Vorbringen insoweit als richtig an. In erster Instanz war, wie auch der Tatbestand des angefochtenen Urteils ausweist, letztlich unstreitig, daß die entsprechenden Dokumente der Beklagten durch . vorgelegt worden waren. In Verbindung mit den unstreitigen Tatsachen, daß es nicht nur ein entsprechendes notarielles Testament gegeben hat (Bl. 62 f GA), das auch gerichtlich eröffnet worden ist (Bl. 64 GA), sondern die Beklagte auch im Besitz entsprechender Kopien ist (Bl. 61, 58 GA), reicht dieser Umstand dem Senat aus, um von der Vorlage überzeugt zu sein. Soweit das Bestreiten der Klägerin in der. Berufungsinstanz als ins Blaue hinein erscheint, kommt dem mithin keine Bedeutung mehr zu.

31

IV.

Soweit die Klägerin behauptet, es entspräche banküblicher Praxis, bei höheren Werten nicht von der Möglichkeit der in Nr. 5 (1) S. 2 AGBSp enthaltenen Regelung Gebrauch zu machen, kommt dem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Mach Ansicht des Senats muß die Bank zwar im Einzelfall prüfen, ob Anlaß besteht, an der Berechtigung des sich als testamentarischen Erben ausgebenden Dritten zu zweifeln. In den Fällen aber, in denen keinerlei Verdachtsmomente bestehen, die Sparkasse also wie im vorliegenden Fall bedenkenlos davon ausgehen kann, mit der Anwendung der streitigen Klausel dem Willen ihres verstorbenen Kunden zu entsprechen, kann es ihr auch nicht obliegen, von vertraglichen Rechten nicht Gebrauch zu machen. Immerhin lag ein notarielles Testament vor, das nicht einmal ein Jahr alt war. Die Wahrscheinlichkeit einer späteren Änderung der letztwilligen Verfügung war daher vernachlässigenswert klein.

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B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.