Landgericht Hannover
Beschl. v. 25.11.2011, Az.: 48 Qs (Owi) 134/11

Anforderungen an die Festsetzung der notwendigen Auslagen eines Rechtsanwalts in einem Strafverfahren; Berücksichtigung nur unterdurchschnittlicher Kriterien für die Rahmenbedingungen des § 14 RVG; Voraussetzungen für das Vorliegen einer durchschnittlichen strafgerichtlichen Hauptverhandlung

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
25.11.2011
Aktenzeichen
48 Qs (Owi) 134/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 31106
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2011:1125.48QS.OWI134.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 24.5.2011

In der Bußgeldsache g e g e n xxx, geb. am in Rinteln, wohnhaft in Verteidiger: Rechtsanwalt xxx, Hannover w e g e n : Ordnungswidrigkeit hat die Kammer für Bußgeldsachen des Landgerichts Hannover auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 16.9.2011 am 25.11.2011 beschlossen:

Tenor:

Unter Verwerfung der sofortigen Beschwerde wird der angefochtene Beschluß dahingehend abgeändert, daß die dem Betroffenen aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Hannover vom 24.5.2011 von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf

130,90 EUR

festgesetzt werden.

Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht Hannover die dem Betroffenen aufgrund des Urteils vom 24.5.2011 zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 178,50 EUR festgesetzt, und zwar - neben der Postpauschale in Höhe von 20,00 EUR - die GrundgebührNr. 5100 VV RVG auf 20,00 EUR, die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG auf 30,00 EUR, die Verfahrensgebühr Nr. 1509 VV RVG auf 30,00 EUR und die TerminsgebührNr. 5110 VV RVG auf 50,00 EUR. Der Verteidiger hatte die Gebühren mit 85,00, 135,00, 135,00 und 215,00 EUR in Ansatz gebracht, die Postpauschale mit 40,00 EUR und zusätzlich Auslagen für Akteneinsicht in Höhe von 12,00 EUR. Die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß gerichtete sofortige Beschwerde, mit der geltend gemacht wird, die Kriterien des § 14 RVG seien nicht unterdurchschnittlich. Die ständige Rechtsprechung des Landgerichts Hannover, der zufolge eine durchschnittliche Hauptverhandlung dann vorliege, wenn sie zwischen 1 und 1,5 Stunden dauere und 3 bis 4 Zeugen vernommen würden, sei nicht zu folgen. Es sei im übrigen Angelegenheit des Verteidigers Art und Umfang der Verteidigung zu bestimmen; weder durch den Kostenbeamten noch durch das Gericht sei die Notwendigkeit einer Maßnahme - wie etwa der Einholung eines Sachverständigengutachtens - zu bewerten. Bei der Terminsgebühr sei auch die Vorbereitungszeit des Verteidigers in Rechnung zu stellen. Außerdem sei der Ansatz der Mittelgebühren gerechtfertigt, wenn ein Fahrverbot oder Eintragungen in das Verkehrszentralregister in Frage ständen; in diesem Falle habe der Betroffene wegen einer weiteren Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem höheren Bußgeld rechnen müssen. Zur Höhe der Gebühren bezieht der Verteidiger sich auf Entscheidungen des Landgerichts Dessau-Roßlau und der Amtsgerichte Frankenthal, Andernach und Fürstenwalde.

2

Zu der sofortigen Beschwerde hat der Bezirksrevisor bei dem Amtsgericht Hannover wie folgt Stellung genommen:

"Der Beschwerde kann nicht gefolgt werden. Mit Einführung des RVG wurden für Bußgeldverfahren 3 Gebührenrahmen eingeführt, wobei unterschieden wird nach

a)

weniger als 40 EUR Bußgeld (mit deutlich abgesenkten Gebühren).

b)

40 - 5.000,00 EUR Bußgeld,

c)

über 5.000,00 EUR Bußgeld.

Die Bußgeldhöhe bestimmt zunächst, welcher Gebührenrahmen maßgeblich ist. Sonderregelungen für Verkehrs-OWi-Verfahren wurden nicht eingeführt. Vielmehr gilt der hier anzuwendende mittlere Gebührenrahmen für Bußgeldverfahren aller Art. Also auch für Verfahren aus dem Wirtschafts-, Umwelt- oder Steuerrecht.

Die Einordnung des einzelnen Verfahrens in die Gebührenrahmen anhand der Kriterien nach § 14 RVG kann nur vorgenommen werden, wenn mittels Vergleichs mit anderen Verfahren Bezugsgrößen ermittelt werden. Ein verweis bzw. ein Vergleich mit anderen Bußgeldverfahren ist daher gerechtfertigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Amts- und des Landgerichts Hannover kommt eine Erstattung von Mittelgebühren grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn alle Bemessungskriterien des § 14 RVG als durchschnittlich einzuordnen sind (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 19. Aufl. § 14 Rn 10). Im RVG gibt es keine Norm, nach der es untersagt ist, bei Rahmengebühren die Mindestgebühr als erstattungsfähig anzusehen. Im übrigen liegt es in der Natur der Sache, daß diese bei Vorliegen der Voraussetzungen im Mindestbereich angesiedelt werden.

aus der Landeskasse sind die vom Anwalt bestimmten Gebühren nur dann zu erstatten, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 14 I 4 RVG).

Hinsichtlich der vom Anwalt zitierten Rechtsprechung wird darauf hingewiesen, daß es insoweit gefestigte Rechtsprechung des Landgerichts Hannover gibt, der im hiesigen Bezirk Bindungswirkung zukommt.

Die Bemessung der Gebührenhöhe richtet sich wie bei allen Rahmengebühren nach den vier Kriterien des§ 14 RVG.

Einkommens- und Vermögensverhältnisse:

Das Einkommen des Betroffenen ist nicht bekannt und bleibt als Gebührenbemessungskriterium außer Betracht.

Bedeutung der Angelegenheit:

a)

Nr. 5100 VV RVG

Die Grundgebühr gilt für Bußgeldverfahren aller Art, in denen Bußgelder bis 500.000 EUR verhängt werden können.

b)

Nr. 5103 und 5109

Diese Gebührenrahmen gelten ebenfalls für Bußgeldverfahren aller Art mit Bußgeldern von 40,00 EUR bis 5.000,00 EUR

c)

5110 VV RVG

Dieser Gebührenrahmen gilt ebenfalls für Bußgeldverfahren aller Art mit Bußgeldern von 40,00 EUR bis 5000,00 EUR

Das drohende Bußgeld von 70,00 Euro bewegt sich am unteren Rand der Gebührenrahmen. Es ist insoweit von einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit auszugehen, da die Geldbuße weniger als 250,00 EUR beträgt (OLG Celle, Nds. Rpfl., 08, 351) Ein Fahrverbot drohte nicht. Eine Gefährdung der Fahrerlaubnis durch die drohende Eintragung von 1 Punkt im Verkehrszentralregister ist nicht zu erkennen. Etwaige weitere Punkte, die eventuell aus einem weiteren Verfahren entstehen, sowie eine etwaige weitere Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen erhöhen die Bedeutung des vorliegenden Verfahrens nicht, da diese etwaigen weiteren Punkte keine unmittelbaren Konsequenzen aus diesem Verfahren sind (Beschluß LG Hannover vom 16.2.2011, 48 Qs 17/11 und Beschluß LG Hannover vom 18.3.2008, 46 Qs 37/08, letzterer zitiert nach Burhoff online.de)

Die Bedeutung der Angelegenheit ist als absolut unterdurchschnittlich einzuordnen.

Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit:

Die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung ist eine häufige Ordnungswidrigkeit. Vorliegend waren Wartungszertifikate mit Funktionsbeschreibung, ein Eichschein, eine Karte, ein Aufstellschema und Fotos durch den Anwalt auszuwerten. Derartige Tätigkeiten erfordern bei einem so häufigen Delikt keinerlei rechtliche Spezialkenntnisse, so daß die Schwierigkeit der Angelegenheit als absolut unterdurchschnittlich einzuordnen ist.

Umfang der anwaltlichen Tätigkeit:

Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG:

Der Verteidiger beantragte erstmals am 3.12.2010 Akteneinsicht und wies in einem Satz darauf hin, daß sein Mandant anhand des Fotos nicht zu identifizieren sei. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid blieb unbegründet. Im Schriftsatz vom 21.2.2011 erklärte der Anwalt gegenüber der Verwaltungsbehörde, daß diese wohl selbst davon ausgehe, daß der Betroffene nicht der Fahrer sei. Der Anwalt kündigte zwar weiteren Sachvortrag nach Einholung eines von ihm einzuholenden Gutachtens an. Der angekündigte Sachvortrag blieb allerdings aus. Aus der Akte ist nicht ersichtlich, daß vom Anwalt ein Gutachten eingeholt wurde. Ein durchschnittlicher Umfang der erforderlichen Verteidigungstätigkeit im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde ist nicht ersichtlich.

Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV RVG:

Ein durchschnittlicher Umfang der erforderlichen Verteidigungstätigkeit im Verfahren vor dem Amtsgericht ist ebenfalls nicht ersichtlich. Schriftliche Einlassungen zur Sache gingen nicht ein. Die Terminsvorbereitung war im Vergleich zu anderen Ordnungswidrigkeitsverfahren wenig aufwendig. Die Vorbereitungstätigkeit des Anwalts für die Hauptverhandlung sind ebenfalls von der Gebühr nach RVG VV Nr. 5109 abgegolten. die vom Anwalt insoweit geschilderten Tätigkeiten gehören zu den üblichen und machen die Tätigkeit des Anwalts in gebührenrechtlicher Hinsicht nicht durchschnittlich.

Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist vorliegend als unterdurchschnittlich einzustufen, da die betroffenen Gebührenrahmen sämtliche Ordnungswidrigkeitsverfahren (Nr. 5100 VV RVG) bzw. Verfahren mit Geldbußen bis 5000,00 EUR (Nr. 5100, 5109 VV RVG) und somit auch solche mit deutlich umfangreicherem und komplexerem Akteninhalt abdecken.

Terminsgebühr nach 5110 VV RVG:

Hinsichtlich der Terminsgebühr waren Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weit unterdurchschnittlich. Die Hauptverhandlung am 24.5.2011 dauerte 7 Minuten, Zeugen wurden nicht vernommen. Im Termin erklärte der Verteidiger, daß der Vater seines Mandanten gefahren sei. Anschließend wurden die in der Akte befindlichen Lichtbilder in Augenschein genommen und erörtert.

Die Verhandlungsdauer entscheidet nicht allein über die Gebührenhöhe, sie kann jedoch auch nicht außer Acht bleiben. Schließlich entgilt die Terminsgebühr auch lang dauernde und schwierige Hauptverhandlungen mit der Vernehmung zahlreicher Zeugen und Sachverständiger. Diese könnten nicht mehr in den Gebührenrahmen eingeordnet werden, wenn bereits für dieses Verfahren die beantragte Mittelgebühr zugebilligt würde. So hat das Landgericht Hannover in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß von durchschnittlicher Hauptverhandlung auszugehen ist, wenn diese ab 1 Stunde dauert und 3-4 Zeugen vernommen werden (vgl. LG Hannover, 14.7.2011 - 48 Qs (Owi) 86/11; 6.3.2006, Nds. Rpfl. 2007, 21; 48 Qs 109/11, zitiert nach Burhoff online.de).

Im übrigen gilt die Terminsgebühr ausschließlich die Tätigkeit des Anwalts im Termin ab (Beschluß LG Hannover vom 17.5.2005, Nds. Rpfl. 2005, S. 327). Die Vorbereitungstätigkeiten für die Hauptverhandlung werden von der Verfahrensgebühr nach RVG VV Nr. 5109 abgegolten.

Die Kürzung der Postauslagenpauschale wird durch den Anwalt nicht bestritten.

Bei gleichwertiger Berücksichtigung der drei unterdurchschnittlichen Kriterien des § 14 RVG kommen insgesamt nur unterdurchschnittliche Gebühren in Betracht. Dem wird der angefochtene Beschluß gerecht. Wollte man hier die beantragten Mittelgebühren festsetzen, könnten schwierige und umfangreiche Bußgeldverfahren mit hohen Bußgeldern und zahlreichen Zeugen und Sachverständigen nicht mehr in den gesetzlichen Gebührenrahmen eingeordnet werden (LG Hannover vom 6.3.2006, Nds. Rpfl. 2007, 21).

Die Zahlung der Aktenversendungspauschale von 12,00 EUR ist aus der Akte nicht ersichtlich. Die Kostenanforderung der Landeshauptstadt Hannover vom 14.12.2010 stellt keinen Zahlungsnachweis dar. Die Aktenversendungspauschale ist derzeit nicht aus der Landeskasse zu erstatten."

3

Die vorstehenden Erwägungen treffen im wesentlichen zu. Abweichend von den Ausführungen des Bezirksrevisors ist mittlerweile allerdings nachgewiesen worden, daß ein Gutachten zur "Sachstandsbewertung der Beweismittel" eingeholt worden ist, das sich mit der Frage beschäftigt, ob die Beweisunterlagen geeignet sind, die vorgenommene Messung ausreichend zu belegen. Dies führt jedoch nicht dazu, daß die Tätigkeit des Verteidigers bei der Festsetzung der aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen als umfangreich und schwierig zu bewerten wäre. Da der Betroffene das Fahrzeug, mit dem die Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden sein soll, nicht gefahren hatte, bedurfte es weder der Einholung eines Gutachtens zu den Meßdaten noch der Einarbeitung des Verteidigers in ein solches Gutachten. Der einfache und in 7 Minuten Hauptverhandlung abzuarbeitende Sachverhalt, daß der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs war, war ohne dieses Gutachten zu klären. Wenn der Verteidiger der Meinung war, das Gutachten einholen und sich mit dem Inhalt auseinandersetzen zu müssen, ist ihm dies unbenommen. Es führt aber nicht dazu, daß bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen ein einfacher Sachverhalt zu einem schwierigen wird.

4

Zur Dauer der Hauptverhandlung ist ergänzend auszuführen, daß eine Hauptverhandlungsdauer von weniger als 7 Minuten kaum denkbar ist.

5

Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann für alle Gebührentatbestände nur die Mindestgebühr von jeweils 20,00 EUR und einmal 30,00 EUR - Nr. 5110 VV RVG - festgesetzt werden. Anderenfalls könnte eine Festsetzung der Mindestgebühren niemals in Betracht kommen. Das Verbot der Schlechterstellung steht der Herabsetzung der Gebühren nicht entgegen, weil es im Beschwerdeverfahren nicht gilt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009 vor 304 Rz. 5).

6

Die Zahlung der Aktenversendungspauschale ist nach wie vor nicht durch den entsprechenden Zahlungsbeleg nachgewiesen. Wenn ein solcher Beleg vorhanden ist, dürfte es keine Schwierigkeit bereiten, ihn vorzulegen.

7

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.

8

Gegen diesen Beschluss ist ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig (§ 310 Abs. 2 StPO).