Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 10.07.2003, Az.: 2 U 161/02

Abrechnungspraxis; Abschlusskosten; Allgemeine Geschäftsbedingungen; Allgemeine Versicherungsbedingungen; Anschreiben; Aufrechterhaltung; Berufen; Darlegungslast; ergänzende Vertragsauslegung; Erstbegehungsgefahr; Formularklausel; Hinweis; Inhaltskontrolle; Intransparenz; Klauselverfahren; Lebensversicherungsvertrag; private Rentenversicherung; privater Rentenversicherungsvertrag; Stornoabzug; Streitgegenstand; tatsächliche Beibehaltung; tatsächliche Vermutung; Transparenzgebot; Treuhänderverfahren; unangemessene Benachteiligung; Unterlassungsanspruch; Unterlassungsklage; Unwirksamkeit; Unzulässigkeit; Verfahrensgegenstand; Verrechnungspraxis; Versicherungsnehmer; Wiederholungsgefahr

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
10.07.2003
Aktenzeichen
2 U 161/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48622
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 16.10.2002 - AZ: 8 O 348/01

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichtes Göttingen vom 16. Oktober 2002 - 8 O 348/01 – abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Kläger will der Beklagten nach § 13 AGBG untersagen lassen, sich bei der Abwicklung von Verträgen über private Rentenversicherungen auf die im Klagantrag aufgeführten Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zu berufen.

2

Die beanstandeten Klauseln in den AVB vom 26. Juni 1998 wurden von der A. Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit bis Ende 2000 bei Neuabschlüssen verwendet. Wegen des weiteren Inhaltes der AVB wird auf die zur Akte gereichten Ablichtungen der AVB (Bl. 21-27 d.A.) Bezug genommen. Mit Genehmigung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen vom 19. Juli 2001 übernahm die Beklagte den Versicherungsbestand gemäß § 14 VAG von der A. Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit. In zwei Urteilen vom 9. Mai 2001 (NJW 2001, 2012-2014 [BGH 09.05.2001 - IV ZR 138/99] und 2014 bis 2019 [BGH 09.05.2001 - IV ZR 121/00]) erklärte der Bundesgerichtshof Versicherungsbedingungen wegen Verstoßes gegen das so genannte Transparenzgebot für unwirksam, die im Wortlaut weitgehend mit den hier streitgegenständlichen Klauseln übereinstimmen. Die A. Versicherung auf Gegenseitigkeit hatte allerdings mittlerweile für Neuverträge nur noch AVB in einer geänderten Fassung vom 23. November 2000, die Beklagte von Beginn an wiederum geänderte Versicherungsbedingungen in der Fassung vom 11. Juli 2001 verwendet. Die letzteren Regelwerke sind nicht Gegenstand des Rechtsstreites. Die Beklagte ersetzte im Rahmen eines Treuhänderverfahrens nach § 172 Abs. 2 VVG auch bei den Altverträgen die beanstandeten AVB durch die aktuellen AVB und übersandte diese den Bestandskunden mit Schreiben vom 29. November 2001. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Ersetzung nach § 172 Abs. 2 VVG zulässig ist. Bei der Abwicklung der übernommenen Altverträge berechnete die Beklagte durchgehend Abschlusskosten und Abzüge entsprechend den Regelungen in den beanstandeten AVB. Soweit Versicherungsnehmer sich hiergegen wandten, berief die Beklagte sich darauf, dass sich die Berechnung bereits aus dem Gesetz bzw. einer ergänzenden Vertragsauslegung ergäbe und der Bundesgerichtshof in den genannten Urteilen zwar die mangelnde Transparenz der fraglichen Klauseln gerügt, das Berechnungsverfahren selbst aber inhaltlich nicht beanstandet habe. Auf den von der Beklagten vorgelegten Mustertext zur Verwendung der Mitarbeiter in entsprechenden Fällen und das Schreiben vom 15. Januar 2002 (Bl. 254, 255 d. A.) wird Bezug genommen. Das gleichfalls von der Beklagten vorgelegte Schreiben vom 7.6.2001 stammt noch von der A. Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit (Bl. 257 d.A.).

3

Der Kläger hat sein Unterlassungsbegehren auf die fehlende Transparenz der fraglichen Klauseln gestützt. Diese unterschieden sich nur unwesentlich von den Klauseln, die der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 9. Mai 2001 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für rechtswidrig erklärt habe. Die Wiederholungsgefahr werde durch das Treuhänderverfahren nach § 172 Abs. 2 VVG nicht beseitigt, weil es für private Rentenversicherungen nicht anwendbar sei. Zudem verstoße dieses Verfahren gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion.

4

Die zunächst gegen die A. Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit gerichtete Klage hat der Kläger im Hinblick auf die Übertragung des Bestandsgeschäftes zurückgenommen und auf die Beklagte umgestellt. Den weitergehenden Antrag, auch die zukünftige Verwendung der Klauseln zu verbieten, hat er für erledigt erklärt.

5

Der Kläger hat sodann beantragt,

6

die Beklagte zu verurteilen,

7

1. es bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 500.000,00 DM - und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern der Beklagten, zu unterlassen, sich bei der Abwicklung von Verträgen über private Rentenversicherungen aus der Zeit ab dem 22. Juli 1994 (152) auf die nachfolgend genannten Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berufen, soweit dies nicht gegenüber einer natürlichen oder juristischen Person oder einer rechtsfähigen Personengesellschaft geschieht, die beim Anschluss des Versicherungsvertrages in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt:

8

„§ 6

9

Kündigung

10

(1) Sie können Ihre Versicherung nur vor dem vereinbarten Rentenbeginn ganz oder teilweise kündigen, ...

11

Auszahlung eines Rückkaufswertes bei Kündigung

12

(3) Ist für den Todesfall der Rentenbeginn eine Leistung vereinbart, so haben wir nach § 176 WG den Rückkaufswert - soweit bereits entstanden – zu erstatten. Er wird nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung berechnet, wobei ein als angemessen angesehener Abzug in Höhe von 10 % des Zeitwerts erfolgt.

13

Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung anstelle einer Kündigung

14

(4) Anstelle einer Kündigung nach Absatz 1 können Sie unter Beachtung der dort genannten Termine und Fristen schriftlich verlangen, ganz oder teilweise von der Beitragszahlungspflicht befreit zu werden.

15

In diesem Fall setzen wir die versicherte Rente ganz oder teilweise auf eine beitragsfreie Rente herab, die nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode errechnet wird, ...

16

Der aus Ihrer Versicherung für die Bildung der beitragsfreien Rente zur Verfügung stehenden Betrag mindert sich um einen als angemessen angesehenen Abzug in Höhe von 10 % dieses Betrages ...".

§ 15

17

Wie werden Abschlusskosten erhoben und ausgeglichen?

18

Die mit dem Abschluss Ihrer Versicherung verbundenen und auf Sie entfallenden Kosten, etwa die Kosten für Beratung, Anforderung von Gesundheitsauskünften und Ausstellung des Versicherungsscheines, werden Ihnen nicht gesondert in Rechnung gestellt. Auf den Teil dieser Kosten, der bei der Berechnung der Deckungsrückstellung (*) angesetzt wird, verrechnen wir nach einem aufsichtsrechtlich geregelten Verfahren Ihre ab Versicherungsbeginn eingehenden Beiträge, soweit diese nicht für Versicherungsleistungen und Verwaltungskosten vorgesehen sind.

19

(*) Eine Deckungsrückstellung müssen wir für jeden Vertrag bilden, um zu jedem Zeitpunkt den Versicherungsschutz gewährleisten zu können. Deren Berechnung wird nach § 65 VAG und §§ 341 e, 341 f HGB sowie den dazu erlassenden Rechtsverordnungen geregelt“.

20

2. im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt zu erklären.

21

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

23

Sie hat das Unterlassungsbegehren schon deshalb für unbegründet gehalten, weil keine Wiederholungsgefahr bestünde. Es gebe keinen Anlaß anzunehmen, sie könne die angegriffenen AVB noch einmal verwenden, weil diese bei Neuabschlüssen schon seit längerem und auch bei den Bestandsverträgen im Rahmen des Verfahrens nach § 172 Abs. 2 VVG durch transparentere AVB ersetzt worden seien.

24

Wegen des weiteren Sachverhaltes wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des Landgerichtes Göttingen vom 16. Oktober 2002 (Blatt 103 ff.) Bezug genommen.

25

Das Landgericht hat die Beklagte mit Ausnahme der Klausel in § 6 Abs. 1 der AVB und des Feststellungsantrages zu 2. antragsgemäß verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Kosten gegeneinander aufgehoben. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Klauseln entsprechend den Grundsätzen der Urteile des Bundesgerichtshofes vom 09. Mai 2001 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam seien. Die erforderliche Wiederholungsgefahr sei zu bejahen, weil bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr bestünde und hier keine besonderen Umstände vorgelegen hätten, die diese tatsächliche Vermutung entkräfteten. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus dem von der Beklagten eingeleiteten Treuhänderverfahren und der Bekanntmachung der vom Treuhänder genehmigten AVB an alle Bestandskunden am 29. November 2001.

26

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung.

27

Die Beklagte meint, das Landgericht Göttingen sei in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen. Sie wiederholt und vertieft hierzu ihren Vortrag in erster Instanz, dass die von dem Kläger angegriffenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit Abschluss des Treuhänderverfahrens im November 2001 weder im Neu- noch im Altgeschäft verwendet worden seien. Die geänderten Allgemeinen Versicherungsbedingungen entsprächen in jeder Hinsicht den Vorgaben der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 9. Mai 2001. Entgegen der Auffassung des Klägers sei das Treuhänderverfahren nach § 172 Abs. 2 VVG auch bei privaten Rentenversicherungen anwendbar. Ihrer Erklärung, sich auf die für unwirksam befundenen AVB nicht mehr berufen zu wollen, müsse ein gewisses Vertrauen entgegengebracht werden, ohne dass es hierzu der Unterzeichnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bedürfe. Es gebe für sie keinen Grund, die alten Bedingungen wieder einzuführen, da sich inhaltlich nichts geändert habe.

28

Die Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

30

Der Kläger beantragt,

31

die Berufung zurückzuweisen.

32

Im Wege der unselbständigen Anschlußberufung beantragt er darüber hinaus,

33

unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils im Kostenpunkt die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

34

Die Beklagte beantragt,

35

die Anschlußberufung zurückzuweisen.

36

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil in der Hauptsache.

37

Es bestehe zumindest eine Erstbegehungsgefahr, weil zwischen der Alt- und Neubeklagten weitestgehend Identität, insbesondere hinsichtlich der handelnden Personen bestünde. Das Landgericht habe aber auch die Wiederholungsgefahr zu Recht bejaht. Zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr könne die Beklagte sich nicht auf die Verwendung geänderter AVB berufen. Sie habe den alten AVB lediglich Erläuterungen angefügt, die sie bei nächster Gelegenheit wieder abschaffen könne und die ihrerseits die Intransparenz nicht beseitigten. In die hier streitrelevanten Verträge seien die neuen AVB zudem nicht einbezogen. Die Beklagte berufe sich auch ohne ausdrückliche Benennung der unwirksamen Klauseln laufend auf die alten AVB. Sie belaste die Versicherten nämlich unverändert ohne erkennbare Rechtsgrundlage mit Abschlusskosten und „Stornoabzügen“. Dies könne sie nur mit den unwirksamen streitgegenständlichen Klauseln begründen. Die Beklagte könne dies Verhalten nicht mit einer ergänzenden Vertragsauslegung rechtfertigen. Diese Berechnung von Abschlußgebühren läge nämlich nicht im Interesse der Versicherten. Zur Auslegung seien auch nur die Gerichte befugt.

38

Der Kläger greift mit der Anschlussberufung die vom Landgericht vorgenommene Kostenaufhebung mit dem Ziel an, dass der Beklagten die Kosten voll auferlegt werden.

39

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die protokollierten Parteierklärungen in der Verhandlung vor dem Senat verwiesen.

II.

40

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, während die Anschlußberufung des Klägers unbegründet ist.

41

A. Der Kläger kann gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung nach § 13 Abs. 1 BGB nicht geltend machen, weil weder eine Wiederholungsgefahr noch eine Erstbegehungsgefahr besteht. Der sich gegen die künftige Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen richtende Unterlassungsanspruch setzt die ernstliche Besorgnis einer Beeinträchtigung des Rechtsverkehrs voraus (MünchKommBGB/Micklitz, § 13 AGB, 4. A., Rdnr. 69). Diese Gefahr, dass also die Beklagte sich künftig auf die streitgegenständlichen Klauseln in den AVB vom 1998 im Bestandsgeschäft berufen werde, besteht weder unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr noch unter dem einer Erstbegehungsgefahr.

42

1. Die Annahme einer Wiederholungsgefahr scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger nicht hinreichend dargetan hat, dass die Beklagte die hier streitigen Klauseln verwendet oder sich bei der Abwicklung von Altverträgen hierauf berufen hat. Nur in diesem Fall streitet aber eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen einer Wiederholungsgefahr durch den Verwender, (BGHZ 119, 152 ff.; BGH NJW-RR 2001, 485 ff.).

43

a) Soweit die aus dem Prozess ausgeschiedene A. Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit (Alt-Beklagte) die beanstandeten streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen verwendet und damit eine Wiederholungsgefahr begründet hat, ist dieses Verhalten der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuzurechnen. Schuldner eines Unterlassungsanspruches ist nur derjenige, in dessen Person eine Begehungsgefahr begründet ist. Der Universalnachfolger des Schuldners eines Unterlassungsanspruches haftet nicht auch für die Unterlassungsschuld. (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 8. A., Kap. 15, Rdnr. 12). Nichts anderes gilt für die Beklagte. Zwischen ihr und der Alt-Beklagten besteht keine Identität. Sie sind vielmehr voneinander unabhängige selbständige juristische Personen. Es liegt weder ein Fall der Verschmelzung gem. § 14a VAG noch einer der bloßen Firmenänderung vor. Es ist unerheblich, ob die Geschäftsführung der Neubeklagten mit denselben Personen besetzt ist wie die der Alt-Beklagten. Verwender der AGB und Schuldner des Unterlassungsanspruches ist die juristische Person, nicht der für sie handelnde Vorstand (Wolf/Horn/Lindacher, AGB, 4. A., § 13 Rdnr. 51). Soweit ein Unterlassungsanspruch gegen die Geschäftsführung in Rede steht, wäre er gegen diese zu richten gewesen. In Person der Beklagten könnte eine personelle Identität allenfalls eine Erstbegehungsgefahr begründen, nicht aber eine Wiederholungsgefahr (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 8. A., Kap. 10, Rdnr. 19) (siehe unten zu 2. b).

44

b) Die Beklagte selbst hat sich bei der Abwicklung von Altverträgen nicht auf die beanstandeten Versicherungsbedingungen berufen.

45

(1) Ein Unternehmen beruft sich dann auf AGB, wenn es die Klauseln seinem Vertragspartner bei der Durchsetzung seiner Rechte entgegenhält und diese unter Bezugnahme auf sie verteidigt (MünchKommBGB/Micklitz, § 13 AGB, 4. A., Rdnr. 42). Der Kläger hat keinen Fall vorgetragen, in dem die Beklagte die Erhebung und Verrechnung von Abschlusskosten oder Stornoabzügen unter ausdrücklichem Hinweis auf die beanstandeten Klauseln verteidigt hätte. In den von der Beklagten vorgelegten Schreiben an Versicherungsnehmer hat sie sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass derartige Klauseln vom Bundesgerichtshof wegen Intransparenz beanstandet worden seien, und ihre Verrechnungen und Abzüge nur unter Hinweis auf das dispositive Recht bzw. eine ergänzende Auslegung gerechtfertigt. Die Verrechnungen und Abzüge sind damit gegenüber Bestandskunden jedenfalls nicht mit den beanstandeten Klauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen aus dem Jahre 1998 verteidigt worden.

46

(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auf eine Verwendung der streitgegenständlichen AVB nicht deshalb schließen, weil die Beklagte tatsächlich bei der Abwicklung von Altverträgen weiterhin Abschlusskosten sofort verrechnet und weitere Abzüge vorgenommen hat.

47

Die konkrete Verletzungsform besteht hier nur in der Rechtfertigung der Verrechnungen und Abzüge mit Hilfe der den Altverträgen zu Grunde liegenden intransparenten Klauseln in den AVB vom 1998, nicht in der Handhabung selbst. Die inhaltliche Weiterverwendung berührt nicht den Verbotskern des vom Kläger verfolgten Unterlassungsanspruches. Der Kläger hat seinen Verbotsantrag auf die mangelnde Transparenz gestützt und nach den vom Kläger zur Begründung in Bezug genommenen Urteilen des BGH vom 9. Mai 2001 steht auch nur die unzureichende Aufklärung der Versicherten über dieses Vorgehen in den AVB in Rede.

48

Die unveränderte Handhabung könnte danach nur dann als eine formelles Berufen auf die konkret beanstandeten Klauseln durch die Beklagte qualifiziert werden, wenn eine andere rechtliche Grundlage als die gerügten AVB für die Verrechnungen nicht in Betracht käme und deshalb das Verhalten als Umgehungsversuch gewertet werden müßte (vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGB, 4. A., § 17 Rdnr. 7). Das Ausscheiden anderer Rechtsgrundlagen liegt jedoch nicht so klar auf der Hand, dass nur der Schluss gezogen werden kann, die Beklagte stütze sich in Wahrheit doch allein auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Beklagte ist nämlich im Rahmen von § 6 Abs. 2 AGBG grundsätzlich befugt, sich zur Rechtfertigung der Verrechnungen und Abzüge auf dispositives Recht und eine ergänzende Vertragsauslegung zu berufen. Soweit der Kläger meint, das Auslegungsergebnis der Beklagten, Verrechnungen wie bisher vornehmen zu dürfen, läge nicht im Interesse der Versicherten oder sei nicht mit dem dispositiven Recht vereinbar, ist dies kein zulässiger Gegenstand des vorliegenden Klauselverfahrens. Der Kläger kann der Beklagten im Rahmen des Klauselverfahrens nur verbieten lassen, sich auf die beanstandeten Klauseln zu berufen, nicht aber, seine Verträge jenseits der Klauseln in bestimmter Weise auszulegen und sich auf dispositives Recht zu berufen.

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(3) Soweit die Beklagte die AVB in der Fassung vom 11. Juli 2001 in neue Verträge einbezieht oder sich bei der Abwicklung auf diese beruft, ist dies unerheblich, weil die neuen AVB nicht Streitgegenstand und auch nicht inhaltsgleich mit den beanstandeten AVB sind. Der Unterlassungsanspruch beinhaltet zwar regelmäßig auch das Verbot der Verwendung inhaltsgleicher Klauseln (§ 17 Nr. 3 AGBG). Soweit die Rechtswidrigkeit von Klauseln auf deren mangelnder Transparenz beruht, ist es dem Schuldner aber nur verboten, ebenso intransparente Klauseln zu verwenden. Die AVB vom 11. Juli 2001 enthalten gegenüber den beanstandeten Klauseln unstreitig jedenfalls mehrere der vom BGH geforderten aufklärenden Informationen. Es kann dabei offen bleiben, ob diese neuen Klauseln jetzt ausreichend transparent sind. Vom Verbotskern des vorliegenden Unterlassungsantrages werden sie damit jedenfalls nicht mehr erfasst. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, die neuen AVB enthielten gegenüber den beanstandeten lediglich Zusätze. Gerade das Fehlen von erläuternden zusätzlichen Informationen in den AVB war Anlaß für den BGH, die Verwendung der entsprechenden Klauseln in den Urteilen vom 9. Mai 2001 zu untersagen. Soweit es um die Gefahr geht, dass die Beklagte die zusätzlichen Informationen bei künftigen Verträgen wieder weglassen könnte, ist dies nach der entsprechenden Klagerücknahme nicht mehr Streitgegenstand.

50

2. Die Beklagte hat durch ihr Verhalten auch eine Erstbegehungsgefahr nicht begründet.

51

Für das Vorliegen einer Erstbegehungsgefahr streitet anders als bei der Wiederholungsgefahr keine Vermutung. Vielmehr muß es konkrete Anhaltspunkte geben, die eine Besorgnis, der Verwender werde sich auf die rechtswidrigen AVB berufen, begründen (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 8. A., Kap.10, Rdnr. 2 f., 6 ff.). Solche Anhaltspunkte liegen hier nicht vor.

52

a) Die Beklagte hat sich insbesondere nicht des Rechts berühmt, sich auf die beanstandeten AVB bei der Abwicklung von Altverträgen berufen zu dürfen. Sie hat bereits in der Klageerwiderung ausdrücklich zugestanden, dass Altverträge abgewickelt werden müssten, ohne dass sich die Beklagte auf die intransparenten Klauseln berufen könne. Das durchgeführte Verfahren nach § 172 Abs. 2 VVG und die Information der Bestandskunden in den Schreiben von Ende November 2001 zeigen zudem- unabhängig von der Zulässigkeit der Klauselersetzung -, dass die Beklagte Anstrengungen unternommen hat, die aus der Intransparenz für die Bestandskunden folgenden Gefahren zu beseitigen. Selbst bei einer bestehenden Wiederholungsgefahr wird ein intransparenzausräumendes Verhalten z.T. als ausreichend angesehen, die Gefahrvermutung zu widerlegen (so Wolf/Horn/Lindacher, AGB, 4. A., §13, Rdnr. 60).

53

c) Eine Erstbegehungsgefahr wird auch nicht dadurch begründet, dass die Alt-Beklagte die streitigen Klauseln verwendet hat und die Geschäftsführung der Beklagten mit denselben Personen besetzt ist wie die Alt-Beklagte. Im Falle der Rechtsnachfolge wird eine Erstbegehungsgefahr zum Teil bejaht, wenn die personell unveränderte Geschäftsführung für eine Verletzungshandlung verantwortlich war und der Rechtsnachfolger die Geschäftsführung weiter unabhängig handeln lässt und nicht anweist, die Wiederholung der Handlung zu unterlassen (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 8. A., Kap. 10, Rdnr. 19). Grundlage für diese Annahme ist aber, dass die Geschäftsführung die rechtswidrige Handlung bis zum Wechsel des Rechteinhabers fortgesetzt hat. In diesem Fall lässt in der Tat allein der Wechsel des Rechteinhabers regelmäßig nicht erwarten, dass die bisherige kontinuierliche Verwendung der AGB durch die unabhängig agierende Geschäftsführung beendet werde. Eine solche Kontinuität lässt sich hier aber nicht feststellen. Bereits die Geschäftsführung der Alt-Beklagten hat sich vor der Übertragung am 19. Juli 2001 nicht mehr auf die alten AVB berufen. Sie hat schon seit November 2000 im Neugeschäft geänderte AVB verwendet, sich gegenüber Bestandskunden zu Verteidigung der Verrechnungen nicht auf die streitgegenständlichen AVB bezogen und das Verfahren nach § 172 Abs. 2 VVG eingeleitet. Es kann offen bleiben, ob dieses Verhalten geeignet ist, die Vermutung der in ihrer Person begründeten Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Für die Beklagte gilt diese Vermutung jedenfalls nicht. Die Gefahr der Erstbegehung kann wegen der fehlenden kontinuierlichen Verwendung der AVB durch die Geschäftsführung aus deren personeller Identität nicht mehr hergeleitet werden.

54

B. Die Entscheidung des Landgerichts, dem Kläger die Kosten des von ihm für erledigt erklärten Antrages aufzuerlegen, ist nicht zu beanstanden. Da der Kläger mit dem Feststellungsantrag unterlegen ist, hat er grundsätzlich die Kosten entsprechend zu tragen. Die Annahme des Klägers, er habe gegenüber der Neu-Beklagten nur noch den Unterlassungsantrag aufrechterhalten, geht fehl. Den Feststellungsantrag hat er vielmehr auch gegenüber der allein noch im Rechtsstreit befindlichen Neu-Beklagten aufrechterhalten, während er die Klage nur gegenüber der Alt-Beklagten in vollem Umfang zurückgenommen hat.

55

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

56

D. Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegt. Die tragenden Erwägungen der Sachentscheidung beruhen auf einer im Tatsächlichen liegenden Beurteilung der individuellen, insbesondere durch die Übertragung des Versicherungsbestandes auf die Beklagte nach § 14 VAG geprägten Sachverhaltsgestaltung.