Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 29.09.2021, Az.: 1 Ws 210/21
Keine starre Grenze bei Rechtsfolgenerwartung für Beiordnung eines Rechtsanwalts; Anhängige Ermittlungsverfahren bei Rechtsfolgenerwartung ohne Bedeutung; Ein Jahr zur Bewährung als gewichtiger Umstand für Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers; Keine Notwendigkeit eines Pflichtverteidigers bei Einziehung von Wertersatz über 6000 Euro
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 29.09.2021
- Aktenzeichen
- 1 Ws 210/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 43294
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2021:0929.1WS210.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 23.08.2021 - AZ: 3 Ns 24/21
Rechtsgrundlagen
- § 140 Abs. 2 StPO
- § 331 Abs. 1 StPO
- § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB
- § 142 Abs. 7 StPO
- § 473 Abs. 1 StPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Auch nach der Änderung des § 140 Abs. 2 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 stellt die Rechtsfolgenerwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe keine starre Grenze für die "Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge" dar, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist.
- 2.
Die Strafaussetzung der verhängten Freiheitsstrafe von 1 Jahr zur Bewährung stellt einen gewichtigen Umstand dar, der es im Einzelfall rechtfertigen kann, von einer Beiordnung abzusehen, wenn die Voraussetzungen des § 331 Abs. 1 StPO vorliegen.
- 3.
Anhängige Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, in denen noch keine Anklage erhoben worden ist, bleiben bei der Bewertung unberücksichtigt.
- 4.
Die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 6.000 € ist keine derart schwere Rechtsfolge, die die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfordert.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Göttingen vom 23. August 2021 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Northeim verurteilte den bis dahin lediglich mit Geldstrafen vorbestraften Angeklagten am 3. März 2021 erstinstanzlich wegen Betruges in sechs Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Northeim vom 15. Juli 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Daneben hat das Amtsgericht die Einziehung des Wertes des Taterlangten in Höhe von 6.029,00 € angeordnet. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte zwischen dem 24. Dezember 2018 und dem 8. Februar 2019 insgesamt sechs Mobilfunkverträge unter Verwendung fremder Personalien ohne Einverständnis der betroffenen Personen abgeschlossen, um so diverse Mobilfunkgeräte (Smartphones, Tablets) zu erlangen, ohne die hierfür anfallenden Kosten zu bezahlen. Das Amtsgericht hatte im Rahmen der Beweisaufnahme 2 Zeugen vernommen. Der Angeklagte hat gegen das Urteil vom 3. März 2021 rechtzeitig Berufung eingelegt. Das Landgericht Göttingen beraumte Termin zur Berufungsverhandlung zunächst (nur) auf den 26. August 2021 an und lud die beiden erstinstanzlich vernommenen Zeugen zum Termin. Mit Schriftsatz vom 19. August 2021 beantragte der Wahlverteidiger, bei gleichzeitiger Niederlegung des Wahlverteidigermandates, dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Mit Entscheidung vom 23. August 2021 lehnte die Vorsitzende der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Göttingen die Beiordnung ab. Mit Schriftsatz vom 24. August 2021, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, hat der Verteidiger für den Angeklagten sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Vorsitzenden eingelegt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft in erster Instanz auf eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten mit Bewährung plädiert und das Amtsgericht auf eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr mit Bewährung erkannt habe, eine Beiordnung rechtfertige. Darüber hinaus seien weitere Verfahren gegen den Angeklagten bei der Staatsanwaltschaft anhängig, die im Falle einer Verurteilung gesamtstrafenfähig seien. Zugleich beantragte der Verteidiger die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins vom 26. August 2021, was seitens der Vorsitzenden abgelehnt wurde. Der Wahlverteidiger des Angeklagten nahm an der Berufungsverhandlung am 26. August 2021 teil.
Mit undatierter Verfügung der Vorsitzenden, die am 27. August 2021 ausgeführt wurde, lud die Vorsitzende 3 weitere Zeugen zu einem Fortsetzungstermin am 2. September 2021. Des Weiteren ergibt sich aus einem Vermerk der Vorsitzenden, dass die bereits für den 26. August 2021 geladene Zeugin S. ebenfalls zu dem Fortsetzungstermin am 2. September 2021 geladen wurde. Weiter ließ die Vorsitzende insgesamt 70 Blatt Ablichtungen aus zwei Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft anfertigen und als Selbstleseband anlegen. Schließlich bat sie die V. GmbH per Fax um zügige Übersendung der Vertragsunterlagen zu zwei näher bezeichneten Rechnungen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 6. September 2021 beantragt, die sofortige Beschwerde des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
Mit am 9. September 2021 an das Oberlandesgericht übermittelten Schriftsatz hat der Verteidiger mitgeteilt, dass die Berufungsverhandlung gegen den Angeklagten am dritten Hauptverhandlungstag am 7. September 2021 ausgesetzt worden sei. Grund dafür seien noch vorzunehmende Nachermittlungen, die wegen anstehender Urlaube seiner Person sowie eines Schöffen nicht innerhalb der gesetzlichen Unterbrechungsfristen vorgenommen werden könnten. Es sei am 26. August 2021 für vier Stunden und am 2. September 2021 für fünfeinhalb Stunden verhandelt worden. Es seien weitere Zeugen, die in erster Instanz nicht vernommen worden seien, gehört worden; zudem sei das Selbstleseverfahren angeordnet worden. Insbesondere die Zeugin S. habe sich in Widersprüche verwickelt, so dass zu einer sachgerechten Befragung im Interesse des Angeklagten Akteneinsicht erforderlich sei. Mithin ergebe sich aus dem Verlauf der Berufungsverhandlung, dass unabhängig von der erstinstanzlich verhängten Strafe jedenfalls die Sachlage besonders umfangreich und schwierig sei, so dass der Angeklagte wegen des deutlich gestiegenen Umfangs der Beweisaufnahme sich nicht selbst verteidigen könne.
Mit Schriftsatz vom 20. September 2021 schließlich hat der Angeklagte vortragen lassen, dass zu den zu erwartenden Rechtsfolgen der Verurteilung auch die angefochtene Einziehungsentscheidung gehöre. Die Schwierigkeit der Sachlage ergebe sich nach dem Verlauf der Berufungsverhandlung schon daraus, dass die Kammer des Landgerichts nach dreitägiger Verhandlung "zumindest mit der Sachlage derartige Schwierigkeiten hatte, dass sie sich zu einer Entscheidung ohne weitere Nachermittlungen nicht berufen fühlte." Die Ergebnisse der anzustellenden Nachermittlungen werde der Angeklagte nicht ohne anwaltlichen Beistand einordnen können.
Die Vorsitzende der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Göttingen hat auf Nachfrage des Senates mitgeteilt, dass die noch offenen Nachermittlungen darin begründet seien, dass zum Zeitpunkt des letzten Fortsetzungstermins die von der V. GmbH angeforderten Vertragsunterlagen nicht rechtzeitig übersandt worden seien. Deren Eingang müsse noch abgewartet werden. Eine Fortsetzung innerhalb der Unterbrechungsfristen sei insbesondere aufgrund eines dreiwöchigen Urlaubs eines Schöffen nicht möglich gewesen. Bei den zusätzlich vernommenen Zeugen handele es sich um Mitarbeiter der V.-Shops, die zu den Abläufen in den Shops Auskunft geben sollten.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht gem. § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden.
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, denn die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - § 140 Abs. 2 StPO liegen nicht - auch nicht unter Berücksichtigung des Verlaufs der Berufungsverhandlung - vor.
Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder eine erkennbare Unfähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, erfordern - weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau aller Elemente (vgl. Thomas/Kämpfer, MüKo, StPO, 1. Aufl. § 140, Rn. 26) - die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.
1.
Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 ausdrücklich in den Wortlaut des § 140 Abs. 2 StPO aufgenommen; sie ist im Wege einer Gesamtbetrachtung aller ggf. zu erwartenden Rechtsfolgen zu ermitteln. Es handelt sich mithin um eine rein sprachliche Anpassung an Art. 4 Abs. 4 RL (EU) 2016/1919 und entspricht inhaltlich der bisherigen Rechtsprechung, welche den Rechtsbegriff der "Schwere der Tat" maßgeblich mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung interpretiert hat. Die hierzu ergangene Judikatur gilt daher weiterhin (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 140, Rn. 23, m.w.N.). Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers in der Regel geboten, wenn dem Angeklagten die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe droht, die mindestens im Bereich von einem Jahr liegt (KG Berlin, Beschluss vom 13. Dezember 2018, 3 Ws 290/18, Rn. 2, zitiert nach juris; KG Berlin, Beschluss vom 6. Januar 2017, 4 Ws 212/17, Rn. 6, zitiert nach juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 29. Juni 2012, 1 Ws 246/12, Rn. 9, zitiert nach juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 23. März 2018, 1 Ws 69/18, nicht veröffentlicht, sowie Beschluss vom 11. Mai 1995, Ws 89/95, 2. Ls, "Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr" zitiert nach juris).
Weiterhin besteht in der obergerichtlichen Rechtsprechung Einigkeit dahingehend, dass die genannte Straferwartung von einem Jahr nicht als starre Grenze anzusehen ist (KG Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2017, 5 Ws 50/17, Rn. 13, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juni 1998, 1 Ws 351/98, Rn. 5, zitiert nach juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. August 2018, 1 Ws 179/18, Rn. 3, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. März 1991, 3 Ss 201/90, Rn. 9, zitiert nach juris), sondern bei Vorliegen anderer gewichtiger Umstände sowohl nach oben als auch nach unten davon abgewichen werden kann. Dies gilt bei einer verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr zumindest dann, wenn diese - wie hier - zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. April 2000, 2 Ss 19/00, Rn. 4, zitiert nach juris). Vorliegend wurde gegen den Angeklagten in erster Instanz eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Da nur der Angeklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt hat, ist die Verurteilung zu einer höheren Strafe und/oder die Versagung der Strafaussetzung wegen § 331 StPO ausgeschlossen.
Zwar sind neben der dem Angeklagten drohenden Strafe wegen der bei § 140 Abs. 2 StPO stets erforderlichen Gesamtbewertung auch sonstige schwerwiegende Nachteile zu berücksichtigen, die er infolge der drohenden Verurteilung zu gewärtigen hat. Jedoch führt auch dies vorliegend nicht dazu, dass dem Angeklagten wegen der Schwere der Tat ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Etwaige Bewährungstrafen, deren Widerruf drohen könnte, sind gegen den Angeklagten bislang nicht verhängt worden. Soweit der Angeklagte geltend macht, die Staatsanwaltschaft Göttingen führe weitere Ermittlungsverfahren gegen ihn, deren Strafen bei einer etwaigen Verurteilung mit der hiesigen Strafe gesamtstrafenfähig seien, ist eine abweichende Beurteilung nicht geboten. Da die Verfahren nach wie vor bei der Staatsanwaltschaft anhängig, die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind und noch keine Anklage erhoben worden ist, haben die einzubeziehenden Verfahren noch nicht den erforderlichen Konkretisierungsgrad erreicht, um sie im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen (vgl. LG Kleve, Beschluss vom 2. Juli 2021, 120 Qs 61/21, Rn. 8, zitiert nach juris; Krawczyk in BeckOK, StPO, 40. Ed., § 140, Rn. 25). Vor einer Anklageerhebung handelt es sich lediglich um eine denkbare Möglichkeit, dass später eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, die noch nicht die Befürchtung begründen kann, dass eine schwerere Rechtsfolge verhängt wird. Sollte es in den derzeit noch anhängigen Ermittlungsverfahren zu Anklageerhebungen kommen, lägen dann in jenen Verfahren gegebenenfalls die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vor.
Auch unter Berücksichtigung der angeordneten Einziehung des Wertersatzes von 6.029,00 €, die zwar keine (Neben-) Strafe, sondern eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB eigener Art darstellt und den Angeklagten als Rechtsfolge der Verurteilung trifft, sind die Rechtsfolgen nicht als derart schwer anzusehen, dass dies die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfordert. Zwar kann die Einziehung wertvoller Gegenstände eine schwerwiegende Rechtsfolge im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO auslösen, jedoch stellt die Einziehung von 6.029 € einen für den Angeklagten betragsmäßig begrenzten Vermögensnachteil dar, der die Grenze zum "wertvollen Gegenstand" nicht übersteigt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 2. Dezember 1996, 1 Ss 285/96, zitiert nach juris, Einziehung dreier Pkw).
2.
Die Schwierigkeit der Sachlage gebietet die Mitwirkung eines Verteidigers ebenfalls nicht. Dass das Landgericht im Gegensatz zum Amtsgericht, das an einem Verhandlungstag zwei Zeugen vernommen hat, bis zur Aussetzung des Verfahrens drei Tage verhandelt und 5 Zeugen vernommen hat, macht die Sachlage nicht schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO. Eine solche besteht nicht stets bei längerer Dauer der Hauptverhandlung oder bei einer komplexen Beweislage (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 7. Oktober 2011, 3 Ws 321/11, Rn. 16, zitiert nach juris). Eine schwierige Sachlage ist erst dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann, insbesondere, weil er allein den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren droht (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. September 1986, 1 Ws 264/86, Rn. 3, zitiert nach juris, im Falle einer neuntägigen Beweisaufnahme mit insgesamt 168 Zeugen). Dass der Angeklagte, der eine Ausbildung bei V. teilabsolviert hat und auch später erneut in verschiedenen V.-Shops gearbeitet und Verträge vermittelt hat, den Überblick über die Aussagen der 5 Zeugen, die überwiegend ebenfalls diese Tätigkeit bei V. ausüben und zu den Geschäftsabläufen Auskunft geben sollen, verlieren könnte, ist nicht ersichtlich. Auch die von dem Verteidiger vorgetragenen Nachermittlungen, ohne die sich die Kammer nicht zu einer Beurteilung der Sachlage in der Lage gesehen habe und die zu der Unterbrechung des Verfahrens geführt hätten, sind äußerst überschaubar. Wie sich aus den Akten ergibt, hat die Vorsitzende bereits vor dem 2. Hauptverhandlungstag um Übersendung zweier (!) Vertragsunterlagen von V. gebeten, die nach Auskunft der Vorsitzenden am 3. Hauptverhandlungstag schlicht noch nicht vollständig vorgelegen haben. Die Unterbrechung der seit drei Tagen andauernden Verhandlung war damit nicht - wie der Vortrag des Verteidigers suggeriert - dem Erfordernis umfangreicher Nachermittlungen (die auch nicht im Einzelnen geschildert werden) geschuldet, sondern dem Umstand, dass einige wenige Unterlagen fehlten und vor einem anstehenden mehrwöchigen Urlaub Verfahrensbeteiligter nicht mehr beschafft werden konnten. Dass der Angeklagte das Ergebnis der Nachermittlungen, mithin den Inhalt max. zweier V.-Verträge, nicht wird "einordnen" können, ist vor dem Hintergrund nicht anzunehmen.
Soweit die Kammer das Selbstleseverfahren angeordnet hat, handelt es sich um eine überschaubare Anzahl von Ablichtungen aus den hiesigen Verfahrensakten. Sie enthalten die schriftlichen Unterlagen zu den verfahrensgegenständlichen Verträgen. Der Angeklagte als ehemaliger Mitarbeiter in Verkaufsstellen von V. wird keine Probleme damit haben, den Inhalt der Urkunden zu erfassen.
Die vom Verteidiger vorgetragene zur sachgerechten Verteidigung erforderliche Akteneinsicht kann vor dem Hintergrund des zum 1. Januar 2018 eingeführten Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten in § 147 Abs. 4 StPO nicht mehr zu einer Beiordnung führen, sofern es sich - wie vorliegend - nicht um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation handelt, die eine sorgfältige Aussageanalyse notwendig macht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9. Juli 2020, 5 Ws 202/20, Rn. 8, zitiert nach juris).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.