Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 16.10.2003, Az.: 4 Ca 195/03
Wirksamkeit des befristeten Arbeitsverhältnisses der Betreuungskraft an einer Grundschule; Überschreitung des Zeitrahmens bei einer sachgrundlosen Befristung; Bestehen eines konkret zu prognostizierenden vorübergehenden Mehrbedarfs; Folgen einer fehlerhaften Prognose
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Oldenburg
- Datum
- 16.10.2003
- Aktenzeichen
- 4 Ca 195/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 28190
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2003:1016.4CA195.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 2 TzBfG
- § 14 Abs. 1 TzBfG
- Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 der SR 2 y BAT
Verfahrensgegenstand
Bestandsstreitigkeit
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 16.10.2003
durch
d. Direktor des Arbeitsgerichts Graefe als Vorsitzenden
und die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1)
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien über den 31.01.2003 hinaus ein Arbeitsverhältnis als Betreuungskraft auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 19.06.2002 besteht.
- 2)
Das ... trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3)
Der Streitwert wird auf 858,69 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines befristeten Arbeitsverhältnisses.
Die am 26.06.1960 geborene Klägerin ist mit mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen bei dem ... beschäftigt gewesen Sie war als Betreuungskraft an der Grundschule ... im Rahmen des Projektes "Verlässliche Grundschule" eingesetzt. Durch die Verlässliche Grundschule soll gewährleistet werden, dass Grundschüler an jedem Schultag in der Zeit von 08.00 Uhr bis 13:00 Uhr in der Schule betreut werden und zwar etwa entweder durch Unterricht oder durch zusätzliche Betreuungsangebote. Die Grundschulen erhalten dafür ein bestimmtes Stundenbudget.
Im Einzelnen war die Klägerin ab dem 01.08.2000 durch nachfolgende befristete Arbeitsverträge beschäftigt:
- Vertrag vom 22.06.2000, Vertragsdauer 01.08.2000 bis 31.07.2001
- Vertrag vom 21.06.2001, Vertragsdauer 01.08.2001 bis 31.07.2002
- Vertrag vom 14.10.2002, Vertragsdauer 01.01.2002 bis 31.07.2002
- Vertrag vom 19.06.2002, Vertragsdauer 01.08.2002 bis 31.01.2003.
§ 1 des zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrages vom 19.06.2002 lautet - soweit hier von Interesse - wie folgt:
... wird auf bestimmte Zeit nach SR 2 y BAT als nicht vollbeschäftigte Betreuungskraft nach § 14 Abs. 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vom 21.12.2000 in der jeweils geltenden Fassung in Verbindung mit der Protokollnotiz Nr. 6 zu Nr. 1 SR 2 y BAT als Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer: Zur Erteilung der Betreuungsstunde(n) in der/den Klasse/n 1 oder 2 für die an der Verlässlichen Grundschule im Schul(halb)jahr 2002/2003 eingerichteten Betreuungsgruppe (n) in der Zeit vom 01.08.02 bis 31.01.03 mit regelmäßig 5/38,5 Stunden wöchentlich ... befristet eingestellt.
Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich nach dem BAT (TdL) in der jeweils geltenden Fassung. Die Klägerin war in die Vergütungsgruppe VII BAT eingruppiert. Ihre monatliche Vergütung lag zuletzt bei 286,23 EUR.
Mit Schreiben vom 28.01.2003 (Bl. 24 d. Akte) teilte das ... der Klägerin folgendes mit:
Sehr geehrte
auf Ihr o.a. Schreiben muss ich Ihnen mitteilen, dass die Verlässliche Grundschule noch nicht nur "Regelschule" geworden ist und deshalb die Arbeitsvertrage mit Betreuungskraften nur befristet abgeschlossen werden können. Es ist zwar das Ziel einer flächendeckenden Einführung innerhalb von fünf Jahren nahezu erreicht. Aber noch handelt es sich um einen Schulversuch, der nicht als Schulform im Niedersächsischen Schulgesetz (§ 5 Abs. 2) verankert ist.
Abgesehen hiervon werden die Arbeitsvertrage mit Betreuungskräften nach den Vorschriften SR 2 y BAT für die Dauer der einzurichtenden Betreuungsgruppen befristet. Dabei können lediglich aufgrund der zur Betreuung angemeldeten Schülerinnen und Schuler der Jahrgänge 1 und 2 bedarfsgerechte Gruppen gebildet und die entsprechenden Betreuungskräfte für täglich eine Betreuungsstunde beschäftigt werden.
Zu meinem Bedauern kann ich Ihnen aus den vorgenannten Gründen keinen unbefristeten Arbeitsvertrag in Aussicht stellen.
Die Betreuungssituation in der Grundschule ... stellte sich in den Schuljahren 2000/2001 sowie 2001/2002 wie folgt dar:
Schuljahr 2000/2001:
Es gab 3 erste und 3 zweite Klassen mit jeweils 60-65 Schülern pro Jahrgang. Es wurden 3 Betreuungsgruppen mit insgesamt 22 Kindern eingerichtet.
Schuljahr 2001/2002:
Bei gleicher Schülerzahl gab es 3 Betreuungsgruppen mit 26 Kindern, ab Herbst 2001 4 Betreuungsgruppen mit ebenfalls 26 Kindern.
Zu Beginn des Schuljahres 2002/2003 gab es nach Angaben des ... Landes insgesamt 36 Anmeldung für Betreuung, nach Angaben der Klägerin 34 Kinder. Insgesamt wurden wiederum vier Betreuungsgruppen eingerichtet, die geleitet wurden von Frau ... und der Klägerin. ... hatten einen Ganzjahresvertrag, Frau ... und die Klägerin einen Halbjahresvertrag. Die Vertrage der Mitarbeiterin Frau ... und der Klägerin sind im zweiten Halbjahr 2003 nicht verlängert worden. Die Betreuung ist vielmehr im zweiten Halbjahr 2003 nur noch mit zwei Kräften, ..., fortgeführt worden.
Mit ihrer Klage vom 19.02.2003 begehrt die Klägerin Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis über den 31.01.2003 hinaus fortbesteht. Sie halt die Befristung auf den 31.01.2003 für unwirksam. Dies bereits deswegen, weil der Inhalt des Arbeitsvertrages widersprüchlich sei. Zum einen werde eine sachgrundlose Befristung gem. § 14 Abs. 2 TzBfG zum Vertragsinhalt gemacht. An anderer Stelle in § 1 verstecke sich hingegen die Formulierung "Aufgaben von begrenzter Dauer" unter Hinweis auf SR 2 y zum BAT.
Unabhängig davon, dass die Befristung wegen des widersprüchlichen Inhalts bereits aus formalen Gründen scheitere, bestehe auch kein Sachgrund. Eine auf Tatsachen beruhende Prognose, warum das Arbeitsverhältnis bis zum 31.01.2003 befristet worden sei, sei nicht ersichtlich. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher konkreten Anhaltspunkte das ... davon habe ausgehen können, dass sich der Betreuungsbedarf im zweiten Halbjahr 2003 anders darstellen wurde als im ersten Halbjahr.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass zwischen den Parteien über den 31.01.2003 hinaus ein Arbeitsverhältnis als Betreuungskraft auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 19.06.2002 besteht.
Das ... beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es tragt vor:
Zum Beginn des Schuljahres 2002/2003 hatten insgesamt 36 Anmeldungen vorgelegen. Es sei unter Berücksichtigung der Vorgaben des Niedersächsischen Kultusministeriums ein Richtwert für eine Gruppengröße von 15 bis 20 Schülerinnen und Schülern zugrunde gelegt worden. Insgesamt hatten mithin zwei Betreuungsgruppen ausgereicht. Gleichwohl habe man auch mit der Klägerin einen weiteren Halbjahresvertrag abgeschlossen in der Erwartung, dass sich kurzfristig noch weitere Eltern entschließen wurden, das Betreuungsangebot in Anspruch zu nehmen. Da sich diese Erwartung im Laufe des ersten Schulhalbjahres 2002/2003 nicht erfüllt habe und die Anzahl der tatsächlich zu betreuenden Schülerinnen und Schülern auf 25 abgesenkt worden sei, sei der Abschluss eines weiteren Vertrages für die Klägerin nicht in Betracht gekommen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsatze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die gemäß § 256 ZPO zulässige und rechtzeitig innerhalb der Frist des § 17 TzBfG erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist nicht durch Fristablauf am 31.01.2003 beendet worden.
Dabei kann dahinstehen, ob sich die Befristung bereits aus formalen Gründen als unwirksam erweist, weil der hier allein maßgebliche letzte befristete Arbeitsvertrag vom 19.06.2002 (Bl 22 f.d. Akte) einerseits auf § 14 Abs. 2 TzBfG hinweist (sachgrundlose Befristung) andererseits unter Hinweis auf SR 2 y BAT als Befristungsgrundform "Aufgaben von begrenzter Dauer" angibt. Soweit eine sachgrundlose Befristung gewollt war, scheitert deren Wirksamkeit bereits daran, dass der 2-Jahres-Zeitrahmen des § 14 Abs. 2 TzBfG bereits überschritten war.
Geht man - trotz des widersprüchlichen Vertragsinhalts - von einer wirksamen Vereinbarung der SR 2 y BAT aus, bedurfte der o.g. Arbeitsvertrag zur Wirksamkeit eines Sachgrundes im Sinne des § 14 Abs. 1 TzBfG i.V.m. der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 der SR 2 y. Das ... reklamiert für sich offenbar den Sachgrund eines nur vorübergehenden Mehrbedarfs für zeitweilig anfallende Aufgaben. Diese Aufgaben sind abzugrenzen von den Daueraufgaben des öffentlichen Arbeitgebers. Dafür ist nicht entscheidend, ob diese Aufgaben wesensmäßig zu den Daueraufgaben des öffentlichen Dienstes gehören, sondern ob ein konkret zu prognostizierender vorübergehender Mehrbedarf besteht. Dazu muss im Zeitpunkt des Vertragsschlusses aufgrund greifbarer Tatsachen mit einiger Sicherheit der Wegfall des Mehrbedarfs nach dem Auslaufen des befristeten Arbeitsvertrages zu erwarten sein. Diese Prognose hat der Arbeitgeber anhand konkreter Tatsachen zu belegen, da sie Teil des Sachgrundes ist (vgl. BAG DB 1999, S. 804 und DB 2001, S. 284[BAG 22.03.2000 - 7 AZR 758/98] = AP Nr. 221 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Eine fehlerhafte Prognose führt zur Unwirksamkeit der Befristung, wenn sich anhand der zugrundegelegten Umstände ergibt, dass ein vorübergehender Mehrbedarf nicht vorgelegen hat und damit nur vorgeschoben ist. Die Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs reicht zur Rechtfertigung der Befristung grundsätzlich nicht aus (vgl. BAQ in AP Nr. 145 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag = NZA 1993, S. 361 [BAG 11.12.1991 - 7 AZR 170/91]).
Unter Berücksichtigung vorstehender Kriterien steht dem be-... ein Sachgrund nicht zur Seite. Es fehlt an einer nachvollziehbaren Begründung für einen nur vorübergehenden Bedarf für den Einsatz der Klägerin als Betreuungskraft für das erste Schulhalbjahr 2002/2003. Für dieses Halbjahr gab es nach dem eigenen Vortrag des ... insgesamt 36 Anmeldungen wofür nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin insgesamt 4 Betreuungskräfte zur Verfugung standen, von denen zwei, nämlich ... einen Ganzjahresvertrag hatten, ... und die Klägerin einen Halbjahresvertrag. Insgesamt entfielen mithin auf je eine Betreuungskraft für dieses Schulhalbjahr neun angemeldete Kinder. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschäftigungsbedarf für die Klägerin im zweiten Halbjahr entfallen wurde, sind ... weder dargetan noch ersichtlich. Maßgebend für die (weitere) Befristung des Arbeitsvertrages war offenbar allein die Unsicherheit, ob auch zukünftig ein entsprechender Betreuungsbedarf besteht. Diese Unsicherheit reicht aber - wie oben dargelegt - für die Wirksamkeit einer Befristung nicht aus. Dies gilt umso mehr, als mit der Klägerin bereits zuvor drei befristete Arbeitsvertrage als Betreuungskraft abgeschlossen worden waren. Unter diesen Umstanden hatte es im besonderen Maße der Darlegung konkreter Tatsachen bedurft, warum das ... bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrags davon ausgehen durfte, dass der Bedarf für die Klägerin als Betreuungskraft nur für ein halbes Jahr besteht. An einem derartigen Sachvortrag fehlt es hier aber, wobei erschwerend hinzu kommt, dass ein Zusammenhang zwischen einem möglichem Bedarfsrückgang und dem Arbeitsverhältnis der Klägerin auch deswegen nicht nachvollziehbar ist, weil in dem ersten Schuljahr insgesamt noch vier Betreuungskräfte tätig waren, im zweiten Schulhalbjahr hingegen nur noch zwei. Auch dafür fehlt es an jeglicher plausiblen Erklärung des Schließlich kann sich das ... auch nicht darauf berufen, dass die "Verlässliche Grundschule" noch keine Regelschule und deswegen grundsätzlich die Befristung für Betreuungskräfte wirksam sei. Dieser Aspekt stellt sich als eine unzulässige Risikoverlagerung zu Lasten der angestellten Betreuungskräfte dar. Falls der Bedarf für Betreuungskräfte dadurch entfallen sollte, dass die "Verlässliche Grundschule" als Schulversuch wieder abgeschafft wird (wofür sich im Übrigen keinerlei Anhaltspunkt ergibt), steht dem ... das arbeitsrechtliche Gestaltungsmittel einer betriebsbedingten Kündigung zur Seite.
Als unterlegende Partei hat das ... die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 858,69 EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 12 Abs. 7 ArbGG.