Amtsgericht Wolfsburg
Urt. v. 09.05.1990, Az.: 12 C 30/90
Zustandekommen eines wirksamen Berförderungsvertrags mit einem Minderjährigen; Verstoß der Eltern gegen Treu und Glauben; Anspruch aus Bereicherungsrecht gegen einen Minderjährigen
Bibliographie
- Gericht
- AG Wolfsburg
- Datum
- 09.05.1990
- Aktenzeichen
- 12 C 30/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 19536
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGWOLFB:1990:0509.12C30.90.0A
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 818 Abs. 2 BGB
Fundstelle
- NJW-RR 1990, 1142-1143 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreitverfahren hat
das Amtsgericht Wolfsburg
auf die mündliche Verhandlung vom 14.03.1990
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 0,24 DM zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 14.12.89.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Am Nachmittag des 15.9.89 fuhr der damals 14-jährige Beklagte in einem Linienbus der Klägerin von Detmerode nach Kästorf. Obwohl er für diese Strecke nach den Tarifbestimmungen der Klägerin einen Fahrausweis für 3 Zonen hätte lösen müssen, befand er sich lediglich im Besitz eines Fahrausweises für 2 Zonen. Der Preisunterschied zwischen einem Fahrausweis für 2 Zonen und einem Fahrausweis für 3 Zonen belief sich nach den Tarifbestimmungen der Klägerin nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagten auf 0,24 DM.
Der Beklagte hat den Preis für den Fahrausweis für 2 Zonen von seinem Taschengeld bezahlt, das ihm auch für den Kauf von Fahrausweisen für einen Linienbus überlassen worden war. Eine Zustimmung zu einer Busfahrt mit einem nicht ausreichenden Fahrausweis hatten die Eltern des Beklagten diesem nicht erteilt. Sie haben die streitgegenständliche Fahrt des Beklagten mit dem Linienbus der Klägerin auch nicht nachträglich genehmigt.
Der Beklagte hat nach seinem von der Klägerin nicht bestrittenen Vortrag bei der streitgegenständlichen Busfahrt nicht gewußt, daß der von ihm benutzte Fahrausweis für die von ihm mit dem Bus zurückgelegte Fahrstrecke nicht ausreichte.
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von dem Beklagten Zahlung eines sogenannten erhöhten Beförderungsentgeltes sowie Erstattung vorprozessualer Mahnauslagen.
Sie hat den Beklagten zu Händen seines Vaters mit Schreiben vom 17.11.89 unter Fristsetzung zum 18.11.89 vergeblich zur Zahlung von 28,69 DM aufgefordert.
Die Klägerin nimmt nach ihrem vom Beklagten nicht substantiiert bestrittenen Vortrag Bankkredit in Anspruch, für den sie 4 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zahlen muß.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 78,20 DM nebst 4 % Zinsen über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank auf 20,- DM seit dem 17.11.89 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unzulässig und unbegründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin ist, wie jede andere Partei auch, berechtigt, sich in einem Zivilprozeß vor dem Amtsgericht durch jede voll geschäftsfähige Person vertreten zu lassen. Es ist nicht erforderlich, daß die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit unmittelbar durch ihre Geschäftsführer, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten handelt. Es ist gerichtsbekannt, daß die Sachbearbeiterin der Klägerin, die im vorliegenden Rechtsstreit in den Terminen zur mündlichen Verhandlung für die Klägerin aufgetreten ist, von den für die Klägerin vertretungsberechtigten Personen generell hierzu bevollmächtigt ist.
Die von der Klägerin geltend gemachte Hauptforderung ist begründet in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Preis für den von dem Beklagten benutzten Fahrausweis für 2 Zonen und dem Preis für einen Fahrausweis von 3 Zonen, den der Beklagte unstreitig entsprechend den Tarifbestimmungen der Klägerin für die von ihm durchgeführte Fahrt hätte benutzen müssen. Dieser Betrag beläuft sich nach dem von der Klägerin nicht bestrittenen Vortrag des Beklagten auf 0.24 DM.
Im übrigen ist die Klage unbegründet. Die Klägerin ist nicht berechtigt, von dem Beklagten Zahlung eines sogenannten erhöhten Beförderungsentgeltes und Erstattung von vorprozessualen Mahnauslagen der Klägerin zu verlangen.
Die Klägerin kann dieses Verlangen nicht auf § 9 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27.2.70 stützen, wonach ein Fahrgast verpflichtet ist, ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu entrichten, wenn er keinen gültigen Fahrausweis besitzt. Die Anwendbarkeit dieser Verordnung setzt voraus, daß zwischen der Klägerin und ihrem Fahrgast ein wirksamer Beförderungsvertrag zustandegekommen ist (vergl. dazu Harder, NJW 90, 861, 62; Winkler von Mohrenfels, JuS 87, 693, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Ein wirksamer Beförderungsvertrag ist zwischen den Parteien am 15.9.89 nicht zustande gekommen, da der Beklagte zu dieser Zeit minderjährig war und seine Eltern unstreitig dem Abschluß eines entsprechenden Vertrages nicht zugestimmt haben. Diese Zustimmung lag auch nicht darin, daß die Eltern des Beklagten diesem Taschengeld überlassen haben und sich grundsätzlich damit einverstanden erklärt haben, daß der Beklagte mit dem Taschengeld Busfahrkarten kauft. Der Beklagte hat unwidersprochen - und im übrigen im Einklang mit der Lebenserfahrung jedenfalls für die große Mehrzahl der Fälle vorgetragen, daß sich die Zustimmung seiner Eltern auf Benutzung von Linienbussen der Klägerin und damit den Abschluß von Beförderungsverträgen nicht auf sogenannte "Schwarfahrten" ohne oder mit nicht ausreichendem Fahrausweis bezogen habe. Die Klägerin kann sich hinsichtlich der Verweigerung der Zustimmung der Eltern des Beklagten hierzu auch nicht auf einen Verstoß der Eltern des Beklagten gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB berufen, weil die Anwendbarkeit dieser Norm das Bestehen eines Schuldverhältnisses voraussetzt und ein solches zwischen der Klägerin und den Eltern des Beklagten im Hinblick auf die Busfahrt am 15.09.1989 nicht zustandegekommen ist (vergl. dazu Winkler von Mohrenfels, JuS 87, 694).
Das Zustandekommen eines Beförderungsvertrages zwischen den Parteien am 15.9.89 kann auch nicht mit der Lehre vom "sozialtypischen Verhalten" oder vom "faktischen Vertrag" begründet werden, weil diese Lehre einen Verstoß gegen die Dogmatik des BGB darstellt und auf ein Unterlaufen des Minderjährigenschutzes hinausläuft und infolgedessen noch heute allgemeiner Meinung abzulehnen ist (vergl. dazu Harder, NJW 90, 858, Anm. 8 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Eine Vertragliche Anspruchsgrundlage für die Klageforderung besteht deshalb nicht. Gegen dieses Ergebnis läßt sich auch nicht einwenden, daß die gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen, wenn sie die Einwilligung zu Schwarzfahrten verweigern, das wirtschaftliche Risiko auf die Verkehrsbetriebe abwälzen. Das Gegenteil ist richtig: Mit der Vertragsstrafevereinbarung versuchen die Verkehrsbetriebe, das von ihnen durch die Abschaffung der Zugangskontrolle zu ihren Bussen geschaffene Risiko auf die Minderjährigen abzuwälzen. Dieses Vorhaben scheitert an den zwingenden Vorschriften des Minderjährigenrechtes, mögen die Belange der öffentlichen Verkehrsbetriebe auch noch so berechtigt sein (vergl. dazu Winkler von Mohrenfels, JuS 87, 695).
Da ein wirksamer Beförderungsvertrag zwischen den Parteien nicht zustandegekommen ist, hat der Beklagte die Beförderungsleistung der Klägerin ohne Rechtsgrund von dieser erlangt. Er ist infolgedessen gem. § 818 Abs. 2 BGB verpflichtet, Wertersatz zu leisten in Höhe des üblichen Entgeltes, also hier in Höhe des Differenzbetrages von 0,24 DM. Eine bereicherungsrechtliche Grundlage für darüber hinausgehende Ansprüche auf Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgeltes ist nicht ersichtlich. Der Wert einer ohne Rechtsgrund erlangten Beförderung bestimmt sich nach ihrem objektiven Verkehrswert, nicht nach dem Schwarzfahrpreis (Vergl. dazu Winkler von Mohrenfels, JuS 87, Seite 695 mit weiteren Nachweisen). Diesem Ergebnis, wonach die Klägerin (nur, aber jedenfalls) den regulären Fahrpreis von dem minderjährigen Beklagten verlangen kann, kann auch nicht durch den Hinweis auf den Minderjährigenschutz begegnet werden (so aber Harder, NJW 90, 863, 864), weil die Einwilligung der Eltern des Beklagten sich darauf erstreckte, mit einem Linienbus der Klägerin zu fahren und dafür von seinem Taschengeld den regulären Fahrpreis zu zahlen und deswegen insoweit Anlaß zu einem Minderjährigenschutz nicht besteht.
Die Klägerin kann das von ihr verlangte erhöhte Beförderungsentgelt auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung des Beklagten geltend machen. Ansprüche insoweit aus § 823 Abs. 1 BGB scheitern daran, daß kein absolutes Recht verletzt worden ist. Man hätte allenfalls den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin als geschütztes Rechtsgut in Betracht ziehen können. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern der Betrieb eines öffentlichen Verkehrsmittels durch Schwarzfahrer unmittelbar (betriebsbezogen) beeinträchtigt würde.
§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 265 a StGB scheidet im vorliegenden Fall als Anspruchsgrundlage bereits deswegen aus, weil der Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, ihm sei bei der Busfahrt am 15.09.1989 nicht bewußt gewesen, daß der von ihm benutzte Fahrausweis nicht ausreichend gewesen sei.
Weitere Anspruchsgrundlagen, aus denen die von der Klägerin geltend gemachte Forderung auf Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgeltes gegen den Beklagten begründe sein könnte sind nicht ersichtlich.
Soweit die Klägerin mit ihrer Klage darüberhinaus Erstattung vorgerichtlicher Mahnauslagen von dem Beklagten verlangt, ist die Klage deshalb unbegründet, weil die von der Klägerin vorprozessual gegen den Beklagten geltendgemachte Forderung - mit Ausnahme eines Teilbetrages von 0,24 DM - nicht berechtigt gewesen ist und der Beklagte infolgedessen durch die vorprozessualen Mahnungen der Klägerin nicht wirksam in Verzug gesetzt worden ist. Bei einer Zuvielforderung ist die Mahnung nur dann wirksam, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Falles als Anforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muß und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (vergl. dazu Palandt-Heinrichs, 49. Auflage § 284 BGB, Anm. 3 c mit weiteren Nachweisen). Angesichts des krassen Unterschiedes zwischen dem der Klägerin zustehenden Betrag und den von ihr vorprozessual angemahnten Beträge, können die vorprozessualen Mahnungen der Klägerin bei Anlegung dieses Maßstabes nicht als verzugsbegründend gewertet werden.
Infolgedessen können der Klägerin gem. § 291 BGB auch nur Prozeßzinsen in Höhe von 4 % ab Zustellung des Mahnbescheides am 14.12.1989 zugesprochen werden. Der Mahnbescheid ist dem Beklagten zu Händen seines Vaters wirksam gem. § 171 ZPO zugestellt worden.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreites folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.