Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 28.06.2006, Az.: 1 A 2288/05
Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches nach erheblichem Geschwindigkeitsverstoß mangels der Feststellbarkeit des Fahrers; Bestimmung der Voraussetzungen für die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers; Eintritt der Unmöglichkeit der Fahrerermittlung bei der Notwendigkeit von Ermittlungen im Ausland; Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Ermittlungsmaßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers; Überprüfung der Ermessensausübung der Verwaltung hinsichtlich der Auferlegung eines Fahrtenbuches
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 28.06.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 2288/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 21044
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2006:0628.1A2288.05.0A
Rechtsgrundlage
- § 31 a Abs. 1 S. 1 StVZO
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Gemäß § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
- 2.
Beruft sich ein Fahrzeughalter im Bußgeldverfahren auf sein Recht der Aussageverweigerung und lehnt damit die sachdienliche Mitwirkung an der Aufklärung der Ordnungswidrigkeit letztlich ab, so ist der Maßstab, was der Polizei an weiterer Ermittlungstätigkeit zuzumuten ist, umso geringer anzusetzen.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung am 28. Juni 2006
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt,
den Richter am Verwaltungsgericht Steffen,
den Richter Tepperwien sowie
die ehrenamtlichen Richter D. und E.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen die Auflage, für sechs Monate ein Fahrtenbuch für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen F. oder ein entsprechendes Ersatzfahrzeug zu führen.
Der Kläger ist Halter des PKW der Marke Seat mit dem amtlichen Kennzeichen F.. Mit diesem Fahrzeug wurde am 16. August 2005 in Bremerhaven eine Ordnungswidrigkeit begangen, in dem der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h überschritten hatte. Dem Kläger wurde von der Seestadt Bremerhaven ein Anhörungsbogen im Bußgeldverfahren am 1. September 2005 übersandt. Unter dem 5. September 2005 teilte der Kläger mit, dass er nicht der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei und den Wagen nicht gefahren habe. Der Kläger wurde daraufhin unter Übersendung des Frontfotos gebeten, Angaben über die Personalien des Fahrzeugführers zu machen. Daraufhin teilte der Kläger unter dem 12. September 2005 mit, dass die auf dem Dokument abgelichtete Person sein Sohn sei. Da es sich um einen näheren Verwandten handele, mache er von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch. Am 13. September 2005 wandte sich die Seestadt Bremerhaven daraufhin an die Polizei in Langen mit der Bitte, den Fahrer zu ermitteln. Die Polizeistation Langen teilte in einem Ermittlungsvermerk vom 23. September 2005 mit, dass der Kläger erneut angegeben habe, dass sein Sohn gefahren sei und er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufe. Beim Einwohnermeldeamt der Stadt Langen seien für die Person des Halters keine Angehörigen mehr verzeichnet. Es sei bei der Datensuche lediglich ein in Bremerhaven wohnender G. gefunden worden, der als Sohn des Klägers in Frage kommen könnte. Eine familiäre Verbindung sei aus den Daten jedoch nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2005 hörte der Beklagte den Kläger zu der Absicht an, ihm die Führung eines Fahrtenbuches aufzuerlegen, nachdem der Fahrer, der die Ordnungswidrigkeit am 16. August 2005 begangen habe, nicht habe ermittelt werden können. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin am 19. Oktober 2005 mit, dass der Kläger angegeben habe, dass sein Sohn gefahren sei. Es sei daher unzutreffend, dass der Fahrer nicht habe festgestellt werden können. Zugleich bat der Prozessbevollmächtigte um die Gewährung von Akteneinsicht. Am 25. Oktober 2005 übersandte der Beklagte dem Prozessbevollmächtigten die Akten zur Einsichtnahme gegen eine Gebühr von 12,00 EUR und erließ am selben Tag den angefochtenen Bescheid, mit dem dem Kläger das Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten aufgeben wurde. Der Fahrer habe nicht ermittelt werden können, weil der Halter sich lediglich dahingehend geäußert habe, dass es sich um seinen Sohn handeln soll, im Übrigen aber rechtmäßig von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe.
Im Rahmen einer Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen das Verfahren wandte sich der Beklagte an die Seestadt Bremerhaven mit der Frage, warum keine Einwohnermelde- oder Standesamtsanfrage bezüglich der Familienverhältnisse gehalten worden sei und warum nicht versucht worden sei, den Sohn in Spanien zu ermitteln. Die Seestadt Bremerhaven antwortete daraufhin, dass die Polizei in Langen beim Einwohnermeldeamt Langen ohne Erfolg zu ermitteln versucht habe. Einen Hinweis auf einen im Ausland lebenden Sohn habe man während des Laufes des Bußgeldverfahrens nicht erhalten.
Am 1. November 2005 hat der Kläger Klage erhoben. Die Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchauflage läge nicht vor, weil der Kläger zutreffend angegeben habe, dass sein Sohn G. gefahren sei. Der Beklagte habe dann die einzelnen Wohnanschriften des Sohnes ermittelt. Dass dieser sich ordnungsgemäß nach Spanien abgemeldet habe, könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Für den Erlass einer Fahrtenbuchauflage sei somit kein Raum.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Ermittlung des Fahrers sei im Sinne der Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung unmöglich gewesen. Der Kläger habe den Namen seines Sohnes gegenüber der Seestadt Bremerhaven ebenso wenig genannt wie gegenüber der Polizeistation Langen. Diese habe dann zwar die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Sohn um den früher in Bremerhaven wohnhaften G. handeln könne. Im Hinblick auf die Häufigkeit des Auftretens des Namens G. habe der Fahrer jedoch nicht zweifelsfrei identifiziert werden können. Der Kläger habe demgegenüber durch seine Aussageverweigerung zu verstehen gegeben, dass er zur Identifizierung des Fahrers nicht beitragen werde. Weitere Ermittlungen seien seinerzeit nicht zumutbar gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg.
Zu Recht hat der Beklagte dem Kläger aufgegeben, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.
Gemäß § 31 a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden kann, liegen vor. Dass mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug am 16. August 2005 eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften - Geschwindigkeitsüberschreitung - begangen wurde, bestreitet der Kläger nicht. Die Feststellung des Fahrzeugführers war nach diesem Verstoß im Sinne des § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO nicht möglich. Eine Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass alle nach Sachlage bei verständiger Beurteilung nötigen und möglichen, vor allem auch angemessenen und zumutbaren Nachforschungen ergebnislos geblieben sind. Dabei dürfen die Anforderungen an die Ermittlungstätigkeit der Behörde nicht überspannt werden. Wahllos zeitraubende, kaum Erfolg versprechende Ermittlungen brauchen nicht durchgeführt zu werden. Gemessen an diesen Maßstäben sind vorliegend ausreichende Ermittlungen durchgeführt worden. Der Kläger wurde durch Übersendung des Anhörungsbogens zu der Tat gehört. Er hat daraufhin nach weiterer Nachfrage die Erklärung abgegeben, sein Sohn sei auf dem Frontfoto erkennbar. Weitere Aussagen mache er nicht, sondern berufe sich insoweit auf sein Aussageverweigerungsrecht wegen des nahen Verwandtschaftsverhältnisses. Im Bußgeldverfahren wurde sodann versucht, weitere Ermittlungen anzustellen, indem die örtlich zuständige Polizeibehörde um Feststellung des Fahrers gebeten wurde. Auch dieser gegenüber gab der Kläger nicht den Namen seines Sohnes preis. Dieser konnte auch im Einwohnermeldeamt nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Wegen der Vielzahl der aufgefundenen Personen mit dem Nachnamen G., sei eine aussichtsreiche sichere Ermittlung nicht möglich. Dass die Polizeibehörde im Rahmen dieses Verfahrens die Vermutung geäußert hat, der nach Spanien abgemeldete G. könnte der Sohn des Klägers sein, musste im vorliegenden Verfahren nicht zwingend zu weiteren Ermittlungen führen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in dem Bußgeldverfahren, das ein auf schnelle Erledigung angelegtes Massenverfahren darstellt, nicht jede denkbare zeitraubende und vermutlich aussichtslose Ermittlung zugemutet werden kann. Die im vorliegenden Fall mögliche Ermittlung in Spanien war im Sinne des § 31 a StVZO nicht mehr zumutbar, weil der Aufwand nicht mehr im Verhältnis zu dem möglichen Ergebnis stand. Dabei kann sich im Übrigen Art oder Umfang des behördlichen Verfahrens, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Beruft sich dieser im Bußgeldverfahren auf sein unbestrittenes Recht der Aussageverweigerung und lehnt damit die sachdienliche Mitwirkung an der Aufklärung der Ordnungswidrigkeit letztlich ab, so ist der Maßstab, was der Polizei an weiterer Ermittlungstätigkeit zuzumuten ist, umso geringer anzusetzen. Hier hat sich der Halter unter Berufung auf das ihm zustehende Recht der Zeugnisverweigerung geweigert, den Namen und den Aufenthaltsort seines Sohnes bekannt zu geben. Die Berufung des Klägers auf dieses Aussageverweigerungsrecht ändert an der Anwendbarkeit des § 31 a StVZO nichts (BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1995 - 11 B 7.95 -, Verkehrsrechtliche Mitteilungen 1996, S. 35). Das Verhalten des Klägers in dem Ordnungswidrigkeitenverfahren ist zwar nicht zu beanstanden, weil er insoweit in legitimer Weise seine Rechte wahrgenommen hat, der Seestadt Bremerhaven und der in Amtshilfe in Anspruch genommenen Polizei in Langen war es jedoch angesichts dieser Lage nicht zumutbar, noch weitere Ermittlungen in der kurzen ihnen zur Verfügung stehenden Zeit anzustellen. Im Rahmen der zahlreich vorkommenden Ordnungswidrigkeitenverfahren waren weitere Ermittlungen auch im Hinblick darauf, dass der Kläger deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass er nicht bereit ist, bei weiteren Feststellungen mitzuwirken, nicht geboten. Das rechtmäßig ausgeübte Zeugnisverweigerungsrecht führt zwar zur Einstellung des Bußgeldverfahrens, die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts schließt jedoch die Anordnung eines Fahrtenbuches nicht aus. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Beschluss vom 11. Februar 1999 - 12 L 759/99 -, DAR 1999, 424 f. [OVG Niedersachsen 11.05.1999 - 12 L 2087/99]) ist geklärt, dass die Behörde zu weiteren Ermittlungen, wer einen Verkehrsverstoß begangen habe, nicht gehalten ist, wenn der Fahrzeughalter erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes verweigert und dass dies dann der Fall ist, wenn der Halter auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verweist. Ein "doppeltes Recht" nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender detaillierter Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht (BVerwG, Beschluss vom 11. August 1999, BayVBl. 2000, 380). Ein solches Recht widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen, die auch der Kläger für sich in Anspruch nimmt (BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1995, DAR 95, 459 [BVerwG 22.06.1995 - BVerwG 11 B 7.95]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981, NJW 82, 568).
Die angeordnete Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten ist auch unter dem Gesichtspunkt des der Verwaltungsbehörde im Rahmen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumten Ermessens rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat sein Ermessen vielmehr entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten. Nach dem Zweck des § 31a StVZO sollen insbesondere Fahrer erfasst werden, die Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer gefährden. Dabei ist jedoch gerade kein Nachweis einer konkreten Gefährdung notwendig. Es entspricht dem Zweck der Fahrtenbuchauflage und er stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als ermessensfehlerfrei dar, wenn sich die angeordnete Fahrtenbuchauflage auf einen im Verkehrszentralregister einzutragende Verstoß gründet und nach dem Punktesystem mindestens mit 1 Punkt zu bewerten ist. Bei solchen nicht unerheblichen Verkehrsordnungswidrigkeiten rechtfertigt auch die bloße abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bereits eine Fahrtenbuchauflage. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 20 km/h ist eine Auflage von einem Jahr nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht übermäßig (BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999, BayVBl. 2000, 380). Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine nicht unerhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 24 km/h, die mit 1 Punkt im Verkehrszentralregister zu bewerten gewesen wäre. Die angeordnete Dauer der Führung des Fahrtenbuches von sechs Monaten ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 2.400,00 Euro festgesetzt.
Steffen
Tepperwien