Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 30.08.2012, Az.: 12 A 1642/11

Windergieanlage; Flächennutzungsplan; Konzentrationsflächenplanung; Abwägungsfehler; Unbeachtlichkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
30.08.2012
Aktenzeichen
12 A 1642/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44461
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.d.F. v. 18.08.1997 (BGBl. I S. 2081) ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein fehlerhaftes Abwägungsergebnis, das in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Position eingreift, jedenfalls dann nicht unbeachtlich wird, wenn es in Nutzungsrechte eingreift, die nicht im Rahmen des durch eine Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutzes fortgelten.

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 08.10.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2011 verpflichtet, der Klägerin einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung und des Betriebes einer Windenergieanlage des Typs Nordex N100 mit einer Nennleistung von 2500 kW, einer Nabenhöhe von 100 m und einem Rotordurchmesser von 100 m auf dem Flurstück G. der Gemarkung Auetal zu erteilen.

Der Kostenbescheid des Beklagten vom 14.03.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids.

Unter dem 05.08.2009 beantragte sie einen Vorbescheid nach § 9 Abs. 1 BImSchG für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Nordex N100 mit einer Nennleistung von 2500 kW, einer Nabenhöhe von 100 m und einem Rotordurchmesser von ebenfalls 100 m auf dem Flurstück G. der Gemarkung Auetal.

Das Flurstück liegt etwa 200 m außerhalb einer Fläche, die im Flächennutzungsplan der Beigeladenen seit der am 20.01.1999 in Kraft getretenen 12. Änderung des Flächennutzungsplans als Sonderbaufläche mit der Zweckbestimmung „Vorrangfläche für Windkraftanlagen“ dargestellt ist. Die rund 950 m südlich der Ortschaft Klein Holtensen gelegene Fläche wurde mit der am 15.12.2001 in Kraft getretenen 18. Änderung des Flächennutzungsplans von ursprünglich etwa 10,4 ha um 2,4 ha auf 12,8 ha erweitert. Die insgesamt etwa 1000 m lange Fläche grenzt unmittelbar an die südlich verlaufende Kreisstraße K 62. Über eine Länge von etwa 750 m ist die Fläche durchschnittlich 150 m breit und verjüngt sich in Richtung Nordosten auf etwa 65 m.

Mit Bescheid vom 08.10.2009 lehnte der Beklagte den beantragten Vorbescheid ab: Dem Vorhaben stünden öffentliche Belange entgegen, da mit der Darstellung der Sonderbaufläche mit der Zweckbestimmung „Vorrangfläche für Windkraftanlagen“ im Flächennutzungsplan der Beigeladenen Vorhaben dieser Art außerhalb dieser Fläche ausgeschlossen seien.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch: Die Konzentrationsplanung der Beigeladenen sei unwirksam.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, nachdem er zuvor auf Anregung der Klägerin die Behördenbeteiligung durchgeführt und die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung verneint hatte. In der Begründung des Widerspruchsbescheides wird ausgeführt: Die Konzentrationsplanung der Beigeladenen sei wirksam, insbesondere handele es sich nicht um eine Verhinderungsplanung. Die Beigeladene verfolge mit ihrer Planung unzweifelhaft das Ziel, in dem ausgewiesenen Vorranggebiet die Windenergienutzung zu ermöglichen. Die Fläche von insgesamt 12,8 ha biete hinreichend Raum für den technisch und wirtschaftlich sinnvollen Betrieb von Windenergieanlagen. Der Darstellung dieser Positivflächen, auf der sich zur Zeit drei Windenergieanlagen befänden, liege ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde. Außerdem habe die Beigeladene auch ihr Einvernehmen zu dem beabsichtigten Vorhaben nicht erteilt.

Ebenfalls mit Bescheid vom 14.03.2011 setzte der Beklagte die Kosten für das Widerspruchsverfahren auf 485,40 Euro fest.

Am 15.04.2011 hat die Klägerin Klage erhoben: Obwohl die Beigeladene nach dem Inhalt des Erläuterungsberichts zur 12. Änderung ihres Flächennutzungsplans den Planungserlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 11.07.1996 (39.1-32 346/8.4) - sog. Abstandsempfehlungen - habe berücksichtigen wollen, halte die dargestellte Konzentrationsfläche den Mindestabstand zur Kreisstraße K 62 - Kipphöhe der Anlage, mindestens 50 m - nicht ein. Schon weil Plan und Begründung somit auseinanderfielen, sei der Plan unwirksam. Bei der Planung handele es sich darüber hinaus um eine - im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB nicht erforderliche - Verhinderungsplanung. Denn unter Berücksichtigung des von klassifizierten Straßen wegen der Eiswurfgefahr einzuhaltenden Abstandes verkleinere sich die ohnehin sehr schmale Fläche bei einem Abstand von 50 m auf nahezu die Hälfte, bei einem Abstand von 100 m auf etwas mehr als ein Viertel. Auf einer solchen Fläche ließen sich moderne leistungsfähige Windenergieanlagen nicht mehr realisieren. Die geringe Tiefe der Fläche sei dadurch verursacht, dass die Beigeladene willkürlich von den üblichen Abstandskriterien abgewichen sei und im Norden bzw. im Nordwesten der dargestellten Fläche vorhandenes Flächenpotential nicht genutzt habe. Abweichend von den bereits genannten Abstandsempfehlungen, die den Gesichtspunkt des vorbeugenden Immissionsschutzes durch differenzierte Abstände zu unterschiedlichen Wohnnutzungen bereits vollständig berücksichtigten, habe die Beigeladene zu Siedlungsbereichen einen Abstand von 950 m und damit einem um 450 m größeren Abstand berücksichtigt. Ein solcher Abstand sei nicht aus Gründen des Immissionsschutzes zu rechtfertigen. Sämtliche in den Jahren 1996 bis 1998 erhältlichen Windenergieanlagen - zuletzt Anlagen mit Nabenhöhen von 75 m und Gesamthöhen von 99,8 m - hielten einen Schallleistungspegel von 100 dB(A) ein, so dass in etwa 450 m Entfernung der Nachtrichtwert von 40 dB(A) sicher eingehalten werde. Insbesondere zu der nördlich gelegenen Splittersiedlung Klein Holtensen sei ein Abstand von 950 m nicht gerechtfertigt, da die dort am südlichen Rand vorhandene große Holz- und Baustoffhandlung, mehrere landwirtschaftliche Betriebe und Gebäude, ein Gehölz und die jeweilige Höhelage die Wohnbebauung vollständig von der Windpotentialfläche abschirmten. Dies hätte eher eine Unterschreitung des empfohlenen Abstands als eine Überschreitung gerechtfertigt. Da Windenergieanlagen nicht nur Abstand zu klassifizierten Straßen halten, sondern darüber hinaus mit ihrer gesamten Rotorkreisfläche innerhalb des dargestellten Sondergebietes liegen müssten, könnten auf der dargestellten Fläche maximal zwei Windenergieanlagen errichtet werden. Daher hätte die Beigeladene weniger einschränkende Kriterien zugrunde legen müssen, zumal sie auch noch auf eine weitere Teilfläche südlich der BAB 2 verzichtet habe. Die Konzentrationsflächenplanung der Beigeladenen sei daher im Ergebnis abwägungsfehlerhaft. Mängel des Abwägungsergebnisses seien nach der herrschenden Meinung auch nach § 215 BauGB a.F. als „Ewigkeitsmangel“ angesehen worden. Die Neufassung der Vorschrift habe dies lediglich klarstellen wollen.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 08.10.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2011 zu verpflichten, ihr einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung und des Betriebes einer Windenergieanlage des Typs Nordex N100 mit einer Nennleistung von 2500 kW, einer Nabenhöhe von 100 m und einem Rotordurchmesser von 100 m auf dem Flurstück G. der Gemarkung Auetal zu erteilen,

2. den Kostenbescheid vom 14.03.2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei der Konzentrationsplanung der Beigeladenen handele es sich nicht um eine unzulässige Verhinderungsplanung, da immerhin drei Windenergieanlagen des Typs Nordex N62 mit einer Gesamthöhe von jeweils 99,9 m Gesamthöhe auf der dargestellten Fläche hätten genehmigt werden können. Dem Erläuterungsbericht zur 12. Änderung des Flächennutzungsplanes der Beigeladenen sei zu entnehmen, dass die Beigeladene ihr gesamtes Gemeindegebiet auf seine Eignung hin untersucht habe. Die von ihr angesetzten Pufferzonen zu Siedlungsgebieten seien nicht zu beanstanden. Die Abstandsempfehlungen des Niedersächsischen Innenministeriums seien für die Bauleitplanung nicht verbindlich. Darüber hinaus seien bereits im Zeitpunkt der Planung deutlich größere Windenergieanlagen mit wesentlich höheren Schallleistungspegeln absehbar gewesen. Im Windenergieerlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 26.01.2004 werde nunmehr auch empfohlen, im Rahmen der Abwägung zu Gebieten mit Wohnbebauung einen Abstand von 1000 m vorzusehen. Auf die südlich der BAB 2 gelegene Fläche habe die Beigeladene nicht willkürlich, sondern auf seine Anregung aus Gründen des Landschaftsschutzes verzichtet, zumal dort wahrscheinlich nur eine Anlage hätte errichtet werden können. Weitere Flächen, die nicht in naturschutzrechtlich geschützten Bereichen lägen, stünden nicht zur Verfügung.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Sie trägt vor: Sie habe sich im Planaufstellungsverfahren die Abstandsempfehlungen zu eigen gemacht, die konkreten Abstände zu klassifizierten Straßen jedoch der konkreten Vorhabenplanung überlassen, zumal die konkrete Höhe der Anlagen nicht habe abgesehen werden können. Lediglich die BAB 2 sei berücksichtigt worden, da dort unabhängig von der Anlagenhöhe keine Realisierung von Windenergieanlagen zu erwarten gewesen sei. Der Vorwurf einer Verhinderungsplanung entbehre jeder Grundlage. Die Planung sei auf Realisierung angelegt gewesen, und es seien drei Anlagen errichtet worden. Die Abgrenzung der dargestellten Fläche im Norden und Nordwesten sei auch nicht willkürlich erfolgt, sondern habe sich aus den zugrunde gelegten Abstandskriterien ergeben. Bei Betrachtung der Raumstrukturen der Gemeinde, der sich daraus ergebenden Abstände der Ortsteile zueinander, dem Verlauf der BAB 2 sowie der umfangreichen Waldgebiete und Landschaftsschutzgebiete seien keine weiteren Eignungsflächen vorhanden gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Vorgänge betreffend die 12. und 18. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen Bezug genommen; ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Sie ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihr einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zur planungsrechtlichen Zulässigkeit des von ihr beabsichtigten Vorhabens erteilt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BImSchG kann auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Zu den Genehmigungsvoraussetzungen gehört auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens (§ 9 Abs. 3, § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG), so dass diese zum (alleinigen) Gegenstand des Verfahrens auf Erteilung eines Vorbescheides gemacht werden kann.

Das Vorhaben der Klägerin soll im Außenbereich der Beigeladenen realisiert werden, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB beurteilt. Danach ist ein Vorhaben, das wie hier der Nutzung der Windenergie dient und deshalb im Außenbereich privilegiert zulässig ist, zulässig, wenn die ausreichende Erschließung gesichert ist und öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Errichtung der geplanten Windenergieanlage stehen öffentliche Belange auch nicht deshalb entgegen, weil die Beklagte in ihrem Flächennutzungsplan an anderer Stelle eine Fläche für Windenergieanlagen als Konzentrationsfläche dargestellt hat (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Denn der Flächennutzungsplan der Beigeladenen ist unwirksam.

Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen in der Fassung der 12. bzw. 18. Änderung dürfte allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen fehlender Erforderlichkeit unwirksam sein.

Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist.

Was im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich maßgeblich nach der jeweiligen planerischen Konzeption der Gemeinde (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 01.11.2007 - 4 BN 43.07 -, ZfBR 2008, 182). Grundsätzlich bleibt es der Einschätzung der Gemeinde überlassen, ob sie einen Plan aufstellt, ändert oder aufhebt. Maßgebend sind ihre eigenen städtebaulichen Vorstellungen. Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen; der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (BVerwG, Urt. v. 07.6.2001 - 4 CN 1.01 -, BVerwGE 114, 301-308; ferner Beschl. v. 14.8.1995 - BVerwG 4 NB 21.95 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 1 Nr. 86). Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB sind nur solche Bauleitpläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des BauGB nicht bestimmt sind. Davon ist auszugehen, wenn eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken (BVerwG, Urt. v. 20.05.2010 - 4 C 7/09 -, BVerwGE 137, 74 m.w.N.).

Dem Erläuterungsbericht zur 12. Änderung des Flächennutzungsplans (S. 4) ist zu entnehmen, dass die Beigeladene im Rahmen ihrer Planungshoheit von der Regelung des Planvorbehalts Gebrauch machen wollte, „um durch gezielte Ausweisung von Vorrangstandorten im Sinne von geeigneten Konzentrationsflächen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, insbesondere in den Außenbereichen (pot. Suchräume für WKAs) zu gewährleisten“. Danach entspricht es dem erklärten Planungswillen der Beigeladenen, in der „Vorrangfläche für Windkraftanlagen“ die Nutzung der Windenergie zu ermöglichen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene das Vorranggebiet dargestellt hat, um in Wahrheit eine andere Nutzung der Vorrangflächen zu verhindern, ergeben sich weder aus dem Erläuterungsbericht noch aus dem Aufstellungsvorgang.

Auch der Umstand, dass die dargestellte Vorrangfläche lediglich 12,8 ha groß ist - das sind etwa 0,2 % der Gemeindefläche der Beigeladenen - und unmittelbar an die K 62 angrenzt, nimmt der Planung nicht ihre positive Zielsetzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.05.2010 - 4 C 7/09 -, BVerwGE 137, 74, juris Rdnr. 14). Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit stellt zwar eine Planungsschranke auch für den Fall auf, dass sich eine Planung als nicht vollzugsfähig erweist, weil ihr auf unabsehbare Zeit unüberwindbare rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen (vgl. Urt. v. 12.08.1999 - BVerwG 4 CN 4.98 -, BVerwGE 109, 246; Urt. v. 21.03. 2002 - BVerwG 4 CN 14.00 -, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 110 = DVBl 2002, 1469, Urt. v. 30.01. 2003 - BVerwG 4 CN 14.01 - BVerwGE 117, 351 und v. 18.03: 2004 - BVerwG 4 CN 4.03 - BVerwGE 120, 239). § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB setzt eine Darstellung voraus, bei der eine positive Standortzuweisung mit einer Ausschlusswirkung für das übrige Gemeindegebiet verknüpft wird. Das mit dieser Regelung verfolgte Ziel wird von vornherein verfehlt, wenn die Fläche, die für die vorgesehene Nutzung zur Verfügung stehen soll, für diesen Zweck - etwa aufgrund ihrer geringen Größe, der Windverhältnisse, der Netzanbindungskosten oder nicht auszuräumender immissionsschutzrechtlicher Konflikte - schlechthin ungeeignet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 - 4 C 15/01 -, BVerwGE 287).

Auch davon kann hier wohl - noch - nicht ausgegangen werden. Zwar reicht es - darauf weist die Klägerin zu Recht hin - nicht aus, dass der Turm einer Windenergieanlage innerhalb der in einem Flächennutzungsplan dargestellten Vorrangfläche errichtet wird. Vielmehr muss auch die vom Rotor überstrichene Fläche die äußeren Grenzen der Vorrangfläche einhalten (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.2004 - 4 C 3/04 -, juris Rdnr. 40; VG Hannover, Urt. v. 22.09.2011 - 4 A 1052/10 -, juris). Dass diese Vorgabe auf einer etwa 150 m breiten und etwa 750 m langen Fläche von vornherein nicht eingehalten werden kann, ist jedoch im Hinblick auf die im Zeitpunkt der Planung üblichen Rotordurchmesser von maximal um die 70 m nicht anzunehmen, obwohl die Beigeladene nach dem Inhalt des Erläuterungsberichts außerdem den Empfehlungen des Nds. Innenministeriums hinsichtlich des zu klassifizierten Straßen einzuhaltenden Abstands gefolgt ist. Nach diesen Empfehlungen soll bei der Darstellung von Konzentrationsflächen die Einzelanlage - nicht die Vorrangfläche - Abstand in „Kipphöhe“ zu Bundesautobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen halten. Bei einem Abstand der Anlagen von der - unmittelbar entlang der Kreisstraße K 62 verlaufenden - Grenze der hier dargestellten Vorrangfläche in der damals üblichen Kipphöhe von maximal 100 m verbleiben bei einer rund 150 m breiten Fläche noch etwa 50 m, die ausreichen, um einen Rotorradius von ca. 35 m aufzunehmen. Dass Anlagen dieser Größenordnung möglicherweise zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr technisch und wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden können, ist unerheblich, da die Beigeladene im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan die weitere Entwicklung nur bedingt vorhersehen konnte.

Ob der Flächennutzungsplan der Beigeladenen in der Fassung der 12. bzw. der 18. Änderung gleichwohl wegen fehlender Erforderlichkeit unwirksam ist, kann letztlich jedoch dahingestellt bleiben. Denn die Konzentrationsflächenplanung der Beigeladenen verstößt jedenfalls gegen das Abwägungsverbot des § 1 Abs. 6 BauGB i.d.F. v. 08.12.1986 (BGBl. I, S. 2191) und ist aus diesem Grund unwirksam.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, stellt § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich unter einen Planungsvorbehalt, der sich an die Gemeinden als Träger der Flächennutzungsplanung und an die Träger der Raumordnungsplanung, insbesondere der Regionalplanung, richtet. Dieser Planungsvorbehalt setzt gebietsbezogene Festlegungen des Plangebers über die Konzentration von Windenergieanlagen an bestimmten Standorten voraus, wenn zugleich ein Ausschluss der Anlagen an anderer Stelle im Plangebiet angestrebt und festgeschrieben wird. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verleiht derartigen Festlegungen rechtliche Ausschlusswirkung gegenüber dem Bauantragsteller mit der Folge, dass Vorhaben außerhalb der Konzentrationsflächen in der Regel unzulässig sind. In diesem Sinne bedingen die negative und die positive Komponente der festgelegten Konzentrationsflächen einander. Der Planungsträger ist zwar auch im Hinblick auf die gebotene Förderung der Windenergienutzung nicht gehalten, der Windenergie "bestmöglich" Rechnung zu tragen. Der Ausschluss der Anlagen auf Teilen des Plangebiets lässt sich jedoch nur rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen. Dem Plan muss daher ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht wird. Dagegen ist es einer Gemeinde verwehrt, den Flächennutzungsplan als Mittel zu benutzen, das ihr dazu dient, unter dem Deckmantel der Steuerung Windkraftanlagen in Wahrheit zu verhindern. Mit einer bloßen "Feigenblatt"-Planung, die auf eine verkappte Verhinderungsplanung hinausläuft, darf sie es nicht bewenden lassen. Vielmehr muss sie der Privilegierungsentscheidung des Gesetzgebers Rechnung tragen und für die Windenergienutzung in substanzieller Weise Raum schaffen. Wo die Grenze zur Verhinderungsplanung verläuft, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Wann diese Grenze überschritten ist, kann erst nach einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Planungsraum beurteilt werden. Wenn der Träger der Flächennutzungsplanung der Auffassung ist, für seinen Zuständigkeitsbereich sei es im Hinblick auf entsprechende örtliche Besonderheiten nicht möglich, eine ausgewogene Planung zu beschließen, hat er sich darauf zu beschränken, die Zulassung von Windenergieanlagen im Rahmen der Anwendung von § 35 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Geltendmachen von öffentlichen Belangen im Einzelfall zu steuern (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 - 4 C 15/01-, BVerwGE 117, 287; Urt. v. 13.03.2003 - 4 C 4/02, BVerwGE 118, 33; Urt. v. 21.10.2004 - 4 C 2/04 -, BVerwGE 122, 109; Urt. v. 24.01.2008 - 4 CN 2/07 -, juris).

Den vorstehenden Anforderungen genügen die 12. und damit die 18. Änderung des Flächennutzungsplanes der Beklagten nicht.

Nach dem Inhalt des Erläuterungsberichts zur 12. Änderung des Flächennutzungsplans, den der Erläuterungsbericht zur 18. Änderung insoweit lediglich wiederholt, hat die Beigeladene bei der Standortauswahl zunächst zwischen Tabubereichen, Restriktionsbereichen und Suchbereichen unterschieden. Als Tabubereiche bezeichnet sie alle naturschutzrechtlich definierten Bereiche, wie z.B. Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, geschützte Landschaftsbestandteile, Gewässer usw.. Innerhalb von Tabubereichen sollten - so der Erläuterungsbericht - Vorrangstandorte für Windkraftanlagen nicht ausgewiesen werden, um Nutzungskonflikte zu vermeiden. Restriktionsbereiche werden nach der Vorstellung der Beigeladenen durch einzuhaltende Abstände, die zu Ortslagen und Einzelgehöften (auch zu in Planung befindlichen Siedlungsentwicklungen) sowie zur BAB 2 einzuhalten sind, gebildet. Im Wesentlichen - so der Erläuterungsbericht - ergeben sich Restriktionsbereiche aus den vom Land Niedersachsen empfohlenen und im Erläuterungsbericht abgedruckten Abstandsregelungen. Die nicht als Tabu- oder Restriktionsbereiche gekennzeichneten Flächen stellen potentielle Suchbereiche dar. Um eine Aussage hinsichtlich der Eignung der so ermittelten Suchbereiche in Bezug auf die Realisierung und den Betrieb von Windenergieanlagen zu erhalten, hat die Beigeladene die lokale Windhäufigkeit mittels des von der Universität Paderborn erarbeiteten „Windatlasses“ für die Landkreise Schaumburg, Hameln-Pyrmont und Holzminden ermittelt. Die Bereiche mit einer Windhäufigkeit, die mittlere bis gute Voraussetzungen für den Betrieb von Windenergieanlagen liefert, hat die Beigeladene mit den zuvor ermittelten Suchbereichen abgeglichen und zu einem potentiellen Standort zusammengefasst. Bei der Ermittlung der Restriktionsbereiche hat die Beigelade nach dem Inhalt des Erläuterungsberichts die Abstandsempfehlungen des Nds. Innenministeriums weitgehend, bei den Abständen zu den Siedlungsbereichen jedoch einen um 450 m größerer Abstand (950 m) berücksichtigt. Dazu wird ausgeführt: „Es wird davon ausgegangen, dass aufgrund der Gesamterscheinung von Windkraftanlagen die Belange des Immissionsschutzes (Lärm), Landschaftsschutzes als auch die Belange der Siedlungsentwicklung der jeweils angrenzenden Ortsteile so angemessener berücksichtigt werden können. Es ist davon auszugehen, dass bei einem Abstand von rd. 950 m zur nächsten Siedlung eine Entwicklung innerhalb der (der) Windkraftanlage zugewandten Ortsrandlage möglich bleibt. Gleichzeitig können auftretende Lichtreflexe und Lärmimmissionen im Hinblick auf benachbarte Siedlungsbereiche deutlich gemindert werden. Die Berücksichtigung des genannten Abstandes wird durch aktuelle Rechtsprechung des OVG Münster gestützt. Insbesondere wird hierbei berücksichtigt, dass eine Höhenbegrenzung der Windkraftanlagen nicht vorgenommen wird, so dass ein Abstand in der Größenordnung des 5-8-fachen der Anlagenhöhe berücksichtigt wird.“

Als abwägungsfehlerhaft erweist sich bei dieser Vorgehensweise jedenfalls die pauschale Festlegung von Mindestabständen von 950 m zu sämtlichen Siedlungsgebieten, die im Zusammenspiel mit den weiteren Kriterien dazu führt, dass eine Fläche dargestellt wird, die lediglich Raum für drei Windenergieanlagen bietet. Für sich genommen folgt daraus zwar kein Abwägungsfehler. Größenangaben sind, isoliert betrachtet, als Kriterium ungeeignet, weil die ausgewiesene Fläche nicht nur zur Gemeindegröße, sondern auch zur Größe der Gemeindegebietsteile, die für eine Windenergienutzung, aus welchen Gründen auch immer, nicht in Betracht kommen, in Relation zu setzen ist. Eignet sich nur ein geringer Teil des Gemeindegebiets für eine Windenergienutzung, so lässt sich eine im Vergleich zur Gesamtgröße kleine Konzentrationsfläche schon aus diesem Grunde nicht als Indikator für eine missbilligenswerte Verhinderungstendenz werten (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 - 4 C 15/01, BVerwGE 117, 287). Dass das Gemeindegebiet der Beklagten für eine Windenergienutzung in weiten Teilen schon aufgrund der Topographie, der Waldvorkommen und der zahlreichen Landschaftsschutzgebiete ausscheidet, dürfte unzweifelhaft sein. Gleichwohl gibt es aber eine größere Anzahl von grundsätzlich geeigneten Flächen, deren Ausschluss nicht aufgrund von sachlichen Zwängen, sondern aufgrund der Entscheidung der Beigeladen, von Siedlungsgebieten einen pauschalen Abstand von 950 m zu halten, erfolgt ist. Je kleiner jedoch die ausgewählte Konzentrationsfläche ausfällt, umso höhere Anforderungen sind an die Gründe für die politischen Entscheidungen, die zum Ausschluss weiterer Flächen geführt haben, zu stellen. Die von der Beigeladenen in ihrem Erläuterungsbericht genannten Gründe sind jedoch schon deshalb nicht ausreichend, weil sie sich auf sämtliche Siedlungsgebiete in ihrem Gemeindegebiet gleichermaßen beziehen, ohne zuvor im Einzelnen geprüft zu haben, welche Art von Bebauung sich an den Siedlungsrändern befindet, welchen Schutz vor Lärm/Lichtreflexen dort beansprucht werden kann und ob und welche Entwicklungen in den einzelnen Siedlungsbereichen konkret geplant sind.

Dieser Fehler im Abwägungsvorgang ist nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB i.d.F. v. 18.08.1997 (BGBl. I S. 2081) beachtlich, weil er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Offensichtlich ist der Mangel, weil er sich aus den Aufstellungsvorgängen ergibt. Der Mangel hatte auch Einfluss auf das Abwägungsergebnis, weil die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Beklagte ohne den Mangel der Windenergie mehr Flächen zur Verfügung gestellt hätte (vgl. zu dieser Auslegung BVerwG, Urt. v. 21.08.1981 - 4 C 57/80 -, BVerwGE 64, 33 zu dem gleichlautenden § 155 b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979).

Darüber hinaus ist das Abwägungsergebnis auch fehlerhaft. Denn jedenfalls für den Bereich südlich der Siedlung Klein Holtensen ist davon auszugehen, dass die Beigeladene, hätte sie die gebotene Einzelfallprüfung hinsichtlich des einzuhaltenden Abstands durchgeführt, einen geringeren Abstand für notwendig erachtet und damit der Windenergie mehr Fläche zur Verfügung gestellt hätte. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin befinden sich am südlichen Rand der Siedlung eine große Holz- und Baustoffhandlung, mehrere landwirtschaftliche Betriebe und Gebäude, die durch ein Gehölz und die Höhenlage von der Windpotentialfläche (= Restriktionsfläche) abgeschirmt sind. Eine solche Bebauung ist auch dem von dem Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Satellitenbild zu entnehmen. Gründe, warum von einer derartigen Bebauung entgegen den damaligen Empfehlungen des Niedersächsischen Innenministeriums nicht lediglich 500 m, sondern 950 m Abstand gehalten werden muss, sind weder dem Aufstellungsvorgang noch dem Erläuterungsbericht zu entnehmen. Auch nach dem von der Universität Paderborn erarbeiten „Windatlas“ sind in dem Bereich südlich der Siedlung Klein-Holtensen ebenso wie in der von der Beigeladenen dargestellten Konzentrationsfläche mittlere bis gute Voraussetzungen für den Betrieb von Windenergieanlagen vorhanden. Ein Abstand von 950 m, der nach dem Inhalt des Erläuterungsberichts (S. 7) dem 5- bis 8-fachen der Anlagenhöhe entsprechen soll, lässt sich - entgegen der von der Beigeladenen im Termin der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung - auch nicht damit rechtfertigen, dass der Flächennutzungsplan die Höhe der Windenergieanlagen nicht begrenzt hat, um - so nunmehr die Beigeladene - auf diese Weise der weiteren Entwicklung Rechnung zu tragen. Denn auch Anlagenhöhen bis zu 190 m (= 950 m : 5) rechtfertigen nicht ohne weiteres einen Abstand von 950 m zu Siedlungsbereichen. Darüber hinaus könnten Anlagen dieser Größenordnung auf der lediglich rund 150 m breiten Konzentrationsfläche schon wegen des - auch nach dem Willen der Beigeladenen im Zeitpunkt der Beschlussfassung - einzuhaltenden Abstandes von der unmittelbar südlich der Fläche verlaufenden Kreisstraße ohnehin nicht realisiert werden.

Das somit fehlerhafte Abwägungsergebnis ist auch weiterhin beachtlich.

Nach § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.d.F. v. 18.08.1997 (im Folgenden § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F.) werden Mängel der Abwägung unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren seit Bekanntmachung des Flächennutzungsplans schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Zwar sind Mängel der Abwägung - unstreitig - nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht worden. Bei verfassungskonformer Auslegung erfasst § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. jedoch den hier vorliegenden Mangel im Abwägungsergebnis nicht.

Die Vorschrift, die nach ihrem Wortlaut sowohl Mängel des Abwägungsvorgangs als auch Mängel des Abwägungsergebnisses erfasst, sollte im Hinblick auf die anhaltend hohe Fehleranfälligkeit von Bauleitplänen dem mit fortschreitendem Zeitablauf wachsenden Schutzbedürfnis derer, die auf die Wirksamkeit der Satzungen vertrauen, und ferner dem Umstand Rechnung tragen, dass Bebauungspläne nach aller Erfahrung innerhalb des Zeitraums von sieben Jahren weitgehend in das Vollzugsstadium gelangt oder ihre Wirkung auf andere Weise für die Betroffenen spürbar geworden sind (vgl. Ausschussbericht, BTDrucks. 10 /6166, S. 134). Gegen die Präklusion auch von Mängeln des Abwägungsergebnisses sind im Schrifttum erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG, geäußert worden (vgl. zum Meinungsstand die Übersicht bei Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 215 Rdnr. 77; a.A. Nds. OVG Urt. v. 20.11.2011 - 1 LB 195/10 -, V.n.b). Nach Auffassung der Kammer ist § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein fehlerhaftes Abwägungsergebnis, das in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Position eingreift, jedenfalls dann nicht unbeachtlich wird, wenn es - wie hier - in Nutzungsrechte eingreift, die - anders als bei bereits vollzogenen Bebauungsplänen - nicht im Rahmen des durch eine Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutzes fortgelten.

Die fehlerhafte Konzentrationsflächenplanung der Beigeladenen hat zur Folge, dass den Eigentümern außerhalb der dargestellten Konzentrationsfläche gelegener Grundstücke Nutzungsmöglichkeiten genommen werden, die ihnen ohne die Planung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf diesen Grundstücken konkret zugestanden hätten. Ist eine bauliche Nutzung eines Grundstücks mit dem geltenden öffentlichen Baurecht vereinbar, so hat der Eigentümer einen Rechtsanspruch auf Zulassung dieser Nutzung. Dieser Anspruch ist Bestandteil der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die rechtswidrige Nichterfüllung dieses Anspruchs ist ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. Papier in Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 14 Rdnr. 90). Eine Vorschrift, die einen derartigen Mangel des Abwägungsergebnisses nach Ablauf von sieben Jahren unbeachtlich werden ließe, wäre verfassungswidrig, weil sie nicht im Einklang mit Art. 14 Abs. 1 GG stünde. Denn „Verfassungsverstöße können vom einfachen Gesetzgeber nicht für unbeachtlich erklärt werden“ (Dolde, BauR 1990, 1, 9).

Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 21.08.1981 - 4 C 57/80 -, BVerwGE 64, 33) hat zu § 155 b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979, dessen Wortlaut § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB in der heute noch gültigen Fassung entspricht, Folgendes ausgeführt:

„Die - günstigen oder einschränkenden - Auswirkungen auf das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), die mit jeder Planung verbunden sind und umgekehrt auch dadurch ausgelöst werden können, dass genehmigte und bekanntgemachte Bauleitpläne inzident oder im Wege der Normenkontrolle unmittelbar für ungültig erklärt werden, sowie die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nötigen zu einer engen Auslegung des § 155 b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979, soweit diese Vorschrift die Unerheblichkeit von Abwägungsmängeln für die Gültigkeit von Bauleitplänen anordnet. Verfassungskonform ist die Vorschrift wie folgt auszulegen: …“

Nichts anderes kann für eine Vorschrift gelten, die - wie § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. - Mängel der Abwägung, die nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB bzw. § 155 b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979 grundsätzlich beachtlich sind, nach Ablauf von sieben Jahren für unbeachtlich erklärt.

Ob eine enge - verfassungskonforme - Auslegung des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F nur bei besonders schwerwiegenden Mängeln im Abwägungsergebnis geboten ist - nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 02.01.2001 - 4 BN 13/00 -, juris, Rdnr. 9) könne nur dann die weitere Beachtlichkeit von Abwägungsmängeln „ernsthaft diskutiert werden“ - kann dahingestellt bleiben. Denn bei dem Eingriff in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Position handelt es sich um einen schwerwiegenden Mangel. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob sich aus Art. 19 Abs. 4 GG nur dann durchgreifende Bedenken gegen die Sieben-Jahres-Frist ergeben können, wenn ein Bebauungsplan zunächst nicht verwirklicht wird (so wohl BVerwG, Beschl. v. 02.01.2001 - 4 BN 13/00 -, juris, Rdnr. 8; Beschl. v. 11.05.1999 - 4 BN 15/99 -, juris, Rdnr. 10 a.E.). Denn die von der Negativwirkung einer Konzentrationsflächenplanung betroffenen Grundstückseigentümer genießen - anders als die von bereits vollzogenen Bebauungsplänen betroffenen Grundstückseigentümer - naturgemäß keinen durch eine Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutz.

Gegen die - eine verfassungskonforme Auslegung gebietende - Verfassungswidrigkeit der Unbeachtlichkeit von Mängeln des Abwägungsergebnisses nach Ablauf von sieben Jahren kann auch nicht angeführt werden, dass auch rechtwidrige Verwaltungsakte nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bestandskräftig werden. Denn Verwaltungsakte regeln lediglich Einzelfälle, während es sich bei Bauleitplänen um Normen im materiellen Sinne handelt, in deren Gebotsbereich ständig neue Adressaten hineinwachsen. Wer - wie hier die Klägerin - erst nach Fristablauf ein dem Bauleitplan widersprechendes Vorhaben plant und zur Genehmigung stellt, hat - anders als der Adressat oder sonst Betroffene eines Verwaltungsaktes - niemals die Chance einer Normanfechtung gehabt (vgl. Peine, NVwZ 1989, 637, 639 [BGH 26.01.1989 - III ZR 194/87]).

Ebenso wenig lässt sich die Verfassungsmäßigkeit der Unbeachtlichkeit von Mängeln des Abwägungsergebnisses nach Ablauf von sieben Jahren mit dem Hinweis auf die Präklusionsvorschriften des Planfeststellungsrecht begründen. Die Präklusion dort ist Ausfluss einer dem Betroffenen eingeräumten besonderen verfahrensrechtlichen Rechtsstellung, die mit einer Mitwirkungslast verbunden ist. Die Beteiligung potentiell betroffener Dritter am Planfeststellungsverfahren hat nicht nur den Zweck, die Genehmigungsbehörde umfassend zu informieren; sie soll darüber hinaus den Dritten auch in einem möglichst frühzeitigen Stadium Einfluss auf das Verfahren gewähren, in dem diese beizeiten die ihnen bedeutsam erscheinenden Gesichtspunkte hervorheben und in den Entscheidungsprozess einbringen können. Die Wahrnehmung der ihnen gewährten, in ihrer Bedeutung einem vorgezogenen Rechtsschutz gleichkommenden Beteiligungs- und Anhörungsrechte geschieht daher in Ausübung eines Einwendungsrechts. Die Präklusion im Planfeststellungsverfahren knüpft damit an den Umstand an, dass jemand eine ihm verfahrensrechtlich eingeräumte Rechtsposition zum vorbeugenden Schutz seiner Rechtsgüter nicht wahrnimmt; dann soll der Betreffende nicht nachträglich ein Ergebnis, auf das er Einfluss nehmen konnte, aber nicht genommen hat, wieder in Frage stellen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.07.1980 - 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297). An der planerischen Abwägung der Gemeinde ist der Bürger dagegen nicht beteiligt. Er hat insoweit keine Rechtsstellung, die mit einer Mitwirkungslast verbunden ist. Er genügt seiner Mitwirkungslast, wenn er Bedenken und Anregungen in dem der Abwägungsentscheidung der planenden Gemeinde vorgeschalteten Auslegungsverfahren vorbringt. An der Abwägung selbst ist der Bürger nicht beteiligt. Kenntnis der gesamten Aufstellungsvorgänge, aus denen sich Abwägungsfehler in der Regel erst vollständig erkennen lassen, hat er nicht. Damit soll er etwas rügen, was er nicht kennen kann (vgl. Dolde, BauR 1990, 1,9).

Eine - restriktive - verfassungskonforme Auslegung des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. ist entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. z.B. Gern/Schneider, VBlBW 1998, 125, 129) auch möglich. Der Wortlaut der Vorschrift steht nicht entgegen, da die Formulierung „Mängel der Abwägung“ insoweit nicht eindeutig ist und entweder Mängel des Abwägungsvorgangs und Mängel des Abwägungsergebnisses oder Mängel nur des einen oder des anderen erfassen kann.

Die hier verfassungskonforme Auslegung scheitert auch nicht daran, dass diese im Ergebnis dem Willen des Gesetzgebers widerspricht. § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. beruht auf der Empfehlung des federführenden Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Dieser hielt die Befristung der Geltendmachung von Mängeln der Abwägung für notwendig, um „unvertretbare Folgen zu vermeiden, die sich daraus ergeben, dass im gerichtlichen Verfahren zunehmend Abwägungsfehler und damit die Ungültigkeit von Bebauungsplänen angenommen werden“. Der Schutz der auf den Bestand des Bebauungsplans Vertrauenden sei um so höher, je länger er Grundlage für durchgeführte Maßnahmen sei. Es entspreche den Erfahrungen der Praxis, dass die Bauleitpläne innerhalb von sieben Jahren nach dem Inkrafttreten in der Mehrzahl weitgehend in das Stadium des Vollzugs gelangt seien oder ihre Wirkung sonst spürbar geworden sei. Es sei daher zu erwarten, dass auch Mängel der Abwägung, besonders wenn sie schwer und offenkundig seien, innerhalb von sieben Jahren von Betroffenen geltend gemacht würden. Auch im Hinblick auf verfassungsrechtliche Fragen werde hierbei berücksichtigt, dass mit zunehmendem Vollzug rechtlich und tatsächlich Verhältnisse geschaffen würden, die zunehmend ein berechtigtes Vertrauen der Planbetroffenen wachsen ließen, wobei das Allgemeinwohl - das öffentliche Interesse am wirksamen Bestand des Bauleitplans - ebenfalls zunehmend an Gewicht gewinne. Im Übrigen sei die Befristung der Geltendmachung von Abwägungsmängeln an die Grundsätze des Ausschlusses von Einwendungen gegen Planfeststellungen sowie an die Sieben-Jahres-Frist im Planungsschadensrecht (§ 42 Abs. 2 BauGB) angelehnt (vgl. BT-Drs 10/6166, S. 134).

Entspricht es somit dem Willen des Gesetzgebers, auch besonders schwerwiegende Mängel der Abwägung, also auch Mängel des Abwägungsergebnisses, die in eine verfassungsrechtlich geschützte Position eingreifen, nach Ablauf von sieben Jahren unbeachtlich werden zu lassen, steht dies einer restriktiven verfassungskonformen Auslegung gleichwohl nicht entgegen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf zwar bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Gesetzeszweck nicht außer Acht gelassen werden. Dies schließt jedoch nur eine Auslegung aus, die über den Willen des Gesetzgebers hinaus geht oder ihn in ihr Gegenteil verkehrt. Die hier vorgenommene restriktive Auslegung ist jedoch zulässig, weil sie dem Willen des Gesetzgebers wenigstens insoweit entspricht, als er mit der Verfassung im Einklang steht. Im Ergebnis wird „von der Absicht des Gesetzgebers das Maximum dessen aufrechterhalten, was nach der Verfassung aufrechterhalten werden kann“ (BVerfG, Beschl. v. 11.06.1958 - 1 BvL 149/52 - BVerfGE 8, 28, 34).

Erweisen sich die 12. Änderung und damit die 18. Änderung des Flächennutzungsplans der Beklagten mithin als unwirksam, steht § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB dem Vorhaben der Klägerin nicht entgegen.

Sonstige öffentliche Belange, die dem Vorhaben widersprechen könnten, sind im Rahmen der von dem Beklagten durchgeführten Behördenbeteiligung nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Nach § 9 Abs. 1 BImSchG soll jedoch durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen und über den Standort der Anlage nur entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Wie bei der Teilgenehmigung gemäß § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG - können die Auswirkungen der geplanten Anlage positiv beurteilt werden, wenn eine vorläufige Beurteilung ergibt, dass der Errichtung und dem Betrieb der gesamten Anlage keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse im Hinblick auf die Genehmigungsvoraussetzungen entgegenstehen (vgl. zu dieser Voraussetzung im Einzelnen OVG Lüneburg, Urt. v. 12.11.2008 - 12 LC 72/07 -, juris; Urt. v. 21.04.2010 - 12 LC 9/07- , juris). Davon kann hier nach dem Inhalt der Antragsunterlagen ohne weiteres ausgegangen werden.

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides, denn die zur Überprüfung gestellte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Windkraftanlagen ist für ihr Vorhaben von zentraler Bedeutung.

Der Kostenbescheid der Beklagten vom 14.03.2011 ist ebenfalls aufzuheben, da mit der Aufhebung der im Widerspruchsbescheid enthaltenen Kostenentscheidung die Grundlage für eine Kostenerstattung durch die Klägerin entfallen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. mit § 709 Satz 2 ZPO.

Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Frage, welche Mängel der Abwägung von § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.d.F. v. 18.08.1997 (BGBl. I S. 2081) erfasst werden, eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage mit Bedeutung über diesen Einzelfall hinaus darstellt.