Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 30.11.2004, Az.: 1 Ws 569/04
Schlechterstellung eines psychisch kranken Straftäters bei fehlendem Zusammenhang zwischen Krankheit und der vergangenen und künftig zu besorgenden Straffälligkeit; Erledigterklärung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus trotz hohen Rückfallrisikos
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 30.11.2004
- Aktenzeichen
- 1 Ws 569/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 24202
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2004:1130.1WS569.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 21.10.2004 - AZ: 17 StVK 800/03
Rechtsgrundlagen
- § 64 StGB
- § 63 StGB
- § 67e StGB
- § 67d Abs. 6 StGB
Fundstellen
- RPsych (R&P) 2005, 87-88
- StraFo 2005, 80-81 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Betreffend Herrn L ... , geboren am ... in ... , zur Zeit untergebracht im ...
Amtlicher Leitsatz
Ein psychisch kranker Straftäter, dessen Krankheit keinen Zusammenhang mit seiner vergangenen und künftig zu besorgenden Straffälligkeit besitzt, darf nicht schlechter gestellt werden, als ein gesunder Straftäter. Trotz hohen Rückfallrisikos ist seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus deshalb für erledigt zu erklären.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück, Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Lingen, vom 21.Oktober 2004, durch den die durch Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 23. Mai 2002 angeordnete Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt - durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade vom 6. November 2002 umgewandelt in Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - für erledigt erklärt worden ist, wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen hat gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1StPO die Staatskasse zu tragen.
Gründe
Das Landgericht Osnabrück hat mit Urteil vom 23. Mai 2002 den schon früher u.a. wegen Betäubungsmitteldelikten und Diebstählen bestraften Verurteilten wegen zweier vollendeter und eines versuchten Diebstahls in schweren Fällen, die er zur Finanzierung seiner Drogensucht beging, unter Zubilligung verminderter Schuldfähigkeit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt. Zugleich ist wegen der Drogensucht des Verurteilten seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet worden.
Diese Maßregel wurde seit dem 29. August 2002 vollstreckt. Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade vom 6. November 2002 wurde die weitere Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Beschluss wurde damit begründet, dass Sachverständige eine vorrangig zu behandelnde schizophrene Psychose des Verurteilten diagnostiziert hätten, die eine Drogenentwöhnungstherapie nach § 64 StGB nicht zulasse. Aufgrund dieser Entscheidung ist der Verurteilte seit dem 11. Dezember 2002 im Landeskrankenhaus Osnabrück untergebracht. Eine dort durchgeführte Methadon-Substitutionsbehandlung wurde inzwischen abgeschlossen.
Im Verfahren zur Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung nach § 67e StGB hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück in Lingen ein Gutachten des Sachverständigen Dr. K ... eingeholt. Dieser ist im wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, der Verurteilte leide seit etwa 12 Jahren an einer paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie; zudem liege seit seinem 15. Lebensjahr eine verfestigte Drogenabhängigkeit in Form einer Polytoxikomanie vor. Die bisherige Kriminalität des Verurteilten sei nicht durch seine psychische Erkrankung verursacht worden, sondern beruhe auf seiner Drogenabhängigkeit. Zwischen der Schizophrenie und der Polytoxikomanie des Verurteilten lasse sich auch kein additiver Aspekt feststellen. Es sei wegen der bereits seit langen Jahren bestehenden Drogenabhängigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig mit einer Beschaffungskriminalität des Verurteilten auf dem Niveau seiner bisherigen Straftaten zu rechnen. Das Risiko künftiger Gewalttaten sei hingegen - auch in Hinblick auf die paranoid halluzinatorische Schizophrenie des Verurteilten - eher unterdurchschnittlich. Eine medizinischpsychotherapeutische Behandlung des Verurteilten mit dem Ergebnis einer tatsächlich strukturell nachhaltig wirksamen Veränderung sei ebenso wenig möglich wie die Behandlung der 30 Jahre andauernden Drogenabhängigkeit. Alle Möglichkeiten, die Schizophrenie zu behandeln, seien ausgeschöpft worden.
Mit Beschluss vom 21. Oktober 2004 hat das Landgericht Osnabrück daraufhin die Unterbringung wegen Wegfalls ihrer Voraussetzungen nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt und zu der kraft Gesetzes eingetretenen Führungsaufsicht nähere Bestimmungen getroffen.
Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung die Unterbringung zu Recht nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt, weil die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen.
Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Beschwerde mit einer von ihr gesehenen Wechselwirkung zwischen der Drogensucht und der Schizophrenie des Verurteilten, der wegen seiner psychischen Erkrankung zu Drogen greife und deshalb auch künftig für die Allgemeinheit gefährlich sei.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Denn eine solche Wechselwirkung oder einen additiven Effekt zwischen der Polytoxikomanie und der Schizophrenie hat der Sachverständige Dr. K... mit überzeugenden Erwägungen verneint. Er hat vielmehr gerade keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass die schizophrene Erkrankung Anlass oder Mitursache für die Straftaten des Untergebrachten war und künftige Straftaten wahrscheinlich mache. Das vom Sachverständigen gesehen hohe Risiko einer künftigen Beschaffungskriminalität beruht allein auf der Suchtstruktur des Verurteilten.
Mithin ist nunmehr davon auszugehen, dass die psychische Erkrankung des Verurteilten als solche oder Auswirkungen dieser Krankheit keine künftige Gefährdung der Allgemeinheit bewirken. Ein gesetzlicher Grund für eine Aufrechterhaltung der Unterbringung besteht deshalb nicht mehr. Die nicht auf seiner psychischen Erkrankung beruhende Drogenabhängigkeit des Verurteilten reicht für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht aus, vgl. BGHSt 44, 338 (339) [BGH 08.01.1999 - 2 StR 430/98]; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 63 Randnote 9 m.w.Nachw..
Das gilt trotz des aufgrund der Drogensucht des Verurteilten gegebenen hohen Rückfallrisikos. Ein solches Risiko besteht häufig auch bei psychisch gesunden Verurteilten. Es rechtfertigt nach dem Gesetz aber als solches keinen über die Vollverbüßung der Strafe hinausgehenden Freiheitsentzug, sofern nicht die Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung vorliegen. Ein psychisch kranker Straftäter, dessen Krankheit keinen Zusammenhang mit seiner vergangenen und künftig zu besorgenden Straffälligkeit besitzt, darf nicht schlechter gestellt werden, als ein psychisch gesunder Straftäter.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft war nach alledem als unbegründet zu verwerfen. Da auch eine Rücküberweisung des Verurteilten in eine Erziehungsanstalt (§ 64 StGB) wegen der fehlenden Erfolgsaussicht einer Behandlung nicht mehr in Betracht kommt, verbleibt es bei der Erledigung der Maßregel und der vom Landgericht näher ausgestalteten Führungsaufsicht.
Der Verurteilte ist nunmehr in den Strafvollzug zu überführen, um dort seine Strafe zu verbüßen.