Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 06.12.2004, Az.: Ss 398/04 (I 135)
80 km/h; Bahnverkehr; Eisenbahnzug; Fahrgast; gefährlicher Eingriff; Geschwindigkeit; Hindernisbereiten; Hinderniserrichten; konkrete Gefahr; konkretes Gefährdungsdelikt; Körperverletzungsgefahr; Leben; Leib; objektiver Tatbestand; Schnellbremsung; Tatbestandsmerkmal; Tatbestandsmäßigkeit; Vollbremsung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 06.12.2004
- Aktenzeichen
- Ss 398/04 (I 135)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 51093
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 08.09.2004 - AZ: 7 Ds 118/04 - 184 Js 17096/04
Rechtsgrundlagen
- § 315 Abs 1 Nr 2 StGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Schnellbremsung eines 80 km/h schnell fahrenden Eisenbahnzuges bewirkt eine konkrete Gefahr von Verletzungen der Fahrgäste im Sinne von § 315 Abs 1 StGB.
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Jever vom 8. September 2004 wird auf seine Kosten als unbegründet mit der Maßgabe verworfen, dass die angewendete Strafvorschrift § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB lautet.
Gründe
Das Amtsgericht Jever hat den Angeklagten am 8. September 2004 wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Nach den Urteilsfeststellungen stand der Angeklagte am 1. Februar 2004 gegen 16.25 Uhr mit seinem Fahrrad auf dem Bahnübergang der Strecke S ..., Abschnitt S .../H ... . Obwohl der Triebfahrzeugführer der Nordwestbahn, der sich mit der damals zulässigen Geschwindigkeit von 80 km/h dem Bahnhof H ... näherte und etwa 200 bis 250 m vor dem Bahnübergang den auf den Schienen stehenden Angeklagten wahrnahm und zunächst ein- bis zweimal den kurzen Warnpfiff aktivierte, verließ der Angeklagte die Schienen nicht. Der Zugführer aktivierte daraufhin einen langen Pfeifton. Der Angeklagte blieb zunächst weiter auf den Schienen stehen. Erst als der Zugführer die sog. Schnellbremsung eingeleitet und sich dem Angeklagten bis auf eine Entfernung von etwa 50 m genähert hatte, verließ der Angeklagte die Schienen. Der Zug, in dem sich etwa 50 bis 60 Passagiere befanden, kam etwa 10 m nach dem vorherigen Standort des Angeklagten zum Stehen.
Mit seiner (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte, das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, sein Verhalten habe zu einer konkreten Gefährdung im Sinne von § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB geführt.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen die Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr (Vergehen nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB, nicht aber - wie vom Amtsgericht ersichtlich versehentlich zitiert - Vergehen nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Dazu, ob die vom Angeklagten erzwungene Zugbremsung eine konkrete Gefahr im Sinne von § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB bewirkte, hat das Amtsgericht festgestellt, dass die „Schnellbremsung“, die stärkste aller möglichen Bremsstufen eines Zuges, der Vollbremsung eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr gleichzusetzen sei (UA Bl. 3). Aus der anschließenden Erwägung des Richters, es spiele keine Rolle, ob ein Passagier verletzt worden sei oder nicht, sowie aus dem bei der Strafzumessung angeführten Klammerzusatz „(Gefährdung von 50 – 60 Fahrgästen)“ ergibt sich, dass das Amtsgericht eine Körperverletzungsgefahr der 50 bis 60 Zuginsassen als Folge des vom Angeklagten erzwungenen abrupten Bremsmanövers festgestellt hat.
Das Fehlen einer näheren Darstellung dieser Gefahr ist hier unschädlich, weil die konkrete Gefahr von Verletzungen anderer Menschen unter den gegebenen Umständen allgemeiner Lebenserfahrung entsprach. Fahrgäste eines Zuges sind nicht angeschnallt, sie sitzen teils mit dem Gesicht in Fahrtrichtung und bewegen sich nicht selten sogar stehend oder gehend frei in den Abteilen und Gängen (etwa beim Hantieren an Gepäckstücken oder auf dem Weg zu den Toiletten). Es liegt daher auf der Hand, dass eine Schnellbremsung der festgestellten Art von 80 km/h auf 0 km/h mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu Stürzen und Verletzungen von Fahrgästen führen kann, so dass es nur vom Zufall abhängt, ob sich diese konkrete Gefahr im Einzelfall verwirklicht oder nicht.
Die in der Revisionsbegründung zitierten Entscheidungen betreffen grundlegend andere Fallgestaltungen. In der Entscheidung des OLG Frankfurt (StV 1985, 111-112) ging es um den seitlichen Zusammenstoß eines PKW mit einer Straßenbahn; eine Vollbremsung war in diesem Fall gerade nicht festgestellt worden. Auch in der weiterhin angeführten Entscheidung des OLG Zweibrücken (VRS 32, 376) ging es um den innerörtlichen Zusammenstoß eines PKW mit einer Straßenbahn, die ca. 40 km/h schnell fuhr.
Auch im Übrigen weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.