Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.06.2024, Az.: 1 Ws 148/24 (StrVollz)

Vertrauensschutz des Strafgefangenen bei Wechsel der Einrichtung in der Sicherungsverwahrung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
17.06.2024
Aktenzeichen
1 Ws 148/24 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 18976
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0617.1WS148.24STRVOLLZ.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 12.04.2024 - AZ: 54 StVK 119/22

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem Wechsel der Einrichtung in der Sicherungsverwahrung genießt der Gefangene grundsätzlich Vertrauensschutz, wenn ihm von der früheren Anstalt eine Erlaubnis zum Besitz eines Gegenstandes eingeräumt worden war.

  2. 2.

    Vor einer Besitzuntersagung durch die neue Anstalt hat eine Abwägung des Interesses der Allgemeinheit gegen das Interesse des Strafgefangenen am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage zu erfolgen.

In der Maßregelvollzugssache
des F. K.,
geboren am ...,
zurzeit in der JVA R.
- Antragstellers und Beschwerdeführers -
gegen die Justizvollzugsanstalt R.,
vertreten durch deren Leiterin
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Aushändigung von Stabantennen
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, die Richterin am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Oberlandesgericht XXX am 17. Juni 2024 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der 54. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 12. April 2024 sowie die mündlich ergangene Entscheidung der Antragsgegnerin, mit dem der Antrag auf Herausgabe von in seiner Habe befindlichen Stabantennen abgelehnt worden war, aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über den Antrag des Antragstellers vom 17. Oktober 2022 (Herausgabe von Stabantennen) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der ersten Instanz sowie die dem Antragsteller insgesamt entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 500,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller befand sich von 2019 bis 2022 in der Justizvollzugsanstalt M. in der Sicherungsverwahrung. Am 6. September 2022 ist er in die Anstalt der Antragsgegnerin verlegt worden, in der er sich schon vor seiner Zeit in der Justizvollzugsanstalt M. befunden hatte.

Bereits im Jahr 2016 ist ihm durch die Antragsgegnerin der Besitz eines Radioempfangsgeräts mit einer Stabantenne unter Verweis auf die allgemeine Hausordnung versagt und lediglich eine Wurfantenne überlassen worden. Sein dagegen gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung und seine Rechtsbeschwerde sind ohne Erfolg geblieben.

Nach seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt M. hat der Antragsteller am 16. Januar 2020 erneut die Aushändigung einer Stabantenne für den Betrieb seines Radioempfangsgeräts beantragt, welche ihm noch am selbigen Tag ausgehändigt worden ist. Anders als in der Justizvollzugsanstalt der Antragsgegnerin beinhaltete die dortige Hausordnung kein Verbot des Besitzes von Stabantennen im eigenen Unterkunftsbereich.

Nach seiner Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt der Antragsgegnerin hat der Antragsteller begehrt, seine Radioempfangsgeräte - wie zuvor in der JVA M. praktiziert - mittels einer Stabantenne betreiben zu dürfen. Seinen entsprechenden Antrag hat die Antragsgegnerin mündlich unter Hinweis auf die weiterhin geltende Hausordnung zurückgewiesen und ihm lediglich Wurfantennen zur Verfügung gestellt. Zur Begründung hat sie auf die abstrakte Gefährlichkeit einer Stabantenne als Versteck und gefährliches Werkzeug verwiesen.

Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 17. Oktober 2022 hat die 54. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen hat mit Beschluss vom 12. April 2024 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Versagung angesichts einer abstrakt bestehenden Gefahr für die Sicherheit der Anstalt zu Recht erfolgt sei. Die Gefahr sei im zugrundeliegenden Fall aufgrund der Versteckmöglichkeiten im Hohlkörper der Antenne sowie einer möglichen Umgestaltung als gefährliches Werkzeug begründet, welcher auch nicht durch zumutbaren Kontrollaufwand begegnet werden könne. Dass der Antragsteller in einer vorherigen Einrichtung ein solches Gerät besessen hat, stehe der Versagung nicht entgegen, da der Sicherheitsstandard der jeweiligen Anstalt maßgeblich sei.

Gegen diesen Beschluss, der dem Verurteilten am 18. April 2024 zugestellt wurde, wendet sich der Verurteilte mit seiner Rechtsbeschwerde vom 21. Mai 2024. Der Antragsteller beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Antragsgegnerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden. Der Antragsteller macht geltend, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin den Vertrauensschutz verletze und zudem etwaigen Gefahren bei Benutzung einer Stabantenne mit zumutbarem Kontrollaufwand begegnet werden könne. Auch habe er die Empfangsgeräte in der anderen Anstalt mehrere Jahre ohne Missbrauch betrieben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Rechtsbeschwerdeschrift Bezug genommen.

Der Zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Zwar habe die Kammer den Gesichtspunkt des Bestands- und Vertrauensschutzes unter Hinweis auf den jeweiligen Sicherheitsstandard zu Unrecht nicht erwogen. Hierauf käme es im Ergebnis jedoch nicht an, da eine Nutzungsmöglichkeit der Empfangsgeräte auch mittels einer Wurfantenne gewährleistet sei.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 118 StVollzG) erhobene Rechtsbeschwerde ist zulässig. Denn es ist geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Es gilt, der Gefahr einer Wiederholung des nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehlers entgegenzuwirken.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat (jedenfalls vorläufig) Erfolg. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Antragsgegnerin gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG.

1. Sie deckt mit der Sachrüge durchgreifende Rechtsfehler auf. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung rechtsfehlerhaft zurückgewiesen.

Zwar ist die Strafvollstreckungskammer im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass nach der maßgeblichen Vorschrift des § 23 S. 1 Nds. SVVollzG der Sicherungsverwahrte eigene Sachen besitzen darf, soweit nicht Gründe der Sicherheit der Anstalt entgegenstehen und im Hinblick auf den Angleichungsgrundsatz des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nds. SVVollzG es für den Besitz von Sachen keiner gesonderten Erlaubnis bedarf (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23. Mai 2019 - 3 Ws 101/19 -, Rn. 10, juris).

Auch hat die Strafvollstreckungskammer dabei in den Blick genommen, dass die Versagung des Besitzes eines Gegenstandes aus Gründen einer von ihm ausgehenden zumindest abstrakten, in nachprüfbarer Weise festgestellten Gefahr von einigem Gewicht für die Sicherheit der Anstalt grundsätzlich zulässig ist (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 22. Ed. 15.1.2024, Nds. SVVollzG § 23 Rn. 12).

So stellen die Antragsgegnerin und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer zu Recht darauf ab, dass eine Stabantenne sowohl als Versteckmöglichkeit genutzt als auch missbräuchlich geschärft werden und damit zur einem gefährlichen Werkzeug umfunktioniert werden könnte. Diese abstrakte Gefahr einer Nutzung wäre demnach auch prinzipiell geeignet, um eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt zu begründen. Irrelevant ist hierbei - wie auch die Strafvollstreckungskammer zu Recht ausgeführt hat - ob konkret ein Missbrauch der Gegenstände durch den Antragsteller zu befürchten ist.

2. Nicht zu folgen ist der Strafvollstreckungskammer allerdings darin, dass der Antragsteller sich vorliegend auf Bestandsschutz nicht berufen könne, da die Erlaubnis zum Besitz eines Gegenstandes stets nur für die jeweils genehmigende Vollzugsanstalt erfolge und ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der erteilten Erlaubnis daher stets nur für den Bereich der jeweils genehmigenden Vollzugsanstalt entstehen könne.

Bei nachträglichem Entzug einer einmal gewährten Rechtsposition ist stets zu beachten, ob das Vertrauen den Fortbestand einer einmal eingeräumten Rechtsposition enttäuscht werden darf. Dabei nötigt das Rechtsstaatsgebot und das auf ihm basierende Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes zwar nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass jede einmal erworbene Rechtsposition ungeachtet der Rechtslage Bestand haben muss. Erforderlich ist aber eine an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit ausgerichtete, im Einzelfall vorzunehmende Abwägung des Interesses der Allgemeinheit gegen das Interesse des Strafgefangenen am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.10.1993 - 2 BvR 672/93 sowie Kammerbeschluss vom 10.02.1994 - 2 BvR 2687/93, jeweils bei juris).

Für den Bereich des Strafvollzugs ist anerkannt, dass schutzwürdiges Vertrauen eines Gefangenen auf den Bestand einer ihm einmal erteilten Erlaubnis zum Besitz eines Gegenstandes auch nach einer Verlegung in eine andere Vollzugsanstalt fortwirken kann (vgl. Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 70 Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Januar 2024 - III-1 Vollz 593/23 -, Rn. 18, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Januar 2023 - 1 Vollz (Ws) 138/22 -, Rn. 15, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. April 2022 - III-1 Vollz (Ws) 38/22 -, Rn. 12, juris; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Kap. G Freizeit Rn. 39, 40, beck-online; Goldberg in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 5. Kapitel Freizeit). Etwas anderes kann sich allenfalls dann ergeben, wenn die Erlaubnis ausdrücklich auf die bisherige Anstalt beschränkt worden ist, da in diesem Fall schon ein Vertrauen von vornherein begrenzt war (vgl. Goldberg in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 5. Kapitel Freizeit, Rn. 31).

Nichts anderes kann für den Vollzug der Sicherungsverwahrung gelten, bei dem zudem aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Abstandsgebot ein im Vergleich zum Strafvollzug erhöhter Aufwand bei der Kontrolle der Unterkunftsbereiche hinzunehmen ist (vgl. vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23. Mai 2019 - 3 Ws 101/19 -, Rn. 10, juris).

Nach den vorstehenden Grundsätzen hätte daher bei der Entscheidung über die Herausgabe von Stabantennen anstelle von Wurfantennen berücksichtigt werden müssen, dass ein vom Antragsteller gebildetes Vertrauen in den Bestand der ihm in der Justizvollzugsanstalt Meppen gewährten Rechtsposition bei einer erneuten Verlegung in die Justizvollzugsanstalt der Antragsgegnerin fortwirken kann. Dies ist jedoch unterblieben.

Vielmehr ist die Strafvollstreckungskammer in ihrer Entscheidung rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein bei der Bescheidung des Antrags auf Herausgabe der Stabantennen zu beachtender Bestandsschutz von vornherein nicht bestehe. Soweit die Strafvollstreckungskammer auf den jeweiligen Sicherheitsstandard einer Anstalt verweist, mag dieser Gesichtspunkt bei einer Neubewertung des Entzugs der gewährten Rechtsposition zu beachten sein (vgl. Goldberg in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 5. Kapitel Freizeit m.w.N.).

3. Aufgrund der vorgenannten Rechtsfehler hebt der Senat nicht nur den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer, sondern auch den Ausgangsbescheid auf und verpflichtet die Antragsgegnerin, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden, weil die Sache insoweit spruchreif ist (§ 102 NJVollzG i. V. m. § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

Eine Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer scheidet aus, weil die aufgeführten Rechtsfehler schon die Entscheidung der Antragsgegnerin erfasst haben und die Strafvollstreckungskammer deshalb keine eigene Sachentscheidung treffen könnte.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.

V.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.