Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.06.2024, Az.: 2 Ws 137/24

Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Reststrafe im Zusammenhang der Verurteilung wegen bandenmäßigen Handels mit BtM; Auswirkungen des Konsumcannabisgesetzes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.06.2024
Aktenzeichen
2 Ws 137/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 16743
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0612.2WS137.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 08.05.2024 - AZ: 79 StVK 4/24

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG mit einem im Einzelfall niedrigeren Strafrahmen für die abgeurteilte Anlasstat in Kraft getreten ist, findet im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Absatz 2 Nummer 2 Strafgesetzbuch keine Berücksichtigung.

  2. 2.

    Eine lange Dauer der Untersuchungshaft hat im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung, ob besondere Umstände im Sinne von § 57 Absatz 2 Nummer 2 Strafgesetzbuch gegeben sind, außer Betracht zu bleiben, denn es obliegt allein der Entscheidung des Verurteilten, ob er durch die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte eine längere Zeit in Untersuchungshaft in Kauf nimmt oder im Rahmen der für ihn ansonsten möglichen und früheren Strafhaft bereits an seiner Resozialisierung sowie an den Vollzugszielen arbeitet.

In der Strafvollstreckungssache
gegen O. Y.,
geboren am ...,
zurzeit: JVA H.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt Dr. N., H. -
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Direktorin des Amtsgerichts XXX am 12. Juni 2024 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der

3.Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 8. Mai 2024 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die dort festgesetzte Antragssperrfrist auf 3 Monate verkürzt wird.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

Gründe

I.

Der Verurteilte verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten aus einer Verurteilung durch das Landgericht Bückeburg vom 11. April 2022 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die Hälfte der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe war am 7. März 2024 verbüßt; der Ablauf von 2/3 der Strafe ist auf den 4. Februar 2025 notiert.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und nach mündlicher Anhörung des Verurteilten mit Beschluss vom 8. Mai 2024 nicht zur Bewährung ausgesetzt; zugleich hat sie eine Frist von 6 Monaten festgesetzt, vor deren Ablauf ein erneuter Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat in ihrer Zuschrift vom 5. Juni 2024 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die nach § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte und unter Wahrung der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber ganz überwiegend nicht begründet.

Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1.) Entgegen der Begründung der Beschwerde war die Strafvollstreckungskammer nicht gehalten, eine mündliche Anhörung des Sachverständigen durchzuführen, nachdem der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft hierauf verzichtet hatten. Zwar kann auch bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 454 Abs. 2 S. 4 StPO eine mündliche Anhörung des Sachverständigen geboten sein; dies gilt jedoch nur dann, wenn von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen eine weitere Sachaufklärung zu erwarten ist, etwa weil das Gericht von der sachverständigen Wertung abweichen will oder das schriftliche Gutachten auf der Grundlage eines zeitlich länger zurückliegenden Sachstandes erstattet wurde (KG Berlin, Beschluss vom 6. März 2020 - 5 Ws 32/20 -, juris). Hiervon kann vorliegend keine Rede sein, denn die Strafvollstreckungskammer hat sich den überzeugenden Ausführungen des erst am 13. April 2024 erstatteten Gutachtens angeschlossen.

2.) Die Kammer hat in den mit bemerkenswerter Sorgfalt abgefassten Beschlussgründen zwar eine positive Sozial- und Legalprognose des Verurteilten angenommen, aber zugleich die gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB für eine Entlassung zum Halbstrafen-Zeitpunkt erforderlichen besonderen Umstände auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Tat, der Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung im Strafvollzug in jeder Hinsicht zutreffend verneint.

Insoweit hat die Strafvollstreckungskammer u.a. ausgeführt:

"Folgende Punkte kann der Verurteilte hingegen nicht zu seinen Gunsten im Rahmen der anzustellenden Gesamtabwägung und zur Begründung besonderer Umstände im Sinne von § 57 Absatz 2 Nummer 2 Strafgesetzbuch fruchtbar machen:

Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG in Kraft getreten ist, und sich somit der Strafrahmen in Bezug auf die Anlasstat des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis (zuvor Betäubungsmitteln) von zuvor nicht unter fünf Jahren bis 15 Jahren (§§ 1 Absatz 1, 3 Absatz 1, 30a Absatz 1 BtMG) auf nicht unter zwei Jahren bis 15 Jahren (§§ 2 Absatz 1 Nummer 4, 34 Absatz 1 Nummer 4, Absatz 4 Nummer 3 KCanG) abgemildert hat, kann im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Absatz 2 Nummer 2 Strafgesetzbuch keine Berücksichtigung finden. Denn hierfür besteht keine gesetzliche Grundlage. So hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung des CanG die Auswirkungen und Neufassung des KCanG auf noch nicht vollständig vollstreckte Freiheitsstrafen, die ausschließlich auf den strafbewehrten Umgang mit Cannabis zurückgehen, in Bezug auf die Frage der vorzeitigen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung im Sinne von § 57 Strafgesetzbuch unbeantwortet gelassen und keine Regelung getroffen. Insofern gibt der Wortlaut des Gesetzes sowie auch eine historische Auslegung keinen Anhaltspunkt. Nach der Systematik des Gesetzes hat der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich mit der Regelung des Artikel 316p Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass im Rahmen der Vollstreckung von Strafen, die auf den strafbewehrten Umgang mit Cannabis zurückzuführen sind, lediglich diejenigen Personen von der Amnestieregelung und einem etwaigen Straferlass nach Artikel 313 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch profitieren können und sollen, gegen die vor dem 01.04.2024 Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz verhängt worden sind, die nach dem KCanG nicht mehr strafbar sind. Dies ist beim Verurteilten nicht der Fall. Dementsprechend verbleibt es für den Verurteilten bei der Anlassverurteilung mit der gegen ihn verhängten Strafe und Strafhöhe, sodass er sich an dieser für die Frage der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung messen lassen muss. Dieser Auslegung steht auch nicht der Zweck des CanG entgegen, welches darauf abzielt, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention zu stärken, den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen sowie den Kinder- und Jugendschutz zu stärken (Deutscher Bundestag - 20. Wahlperiode - Drucksache 20/8704 vom 09.10.2023, Seite 1).

Des Weiteren kann der Verurteilte besondere Umstände nicht auf die lange Dauer der Untersuchungshaft stützen, die auf den Zeitraum zwischen der Verkündung der Anlassverurteilung vom 11.04.2022 und der Rechtskraft des Urteils vom 19.04.2023 entfällt. Denn der Verurteilte hatte es selbst in der Hand, sein insofern eingelegtes (erfolgloses) Rechtsmittel zu steuern. Es stellt keinen besonderen Grund dar, wenn der Verurteilte wie hier allein durch die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte eine längere Zeit Untersuchungshaft in Kauf nimmt, anstatt im Rahmen der für ihn ansonsten möglichen und früheren Strafhaft bereits an seiner Resozialisierung sowie an den Vollzugszielen zu arbeiten. Ansonsten könnte sich der Verurteilte allein durch Rechtsmitteleinlegungen besondere Gründe im Sinne von § 57 Absatz 2 Nummer 2 Strafgesetzbuch schaffen. Dies entspricht jedoch nicht dem Normzweck."

Diesen überzeugenden Ausführungen tritt der Senat bei.

3.) Schließlich ist auch die Anordnung einer Sperrfrist gemäß § 57 Abs. 7 StGB grundsätzlich nicht zu beanstanden, denn die Vorschrift soll dazu dienen, nutzlose und die Arbeit der Strafvollstreckungskammer unnötig belastende Wiederholungen von Aussetzungsanträgen zu verhindern und nach Ablehnung einer Strafaussetzung den weiteren ungestörten und kontinuierlichen Vollzug der Strafe zu gewährleisten (Hubrach in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 57 StGB, Rn. 65). Eine Sperrfrist darf indes nach ständiger Rechtsprechung nur für die Zeit festgesetzt werden, in der eine für den Verurteilten positive Veränderung der Täterprognose nicht zu erwarten ist (KG Berlin, Beschluss vom 26. Mai 2021 - 5 Ws 88/21 -, juris).

Hieran gemessen erscheint die von der Strafvollstreckungskammer angeordnete gesetzliche Höchstfrist nicht angezeigt. Zwar weist das Landgericht zutreffend darauf hin, dass je weiter sich die zu verbüßende Freiheitsstrafe von der Zwei-Jahres-Grenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfernt, sich der zu beurteilende Sachverhalt von vergleichbaren Durchschnittsfällen umso mehr positiv abheben muss, damit besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bejaht werden können (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Oktober 2020 - 2 Ws 181/20 -, BeckRS 2020, 43633 Rn. 7 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 08. März 2016 - 3 Ws 140/16 -, NStZ 2016, 677, 678 m.w.N.). Die Anforderungen an die "Besonderheit" der Umstände nimmt jedoch zwischen dem Halbstrafen- und dem Zwei-Drittel-Zeitpunkt im Sinne des § 57 Abs. 1 ab (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9. Februar 2023 - III-3 Ws 21/23 -, juris; Fischer, StGB, 71. Auflage 2024, § 57 Rn. 29a). Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der von der Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss zutreffend aufgezeigten positiven Entwicklung des Verurteilten im Vollzug erscheint es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass besondere Umstände i.S.v. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits nach Ablauf von drei Monaten nach Erlass des angefochtenen Beschlusses zu bejahen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Die Verkürzung der Antragssperrfrist stellt lediglich einen unwesentlichen Teilerfolg dar und begründet keine anderweitige Entscheidung.

Gegen diesen Beschluss ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).