Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.10.2024, Az.: 8 U 120/24

Schadensersatzansprüche eines Geschädigten aus Tierhalterhaftung hinsichtlich Zurechnung seines Mitverschuldens an der Schadensentstehung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.10.2024
Aktenzeichen
8 U 120/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 25225
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - AZ: 3 O 2299/23

In dem Rechtsstreit
hat das Oberlandesgericht Oldenburg - 8. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Daum, den Richter am Oberlandesgericht Neumann und die Richterin am Amtsgericht Dr. Wahlers am 21. Oktober 2024 beschlossen:

[Gründe]

I.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

II.

Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Zwar steht der Klägerin, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (LGU 3), dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB zu, auf den sich die Klägerin nunmehr - in der Berufungsinstanz - einen Mitverschuldensanteil von 50 % anrechnen lässt (S. 4 der Berufungsbegründung = eGA OLG 11). Darin erschöpft sich das Mitverschulden der Klägerin jedoch nicht. Vielmehr trifft sie ein so überwiegendes Mitverschulden an der Schadensentstehung gemäß § 254 Abs. 1 BGB, dass die Haftung der Beklagten dahinter vollständig zurücktritt.

1. Das Landgericht hat der Klägerin mit Recht die von ihrem eigenen Pferd ausgehende Tiergefahr in entsprechender Anwendung des § 254 BGB zugerechnet. Durch das Losreißen, den flatternden Strick und das Mitgaloppieren des eigenen Pferdes hat sich die in dem Unfall der Klägerin realisierte Tiergefahr des Rappens der Beklagten erhöht (LGU 3 f.).

Anders als die Klägerin meint, war in erster Instanz nicht unstreitig, dass ihr Pferd nach und nicht vor dem Unfall eingefangen wurde. Im Schriftsatz vom 30. Januar 2024 (dort S. 2 = eGA LG 70) hatte die Klägerin vorgetragen, dass sie gesehen habe, wie der Zeuge Gerdes das Pferd eingefangen und sie sich sodann wieder auf den Rückweg gemacht habe. Diesen zeitlichen Ablauf hat die Klägerin auch in ihrer informatorischen Anhörung bestätigt, wo sie ausgeführt hat: "Die Männer müssen dann auch irgendwie mein Pferd eingefangen haben. Ich habe mich dann auf den Rückweg gemacht und habe gesehen, dass die Pferde leider immer noch panisch umhergerannt sind." (S. 2 des Protokolls vom 19. Februar 2024 = eGA LG 87). Auch im Schriftsatz vom 27. Februar 2024 (dort S. 1 = eGA LG 97) wurde dies von der Klägerin behauptet. Das Landgericht ist anhand der Angaben der beiden Zeugen Gerdes und Dieker zu der gegenteiligen Überzeugung gelangt, nämlich, dass das Pferd der Klägerin noch nicht einfangen war, als sich der Unfall ereignete (LGU 4). Zweifel gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Tatsachenfeststellung werden von der Klägerin nicht geltend gemacht; vielmehr sieht sie den entsprechenden Tatsachenvortrag nunmehr als unstreitig an (S. 3 f. der Berufungsbegründung = eGA OLG 11).

2. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht auch ein eigenes erhebliches Mitverschulden der Klägerin angenommen (LGU 4 f.). Der Berufungsangriff der Klägerin, dass für sie bei Betreten der Weide keine erhöhte Gefahr bestanden habe (S. 3 f. der Berufungsbegründung = eGA OLG 10 f.), verfängt nicht. Überzeugend hat das Landgericht ausgeführt, dass sich die Klägerin ohne Not bereits dadurch einer erhöhten Gefahr ausgesetzt hat, dass sie über die Weide lief, um ihr Pferd einzufangen, obwohl sie wusste, dass die ihr unbekannten, jungen Pferde in Panik über die Weide galoppierten (LGU 4).

In seine Gesamtbetrachtung hat das Landgericht auch zutreffend - und von der Berufung unangegriffen - die Einschätzung des Zeugen Gerdes einbezogen, wonach die Situation als gefährlich anzusehen war (LGU 4). Dies gilt umso mehr, da es sich bei der Klägerin nach ihren eigenen Angaben um eine erfahrene Reiterin handelt.

Die Klägerin dringt auch mit ihrem Einwand nicht durch, dass Pferde üblicherweise keine Menschen zu Fall bringen (S. 3 f. der Berufungsbegründung = eGA OLG 10 f.). Das Landgericht hat die entsprechende Behauptung als wahr unterstellt und ist dennoch zu der nicht zu beanstandenden Einschätzung gelangt, dass die Gesamtsituation als gefährlich anzusehen war (LGU 4).

Ohne Erfolg rügt die Klägerin, dass das Landgericht das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Juni 2002 (9 U 185/01) in seine Würdigung einbezogen hat. Das Landgericht hat bereits selbst darauf hingewiesen, dass der dortige Sachverhalt mit dem hiesigen nicht identisch, wohl aber vergleichbar sei (LGU 4 f). In dem vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Fall war die damalige Klägerin beim Zurückbringen eines ausgebrochenen Pferdes auf die Weide durch ein dort ebenfalls weidendes anderes Pferd überrannt worden. Das Oberlandesgericht Hamm hat zur Begründung seiner vollständig klageabweisenden Entscheidung ausgeführt, im Bereich der Tierhalterhaftung liege ein relevanter Beitrag des Anspruchstellers zur Entstehung des Schadens vor, wenn er eine Situation erhöhter Verletzungsgefahr herbeigeführt habe, obwohl er diese Gefahr hätte erkennen und vermeiden können. Im Rahmen der Abwägung gegenüber der Gefahrenverantwortung des Tierhalters bemesse sich das Gewicht des Beitrags des Verletzten nach seinem objektiven Anteil an der Verletzung und dem Grad des Sorgfaltsverstoßes gegen das eigene Sicherheitsinteresse. Insoweit seien bei der damaligen Klägerin - wie hier - die Kenntnisse einer langjährigen Reiterin zu berücksichtigen (OLG Hamm, Urteil vom 16. April 2002 - 9 U 185/01, juris Rn. 8). Diese Überlegungen lassen sich auch auf den vorliegenden Fall anwenden. Dass das Landgericht die zitierte Entscheidung herangezogen und bei seiner Würdigung der Umstände des vorliegenden Falls ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Mitverschulden der Klägerin die Tierhalterhaftung der Beklagten vollständig zurücktreten lässt, ist nicht zu beanstanden.

3. Schließlich hat das Landgericht auch zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin naheliegende Schutzmaßnahmen nicht ergriffen hat (LGU 4 f.). Die Klägerin hätte zur Risikominimierung am Rande der Weide gehen können und nicht mittig über die Wiese laufen müssen. Dies hätte ihr die Chance zur Flucht hinter den Zaun ermöglicht. Sie hat sich auch nicht groß und breit aufgebaut und andere Maßnahmen ergriffen, um die Tiere abzuschrecken. Stattdessen hat sie die Zeit genutzt, um ein Foto zu machen. Gegen die entsprechende Würdigung des Landgerichts (LGU 5) erhebt die Klägerin auch keine Einwände.

4. In Anbetracht der dargestellten Umstände ist das Landgericht mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass wegen des weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin die Haftung der Beklagten hier gänzlich entfällt.

Daum
Neumann
Dr. Wahlers