Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.09.1967, Az.: VI OVG B 60/67
Vollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche, die vor einem Verwaltungsgericht miterledigt wurden
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.09.1967
- Aktenzeichen
- VI OVG B 60/67
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1967, 10678
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1967:0926.VI.OVG.B60.67.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - AZ: III B 3/66
Rechtsgrundlage
- § 887 ZPO
Verfahrensgegenstand
Vollstreckungsanordnung aus einem gerechtlichen Begleich
Prozessführer
des Dipl.-Ingenieurs ...
Prozessgegner
die Deutsche Bundespost,
die Oberpostdirektion
Gründe:
I.
Als die Antragsgegnerin auf ihrem Grundstück eine etwa 30 cm breite und bis zu 1 m hohe Betonmauer errichtete, beantragte der Antragsteller, dessen Grundstück an die Mauer angrenzt, der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung die Fortführung der Arbeiten zu untersagen, weil die Mauer nicht den vorgeschriebenen Grenzabstand einhalte. Das Verwaltungsgericht beschloß, "über die Grundstücke Beweis" zu erheben und beraumte, nachdem der Berichterstatter die Örtlichkeiten besichtigt hatte, Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25. September 1965 an. In dem Termin schlossen die Parteien einen Vergleich, dessen Nr. 5 lautet:
"Die Mauer ist auf Wunsch des Antragstellers in Waschbeton hergestellt worden. Sie ist jedoch nicht an allen Stellen sachgerecht ausgeführt worden. Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, die ausführende Firma anzuhalten, die Mauer sorgfältig und fachgerecht auszuführen. Sollte darüber nach Fertigstellung zwischen den Parteien noch Streit entstehen, so soll ... das Staatshochbauamt als sachverständige Behörde darüber entscheiden, ob die Ausführung fachgerechtem Waschbeton entspricht."
Mit der Behauptung, die Antragsgegnerin sei der hier übernommenen Verpflichtung nicht nachgekommen, beantragte der Antragsteller unter dem 3. Januar 1966, der Antragsgegnerin bei Meidung einer vom Gericht festzusetzenden Geldstrafe die Vergleichserfüllung aufzugeben. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag durch Beschluß vom 21. Januar 1966 zurück, weil vor Entscheidung des staatlichen Hochbauamtes gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen nicht möglich seien. Indessen lehnte das Staatshochbauamt die Übernahme schiedsgutachterlicher Funktionen ab. Deshalb einigten sich die Parteien außergerichtlich auf einen neuen Sachverständigen. Dieser bezeichnete in seinem Gutachten vom 2. Mai 1966 die Ausführung der Mauer als nicht fachgerecht. Die Antragsgegnerin beauftragte daraufhin eine Baufirma mit Ausbesserungsarbeiten, ließ diese jedoch einstellen, als der Antragsteller zum Ausdruck brachte, daß nur eine neue Mauer seinen Vorstellungen entspreche. Zu deren Errichtung ist die Antragsgegnerin nicht bereit; sie meint, ein neuer Überzug aus Waschputz genüge den im Vergleich übernommenen Verpflichtungen. Erneut wurde der Sachverständige angerufen; in seinen Gutachten vom 7. Oktober, 14. und 21. November 1966 führte er aus, "daß die Wand auf sichtbarer Hofebene Grundstück Fricke und Aufsicht vom Altvorsatz-Waschputzmaterial freigelegt und in richtiger Schalung mit neuem Waschbetonmaterial (ausgewählte Kieskörnung) vergossen und ausgewaschen werden muß". Demgegenüber hält die Antragsgegnerin an ihrer Auffassung fest, daß die Aufbringung von Waschputz einer fachgerechten Herrichtung entspreche; sie erklärt sich bereit, die insoweit notwendigen Arbeiten in Auftrag zu geben. Hiermit ist der Antragsteller nicht einverstanden; er verlangt, daß die Mauer von Grund auf und in einem Stück in fachgerechtem Waschbeton errichtet wird, weil dies allein zur Erfüllung des Vergleichs führe.
Der Antragsteller hat vor dem Verwaltungsgericht beantragt,
der Antragsgegnerin unter Androhung einer Geldstrafe bis zur Höhe von 2.000.- DM aufzugeben, die südliche Begrenzungsmauer zum Grundstück des Antragstellers fertigzustellen,
hilfsweise,
den Antragsteller gemäß § 887 ZPO zu befugen und der Antragsgegnerin aufzugeben, die für die Erstellung der Mauer erforderlichen Kosten vorzuschießen.
Die Antragsgegnerin hat um Zurückweisung des Antrages gebeten.
Durch Beschluß vom 4. August 1967 hat das Verwaltungsgericht Hannover - Dritte Kammer Hildesheim - der Antragsgegnerin gemäß § 172 VwGO ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500.- DM angedroht, da sie der in dem Vergleich übernommenen Verpflichtung, die seitliche Begrenzungsmauer in fachgerechtem Waschbeton auszuführen, nicht nachgekommen sei. Zugleich hat das Gericht die Festsetzung eines Zwangsgeldes und dessen Vollstreckung angekündigt, falls die Antragsgegnerin nicht bis zum 4. Oktober 1967 ihrer Verpflichtung nachkommt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie äußert Zweifel an der Zulässigkeit des Antrages und hält diesen im übrigen für nicht begründet. Sie beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt
die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlüsses zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Beschwerde Vorbringens wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift und wegen des sonstigen Sachverhalts auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und, soweit sie sich gegen den Hauptantrag des Antragstellers richtet, auch begründet. Die Zwangsgeldandrohung wird durch § 172 VwGO nicht gedeckt. Dabei mag auf sich beruhen, ob die Vorschrift auf gerichtliche Vergleiche überhaupt anwendbar ist, denn Voraussetzung für eine etwaige Analogie wäre in jedem Falle ein dem § 172 VwGO vergleichbarer Sachverhalt, also ein gerichtlicher Vergleich des in § 113 Abs. 1 S. 2 oder Abs. 4 oder § 123 VwGO bezeichneten Inhalts.
Daran fehlt es hier. Die Antragsgegnerin hat weder einen Verwaltungsakt vollzogen, den rückgängig zu machen sie sich vergleichsweise verpflichtet hat (§ 113 Abs. 1 S. 2 iVm § 106 VwGO), noch sich vergleichsweise zur Vornahme einer sonstigen Amtshandlung bereit erklärt (§ 113 Abs. 4 iVm § 106 VwGO). Auch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO hätte gegen die Antragsgegnerin nicht ergehen können. Denn die Antragsgegnerin hat die Mauer nicht in Ausübung hoheitlicher Funktionen, sondern als Grundstückseigentümerin gebaut. Sie hätte daher von dem Antragsteller, sollte dieser private Nachbarrechte für verletzt halten, nur zivilrechtlich in Anspruch genommen werden können. Soweit der Antragsteller in dem Mauerbau eine Verletzung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen, die zugleich dem Schutz des Nachbarn dienen, zu sehen meint, hätte der Antrag gegen die Bauaufsichtsbehörde gerichtet werden müssen. Deren Zuständigkeit entfällt nicht dadurch, daß die Antragsgegnerin auf dem Gebiet des formellen Baurechts gewisse Erleichterungen genießen mag. Sie ist in materieller Hinsicht wie jeder andere Bauherr den baurechtlichen Vorschriften mit der Maßgabe unterworfen, daß allein die Bauaufsichtsbehörde berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet ist, die Beachtung der Bauvorschriften zu erzwingen. Die angefochtene Androhung des Zwangsgeldes richtet sieh daher nicht gegen die Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als Behörde, sondern gegen den Postfiskus; sie läuft ins Leere, weil nicht öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen eine Behörde vollstreckt oder öffentlich-rechtliche Rechtsfolgen vollzogen werden sollen.
Gleichwohl entbehrt der Vergleich, sieht man vom Mangel einer schriftlichen (§ 67 Abs. 3 VwGO) Vollmacht des Vertreters der Antragsgegnerin im Termin vom 21. September 1965 ab (die vorliegende Vollmacht Bl. 26 d.A. berechtigt nicht zu Vergleichen; zu den hieraus möglicherweise resultierenden Folgen vgl. Schunck-de Clerck, VwGO, 2. Aufl., Anm. 2 e zu § 106), nicht jeder Vollstreckbarkeit, denn nach herrschender Meinung kann auch vor einem unzuständigen Gericht ein wirksamer Vergleich geschlossen werden (Hans, DVBl 1951, 721; Bettermann, NJW 1953, 1007; Koehler, VwGO, Anm. II 4 zu § 106; Klinger, VwGO, 2. Aufl., C II 1 zu § 106; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 2. Aufl., Rdn. 4 zu § 106; Ule, VwGO, 2. Aufl., II 1 zu § 106; Schunck-de Clerck, VwGO, 2. Aufl., Anm. 2 e zu § 106; OVG Münster, VRspr 4, 673; einschränkend Eyermann/Fröhler, VwGO, 4. Aufl., Rdn. 2 zu § 106 und Rdn. 6 zu § 168). Fraglich ist jedoch, welches Gericht für die Vollstreckung zuständig ist. Das wird in Lehre und Rechtsprechung verschieden beantwortet. Nach der von Bettermann vertretenen Auffassung (NJW 1953, 1009), die von Eyermann/Fröhler (Rdn. 6 zu § 168 VwGO), Koehler (Anm. III 3 zu § 168 VwGO) und dem VII. Senat des OVG Münster (NJW 1954, 896 = JZ 1954, 549 = MDR 1954, 380) geteilt wird, soll die Vollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche, die vor einem Verwaltungsgericht miterledigt worden sind, in entsprechender Anwendung des für den Adhäsionsprozeß geltenden Vorschrift des § 406 b Satz 2 StPO der Zuständigkeit des Gerichts der bürgerlichen Rechtspflege unterworfen sein. Anderer Ansicht sind Ule (Anm. I zu § 168 VwGO), Klinger (Anm. B III zu § 168 VwGO), Redeker/v. Oertzen (Rdn. 11 zu § 168 VwGO), Schunck-de Clerck (Anm. 1 c zu § 168 VwGO), der III. Senat des OVG Lüneburg (OVGE 3, 234) und der II. Senat des OVG Münster (OVGE 10, 104), die der Herkunft des Titels und nicht der Natur des verglichenen Anspruchs entscheidendes Gewicht beilegen.
Sollte sich das Verwaltungsgericht letzterer Ansicht anschließen und seine Zuständigkeit als Vollstreckungsgericht bejahen, wird zu beachten sein, daß die Antragsgegnerin nach dem Wortlaut des Vergleichs lediglich verpflichtet ist, "die ausführende Firma anzuhalten, die Mauer sorgfältig und fachgerecht auszuführen". Diese Verpflichtung ist, da kein Fall des § 894 ZPO vorliegt (vgl. RGZ 55, 58) und die Auftragsvergabe durch jeden Dritten erfolgen kann, nach Maßgabe des § 887 ZPO iVm § 167 Abs. 1 VwGO erzwingbar. Der weitergehende Inhalt der Nr. 5 des Vergleichs ist freilich nicht vollstreckungsfähig. Das gilt sowohl für die bloße Feststellung, daß "die Mauer auf Wunsch des Antragstellers in Waschbeton hergestellt ..., jedoch nicht an allen Stellen sachgerecht ausgeführt worden" sei, als auch, nachdem das Staatshochbauamt seine hierzu erforderliche Mitwirkung versagt hat, für die Vereinbarung, daß bei einem Streit darüber, "ob die Ausführung fachgerechtem Waschbeton entspricht", die Entscheidung des "Staatshochbauamtes als sachverständiger Behörde" einzuholen sei. Die spätere Abrede der Parteien über einen neuen Gutachter unterliegt nicht den prozessualen Wirkungen des Prozeßvergleichs und gibt insbesondere keinen Vollstreckungstitel, sondern ist allein nach sachlichem Recht zu beurteilen.
Mithin wird die Antragsgegnerin zu erwägen haben, ob sie zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen der Auftragsvergabe freiwillig nachkommt. Geschieht das, so bleibt dem Antragsteller unbenommen, etwaige Mängel der Auftragserfüllung zu rügen und den Schiedsgutachter zur Schlichtung des Streites anzurufen. Soweit die Antragsgegnerin dessen Feststellungen nicht gegen sich gelten lassen will, hat der Antragsteller es in der Hand, die Wirksamkeit des Schiedsgutachtenvertrages und die Verbindlichkeit der vom Gutachter getroffenen Feststellungen zur gerichtlichen Nachprüfung zu stellen; zuständig hierfür wäre allein das Zivilgericht. Für vermeintliche öffentlich-rechtliche Ansprüche des Antragstellers, die gegen die Stadt Göttingen als Bauaufsichtsbehörde und nicht gegen die Antragsgegnerin zu richten wären, geben die Bauwichbestimmungen nichts her. Denn unter Bauwich wird der vorgeschriebene Gebäude abstand von der seitlichen Nachbargrenze verstanden (PrOVG 67, 387 f; § 8 B a 1 b BPVO Hildesheim); Einfriedigungen fallen nicht hierunter (OVG Lüneburg, Urt. vom 23. Mai 1966 - I OVG A 108/66 -). Ebensowenig kennt das öffentliche Recht Schutzvorschriften zugunsten des Nachbarn auf Erhaltung des unveränderten Ausblicks (OVG Lüneburg, Urt. vom 8. November 1966 - I OVG A 193/64 -) oder auf eine bestimmte Baugestaltung (OVG Lüneburg, Urt. vom 10. September 1964 - I OVG A 108/63 -; BayVGHE n.F. 5, 119; OVG Koblenz, AS 1, 396), so daß der Antragsteller allein aus der im Vergleich bekundeten Bereitschaft der Antragsgegnerin, die Mauer an den nicht sachgerecht ausgeführten Stellen ausbessern zu lassen, oder aus etwaigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts Ansprüche herleiten kann.
Nach alledem war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Hauptantrag des Antragstellers zurückzuweisen. Da über den Hilfsantrag noch nicht entschieden ist, war insoweit die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Hierzu hat sich der Senat vornehmlich deshalb entschlossen, weil er die Erwartung hegt, daß die Antragsgegnerin der ihr aus dem Vergleich obliegenden Verpflichtung auch ohne gerichtliche Zwangsmaßnahmen nachkommen wird, nachdem die Grenzen der Vollstreckbarkeit des Vergleichs verbindlich festgestellt worden sind.