Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 07.02.2024, Az.: 5 U 33/23

Zuordnung der zeitlich folgenden nächsten organischen Schädigung (hier: Untergang von Nervenzellen als Folge der Gefäßenge) zum haftungsrechtliche Primärschaden; Erstreckung der Beweislastumkehr auch auf diesen Schaden; Beweisführung bzgl. des der Behandlerseite obliegenden Beweises mangelnder Ursächlichkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
07.02.2024
Aktenzeichen
5 U 33/23
Entscheidungsform
Grundurteil
Referenz
WKRS 2024, 10736
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 26.4.2023 - AZ: 2 O 3573/20

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der haftungsrechtliche Primärschaden besteht nicht nur in der Fortdauer des krankhaften Zustands, der Anlass für die inkriminierte Behandlung gegeben hat (hier: Gefäßenge infolge einer Vaskulitis), sondern umfasst auch die zeitlich folgende nächste organische Schädigung (hier: Untergang von Nervenzellen als Folge der Gefäßenge), so dass sich die Beweislastumkehr auch auf diesen Schaden erstreckt.

  2. 2.

    Der nach § 630 h Abs.5 BGB der Behandlerseite obliegende Beweis mangelnder Ursächlichkeit ist erst dann geführt, wenn sich die Kausalität als allenfalls theoretischer Zusammenhang darstellt und nicht im Sinne einer realen Möglichkeit greifbar ist.

In dem Rechtsstreit
AA, geb. am TT.MM.2011, Ort1,
gesetzlich vertreten durch
BB, Ort1,
und
CC, Ort1,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
DD GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer EE, Ort2,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts (...), den Richter am Oberlandesgericht (...) und den Richter am Oberlandesgericht (...) auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2024 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 26.4.2023 zusammen mit dem Verfahren aufgehoben:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und weiteren derzeit nicht vorhersehbaren Schäden, die im Zusammenhang mit der Behandlung vom 29. 6. 2017 entstanden sind bzw. zukünftig entstehen, zu ersetzen, sofern diese Ansprüche nicht auf einen oder mehrere Träger der Sozialversicherung oder Dritte übergegangen sind.

  2. 2.

    Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

    Das Verfahren wird zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens bleiben der Schlussentscheidung vorbehalten.

    Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der beklagten Partei bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der klagenden Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die klagende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger erlitt im Alter von 5 Jahren einen Schlaganfall. Die Behandler der Beklagten gingen anfangs von einem epileptischen Anfall aus. Ein Wach-EEG, das kurz nach Aufnahme im Hause der Beklagten gegen 12:27 Uhr gefertigt wurde, zeigte indessen keine epilepsietypischen Potentiale. Gleichwohl wurde erst um 20:14 eine MRT veranlasst, welche die Verdachtsdiagnose eines Mediainfarktes ergab. In der Zeit von 22:10 - 23:30 untersuchte man den Kläger im Wege der Angiografie mittels Katheter im Klinikum Ort2; diese Untersuchung erbrachte den Verdacht eines Infarktes infolge einer Vaskulititis. In der Folge wurde der Kläger dann im Universitätsklinikum Ort3 behandelt. Als Dauerschäden des Infarktes sind bei ihm eine Hemiparese, ein Spasmus und eine Dystonie verblieben.

Das Landgericht hat ein neuropädiatrisches Gutachten des Sachverständigen FF eingeholt. Dieser hat die kinderärztliche Diagnose einer Epilepsie für vertretbar erachtet, weil ein Schlaganfall bei Kindern im Alter des Klägers eine absolute Rarität sei. Er hat allerdings einen groben Befunderhebungsfehler darin gesehen, dass man auf das Ergebnis des Wach-EEG nicht sofort eine MRT veranlasst habe. Dies sei neurologischer Facharztstandard. Er gehe davon aus, dass das EEG von Neurologen befundet worden sei. Der EEG - Befund spreche für eine lokale Funktionsstörung im Hirn, die drei Ursachen hätte haben können, nämlich einen Tumor, einen Hirninfarkt oder einen epileptischen Anfall. Da keine Hinweise auf epilepsietypischen Potenziale vorgelegen hätten, sei ein epileptischer Anfall eher unwahrscheinlich gewesen; mit Blick auf die Differenzialdiagnose Tumor oder Hirninfarkt hätte man bei diesem Befund sofort eine MRT anordnen müssen. Das Landgericht ist dieser Wertung des Sachverständigen gefolgt und hat die Klage aber gleichwohl abgewiesen, weil sich eine Ursächlichkeit nicht habe feststellen lassen.

Bei früherer Entdeckung des Infarktes hätten sich keine anderen Behandlungsoptionen ergeben; man hätte lediglich jene Therapie, die dann stattgefunden hat, früher durchführen können. Es lasse sich jedoch nicht feststellen, dass die Schäden des Klägers durch diese Verzögerung verursacht worden seien; dies gelte auch unter Berücksichtigung der Beweislastumkehr, die aus dem groben Befunderhebungsfehler folge.

Jene Schäden, für die der Kläger Schadensersatz begehrt, seien Sekundär - und nicht Primärschäden. Der Primärschaden sei hier darin zu sehen, dass der Schlaganfall von 12:27 bis 22:10 Uhr unbehandelt geblieben sei. Für den Sekundärschaden gelte das Beweismaß des § 287 ZPO, d. h. eine mindest überwiegende Wahrscheinlichkeit müsse dafür bestehen, dass die Schäden durch den Primärschaden verursacht worden seien. Dies sei jedoch nicht festzustellen, weil der Sachverständiger ausgeführt habe, die Verzögerung habe sich, wenn überhaupt, dann nur minimal auf den heutigen Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt. In gleicher Weise habe der Sachverständige eine Mitursächlichkeit verneint; alle vom Kläger geschilderten Folgen seien auf den Mediainfarkt zurückzuführen, nicht jedoch auf die verspätete Diagnose. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass ein grober Behandlungsfehler vorliege; denn an der Beweislastumkehr nähmen grundsätzlich nur die Primärschäden teil bzw. typische Sekundärschäden. Insoweit habe der Sachverständige indessen ausgeführt, dass es sich bei den eingetretenen Schäden um typische Folgen der Grunderkrankung handele und nicht um typische Folgen einer verzögerten Diagnosestellung. Auch unter dem Gesichtspunkt der Risikoerhöhung kämen für den Kläger keine Beweiserleichterungen in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Er wendet sich gegen die Wertung des Sachverständigen, die verzögerte Diagnosestellung sei mit Blick auf seine Schädigung folgenlos geblieben bzw. eine dadurch verursachte Verschlechterung sei jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich. Er sieht einen Widerspruch darin, dass der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung anfangs angegeben hatte, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass die Beeinträchtigungen geringer gewesen wären, wenn man die Blutflüsse früher teilweise wiederhergestellt hätte, um dann indessen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der heutige Zustand besser gewesen wäre, wenn die Angiografie 8-10 Stunden früher stattgefunden hätte, zu verneinen. Es sei auch nicht richtig, wenn der Sachverständige festgestellt habe, die Folgen, unter denen er, der Kläger, heute leide, seien weit überwiegend auf den Schlaganfall als solchen zurückzuführen; er stellt die Frage, wie der Sachverständige dies festgestellt haben wolle. Der Kläger bezieht sich insoweit auf Äußerungen eines Privatgutachters, der bestätigt habe, dass eine größere Wahrscheinlichkeit bestanden hätte, dass er, der Kläger, geringere Folgen erlitten hätte, wenn er früher und rechtzeitig behandelt worden wäre. Mit Blick auf diese Ausführung hätte dem Antrag auf Einholung eines Obergutachtens nachgekommen werden müssen. Der Privatgutachter sei ebenfalls der Auffassung, dass bei praktisch jedem Schlaganfall, egal wie gut er behandelt werde, mehr oder weniger ausgeprägte Restsymptome zu erwarten seien; entscheidender sei jedoch die Frage, ob das Ausmaß hätte verringert werden können und diese Frage könne man mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Ja beantworten; es gelte die Devise "Time is Brain".

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 19.5.2023 verkündeten und am 19.5.2023 zugestellten Urteils des Landgerichts Osnabrück Aktenzeichen 2 O 3573/20 zu erkennen:

  1. 1.

    die Beklagte wird verurteilt, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe von 300.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und weiteren derzeit nicht vorhersehbaren Schäden, die im Zusammenhang mit der Behandlung vom 29.6.2017 entstanden sind bzw. zukünftig entstehen, zu ersetzen, sofern diese Ansprüche nicht auf einen oder mehrere Träger der Sozialversicherung oder 3. übergegangen sind.

  3. 3.

    Die Beklagte zu verurteilen, an ihn die außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4251,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 5.1.2024, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird.

II.

Auf die Berufung des Klägers war das landgerichtliche Urteil abzuändern, weil die Einstandspflicht der Beklagten für die Schädigung des Klägers infolge der verspäteten MRT-Untersuchung festzustellen war.

Von den Parteien nicht in Zweifel gezogen, stellt es einen groben Befunderhebungsfehler dar, dass im Hause der Beklagten nach der EEG - Untersuchung nicht zeitnah eine MRT - Untersuchung des klägerischen Schädels stattgefunden hat. Eine frühere Befundung und dem folgend eine frühere Behandlung sind auch geeignet, die Schädigung zu vermeiden oder zu verringern.

Anders als das Landgericht meint, ist indessen der Senat der Ansicht, dass damit im Ergebnis die Beklagte den Nachweis zu führen hat, dass die Schädigung des Klägers durch die entsprechende Verzögerung der MRT - Untersuchung jedenfalls nicht mitverursacht worden ist, § 630 h Abs.5 BGB. Grundsätzlich erfasst die Beweislastumkehr des § 630 h Abs. 5 BGB den sogenannten Primärschaden sowie typische Sekundärschäden (BGH NJW 2005, 427, 429 [BGH 16.11.2004 - VI ZR 328/03] sub. aa) m.w.N.; MünchKomm-Wagner, 9. Aufl., § 630 h Rn. 94 f;).

Das Landgericht hat den Primärschaden darin gesehen, dass der Schlaganfall des Klägers über mehrere Stunden bis zur MRT - Untersuchung unbehandelt geblieben ist. Die körperlichen Einschränkungen, die der Kläger als Folge des Schlaganfalls erlitten hat, hat das Landgericht als Folgeschäden eingeordnet, für deren Ursächlichkeit der Maßstab des § 287 ZPO zu gelten habe; es hat den Kläger für beweisfällig erachtet.

Der Senat teilt diese Bewertung nicht. Primärschaden, auf den sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist nicht die Perpetuierung des Krankheitszustandes, der Anlass für die Behandlung gegeben hat, sondern vielmehr die durch den Behandlungsfehler herbeigeführte gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung (BGH, Urteil vom 2. 7 2013 - VI ZR 554/12 r + s 2013, 517 Tz. 16 bb. m.w.N.; vgl. auch BGH NJW 1998, 3417 [BGH 21.07.1998 - VI ZR 15/98]). Es ist also darauf abzustellen, wann die unterbliebene Behandlung eines krankhaften Zustandes zu einer weiteren Schädigung des Patienten, die über den unbehandelten Zustand hinausgeht, geführt hat (vgl. BGH a.a.O.).

Würde man demgegenüber mit dem Landgericht nur die Perpetuierung des pathologischen ursprünglichen Zustands des Patienten als Primärschaden begreifen, wäre mit der Beweislastumkehr für den Patienten nichts gewonnen.

Der krankhafte Zustand des Klägers ist hier in einer Verengung der Hirngefäße infolge einer Vaskulitis zu sehen; die daraus folgende, zeitlich nächste organische Schädigung des Klägers (Primärschaden) ist im Untergang des Gewebes zu sehen, das infolge der Gefäßenge über eine längere Zeit unterversorgt geblieben ist. Dies entspricht den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen FF in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Sinngemäß hat der Sachverständige ausgeführt, den Mechanismus könne man sich so vorstellen, dass die Entzündung eine Verengung verursache, die ihrerseits zu einer Minderdurchblutung führe; dies führe wiederum zu einer Unterversorgung der Gewebe mit Sauerstoff und anderen Stoffen; dies verursache auf Dauer ein Absterben der Nervenzellen; jene Unterversorgung der Nervenzellen sei in der ersten MRT bereits zu erkennen; seien die Zellen insoweit erst einmal in dieser Weise geschädigt, trete nach einiger Zeit der Untergang ein; das sei ein Prozess, der durchaus etwas Zeit brauche; es handele sich insoweit dann um den ersten organischen Schaden, der als Folge des unbehandelten Infarktes eintrete.

Die abweichende Argumentation der Beklagten im Schriftsatz vom 29.01.2024 überzeugt den Senat nicht; unklar bleibt schon, was die Beklagte mit dem Hinweis, der Schlaganfall stelle die zu behandelnde Grunderkrankung dar, bezweckt; denn, wäre dies die Grunderkrankung, müsste man die Paresen etc., die der Senat als Sekundärschäden eingeordnet hat, als Primärschaden ansehen. Damit wäre für die Beklagte beweisrechtlich nichts gewonnen. Dessen ungeachtet teilt der Senat, wie ausgeführt, die Grundannahme bereits nicht, denn die zu behandelnde Grunderkrankung stellt die Vaskulitis mit der daraus folgenden Arterienverengung dar; die Ischämie mit Gewebeuntergang ist dann, wie der Sachverständige ausgeführt hat, die zeitlich nächste organische Schädigung.

Damit stellt sich die organische Schädigung des Hirns als Primärschaden dar, dessen typische Folge jene Einschränkungen sind, die den Gegenstand der Klage bilden. Auch insoweit überzeugend hat der Sachverständige FF ausgeführt, bei den Schäden, die der Kläger heutigen Tags beklage, also Hemiparese, Spasmen und Dystonie, handele es sich um typische Folgeschäden eines solchen Infarktes; die Paresen rührten daher, dass die entsprechenden Nerven nicht mehr angesteuert würden, die Spasmen daher, dass der Reflexbogen nicht mehr kontrolliert werde.

Der Beklagten ist schließlich der Beweis mangelnder Ursächlichkeit nicht gelungen. Will sich die Behandlerseite im Fall eines groben Behandlungsfehlers im Sinne des § 630 h Abs. 5 BGB entlasten, muss sie beweisen, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Schaden äußerst oder gänzlich unwahrscheinlich ist (Staudinger - Gutmann (2021) BGB § 630 h Rn. 169 f. m.w.n.). Damit ist gemeint, dass eine etwaige Kausalität nur einen bloß theoretischen Zusammenhang darstellt und nicht im Sinne einer realen Möglichkeit greifbar ist (Frahm MedR 2021, 649, 650 [BGH 13.10.2020 - VI ZR 348/20]; Gutmann a.a.O. m.w.N.), ohne dass dieser Grad an Gewissheit im Sinne einer Prozentzahl quanitifiziert werden müsste.

Dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen. Der Sachverständige FF hat insoweit ausgeführt, er könne nicht ausschließen, dass das Outcome des Klägers besser gewesen wäre, wenn die Behandlung acht Stunden früher eingesetzt hätte. Er tue sich schwer, Prozentzahlen in diesem Zusammenhang zu nennen. Das liege daran, dass man letztlich hier über den konkreten Verlauf zu wenig wisse. Wenn sich die M1-Äste möglicherweise in den ersten Stunden geöffnet hätten, hätte man hier mit einer früheren Therapie auch eine frühere Öffnung erreichen können; dies sei aber nachträglich nicht weiter aufzuklären. Gleiches gelte für die Behandlung danach. Man könne letztlich nicht sicher ausschließen, dass bei einer früheren Intervention möglicherweise doch auch ein Thrombus vorgefunden wäre, den man interventionell hätte beseitigen können. Er könne nicht ausschließen, dass eine frühere Antikoagulationsbehandlung etwaige Thromben in den Seitenästen, die hier in der Angiographie nicht befundet worden seien, beseitigt hätte. Er könne weiter nicht ausschließen, dass eine frühere Behandlung der Entzündung in Ort3 diese positiv in dem Sinne beeinflusst hätte, dass die Verengung früher hätte beendet werden können, mit der Folge das weniger Gewebe geschädigt worden wäre. Er gehe davon aus, dass hier eine sehr kurzfristige Unterbrechung schadensursächlich gewesen sei; die Ursache für die Schädigung des Klägers sei zeitlich wohl sehr früh gesetzt worden. Zwar sei er der Meinung, dass es nicht übermäßig wahrscheinlich sei, dass man bei einer früheren Intervention einen Thrombus aufgelöst hätte oder einen Spasmus hätte beseitigen können, da die Schädigung aber mutmaßlich in diesen frühen Zeitraum gefallen sei und zudem die Mechanismen, die hier wirkten, bzw. die Therapien, die man anwende, wegen der Seltenheit der Erkrankung nicht hinreichend erforscht seien, könne er das nicht ausschließen.

Damit ist klargestellt, dass der Erfolg einer früheren Intervention nicht nur eine theoretische und fernliegende, sondern eine ernsthafte, wenn auch nicht sehr wahrscheinliche Möglichkeit gewesen ist. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der Befunderhebungsfehler, welcher der Beklagten anzulasten ist, schadensursächlich ausgewirkt hat.

Die Ausführungen des Sachverständigen waren überzeugend und für den Senat nachvollziehbar. Der Sachverständige ist als Leiter einer Universitätsklinik für Neuropädiatrie fachlich hinreichend qualifiziert, die Beweisfragen zutreffend zu beantworten. Abgesehen davon, dass die Beklagtenseite die fachliche Kompetenz des Sachverständigen nicht in Zweifel gezogen hat, ist der Sachverständige dem Senat im Übrigen aus einer Vielzahl von Arzthaftungsfällen als forensisch erfahrener und fachlich versierter Sachverständiger bekannt, sodass der Senat keinerlei Anlass hat, den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht zu folgen.

Damit ist die grundsätzliche Haftung der Beklagten zur Überzeugung des Senats bewiesen. Dem Feststellungsantrag war zu entsprechen.

Der Zahlungsantrag war, da die Beklagte im ersten Rechtszug auch den Schaden in der konkreten Ausprägung bestritten hat (S.12 Klageerwiderung, S.14, S.16), noch nicht entscheidungsreif. Da mit Blick auf Art und Ausmaß der Schadensfolgen eine sachverständige Begutachtung erforderlich sein wird, hat der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 538 Abs.2 Nr.4 ZPO Gebrauch gemacht, nachdem der Kläger im Termin einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Einstandspflicht war mit Grundurteil auszusprechen.

Die Nebenentscheidung folgt aus § 708 Nr.10, § 711 ZPO. Der Senat sieht sich in Übereinstimmung mit höchstrichterlichen Rechtsprechung, so dass er entgegen der Anregung der Beklagten im Schriftsatz vom 29.01.2024 keine Veranlassung sieht, die Revision zuzulassen.