Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.06.2016, Az.: 2 Ss (OWi) 152/16

Beweisverwertungsverbot nach einem negativen Kompetenzkonflikt zweier an der Anordnung einer Blutentnahme beteiligten Amtsgerichte

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
20.06.2016
Aktenzeichen
2 Ss (OWi) 152/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 23204
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2016:0620.2SS.OWI152.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lingen - 23.03.2016

Amtlicher Leitsatz

Zum Beweisverwertungsverbot nach einem negativen Kompetenzkonflikt zweier an der Anordnung einer Blutentnahme beteiligten Amtsgerichte.

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Lingen vom 23.03.2016 aufgehoben. Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung eines berauschenden Mittels zu einer Geldbuße von 500,- € und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"Der Betroffene befuhr am 18.02.2015 um 15.05 Uhr mit einem PKW pp., amtliches Kennzeichen pp., die pp. in pp., obwohl er, wie er wusste, Cannabis konsumiert hatte und er bei Beachtung der ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können, dass er bei der Fahrt unter der Wirkung dieses berauschenden Mittels stand.

Der Betroffene wurde gegen 15.05 von den Polizeibeamten pp. und pp. im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle auf dem Rewe-Parkplatz an der pp. Straße pp. kontrolliert. Da bei dieser Kontrolle der Verdacht entstand, dass der Betroffene unter dem Einfluss berauschender Mittel stehen könnte, wurde er zu einem Drogenvortest aufgefordert, den er freiwillig ableistete. Nachdem dieser Test positiv war, sollte ihm auf der Dienststelle der Polizei eine Blutprobe entnommen werden. Der Betroffene willigte nicht ein, weshalb der Polizeibeamte pp. ihn über den Richtervorbehalt aufklärte und im Anschluss versuchte, einen richterlichen Beschluss über die Blutprobenentnahme zu erlangen. Zu diesem Zweck rief er zunächst beim dem bereitschaftsdiensthabenden Richter am Amtsgericht Meppen an. Dort wurde er unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landgerichts Osnabrück, wonach das Amtsgericht Osnabrück für die Anordnung der Blutprobenentnahme zuständig sei, an das Amtsgericht Osnabrück verwiesen. Der dort bereitschaftsdiensthabende Richter teilte Herrn pp. [mit], dass er sich selbst nicht für zuständig halte, sondern dass vielmehr das Amtsgericht Meppen zuständig sei und er sich daher mit der Sache nicht befassen werde.

Nachdem zwei Richter die Anordnung der Blutentnahme abgelehnt hatten und seit der ersten Kontrolle bereits ca. eine Stunde verstrichen war, ordnete Polizeikommissar pp. unter Berufung auf Gefahr in Verzug die Blutentnahme selbst an, welche um 16.01 Uhr entnommen wurde. Diese ergab nach dem Befund der medizinischen Hochschule Hannover vom 09.03.2015 (Bl. 15 d. A.) nachfolgende Werte:

Tetrahydrocannabinol (THC) 1,6 ng/ml

11-Hydroxy-delta-9-tetrahydrocannabionl 0,96 ng/ml

THC-Carbonsäure (THC-COOH) 13 ng/ml

Die festgestellte THC-Konzentration lässt es als möglich erscheinen, dass die Fahrtüchtigkeit des Betroffenen eingeschränkt war. Der Betroffene hätte bei ordnungsgemäßer Überprüfung erkennen können und müssen, dass er möglicherweise noch unter dem Einfluss von Cannabinoiden stand."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde mit der er u.a. geltend macht, hinsichtlich der entnommenen Blutprobe und des sich daraus ergebenden Befundes, bestehe ein Beweisverwertungsverbot.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie hat bereits mit der formgerecht erhobenen Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg, so dass es auf die gleichfalls erhobene Sachrüge nicht ankommt.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.

Die dem Betroffenen entnommene Blutprobe und das daraus resultierende Gutachten waren nicht verwertbar.

Die durch den Polizeibeamten pp. angeordnete Blutentnahme war wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt gemäß § 81 a StPO rechtswidrig. Dieser Verfahrensverstoß führt vorliegend auch zu einem Beweisverwertungsverbot, also zur Unverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutuntersuchung.

Zwar hat nicht jeder Verstoß gegen eine Beweiserhebungsvorschrift ein Verwertungsverbot zur Folge. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbotes und des Gewichtes des Verstoßes und der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei bedeutet ein Beweiserhebungsverbot die Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind, die nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 44. Bd., 243, 249). Ein Beweisverwertungsverbot wird von der Rechtsprechung bei willkürlicher Vornahme einer Maßnahme ohne richterliche Anordnung und damit bewusstem Ignorieren des Richtervorbehalts oder gleichwertiger gröblicher Missachtung angenommen (vgl. BGHSt 51, Bd., 285 ff.).

So ist es hier, wobei es die Gerichte selbst sind, die den Richtervorbehalt wirkungslos gemacht haben.

Nachdem der Polizeibeamte die Richter, die für die Entscheidung in Frage kamen (Richter am Sitz der Verwaltungsbehörde und Richter am Sitz der Staatsanwaltschaft) erreicht hatte, endete seine aus § 81 a Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG abgeleitete Eilkompetenz. Sie lebte auch nach der Weigerung der angerufenen Richter, sich mit der Sache zu befassen, nicht wieder auf.

Für das Ende der Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden gilt Folgendes:

Haben die Ermittlungspersonen - nach Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls - das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr in Verzug verneint und eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt, endet mit der Befassung des Gerichts und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes durch den Richter die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, in dem das Gericht mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung befasst wird. Dies ist der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Richter den Antrag tatsächlich unterbreitet hat, so dass dieser in eine erste Sachprüfung eintreten kann.

Auch soweit während des durch den Richter in Anspruch genommenen Entscheidungszeitraums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlustes eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt (BVerfG NJW 2015, 2787 ff).

Die Eilkompetenz lebt auch nicht wieder auf, wenn der mit der Sache befasste Richter eine Entscheidung nicht trifft. Der Annahme einer Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden im Fall des "mutwillig" nicht entscheidenden Richters steht nämlich der Umstand entgegen, dass der Richter nicht befugt ist, durch den Verzicht auf eine Sachentscheidung über die Gewährung präventiven Grundrechtsschutzes zu disponieren. Er ist, wie alle Gerichte und Behörden, an das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und das Gebot effektiver Strafverfolgung (Art. 20 Abs. III Grundgesetz) gebunden.

Ab dem Zeitpunkt seiner Befassung trägt grundsätzlich allein der Richter die Verantwortung für die Anordnung der Durchsuchung, so dass ihm auch die Abwägung und Entscheidung obliegt, ob und inwieweit durch den von ihm zu verantwortenden Prüfungsvorgang der Ermittlungserfolg gegebenenfalls gefährdet wird (BVerfG a.a.O.)

Zwar betrifft der vorliegende Fall nicht den verfassungsrechtlich, sondern lediglich den in § 81 a Abs. 2 StPO einfachrechtlich angeordneten Richtervorbehalt. Darüber hinaus ist es im vorliegenden Fall so, dass die angerufenen Richter noch nicht in eine Sachprüfung eingetreten waren, sondern schon ihre Zuständigkeit verneint hatten.

Das ändert aber in der Sache nichts:

Ein Richter, der nicht bereit ist, ohne Vorlage der Ermittlungsakte zu entscheiden, verweigert eine zeitnahe Entscheidung ebenso wie derjenige, der sich auf seine fehlende Zuständigkeit beruft. Da zweifellos entweder der Richter am Sitz der Verwaltungsbehörde oder der Richter am Sitz der Staatsanwaltschaft zuständig war, ist das Tätigwerden zumindest durch einen der beiden "mutwillig" verweigert worden. Insofern besteht kein Unterschied zu den Sachverhalten, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lagen.

Zwar ist der präventive Richtervorbehalt bei einer Verneinung der Zuständigkeit ebenso wenig wirksam, wie bei einem nicht erreichbaren Richter (vgl. hierzu: BVerfG 2 BvR 1596/10 u. 2 BvR 2346/10, ), dennoch können diese Fälle nicht gleichgesetzt werden: Durch die Erreichbarkeit beider Richter war die weitere Entscheidung über die Anordnung der Blutentnahme in die Verantwortung der Gerichte übergegangen und damit den Ermittlungsbehörden entzogen. Wenn die Gerichte der ihnen zukommenden Verantwortung nicht gerecht werden, darf das nicht dazu führen, dass der Richtervorbehalt sanktionslos missachtet werden dürfte.

Aber auch der Umstand, dass hier nur der einfachrechtliche Richtervorbehalt verletzt worden ist, spricht nicht gegen ein Beweisverwertungsgebot.

Es ist nämlich nicht so, dass ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. StPO im nachfolgenden Strafverfahren keine verfassungsrechtliche Bedeutung erlangen kann. Es ist vielmehr zu prüfen, ob die maßgeblichen strafrechtlichen Vorschriften unter Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in objektiv vertretbarer Weise, also ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot (Art 3 Abs. 1 GG), ausgelegt und angewandt worden sind (BVerfG 2 BvR 2346/10, ).

Vor diesem Hintergrund kommt auch nicht deshalb kein Beweiserhebungsverbot in Betracht, weil der Zuständigkeitsstreit zwischen den Amtsgerichten erstmals aufgeflammt wäre und die Verweigerung richterlichen Tätigwerdens nicht systematisch erfolgte, sondern "nur" bis zu einer Entscheidung des den Amtsgerichten übergeordneten Landgerichtes. Wie sich nämlich aus den Feststellungen des angefochtene Urteils ergibt, hat das Landgericht in der Vergangenheit eine Entscheidung über die Zuständigkeit für derartige Fälle getroffen, ohne dass damit der negative Kompetenzkonflikt beigelegt worden wäre. Damit kommen die Gerichte der ihnen übertragenen Verantwortung in objektiv nicht nachvollziehbarer Art und Weise nicht nach.

Die Schwere des Verstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Polizeibeamter im Einzelfall die Voraussetzung des Richtervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sondern daraus, dass dessen Voraussetzungen aufgrund eines "Fehlers im System" ungeprüft geblieben sind (OLG Hamm, Beschluss vom 12.03.2009, 3 Ss 31/09, ).

Auch wenn hier - anders als bei der Entscheidung des OLG Hamm- möglicherweise keine langjährige Praxis vorliegt, liegt der Fehler im System darin, dass sich zwei Gerichte nicht über ihre Zuständigkeit einigen, was die Ermittlungsbehörden dem Dilemma aussetzt, die in der Sache gebotene Ermittlungsmaßnahmen nicht ergreifen zu können. Die Lösung kann allerdings auch nicht darin bestehen, dass durch die Verweigerung der Gerichte eine im Gesetz so nicht vorgesehene Eilzuständigkeit geschaffen wird. In einer Anmerkung von Dencker zur oben genannten Entscheidung des OLG Hamm (DAR 2009, 257, 263) heißt es:

"pp. Objektive Willkür dagegen liegt jedenfalls dann vor, wenn das zur Gesetzesanwendung berufene "System" falsch eingestellt ist, also in einer Weise, die ein vom Gesetz abweichendes Vorgehen als den Normalfall vorprogrammiert".

Der gesetzliche Normalfall ist aber die Entscheidung über die Anordnung einer Blutentnahme durch den Richter und nicht durch die Ermittlungsbehörden. So wäre es aber hier, wenn man -weil zwei Gerichte sich nicht einigen können- eine im Gesetz nicht vorgesehene Zuständigkeit zulassen würde,

Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Da es an einer rechtlich zulässigen Grundlage für den Nachweis einer Fahrt des Betroffenen unter Drogeneinfluss fehlt und nicht ersichtlich ist, dass dieser auf andere Weise erlangt werden kann, war der Betroffene durch den Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG freizusprechen. Die Feststellung, dass der Betroffene unter der Wirkung berauschender Mittel im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hat kann nicht getroffen werden. Eine solche Wirkung liegt nämlich nur vor, wenn eine der in der Anlage zu § 24 a StVG genannten Substanzen im Blut nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist wegen der Unverwertbarkeit der Blutprobe nicht möglich.

Der Senat verkennt nicht, dass diese Konsequenz für die Polizei frustrierend und demotivierend ist, sieht sich aber mit seinen Möglichkeiten nicht in der Lage, an dieser unhaltbaren Situation etwas zu ändern. Denkbar erscheint u.a., dass die zuständige Behörde im Wiederholungsfall versuchen könnte, nach Ablehnung der Anordnung durch das Amtsgericht, eine sofortige Entscheidung der zuständigen Beschwerdekammer zu erreichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG i. V. m. § 467 StPO.