Amtsgericht Stade
Beschl. v. 24.08.2012, Az.: 73 IE 1/12

Anforderungen an die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer niederländischen B.V. gem. Art 3 Abs. 1 EUInsVO

Bibliographie

Gericht
AG Stade
Datum
24.08.2012
Aktenzeichen
73 IE 1/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 24035
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGSTADE:2012:0824.73IE1.12.0A

Fundstelle

  • ZInsO 2012, 1911-1912

Redaktioneller Leitsatz

1.

Eine Niederlassung im Sinne des Art. 2 h EUInsVO besteht, wenn die Schuldnerin an einem Ort einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Aktivität nachgeht, die den Einsatz von Vermögenswerten und Personal voraussetzt.

  1. 2.

Ein Sekundärinsolvenzverwalter ist insbesondere den Hauptinsolvenzverwaltern gegenüber nicht weisungsgebunden.

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der
..., vertreten durch:
1.
..., (Insolvenzverwalter),
2.
..., (Insolvenzverwalter),
Verfahrensbevollmächtigter des Vertreters zu 2.: Rechtsanwalt Dr. Rolf Leihaus, Kranhaus 1/ Im Zollhafen 18, 50676 Köln

Tenor:

wird heute, am 24.08.2012 um 11:00 Uhr das Insolvenzverfahren gemäß §§ 2, 3, Abs. 2 und 3, 16 Abs. 2, 27 ff. EUInsVO i.V.m. §§ 2, 3, 11, 343, 356 ff. InsO als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet. Die Wirkungen des Verfahrens beschränken sich auf das im Inland belegene Vermögen der Schuldnerin. Zum Insolvenzverwalter wird bestellt: Rechtsanwalt Dr. Volker Römermann, Ballindamm 38, 20095 Hamburg, Tel.: (040) 30061934-0, Fax: (040) 30061934-1, E-Mail:iv-hamburg@hr-inso.com, Internet: insolvenzverwaltung@roemermann.com

Der Schuldnerin wird die Verfügung über ihr zur Insolvenzmasse gehörendes gegenwärtiges und zukünftiges Vermögen für die Dauer des Insolvenzverfahrens verboten. Die Verfügungsbefugnis wird dem Insolvenzverwalter übertragen. Schuldbefreiende Leistungen an die Schuldnerin können nach dem Eröffnungszeitpunkt nicht mehr erfolgen, wird gleichwohl an die Schuldnerin geleistet und gelangen die Mittel nicht zur Masse, besteht die Gefahr der nochmaligen Leistungsverpflichtung gegenüber dem Insolvenzverwalter.

Der Insolvenzverwalter wird mit der Durchführung der Zustellungen gemäß § 8 Abs. 3 InsO beauftragt.

Die Gläubiger werden aufgefordert:

  1. a)

    Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) bei dem Insolvenzverwalter schriftlich und unter Beachtung des§ 174 InsO anzumelden bis: 31.10.2012,

  2. b)

    dem Insolvenzverwalter unverzüglich mitzuteilen, welche Sicherungsrechte sie an beweglichen Sachen oder an Rechten der Schuldnerin in Anspruch nehmen. Der Gegenstand, an dem das Sicherungsrecht beansprucht wird, die Art und der Entstehungsgrund des Sicherungsrechts sowie die gesicherte Forderung sind zu bezeichnen. Wer die Mitteilung schuldhaft unterlässt oder verzögert, haftet für den daraus entstehenden Schaden (§ 28 Abs. 2 InsO).

Personen, die Verpflichtungen gegenüber der Schuldnerin haben, werden aufgefordert, nicht mehr an die Schuldnerin, sondern an den Insolvenzverwalter zu leisten (§ 28 Abs. 3 InsO).

Vor dem Insolvenzgericht wird am

Mittwoch, 21.11.2012. 10:00 Uhr. Saal 113. Hauptgebäude, Wilhadikirchhof 1, 21682 Stade

eine Gläubigerversammlung zur Berichterstattung durch den Insolvenzverwalter und zur Prüfung der angemeldeten Forderungen(Berichts- und Prüfungstermin) abgehalten.

Der Termin dient zugleich der Entscheidung der Gläubiger über

  • die Person des Insolvenzverwalters (§ 57 InsO),

  • die Einsetzung bzw. Beibehaltung und Besetzung eines Gläubigerausschusses (§ 68 InsO)

sowie gegebenenfalls über:

  • die Wirksamkeit der Verwaltererklärung zu Vermögen aus selbstständiger Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO),

  • Zwischenrechnungslegungen gegenüber der Gläubigerversammlung (§ 66 Abs. 3 InsO),

  • eine Hinterlegungsstelle und Bedingungen zur Anlage und Hinterlegung von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten (§ 149 InsO),

  • - den Fortgang des Verfahrens (§ 157 InsO); z.B. Unternehmensstilllegung, vorläufige Fortführung oder Insolvenzplan,

  • die Verwertung der Insolvenzmasse (§ 159 InsO),

  • - besonders bedeutsame Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters (§ 160 InsO); insbesondere: Veräußerung des Unternehmens oder des Betriebs der Schuldnerin, des Warenlagers im ganzen, eines unbeweglichen Gegenstandes aus freier Hand, einer Beteiligung der Schuldnerin an einem anderen Unternehmen, die der Herstellung einer dauernden Verbindung zu diesem Unternehmen dienen soll, die Aufnahme eines Darlehens, das die Masse erheblich belasten würde, Anhängigmachung, Aufnahme, Beilegung oder Vermeidung eines Rechtsstreits mit erheblichem Streitwert,

  • eine Betriebsveräußerung an besonders Interessierte oder eine Betriebsveräußerung unter Wert (§§ 162, 163 InsO),

  • eine Beantragung der Anordnung oder der Aufhebung der Anordnung einer Eigenverwaltung (§§ 271, 272, 277 InsO),

  • Zahlung von Unterhalt aus der Insolvenzmasse (§§ 100, 101 InsO),

  • eine Einstellung des Verfahrens durch das Gericht gem. § 207 InsO ohne Einberufung einer besonderen Gläubigerversammlung.

Gründe

1

Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom 20.07.2012 - eingegangen bei Gericht am 24.07.2012 - die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens über das auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland belegene Vermögen der Schuldnerin - einer niederländischen B.V. mit Sitz in 's- Hertogenbosch. Bereits am 16.02.2012 hatte die Rechtsbank 's ... das Hauptinsolvenzverfahren gemäßArt 3 Abs. 1 EUInsVO über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.

2

Die Schuldnerin ist Eigentümerin eines in Stade belegenen Grundstücks, das mit einer Gesamtbriefgrundschuld zugunsten der Antragstellerin belastet ist. Die Schuldnerin hat sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.

3

Die Schuldnerin beantragt,

den Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zurückzuweisen,

4

hilfsweise

vor der Eröffnung die niederländischen Konkursverwalter der Schuldnerin persönlich zu hören. Sie ist der Auffassung, dass die Schuldnerin in Stade keine Niederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 EUInsVO betreibt. Das Grundstück werde nicht mehr bewirtschaftet. Bei der Schuldnerin handele es sich nur noch um eine reine Besitzgesellschaft. Im Übrigen bestehe seitens der Antragstellerin kein Rechtsschutzinteresse an der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, da die Hauptinsolvenzverwalter die Möglichkeiten hätten, die Verwertung des deutschen Sekundärinsolvenzverfahrens zu unterbrechen. Die Antragstellerin sei auch nicht mehr Inhaberin der Forderungen und der Gesamtgrundschuld. Diese seien über die Gesellschaft Deco 7 an diverse Anleger vertrieben worden.

5

Das Gericht hat durch Beschluss vom 25.07.2012 die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 25.07.2012 (Bl. 210 f. Bd. I. d.A.) Bezug genommen. Auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Römermann vom 23.08.2012 (Bl. 124 ff. Bd. II d.A.) wird Bezug genommen.

6

II.

Über das auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland belegene Vermögen der Schuldnerin ist das Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 2, 3, 16 Abs. 2, 27 ff. EUInsVO zu eröffnen.

7

1.

Das Amtsgericht Stade ist international gemäß Art. 3 Abs. 2 und 3 EUInsVO und gemäß Art. 102 § 1 Abs. 2 EGInsO örtlich zuständig. Denn die Schuldnerin betreibt eine Niederlassung in Stade. Eine Niederlassung im Sinne des Art. 2 h EUInsVO liegt vor, wenn die Schuldnerin an einem Ort einer nicht nur vorübergehenden wirtschaftlichen Aktivität nachgeht, die den Einsatz von Vermögenswerten und Personal voraussetzt. Bei der Schuldnerin handelt es sich um eine Gesellschaft zur Verwaltung des Immobilienbesitzes in Stade insbesondere mit dem Interesse der Vermietung. Die Schuldnerin setzt dabei nicht nur vorübergehend ihr Grundstück ein, um dieses wirtschaftlich zu vermieten und zu nutzen. Unerheblich ist dabei, dass das Grundstück bereits seit geraumer Zeit ungenutzt bleibt. Die wirtschaftliche Aktivität ist dabei auch auf Dauer angelegt. Die Schuldnerin setzt dabei auch Personal im Sinne des Art. 2 h EUInsVO ein. Es ist dabei unerheblich, ob es sich um eigene Arbeitnehmer handelt, oder um andere Personen, die aufgrund von Geschäftsbesorgungsverträgen tätig werden. Nach den Feststellungen des Sachverständigen werden die Räumlichkeiten der Schuldnerin in Stade durch die ... vor Ort verwaltet. So haben die niederländischen Konkursverwalter Post an die ... GmbH weitergeleitet. Im Übrigen war die ... GmbH bereits vor der Eröffnung des niederländischen Hauptinsolvenzverfahrens durch die Schuldnerin beauftragt. Dieser Auftrag ist nach dem Gutachten des Sachverständigen nicht gekündigt worden. Die Mitarbeiter der ... GmbH haben nach Angaben des Zeugen Stracke Gespräche mit Mietinteressenten geführt, Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, als Ansprechpartner für Behörden etc. vor Ort agiert, ferner Instandhaltungsaufgaben wahrgenommen und lokale Handwerker beauftragt. Diese Tätigkeiten gehen über allgemeine Besitztätigkeiten hinaus. Sie sind auch aus Sicht eines Dritten betrachtet der Schuldnerin zuzurechnen. Denn Grundlage der Tätigkeiten sind nicht gekündigte Verträge mit der Schuldnerin. Daneben ergibt sich aus der Postübersendung, dass die niederländischen Insolvenzverwalter die Tätigkeit der ... GmbH nicht nur dulden, sondern auch aktiv fördern und fordern, so dass eine Zurechnung der Tätigkeiten der ... GmbH zur Schuldnerin insgesamt zu bejahen ist.

8

2.

Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig.

9

a)

Insbesondere besteht ein Rechtsschutzinteresse an dem Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens. Die Antragstellerin hat glaubhaft dargelegt, dass sie im Verwertungsfall mit einem Teil ihrer Forderungen ausfallen wird. Die Möglichkeit des Betreibens der Zwangsvollstreckung schließt das Rechtsschutzinteresse an einem Insolvenzverfahren nicht aus, insbesondere da so eine freihändige Veräußerung der Immobilie als weitere Verwertungsmöglichkeit in Betracht kommt. Auch die Kooperations- und Unterrichtungspflichten ausArt. 31 Abs. 1 und 2 EUInsVO sowie das Vorschlagsrecht der Hauptinsolvenzverwalter gem. Art. 31 Abs. 3 EUInsVO stehen dem Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin nicht entgegen. Der Sekundärinsolvenzverwalter ist insbesondere den Hauptinsolvenzverwaltern gegenüber nicht weisungsgebunden. Art. 31 EUInsVO geht insoweit vom Wortlaut her deutlich von einer wechselseitigen Kooperationspflicht aus. Daraus lässt keine Weisungsgebundenheit in irgendeine Richtung erschließen. Selbiges gilt für das Vorschlagsrecht gem. Art. 31 Abs. 3 EUInsVO. Auch die Aussetzung der Verwertung gem. Art. 33 Abs. 1 EUInsVO ist nur für 3 Monate zulässig. Im Übrigen hat das Gericht auf Antrag die Aussetzung der Verwertung aufzuheben, wenn die Maßnahme nicht mehr mit dem Interesse der Gläubiger zu rechtfertigen ist, Art. 33 Abs. 2 EUInsVO.

10

b)

Die Antragstellerin hat auch eine Forderung gegen die Schuldnerin glaubhaft gemacht. Soweit die Schuldnerin der unstreitig entstandenen und bestehenden Forderung mit dem Argument entgegengetreten ist, dass diese an die ... p.l.c. abgetreten sei, steht nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Römermann fest, dass die Antragstellerin nach den Verträgen mit der ... p.l.c. die Forderung weiterhin aus eigenem Recht gegenüber der Schuldnerin beanspruchen kann.

11

3.

Der Antrag der Antragstellerin ist auch begründet. Die Eröffnungsvoraussetzungen stehen aufgrund des niederländischen Hauptinsolvenzverfahrens fest, Art. 27 Satz 1 EUInsVO. Die Schuldnerin betreibt in Stade auch eine Niederlassung im Sinne des Art. 2 h EUInsVO (s.o unter 1.). Die Verfahrenskosten sind nach den Ausführungen des Sachverständigen zur Überzeugung des Gerichts gedeckt.

12

4.

Dem Antrag der Schuldnerin auf persönliche Anhörung vor Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens war nicht zu entsprechen. Die Schuldnerin hatte - fachanwaltlich beraten und vertreten - ausreichend Gelegenheit, ihre Bedenken vorzutragen. Eine persönliche Anhörung der niederländischen Konkursverwalter ist nicht daher von Amts wegen zur Aufklärung des Sachverhalts nicht mehr geboten.

13

III.

Bei der Bestellung des Insolvenzverwalters ist das Gericht nicht dem Vorschlag der Antragstellerin gefolgt. Zwar ist gem. § 56 Satz 2 InsO die Unabhängigkeit eines Insolvenzverwalters nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass er von einem Schuldner oder Gläubiger vorgeschlagen wird. Reicht aber die Gläubigerin für ein Insolvenzverfahren bereits die kompletten Vorstellungsunterlagen eines Insolvenzverwalters, den sie vorschlägt, ein, so spricht dies dafür, dass bereits intensive Gespräche zwischen Gläubigerin und dem vorgeschlagenen Insolvenzverwalter stattgefunden haben. Dies lässt eine fehlende Unabhängigkeit wenigstens befürchten, so dass dem Vorschlag der Antragstellerin insoweit nicht entsprochen werden konnte.

Wolkewitz Richter am Amtsgericht