Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.04.1986, Az.: 14 WF 52/86

Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs; Ermittlung des Bedarfs eines sich in der Ausbildung befindlichen volljährigen Kindes geschiedener Eltern; Zugrundelegung der Düsseldorfer Tabelle zur Bedarfsermittlung auf der Basis der zusammengerechneten Einkommen beider Eltern

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
02.04.1986
Aktenzeichen
14 WF 52/86
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1986, 21270
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1986:0402.14WF52.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Osnabrück - 20.02.1986 - AZ: 10 F 27/86

Fundstelle

  • NJW-RR 1986, 871-872 (Volltext mit amtl. LS)

In der Familiensache
...
hat der 14. Zivilsenat - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 22. April 1986
durch
die unterzeichneten Richter
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Osnabrück vom 20. Februar 1986 in der Fassung des Beschlusses vom 14. März 1986 geändert.

Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt xxx unter den Bedingungen eines in Osnabrück ansässigen Anwalts Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit sie gegen den Beklagten einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 190,-- DM ab 1. Januar 1986 geltend macht.

Im übrigen wird die Beschwerde nach einem Beschwerdewert von 400,-- bis 500,-- DM zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, jedoch trägt die Klägerin im Umfang der Zurückweisung ihres Rechtsmittels die Gerichtsgebühr. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

1

Durch den angefochtenen, hiermit in Bezug genommenen Beschluß, hat das Amtsgericht der Klägerin Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit sie einen Unterhaltsanspruch von 165,30 DM geltend macht und im übrigen ihren Antrag auf Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen.

2

Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und auch zum Teil sachlich gerechtfertigt.

3

Der vorliegende Fall betrifft die in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilte und noch nicht allgemein überzeugend entschiedene Frage, in welcher Weise der Bedarf des volljährigen Kindes geschiedener Eltern, das noch bei einem berufstätigen Elternteil lebt, aber selbst bereits Ausbildungsvergütung bezieht, zu ermitteln ist, und wie die Haftungsanteile beider Elternteile untereinander festzulegen sind, sofern der Elternteil, bei dem der Volljährige lebt, ein höheres anrechenbares Einkommen erzielt als der zur Zahlung von Barunterhalt in Anspruch genommene Elternteil.

4

Wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten, den Lebensbedarf eines Volljährigen zu ermitteln, wird insbesondere auf Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zum Unterhalt, 3. Auflage, Rn. 80 und auf Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 1986, S. 156 ff. sowie das neuere Kommentarschrifttum hierzu Bezug genommen.

5

In der Rechtsprechung sind im wesentlichen zwei Auffassungen anzutreffen. Einerseits wird der Unterhaltsbedarf eines noch in der Ausbildung befindlichen Volljährigen mit dem Eintritt der Volljährigkeit nicht mehr nach den Grundsätzen der für Minderjährige geltenden Tabellen ermittelt, sondern, gleichgültig, ob der Volljährige noch bei einem Elternteil lebt oder auch insoweit bereits selbständig ist, mit einem festen Betrag geschätzt, von dem sodann, je nach Lage des Falles Abzüge für nicht entstandenen Wohnbedarf usw. vorgenommen werden (KG FamRZ 1985, 419, 422: 800,-- DM; OLG Hamburg FamRZ 1984, 190: 765,-- DM); vgl. auch OLG Stuttgart FamRZ 1984, 1197 und einige weitere ältere Entscheidungen).

6

Nach der anderen Auffassung (OLG Düsseldorf FamRZ 1984, 1136; bestätigt durch BGH EzFamR BGB § 1610 Nr. 6 = MDR 1986, 301) ist die Lebensstellung des noch nicht wirtschaftlich selbständigen Volljährigen, noch dazu, wenn er weiterhin bei einem Elternteil lebt, unverändert, und zwar, für eine noch nicht näher eingegrenzte Übergangszeit, allein von den Eltern abgeleitet, so daß sie sich zumindest wirtschaftlich nach deren Verhältnissen richtet (BGH a.a.O.; vgl. etwa auch Mutschler in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1610 Rn. 33; Göppinger, Unterhaltsrecht, 4. Aufl., Rn. 670; Kalthoener/Büttner, a.a.O.., Wendl/Staudigl, a.a.O., Rn. 160, insoweit differenzierend bis zur Gruppe 7 der Düsseldorfer Tabelle), solange sie nicht als außergewöhnlich günstig zu beurteilen sind und deshalb an eine Sättigungsgrenze zu denken ist. Dabei beeinflußt auch das Einkommen der Mutter die Lebensstellung des Kindes, so daß es als angemessen angesehen wird, zur Bedarfsermittlung die Düsseldorfer Tabelle auf der Basis der zusammengerechneten Einkommen beider Eltern zugrundezulegen.

7

Der Senat folgt dieser Auffassung, weil sie der besonderen wirtschaftlichen Situation des zu Hause lebenden Volljährigen, die sich insoweit praktisch nicht von der eines zu Hause lebenden Minderjährigen unterscheidet, am ehesten gerecht wird. Der Senat ist sich dabei bewußt, daß dieser Auffassung - ebenso wie jeder anderen in diesem Bereich - Bedenken entgegengehalten werden können, die jedoch letztlich zumeist nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte sondern auf die unterschiedliche Bewertung des Eltern-Kind-Verhältnisses knapp nach Beginn der Volljährigkeit des Kindes zurückzuführen sind. Bei vorrangig wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist davon auszugehen, daß zwischen dem zu Hause lebenden Minderjährigen, der Ausbildungsvergütung bezieht und dem zu Hause lebenden Volljährigen mit gleichen Bedingungen ein so geringer Unterschied besteht, daß es angemessen erscheint, die für den Minderjährigen geltenden Grundsätze für die Ermittlung seiner tatsächlichen Lebensstellung fortzuschreiben.

8

Der Senat verkennt dabei ferner nicht, daß mit der Anwendung der hier bevorzugten Lösung die Frage, in welchem Verhältnis die an sich geldwerten Leistungen des Elternteils, bei dem der Volljährige lebt, zu der möglicherweise verbleibenden Barunterhaltspflicht dieses Elternteils, steht, wenn er mehr verdient als der andere Elternteil, letztlich nicht ganz befriedigend einbezogen werden kann, solange nicht feststeht, in welchem Umfang dieser vollschichtig erwerbstätige Elternteil einem Volljährigen überhaupt über die reine Wohnungsgewährung hinaus derartige Leistungen erbringen kann und ob diese Leistungen wegen des besonderen, auch in die Volljährigkeit reichenden Verhältnisses zwischen Eltern und Kind stets als wirtschaftlich zu bewertende geldwerte Leistungen anzusehen sind. Der Senat trägt dieser Ungewißheit jedoch durch Berücksichtigung einer veränderten Haftungsrate dieses Elternteils Rechnung.

9

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich für die Ermittlung des Bedarfs der Klägerin folgende Berechnung: Das Einkommen des Vaters beträgt unstreitig 2.000,-- DM monatlich, das der Mutter ist auf 2.365,-- DM zu ermitteln. Die Summe der beiden Einkommen würde für die Klägerin einen Unterhaltsanspruch nach Gruppe 7 der Düsseldorfer Tabelle ergeben. Weil jedoch die Lebensstellung der Eltern nach der Scheidung auch davon geprägt ist, daß sie jeder für sich einen eigenen Haushalt führen müssen, ist gerade bei wie hier gegebenen Einkommensverhältnissen ein trennungsbedingter Mehrbedarf der Eltern zu berücksichtigen, der sich der Lebensstellung des Kindes mitteilt. Diesen Mehrbedarf gleicht der Senat dadurch aus, daß die wegen unterdurchschnittlicher Unterhaltslast des Beklagten an sich notwendige Heraufstufung in die Einkommensgruppe 8 unterbleibt und einer Herabstufung nur um eine Gruppe in die Einkommensgruppe 6 erfolgt. Damit beträgt der Bedarf der volljährigen Klägerin nach Einkommensgruppe 6, erhöht um die Differenz zwischen Altersstufe 2 und 3 insgesamt 610,-- DM. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, die insoweit auf einer Absprache aller Familiensenate des Oberlandesgerichts Oldenburg beruht, ist zu diesem Ausgangsbetrag eine Pauschale von 145,-- DM für ausbildungsbedingte Mehrkosten hinzuzuziehen und sodann, weil die Klägerin volljährig ist, die gesamte Ausbildungsvergütung abzuziehen. Danach ergibt sich ein ungedeckter Unterhaltsbedarf von 390,-- DM im Monat.

10

Dieser Betrag ist anteilig im Verhältnis der bereinigten Einkommen der Eltern aufzuteilen, um den Haftungsanteil des Vaters zu ermitteln. Hierzu hat der Senat stets von den Einkommen der Elternteile Abschläge in Höhe des Selbstbehalts (hier zur Zeit 1.100,-- DM) vorgenommen und erst danach die Haftungsanteile errechnet, um zu vermeiden, daß bei undifferenzierter, schematischer Quotierung allein nach der Höhe der Einkünfte insbesondere im Bereich kleiner und mittlerer Einkommen, die überproportional hoch zur Deckung allein des Lebensbedarfs benötigt werden, die Möglichkeiten der Lebensführung ungleich eingeschränkt werden. Diese Überlegung hat der Bundesgerichtshof inzwischen ebenfalls als zutreffend angesehen (BGH a.a.O. und MDR 1986, 300). Im vorliegenden Fall erhöht der Senat jedoch aus den obigen Erwägungen den vom Einkommen der Mutter abzuziehenden Betrag um 1.400,-- DM, um den von ihr erbrachten Leistungen für die Klägerin besser Rechnung zu tragen. Der Beklagte haftet daher im Verhältnis (2.000,- DM - 1.100,- DM): (2.365,- DM - 1.400,- DM) Daraus ergibt sich der auf ihn entfallende Anteil am ungedeckten Unterhaltsbedarf der Klägerin in Höhe von 190,-- DM, und zwar ab 1. Januar 1986, weil die Klägerin nicht hinreichend dafür vorgetragen hat, daß sie den Beklagten bereits am 1. Dezember 1985 in Verzug gesetzt hat.

11

Die Nebenentscheidungen beruhen auf Nrn. 1180, 1181 des Kostenverzeichnisses zu § 11 GKG, 97 Abs. 1, § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.